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Beteiligung an den Kosten der Hilfe zum Lebensunterhalt im Heim bei Ehepaaren

Von Peter Niemann



1. Durch den Wegfall der Schutzvorschrift des § 27 Abs. 3 BSHG wäre bei Inkrafttreten des § 35 SGB XII am 1.1.2005 für Ehepartner die Folge eingetreten, dass der im Bereich der Hilfen nach dem 5. bis 8. Kap durch die (allerdings vereinheitliche) Einkommensgrenze gebildete Schutz dadurch ausgehebelt worden wäre, das für die im Heim gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt das gesamte gemeinsame Einkommen bis auf den für den Lebensunterhalt des zu Hause lebenden Partners erforderlichen Betrag gefordert worden wäre. Da dem Gesetzgeber deutlich gemacht wurde, dass die zu Hause bleibende Familie auf diese Weise auf das Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt gesetzt würde, wurden durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch zum einen die Kosten des in der Einrichtung gewährten Lebensunterhalts begrenzt (§ 35 Abs. 1) und zum anderen durch die Einfügung des § 82 Abs.4 die Beteiligung an diesen Kosten auf die häusliche Ersparnis begrenzt. Dafür wurde die bisherige Bestimmung des § 85 Abs.1 Nr. 3 Satz 2 BSHG wörtlich übertragen (die schon als § 88 Abs. 1 Nr.3 Satz 2 in SGB XII übernommen wurde).Zur Begründung hierfür ist im Ausschussbericht (BT-Drucksache 15/3977 S.12 zu Art. 2 Nr. 4) ausgeführt: „Die bisherige Regelung des § 85 Abs.1 Nr. 3 des Bundessozialhilfegesetzes wird wortgleich auch für die Hilfe zum Lebensunterhalt übernommen, so dass sich keine Änderungen für die bisherige Bewilligungspraxis ergeben.”

2. Es daher zu beobachten, ob die Praxis die Erwartung des Gesetzgebers bestätigt, dass sich — abgesehen von der Vereinheitlichung der Einkommensgrenze in § 85 SGB XII — keine Änderungen gegen-über der bisherigen Bewilligungspraxis ergeben. Dabei ergibt sich nach den ersten Rückmeldungen aus der Praxis sowie den Berechnungsbeispielen der BAGüS bzw. des LWL, dass zum einen die häusliche Ersparnis nach § 82 Abs.4 Satz 1 SGB XII höher angesetzt wird — was zwar nicht erkennbar begründet wird, aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Überraschend ist jedoch, dass die Begrifflichkeit „einen anderen überwiegend unterhalten” in § 82 Abs.4 Satz 2 SGB XII völlig anders verstanden wird als bisher zu § 85 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 BSHG. Da erscheint es dann nur konsequent, dass (bisher vereinzelt und vorsichtig) der Versuch gemacht wird, dieses andere Verständnis auch auf § 88 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 SGB XII zu übertragen.

Am Rande wird deutlich, dass jetzt auch die schon 1982 eingeführte Beschränkung des Unterkunftskosten auf die im Einzelfall angemessene Höhe eher aufgegriffen wird, als das überwiegend bisher der Fall war. Dabei ist nicht die Tatsache selbst zu überprüfen sondern nur die Maßstäbe, die hier zum Teil in der Praxis gebraucht werden.

3. Die Veränderung des Maßstabs bei der häuslichen Ersparnis wird in den Empfehlungen des LWL zu § 82 Abs. 4 darin deutlich, dass nicht die bisherige Regelung zu § 85 Abs.1 Nr. 3 BSHG weitergeführt wird, sondern die für die Angehörigen ungünstigere Regelung zum bisherigen § 43 Abs. 2 BSHG aufgegriffen wird, nunmehr § 92 Abs. 2 SGB XII. Während bisher bei Verheirateten die Höchstgrenze bei 100 % des Regelsatzes eines Haushaltsangehörigen lag (so allgemein auch die Kommentarliteratur zu § 85 Abs.1 Nr. 3 BSHG), ist nun die neue Obergrenze von 150 % dieses Betrag relativ früh erreicht. Dass die prozentuale Steigerung in 10er Schritten nicht mehr wie bisher an das Erreichen oder Überschreiten der verschiedenen Einkommensgrenzen erfolgt, ist auf der einen Seite verständlich, es dürfte aber § 35 Abs.1. S.1 i.V.m. § 42 Nr. 1 SGB XII widersprechen, einen Satz oberhalb von 100 % des Regelsatzes anzusetzen. Entscheidend aber ist, dass die Obergrenze bisher bei 80 % des niedrigeren Regelsatzes lag, sie war damit identisch mit dem Familienzuschlag nach § 79 BSHG. Da der Familienzuschlag nunmehr 70 % des neuen, höheren Regelsatzes beträgt, muss dieses auch die Obergrenze der häuslichen Ersparnis nach § 82 Abs.4 SGB XII sein.

4. Noch gravierender ist neue Auslegung des § 82 Abs. 4 Satz 2 SGB XII. Diese geht davon aus, dass auch bei einem Ehepaar der Fall auftreten kann, dass der im Heim befindliche Partner den zu Hause wohnenden nicht überwiegend unterhält. Dabei sind zwei Fallgestaltungen schon von vorneherein ausgeschlossen, nämlich immer die in denen nur der eine Ehegatte über Einkommen verfügt. Wenn dies der Leistungsberechtigte ist, muss er zwangsläufig mit seinem Einkommen auch den zu Hause lebenden unterhalten. Wenn der Leistungsberechtigte kein eigenes Einkommen hat, kann er nichts beitragen. Es bleiben also nur die Fälle zur Prüfung, in denen beide Ehepartner über Einkommen verfügen, wobei eine unterschiedliche Verteilung der Einkommen immer auch unterschiedliche zusätzliche Kostenbeiträge zur Folge hat. Die Obergrenze liegt dabei immer darin, dass der Höchstbetrag nach § 35 Abs. 1 SGB XII erreicht wird durch die Summe der Beträge nach § 84 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB XII.

Die Beobachtung, dass bei einer Anwendung dieser Auslegung eine unterschiedliche Verteilung der Einkommen der Ehepartner bei identischem Gesamteinkommen zu einer um mehrere Hundert Euro differerierenden Kostenbeteiligung für die Hilfe zum Lebensunterhalt im Heim führt, lässt bereits Zweifel daran aufkommen, dass diese Auslegung zutreffend sein kann. Immerhin gilt im Sozialhilferecht nach § 19 SGB XII die Bedarfsgemeinschaft, die zur Folge hat, dass alles Einkommen eines Ehepartners auch jeweils dem anderen zusteht. Auf Fragen des Unterhaltsrechts kommt es dabei nach allgemeiner Auffassung nicht an, von daher kann auch überhaupt nicht im Rahmen des § 82 Abs. 4 Satz 2 SGB XII zulässigerweise die Frage gestellt werden, ob der eine Ehegatte den anderen überwiegend unterhält. Auch nach den Empfehlungen des LWL zu § 85 SGB XII stellt sich bei der Frage des Familienzuschlages im Rahmen der Einkommensgrenze die Frage des überwiegenden Unterhaltens nicht bei Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft nach § 19 SGB XII, die eigenes Einkommen haben. (T 85 Tz 3.4.1). Interessanterweise wird dies in den Empfehlungen zu § 88 Abs.1 Nr. 3 Satz 2 SGB XII ebenfalls (zutreffend) so gesehen, nicht aber in den neuen Empfehlungen zu § 82 Abs. 4 Satz 2 SGB XII (T 82 Tz 12.2.2). Dabei hatten offenbar die Verfasser selbst kein gutes Gewissen, da sie davon ausgehen, dass nur 50 % der Differenz zwischen Einkommen des Leistungsberechtigten und häuslicher Ersparnis zur Kostendeckung zur Verfügung stehen sollen.

Ein Blick in die Literatur zum bisher geltenden § 85 Abs.1 Nr. 3 BSHG zeigt, dass allgemein eine Anwendung des Satzes 2 bei verheirateten Hilfeempfänger ausgeschlossen wird (außer wenn beide Heimbewohner sind), da ihnen nach § 79 BSHG ein Familienzuschlag allein aufgrund ihrer Zugehö-rigkeit zur Bedarfsgemeinschaft zusteht, ohne dass es auf die Frage ankommt, ob sie sich selbst unterhalten können.(vgl. nur Krahmer in LPK zu § 85 BSHG (6. Auflage) RdNr. 15 unter Berufung auf ein Gutachten des Deutschen Vereins NDV 1986, 58).

Die richtige Konsequenz kann daher aufgrund der Erörterung nur sein, auf die falsche Anwendung des § 82 Abs. 4 Satz 2 SGB XII auf Ehepaare mit Einkommen beider Partner zu verzichten. Es dürfte auch unter Billigkeitsgesichtspunkten angesichts des im Sozialhilferechts geltenden Grundsatzes der Bedarfsgemeinschaft niemandem klarzumachen sein, dass bei gleichem Gesamteinkommen unterschiedliche Kostenbeiträge zu zahlen sind — von den oben zitierten Vorstellungen des Gesetzgebers einmal ganz abgesehen.

Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Anwendung des gleichen Gedankens für eine Kostenbeteiligung an den Maßnahmekosten unterhalb der Einkommensgrenze des § 85 SGB XII gem. § 88 Abs.1 Nr. 3 Satz 2 SGB XII. Dies wird zwar vom LWL nicht gefordert (s.o.), von einigen örtlichen Trägern aber in ihren Bescheiden schon vorbereitet (wenn auch noch nicht durchgeführt).

5. In einzelnen Bescheiden wird dem zu Hause verbliebenen Ehegatten im Sinne des § 29 SGB XII eine Frist von 6 Monaten zur Anmietung einer günstigeren Wohnung eingeräumt. Hiergegen wird auch unter dem Gesichtspunkt des § 85 Abs.1 Nr. 2 SGB XII nicht grundsätzlich einzuwenden sein. Es ist aber darauf zu achten, dass nicht — wie geschehen — als Grenze der angemessenen Miethöhe die pauschal nach § 42 Nr. 2 SGB XII für Heimbewohner vorgesehenen Durchschnittsbeträge auf der Ebene des jeweiligen Sozialhilfeträgers angewendet wird. Hier besteht zwar ein örtlicher Bezug, es ist aber auf die spezifischen Umstände des Einzelfalls wie insbesondere Alter des Mieters, Einbindung in das soziale Umfeld, Pflegebedürftigkeit, Hilfen durch Dritte etc. einzugehen.

Münster, den 11.02.2005
gez. Peter Niemann
Referat Sozialrecht, Diakonisches Werk der EKvW, Münster

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