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Bundesverfassungsgericht schafft Anspruchsgrundlage für laufende atypische Bedarfe

Zumindest einige wenige Leistungsbezieher können unmittelbar von dem Urteil profitieren. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich nicht nur zu den Regelsätzen Stellung genommen, sondern auch zum laufenden Sonderbedarf.
Dieser war früher in § 22 Abs. 1 S. 2 BSHG geregelt und wurde in § 28 Abs. 1 S. 2 ins SGB XII übernommen, nicht jedoch ins SGB II.
Das Bundesverfassungsgericht hält aber eine dem § 22 Abs. 1 S. 1 BSHG entsprechende Regelung im SGB II offensichtlich für zwingend notwendig. Dies ergibt sich aus folgender Aussage in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
„Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung auch einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II leistungsberechtigten vorzusehen, der bisher nicht von den Leistungen nach § 20 ff. SGB II erfasst wird, zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist.”

Besonders interessant und für Betroffene äußerst hilfreich ist, dass das Bundesverfassungsgericht bezüglich dieses atypischen Bedarfs dem Gesetzgeber nicht nur aufgegeben hat, bis Ende 2010 eine Neuregelung zuschaffen, es hat – anders als bei den Regelsätzen – einen direkten Anspruch auf atypische Bedarfe aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitet.
Hierzu heißt es in der Pressemitteilung: „Bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber wird angeordnet, dass dieser Anspruch nach Maßgabe der Urteilsgründe unmittelbar aus Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu Lasten des Bundes geltend gemacht werden kann.”

Wer kann nun was geltend machen?


Geltend gemacht werden kann ein atypischer Bedarf (d.h. ein Bedarf, der nicht von der Regelleistung gedeckt ist, sofern dieser 1. unabweisbar und 2. laufend (also nicht nur einmalig) ist. (Für einmalige Überschreitungen kommt nach wie vor nur ein Darlehen gem. § 23 Abs. 1 SGB in Betracht.)
Damit fällt die neue Waschmaschine nicht unter atypische Bedarfe, da es sich nicht um einen laufenden Bedarf handelt.
Auch Reitstunden werden von der ARGE nicht bezahlt, da sie keinen unabweisbaren Bedarf darstellen.
An die abweichende Bemessung zugunsten des Hilfesuchenden werden allerdings hohe Anforderungen gestellt. Die pauschale Behauptung, es entstünden Mehrkosten reicht nach bisheriger Rechtsprechung zu § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII und der Vorgängerregelung § 22 BSHG nicht aus. (zum BSHG schon: OVG Münster, FEVS 43, 372; 376). Zunächst einmal muss der Leistungsberechtigte explizit darlegen, dass der von ihm geltend gemachte atypische Bedarf durch die Regelleistung nicht gedeckt ist. Dies ist am ehesten möglich, wenn der Bedarf nicht unter die Bedarfsgruppen der Regelsatzverordnung fällt. Der Hilfesuchende muss darlegen, dass der geltend gemachte zusätzliche Bedarf durch die Bedarfsgruppen nicht erfasst wird.

Geltend gemacht werden können jedoch aller Voraussicht nach folgende Kosten:


Da die Regelsätze keine Ausgaben für Bildung vorsehen, können Bildungsbedingte Kosten wohl am ehesten als atypischer Bedarf geltend gemacht werden.
Unter der Geltung des § 22 BSHG bzw. für § 28 SGB XII wurden folgende atypische Bedarfe anerkannt:
Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts des nicht mit den Kindern in einem Haushalt lebenden Elternteils (anders noch BSG 7.11.2006 BeckRS 2007 40592) oder für den Besuch des inhaftierten Ehemannes ( vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII,§ 28 Rn. 13), Kosten für Kleidung in Über- oder Untergrößen, (BT-Drs. 15/1514, 59). Ein besonders hoher Energieverbrauch für Haushaltsenergie (OVG Münster FEVS 51, 89), sofern die Energiekosten nicht gesenkt werden können bzw. die Besonderheiten des Einzelfalles den hohen Energieverbrauch notwendig machten.
Je nach Notwendigkeit könnten möglicherweise auch atypische Kosten für Körperpflegemittel (Hautcreme, Kontaktlinsenflüssigkeit) etc. übernommen werden, wenn der Leistungsberechtigte die Notwendigkeit nachweist.
Für alle die atypische Mehrbedarfe haben bedeutet dies, dass sie einen formlosen Antrag an die ARGEN bzw. kommunalen leistungsträger stellen und sich dabei auf das neuerliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts berufen sollten. Es wird aber wohl einige Klageverfahren geben müssen, bevor die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von den Leistungsträgern auch umgesetzt werden.

Dr. Alexandra Unkelbach
(Rechtsanwältin) Bonn


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