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Anmerkungen zur Beschwerdestatistik des Jobcenter Wuppertal
Auch in diesem Jahr hat das Jobcenter Wuppertal AöR einen Bericht zum Beschwerdemanagement veröffentlicht. In diesem werden die, bei der internen Beschwerdestelle des Jobcenters eingegangenen Beschwerden aus dem letzten Jahr (2023) statistisch ausgewertet und analysiert.
Der Bericht ist unter folgendem Link abrufbar: Bericht des Jobcenters zum Beschwerdemanagement 2023
Die Art und Weise, wie das Jobcenter Wuppertal in Beschwerdefällen arbeitet und wie diese statistische ausgewertet werden, ist aus unserer Sicht aus verschiedenen Gründen fragwürdig.
- Die meisten Beschwerden werden statistisch überhaupt nicht erfasst
Wie man dem Bericht entnehmen kann, landen „die meisten Beschwerden [...] naturgemäß bei der Sachbearbeitung oder bei den Teamleitungen oder Geschäftsstellenleitungen vor Ort.“ (S. 4) Diese Beschwerden würden dann „unbürokratisch und zeitnah in den Geschäftsstellen bearbeitet und erledigt.“ (ebd.)
Wie man dem Bericht allerdings auch entnehmen kann, werden zu diesen Beschwerden in den Geschäftsstellen keine Statistiken geführt. Der Großteil der beim Jobcenter eingehenden Beschwerden wird im Beschwerdebericht also überhaupt nicht berücksichtigt.
Umso erstaunlicher ist daher, dass das Jobcenter auf seiner Webseite dazu aufruft Beschwerden nicht direkt an das Zentrale Beschwerdemanagement zu richten. Stattdessen wird folgender Weg bei Beschwerden vorgegeben:
„Falls Sie eine Beschwerde einreichen wollen, richten Sie diese bitte an Ihre Geschäftsstelle. Dabei haben Sie die Möglichkeit, persönlich oder schriftlich an uns heranzutreten oder Ihre Beschwerde vor Ort niederschreiben zu lassen. Als Ansprechpersonen stehen Ihnen dabei Ihre Berater*innen sowie die verantwortliche Führungskraft zur Seite.“
(https://jobcenter.wuppertal.de/kontakt/content/zentrales-beschwerdemanagement.php, aufgerufen am 25.02.2024)
Nur wenn dies im „Einzelfall nicht möglich“ ist, solle man sich an das Zentrale Beschwerdemanagement des Jobcenters wenden.
Auch telefonische Beschwerden werden laut dem Bericht nicht statistisch erfasst (S. 5).
Das Jobcenter Wuppertal bemüht sich also bereits im Vorfeld, die Anzahl der Beschwerden kleinzurechnen und die Statistik zu schönen, indem sie dafür sorgen, dass der Großteil der Beschwerden in der Statistik erst gar nicht auftaucht. Die statistische Auswertung der übrigen Beschwerden, welche direkt an die Beschwerdestelle gerichtet wurden, hätte man sich eigentlich auch sparen können. Denn eine Aussagekraft besitzen diese bruchstückhaften Daten ohnehin nicht.
Trotzdem haben es immerhin 175 Beschwerden aus dem Jahr 2023 in die Statistik geschafft – 52 mehr als im Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein. - Bewertung der Beschwerden als „berechtigt“ oder „unberechtigt“
Um die Bedeutung der verbliebenen Beschwerden zu schmälern werden diese durch das Jobcenter teilweise als „unberechtigt“ abgewiesen. Dies erfolgte 2023 in 84,6 % der Fälle (148 Beschwerden). Übrig bleiben dann lediglich 27 Fälle (15,4 %), die das Jobcenter Wuppertal bzw. dessen Beschwerde-stelle als „berechtigt“ anerkennt und Fehler einräumt (S. 5).
Welche Kriterien bei der Bewertung als „berechtigt“ oder „unberechtigt“ angelegt werden und wie genau die Kategorisierung letztlich zustande kommt, wird nicht offengelegt.
Aus unserer Beratungsarbeit und den Erfahrungen mit, in diesem Rahmen eingereichten Beschwerden, können wir jedoch berichten, dass das Zentrale Beschwerdemanagement sich in der Regel schwer tut, Fehler einzuräumen und stattdessen oftmals versuchte die Schuld bei den Leistungsbeziehenden zu suchen, um Beschwerden als „unberechtigt“ zurückzuweisen.
Auch an dieser Stelle wird also versucht, die Statistik zu schönen und Missstände kleinzureden.
- Schlussfolgerungen aus der statistischen Auswertung
Die Schlussfolgerungen, die das Jobcenter aus ihrer Beschwerdestatistik zieht, sind aus unserer Sicht recht unterschiedlich zu bewerten.
So wird eingestanden, dass ein Großteil der als „berechtigt“ eingestuften Beschwerden die Leistungsgewährung (insbesondere die Bearbeitungszeiten) betrafen und hier Optimierungsbedarf bestehe (S. 9).
Auch wir sehen in diesem Punkt eines der gravierendsten Probleme im Jobcenter Wuppertal. Und auch eines der folgenschwersten. Denn wenn Neuanträge oder Weiterbewilligungsanträge nicht rechtzeitig bearbeitet werden, sind die Antragsstellenden in vielen Fällen komplett mittellos, haben kein Geld für Lebensmittel, verschulden sich, weil sie Miete, Energiekosten und vieles anderes nicht bezahlen können und sind in der Folge mit Energiesperren, Räumungsklagen bis hin zur Obdachlosigkeit, Pfändungen sowie Folgekosten wie Mahngebühren, Dispozinsen etc. konfrontiert. Das Jobcenter will der Problematik durch Personalgewinnung und Optimierung der Arbeitsprozesse in Zukunft Herr werden. Liest man den Beschwerdebericht, entsteht der Eindruck, als sei das Ziel dieser Maßnahmen jedoch nicht in erster Linie die Beseitigung der Missstände und Notlagen oder die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Jobcenters, wie z.B. die Sicherstellung der Existenz der Leistungsbeziehenden zu sein, sondern „der Rückgang der Beschwerden“:
„Sicherlich wird die Zahl der berechtigten Beschwerden damit zurückgehen.“ (ebd.)
Auch in diesem Punkt, scheint also die Beschönigung der Statistik an erster Stelle zu stehen.
Erstaunlich ist auch die Bewertung des Jobcenters bezüglich der Beschwerden zu persönlichem Verhalten der Sachbearbeiter*innen. Diese sind laut Statistik des Beschwerdemanagements in Vergleich zum Vorjahr um 24% zurückgegangen (ebd.). Nämlich von 25 auf 19 Beschwerden. Von einer signifikanten Änderung ist, insbesondere unter Berücksichtigung der geringen Fallzahl und der bruchstückhaften Datenerfassung wohl kaum zu sprechen. Daraus dennoch Rückschlüsse zu ziehen, die mehr als Spekulation sind, ist praktisch nicht möglich. Das Jobcenter Wuppertal versucht es trotzdem und schlussfolgert:
„Das Qualifizierungskonzept der Jobcenter Wuppertal AöR hat sich somit positiv ausgewirkt.“ (ebd.)
Und nutzt die Gelegenheit einige der Schulungsmodule aufzulisten, die Ihre Mitarbeiter*innen zu dem Thema besuchen durften (ebd.):
-
- Deeskalationstraining (2 Tage)
- Umgang mit schwierigen Kunden (1 Tag)
- Toleranz ist nicht unendlich (2 Tage)
Einen Zusammenhang zwischen den genannten Schulungen und der Verringerung von Beschwerden über das persönliche Verhalten der Mitarbeiter*innen des Jobcenters herzustellen, würde uns selbst dann schwerfallen, wenn die Zahl der Beschwerden tatsächlich stark zurückgegangen wäre.
Vielmehr vermitteln die Titel der Schulungen, den bereits zuvor benannten Umgang mit Beschwerden von Leistungsbeziehenden: Im Zweifel sind eben die Kund*innen „schwierig“ oder aus anderen Gründen irgendwie selbst schuld, denn „Toleranz ist nicht unendlich“.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei der Lektüre des Berichts zum Beschwerdemanagement 2023 der Eindruck entsteht, es ginge dem Jobcenter Wuppertal dabei hauptsächlich darum Probleme kleinzureden und nach außen einen reibungslosen und kundenfreundlichen Betrieb darzustellen, bei dem es nur in Ausnahmen zu Beschwerden kommt. Unsere Erfahrung aus der Beratung der Kund*innen des Jobcenters ist eine andere. Wir gehen davon aus, dass auch die Statistik über Beschwerden beim Jobcenter andere Ergebnisse hervorbrächte, wenn man diese nicht durch die oben dargestellten Tricks beschönigen würde. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um Problemlagen und Missstände im Jobcenter zu erfassen sowie den Kund*innen, das Gefühl zu geben, dass Ihre Beschwerden ernst genommen werden und tatsächlich versucht wird, diese wohlwollend und lösungsorientiert zu bearbeiten.
Wir fordern das Jobcenter Wuppertal daher auf,
- alle Beschwerden, auch solche, die nicht direkt beim Zentralen Beschwerdemanagement eingehen, statistisch zu erfassen, egal ob diese persönlich, telefonisch, per E-Mail oder Fax, in der Geschäftsstelle oder bei der Teamleitung / Geschäftsstellenleitung eingelegt werden. Es muss außerdem aufhören, dass Beschwerden vom Zentralen Beschwerdemanagement an die Geschäftsstellen abgewimmelt werden, wo diese ggf. gar nicht als Beschwerden registriert und entsprechend statistisch erfasst werden.
- auch Beschwerden, die bei anderen Stellen über das Jobcenter Wuppertal eingehen, wie Datenschutzbeschwerden, Beschwerden über Diskriminierungserfahrungen (z.B. bei der Antidiskriminierungsstelle der Stadt) oder Fachaufsichtsbeschwerden, in die Statistik mit einfließen zu lassen und im Bericht zu benennen.
- interne Verfahren, wie Beschwerden bearbeitet werden, transparent zu machen und offenzulegen welche Kriterien angelegt werden, um diese als „berechtigt“ bzw. „unberechtigt“ zu kategorisieren. Gegebenenfalls sind die Verfahren zu optimieren, mit der Zielsetzung einer kunden- und lösungsorientierten Bearbeitung der Beschwerden sowie dem Ziel strukturelle Probleme und Missstände im Jobcenter zu erkennen und zu beseitigen.
Um zumindest einen geringfügigen Beitrag zur Verbesserung der Beschwerdestatistik des Jobcenter Wuppertals zu leisten, werden wir in Zukunft Beschwerden immer auch an das Zentrale Beschwerdemanagement senden, damit diese statistisch erfasst werden. Wir raten allen Kund*innen des Jobcenters und Beratenden, die für sie tätig sind, in Beschwerdefällen dasselbe zu tun.
Wir halten es jedoch grundsätzlich für problematisch, dass personelle und strukturelle Konflikte einer Behörde durch eine interne Instanz bewertet und bearbeitet werden. Die Relativierung oder Negierung interner Miss-stände, wie im Fall des Jobcenter Wuppertals, ist aus unserer Sicht in einer derartigen Struktur nicht verwunderlich. Grundsätzlich halten wir es daher für sinnvoll, Beschwerdestrukturen zu schaffen, die unabhängig prüfen und bewerten. Dies könnte z.B. durch eine städtische Ombudsstelle geschehen, wie sie auch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. empfohlen wird1.
Wuppertal, den 25.02.2024
1 Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zum Beschwerdemanagement und Schlichtungsverfahren im SGB II; S. 11ff, abrufbar unter:
https://www.deutscher-verein.de/de/uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2023/dv-1-23_beschwerdemanagement_sgb_ii.pdf
Hintergrund: