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Hartz IV - Regelsätze für Kinder erheblich gesenkt
Vortrag von Rainer Roth
„Der neue Regelsatz verbessert die Situation der betroffenen Menschen,” erklärte die Bundesregierung vor der Verabschiedung von Hartz. (Pressemitteilung Nr. 653 vom 16.12.2004) Und der DGB-Bundesvorstand schloss sich dem an. DGB-Vizechefin Engelen-Kefer: „Wer bisher Sozialhilfe erhalten hat, profitiert von der neuen Regelung.” (DGB, Arbeitslosengeld II, Tipps und Hilfen des DGB, Berlin Oktober 2004, 6)
In der Tat: 345 Euro sind mehr als 297 Euro. Die einmaligen Beihilfen, die 2004 im Schnitt 16,2% des damaligen Regelsatzes von 297 Euro, also 48 Euro ausgemacht haben, müssen nicht mehr beantragt werden (das haben einige nicht gemacht). Sie werden jetzt pauschal ausbezahlt, ob man sie braucht oder nicht. Folglich erscheint Alg II als eine Verbesserung für SozialhilfebezieherInnen. Wie wir noch sehen werden, ist das Schein, nicht Sein.
„Der neue Regelsatz verbessert die Situation der betroffenen Menschen,” erklärte die Regierung. Sind Kinder zwischen 7 und 18 Jahren, also Schulkinder, keine betroffenen Menschen? Der Regelsatz für Kinder zwischen 7 und 14 Jahren ist nämlich von 65% auf 60% des Eckregelsatzes abgesenkt worden, der von Kindern zwischen 15 und 18 Jahren von 90 auf 80%. Der Regelsatz von 345 Euro heißt Eckregelsatz, weil sich von ihm alle anderen Regelsätze ableiten.
Die Pauschalierung der einmaligen Beihilfen führte zu einer weiteren Kürzung. Der Anteil von einmaligen Beihilfen am Regelsatz betrug bei Kindern vor Verabschiedung von Hartz IV nicht 16%, wie heute, sondern 20%. Nach den bis Ende 2004 geltenden Leistungsniveau hätte der Regelsatz für Kinder von 7-14 Jahren also 232 Euro statt 207 Euro sein müssen, der von 15-18jährigen 319 statt 276 Euro. Die neuen Regelsätze für Kinder verschlechtern vor allem die Situation der Schulkinder und damit auch die ihrer Eltern.
Sollen so die Bildungschancen der Kinder von Arbeitslosen verbessert werden? Ist das eine Konsequenz aus der PISA-Studie, die extreme Unterschiede in den Bildungschancen zwischen Kindern unterer Schichten und denen bürgerlichen Schichten nachgewiesen hat? Oder leistet die Große Koalition aus SPD, CDU, Grünen und FDP, die das beschlossen hat, damit einen Beitrag, Deutschland immer kinderfreundlicher zu machen und die Familien zu stärken? Freundlich gegenüber den Kindern und den Familien der Armutsbevölkerung sind sie jedenfalls nicht.
Wurde aber nicht der Regelsatz von Kindern unter sieben Jahren von 50 bzw. 55% bei Alleinerziehenden auf 60% erhöht? Ist das nicht kinderfreundlich? Dieser Schluss wäre voreilig.
Zieht man die 10,25 Euro ab, die seit Hartz IV beim Kindergeld nicht mehr anrechnungsfrei sind und rechnet nach wie vor 20% für einmalige Beihilfen, bekommen Kinder unter 7 Jahren, die bei Alleinerziehenden leben, gerade mal 7 Euro mehr. Die Kinder unter 7, die bei Paaren leben, bekommen 18 Euro mehr.
Aber auch hier trügt der Schein. Denn der Eckregelsatz, von dem sich die Prozentsätze für Kinder ableiten, hätte nicht 345, sondern mindestens 382 Euro betragen müssen, wenn die Berechnungsgrundlage nicht unsichtbar verändert worden wäre. Der Regelsatz von Kindern unter 7 Jahren hätte also in Wirklichkeit nicht 207, sondern mindestens 229 Euro betragen müssen. (vgl. B 1)
Es gab bei den Regelsätzen nur eine einzige reale Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand. Das war die Erhöhung des Regelsatzes für über 18-jährige, die im Haushalt der Eltern wohnen, von 276 auf 345 Euro. Aber genau das wurde gerade wieder abgeschafft, eben weil es eine wirkliche Verbesserung war.
In Bezug auf die früheren Arbeitslosenhilfebezieher stellte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung fest, dass immerhin noch 40% von ihnen zu den Gewinnern zählen würden. (FR 1.1.2006) Z.B. diejenigen, die früher trotz Anspruchs keinen Antrag auf ergänzende Sozialhilfe gestellt haben oder Alleinerziehende. Ausgeklammert wird allerdings, dass AlHi-Bezieher früher zusätzlich zur AlHi Wohngeld und Kindergeld bekamen. Mit ihrer Verwandlung in Alg II-Bezieher ist Wohngeld und Kindergeld jedoch im Alg II enthalten. Das erscheint als Erhöhung gegenüber der alten Arbeitslosenhilfe. Um beides sauber zu vergleichen, müssten Kindergeld und Wohngeld zur Arbeitslosenhilfe dazugerechnet werden. Das geschieht aber in keiner der Berechnungen, wie Helga Spindler feststellt. (www.nachdenkseiten.de) Auch hier wird gefälscht, um Gewinner zu konstruieren.
Summiert man „Gewinner und Verlierer” bei AlHi und Sozialhilfe kommt nach Meinung der FAZ angeblich heraus. „Das Gesamtniveau der Mindestsicherung für erwerbsfähige Transferempfänger wurde … eher gehoben als gesenkt.” (Carsten Germis, Die Mär vom großen Sozialabbau, FAZ 1.1.2006) Daraus folgert dann die FAZ, dass die Regelsätze endlich spürbar gekürzt werden müssen, damit Arbeitslose an Arbeit interessiert werden könnten. Das entspricht der Meinung der Arbeitgeberverbände. Gegenwärtig wird überlegt, wie das umgesetzt werden kann.
Wesentlich für die Beurteilung des SGB II ist nicht, ob sich einzelne Leistungsbezieher besser oder schlechter stellen, sondern wie sich das Leistungsniveau von Alg II gegenüber dem Leistungsniveau der alten Sozialhilfe entwickelt hat.
Grundlage für die Festsetzung der Regelsätze sind die Ausgaben der unteren 20% der Ein-Personen-Haushalte der Verbrauchergruppen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung entscheidet, zu wieviel Prozent die Bedarfspositionen dieser Verbrauchergruppen in den Regelsatz eingehen sollen. Genau diese Prozentsätze sind in vielen Fällen gegenüber dem früheren Zustand abgesenkt worden.
Beispiele:
Früher wurden die Ausgaben der unteren Verbrauchergruppen für Telefon zu 100% anerkannt und in den Regelsatz aufgenommen, ab 2005 aber nur noch zu 60%. Allein das macht eine Kürzung von 11,90 Euro mtl. aus.
Ausgaben für Genussmittel wie Kaffee, Tee, alkoholische Getränke wurden entweder gar nicht mehr anerkannt oder ebenfalls stark gekürzt. Das macht eine Kürzung von 11,85 Euro im Monat aus.
Stromkosten wurden nicht mehr zu 100%, sondern nur noch zu 85% anerkannt. Das ergibt eine Kürzung von 3,66 Euro im Monat.
Ausgaben für Freizeit z.B. Veranstaltungen, Gebrauchsgüter, Hobbys usw. wurden nur noch zu 70% statt zu 100% anerkannt. Das ergab eine Kürzung von zusammen 5,44 Euro.
Insgesamt summieren sich die unsichtbaren Kürzungen auf 37,29 Euro. Der Eckregelsatz hätte also statt 345 Euro 382 Euro betragen müssen.
Erklärungen für diese Kürzungen gab es keine. Die Verhandlungen und Diskussionen über die Festsetzung eines Betrags, der die Lebensverhältnisse von etwa 7-8 Millionen Menschen bestimmt und der für weitere Millionen als Grundlage für Mindestlöhne bzw. die Steuerfreiheit des Existenzminimums dient, waren geheim.
Die Große Koalition von SPD und CDU spricht von Verbesserungen, hat sich aber mit Hartz IV im Wesentlichen darauf konzentriert, die deutliche Erhöhung zu verhindern, die eigentlich notwendig gewesen wäre. Indem die notwendige Erhöhung trickreich verhindert wurde, wurden auch die notwendige Erhöhung der Regelsätze der Kinder verhindert.
Aber Respekt: Medienkonzerne und die in den staatlichen Medien herrschenden Regierungsparteien verschweigen das alles erfolgreich. Sie können es, weil sie in der veröffentlichen Meinung fast ein Monopol haben. Sie können eine deutliche Verschlechterung problemlos zu einer Verbesserung umetikettieren, so wie andere Spezialisten Gammelfleisch umetikettieren, ohne dass es groß auffällt. Im letzteren Fall wird es allerdings wenigstens verfolgt, wenn es mal auffliegt.
Eigentlich waren Clement, Eichel und die CDU/CSU damals für eine Senkung des Eckregelsatzes von Alg II um 25%, ebenso wie die Arbeitgeberverbände. Sie wagten nicht, das durchzusetzen. Deswegen erscheint solchen Leuten Hartz IV geradezu als Verhinderung von Sozialabbau, eben als Verbesserung.
Die angestrebte Regelsatzsenkung wurde auf indirekte, gewissermaßen sozialverträglich-sozialdemokratische Art verwirklicht, als relative Senkung gegenüber einer notwendigen Erhöhung. Die Verhinderung der notwendigen Erhöhung des Eckregelsatzes ist aber nur ein Durchgangsstadium zur nach wie vor angestrebten Senkung der Regelsätze.
Dass indirekte Methoden der Regelsatzsenkung vorherrschen, zeigt sich auch darin, dass eine ganze Reihe anderer, vormals anerkannter realer Ausgaben nicht mehr anerkannt werden.
Beispiele:
Auf die Frage, wie lange Alg II reicht, mailte jemand an Tacheles: „Wie die anderen Schreiber hier habe ich mich extrem eingeschränkt, aber es reicht einfach nicht. Meist sind die verbleibenden Mittel so um den 20.ten aufgebraucht und ich lebe dann von Freunden oder Geschwistern.” (Tacheles 22.01.2006) Dieser Alg II-Bezieher begeht Leistungsbetrug, da Mahlzeiten bei Freunden oder Geschwistern kostenlos einzunehmen, eigentlich mit dem dafür veranschlagten Betrag von z.B. 1,67 Euro pro Mittag- oder Abendessen anrechnungspflichtig ist.
Dass die Sozialhilfe im Schnitt nur bis zum 20.ten reicht, war schon das Ergebnis einer Befragung von 200 Sozialhilfehaushalten in den Jahren 1988 bis 1990. (Rainer Roth, Über den Monat am Ende des Geldes, Frankfurt 1992) Das ist bis heute so geblieben, wahrscheinlich eher noch verschlechtert.
Folge: „Natürlich kann ich nur noch am Essen sparen - und das tue ich exzesshaft, weil es keine andere Möglichkeit gibt, über die Runden zu kommen,” schreibt jemand im Tacheles-Forum.
SPD und CDU (Müntefering und Merkel) gestehen Erwerbslosen so wenig Geld zu, dass in der Regel noch sehr viel Monat am Ende des Geldes übrig ist. Sie erwarten aber gewaltige Ansparungen bei Gesundheitskosten, bei Bewerbungskosten, bei Kleidung und bei Möbeln. Haushalte von Arbeitslosen sparen von ihren für Konsum ausgabefähigen Einkünften in Höhe von 1.475 Euro (!) immerhin 4%, oder 59 Euro im Monat. (Statistisches Bundesamt, Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte 2003, Wiesbaden 2004, 50) Die Bundesregierung aber erwartet von der Armutsbevölkerung, dass sie ausgabefähigen Einkünften von 345 Euro allein 8% monatlich für Haushaltsgeräte und Möbel anspart, ganz zu schweigen von den Ansparungen, die für Kleidung, Gesundheitskosten und Bewerbungskosten erwartet werden. Die Bundesregierung propagiert die Pauschalierung der früheren einmaligen Beihilfen als Förderung der Eigenverantwortung, entzieht aber den Hartz IV-Empfängern dafür noch mehr die Grundlage als früher.
Der illusionäre Ansparzwang bezweckt auf indirekte Weise Regelsatzsenkungen. Wird eine Anschaffung, die nicht aus Ansparungen gedeckt werden kann, von der Behörde als notwendig anerkannt, gibt sie ein Darlehen. Das aber muss sofort mit bis zu 10% des Regelsatzes wieder zurückgezahlt werden. Vor Hartz IV konnte ein Darlehen nur dann aus dem Regelsatz zurückgefordert werden, wenn es für Leistungen gezahlt wurde, die eigentlich schon durch vorherige Sozialhilfe gedeckt waren (z.B. für Miet- oder Stromschulden). Heute werden Erwerbslose auch dafür bestraft, dass sie Auslagen für Möbel usw. nicht angespart haben, die sie gar nicht ansparen konnten.
Ein Unterstützungsempfänger schreibt: „Kurz gesagt, das Geld reicht, wenn man auf Sparflamme lebt. Aber was passiert, wenn ich die Kleidung verschlissen, die Waschmaschine und den Fernseher geschrottet habe? Ich denke lieber nicht darüber nach.”
Wichtigste Grundlage der Regelsatzbemessung: Verbrauchsausgaben von RentnerInnen
Grundlage für die Festsetzung des Regelsatzes von 345 Euro sind die Verbrauchsausgaben der unteren 20% der Verbrauchergruppen. Wer ist das eigentlich? Die Grundlagen für die Regelsatzbemessung, die detaillierten Einkommen und Ausgaben, sowie die Altersstruktur der untersten 20% der Ein-Personen-Haushalte unter den Verbrauchergruppen der EVS 1998 werden geheim gehalten.
Damit soll vertuscht werden, dass der Eckregelsatz, salopp gesagt, ein Regelsatz für RentnerInnen ist, nicht für Erwerbslose. Den Beweis dafür kann man nur indirekt führen. (Die folgenden Angaben beziehen sich alle auf das Frühere Bundesgebiet.)
Veröffentlicht sind nur Angaben über die Haushalte der Einkommensklasse unter 1.800 DM. Diese Haushalte sind Durchschnittshaushalte, keine Ein-Personen-Haushalte. Die unterste Einkommensklasse (Haushalte unter 1.800 DM) ist nicht identisch mit den unteren 20% der Ein-Personen-Haushalte. Dennoch sind ihre Ausgaben in den verschiedenen Bedarfspositionen fast gleich. Das unterste Dezil der Haushalte (Grenzwert der Einkommen: 1.907 DM) hat 1.582 DM für den Privaten Verbrauch. Die untersten zwei Dezile der Einpersonen-Haushalte hatte 1.476,63 DM (Grenzwert der Einkommen war 1.777 DM). (Nicht veröffentlichte Angaben des Statistischen Bundesamtes bzw. Paritätischer Wohlfahrtsverband, „Zum Leben zu wenig…” Berlin 2005, 22 und 41) Demzufolge dürften die Angaben über die Sozialstruktur der Einkommensklasse unter 1.800 DM auch Aufschluss über die der unteren 20% der Verbrauchergruppen der Ein-Personen-Haushalte geben.
Unter den 2.560 Haushalten dieser untersten Einkommensklasse unter 1.800 DM waren 1.623 Haushalte, in denen der Haupteinkommensbezieher nicht erwerbstätig war. Da Arbeitslose nicht unter den Begriff nicht-Erwerbstätige fallen, sind Nicht-Erwerbstätige also in erster Linie Rentner. Das wird dadurch bestätigt, dass mit 927 Euro rd. 70% des Bruttoeinkommens der Nicht-Erwerbstätigen dieser Einkommensklasse (abzüglich der Sozialhilfeeinkommen) aus Renten besteht und nur 75 Euro aus Arbeitseinkommen anfallen. RentnerInnen machten also zwei Drittel der Haushalte der untersten Einkommensklasse aus.
(Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, Fachserie 15, Heft 4 Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte, Wiesbaden 2001, 58)
50% der Haupteinkommensbezieher der Haushalte von Nicht-Erwerbstätigen sind über 70 Jahre, weitere 17% sind zwischen 65 und 70%, weitere 21% sind zwischen 55 und 65 Jahren. (ebda., 98)
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die veröffentlichten Angaben über die Altersstruktur der Haushalte der Einkommensklasse unter 1.800 DM betrachtet. Danach waren 30% der Haupteinkommensbezieher dieser Haushalte über 70 Jahre, insgesamt ein Drittel über 65 Jahre. (ebda., 102) Diese sind also mit Sicherheit RentnerInnen. Sie hatten denn auch keinerlei Arbeitseinkommen mehr.
Aber auch unter den 15% der Haupteinkommensbezieher zwischen 55 und 65 Jahre waren Renten mit 40% der Bruttoeinnahmen (abzüglich der Sozialhilfeausgaben) die wichtigste Einkommensquelle. Selbst unter den 45 bis 55-jährigen (rd. 10% der Haupteinkommensbezieher der Einkommensklasse unter 1.800 DM) waren die Bruttoeinnahmen aus Renten nahezu ebenso hoch wie die Einnahmen aus Erwerbstätigkeit bzw. aus der damaligen Arbeitslosenhilfe. Auch hieraus geht hervor, dass die Vergleichsgruppe für die Bemessung der Regelsatzes maßgeblich aus RentnerInnen besteht.
Grundlage für die Regelsatzbemessung sind aber nicht Haupteinkommensbezieher von Mehrpersonenhaushalten, sondern Ein-Personen-Haushalte.
Die RentnerInnen konzentrieren sich bei den Ein-Personen-Haushalten, die ja die Grundlage der Regelsatzbemessung sind.
2.343 Personen der veröffentlichten untersten Einkommensklasse unter 1.800 DM waren Alleinstehend. (eba., 26) Zwei Drittel dieser Alleinstehenden waren Frauen. Nachdem Zahlungen für Sozialhilfe abgezogen sind, bestanden 52,6% ihrer Bruttoeinnahmen aus Renten. Bei den Nettoeinnahmen ist der Prozentsatz noch höher. Bei dem Drittel der Männer bestehen nur 23,3% der Bruttoeinnahmen aus Renten. Aber auch die angegebenen Einkommen aus unselbstständiger bzw. selbstständiger Arbeit, aus Sparvermögen und aus nicht-öffentlichen Transferzahlungen können Einkommen von RentnerInnen sein.
Angaben über die Altersstruktur der Ein-Personen-Haushalte, aufgeschlüsselt nach Dezilen, sowie Angaben über deren Einkommen, aufgeschlüsselt nach Dezilen, werden nicht gemacht. RentnerInnen dürften sich hier noch stärker konzentrieren als bei den Druchschnittshaushalten der Einkommensklasse unter 1.800 DM.
Aus den vorhandenen Angaben lässt sich also schließen, dass die Grundlage für die Regelsatzbemessung überwiegend in den Verbrauchsgaben von RentnerInnen sind. Dabei spielen Rentnerinnen über 70 Jahren eine herausragende Rolle.
Auch nach Angaben der EVS 1993 waren mehr als ein Drittel der Haupteinkommensbezieher der Haushalte der Einkommensklassen der Haushalte zwischen 1.000 und 1.600 DM RentnerInnen über 70. Insgesamt waren etwa die Hälfte RentnerInnen über 65 Jahre. Aber auch unter den 11,6% der Bezugspersonen zwischen 55 und 65 waren zahlreiche RentnerInnen. (Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1993, Fachserie 15, Heft 4 Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte, Wiesbaden 1997, 175)
Der Eckregelsatz ist also, salopp gesagt, ein Regelsatz für Alte.
Die Verbrauchsausgaben von aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen , nicht-erwerbsfähigen Personen sind der wichtigste Maßstab dafür, was erwerbsfähige Personen brauchen, die erwerbslos sind.
Die Verbrauchsausgaben von RentnerInnen sind aber tendenziell niedriger als die von erwerbsfähigen Personen.
Beispiele:
Die Ausgaben für Verkehrsmittel sind erheblich geringer. Mobilität und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben lassen im Alter nach. Im Regelsatz von 345 Euro sind 18,11 Euro monatlich für fremde Verkehrsdienstleistungen enthalten. Reisen werden im Gegensatz zum Warenkorb der 80er Jahre nicht mehr anerkannt.
Insgesamt wurden von den unteren Verbrauchergruppen für Verkehrsmittel rd. 51 Euro für Verkehrsmittel ausgegeben. Das entspricht dem, was Menschen über 70 Jahren 1998 als Haupteinkommensbezieher in Haushalten unter 1.800 DM für Verkehrsmittel ausgegeben haben. Sie gaben 48 Euro aus. Die Ausgaben von unter 65-jährigen aber betrugen 132 Euro, also fast das Dreifache. (EVS 1998, 102) Der Regelsatz ist allein schon aus diesem Grund für die Festsetzung notwendiger Lebenshaltungskosten von erwerbsfähigen Menschen völlig ungeeignet.
Warum aber werden selbst von den Rentnerausgaben von 51 Euro für Erwerbslose nur 18,11 Euro anerkannt?
Das Bedürfnis nach Mobilität wird nicht nur mit dem Öffentlichen Nahverkehr, sondern z.B. auch mit einem Auto befriedigt. Dafür gaben die unteren 20% der Verbrauchergruppen im Durchschnitt bescheidene 18,49 Euro aus. Autoreparaturen waren in den 18,49 Euro schon enthalten. Die alten Leute, die Autos hatten, müssen es überwiegend auf einem Parkplatz abgestellt haben.
Der Regelsatz erkennt nicht einmal diese mickrigen Ausgaben an, obwohl das Auto inzwischen als Vermögen weitgehend geschützt ist, damit Erwerbslose mobil sein können. Wie man mit einem Auto ohne einen Tropfen Benzin im Tank mobil sein kann, bleibt der Eigenverantwortung überlassen, die ja mit Hartz IV bekanntlich erheblich gestärkt wurde.
Die 18,11 Euro für öffentliche Verkehrsmittel sind ferner nicht die tatsächlichen Ausgaben derer, die öffentliche Verkehrsmittel tatsächlich nutzen. Es sind die durchschnittlichen Ausgaben aller unteren Verbrauchergruppen der Ein-Personen-Haushalte.
Wenn nur die Hälfte von ihnen Öffentliche Verkehrsmittel nutzt, die andere Hälfte aber nicht, halbieren sich die tatsächlichen Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel, auf den Durchschnitt aller Haushalte bezogen. In Wirklichkeit wären also die Ausgaben derer, die den ÖPNV wirklich nutzen, doppelt so hoch. Wenn sie also statt 18,11 Euro 36,22 Euro betragen würden, könnte man sich das verbilligte Sozialticket z.B. in Frankfurt schon eher leisten, etwas über 40 Euro kostet.
Bei Menschen über 70 sind auch die Ernährungsausgaben und die Ausgaben für Gaststättenbesuche geringer. Ältere Frauen haben z.B. nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einen Bedarf an 1.700 Kilokalorien, jüngere Männer dagegen an 2.400 Kilokalorien. Die Ernährungsausgaben von 4,23 Euro pro Tag, die im Regelsatz enthalten sind, sind u.a. auch darauf zurückzuführen, dass ältere Menschen weniger für Ernährung ausgeben. 0,88 Euro sind fürs Frühstück gedacht, je 1,67 Euro für Mittag- und Abendessen. Die verbleibenden 21 Cent täglich kann man eigenverantwortlich verprassen, z.B. für Kaffee und Kuchen. Bei einer Umfrage schätzten über 400 Befragte, dass 8,24 Euro pro Tag für Essen und Trinken im Regelsatz enthalten sind, etwa doppelt so viel.
Über 70-jährige gaben dafür 43 DM im Monat aus, unter 65-jährige dagegen 72 DM, also zwei Drittel mehr. Während über 65-jährige im Schnitt 146 DM für Freizeit, Unterhaltung und Kultur ausgeben, sind es bei unter 65-jährigen 183 DM oder ein Viertel mehr.
Auch die Ausgaben für Nachrichtenübermittlung, Bekleidung usw. sind bei Menschen über 70 Jahren geringer. (EVS 2003, 102)
All das zieht die Verbrauchsausgaben, von denen aus der Regelsatz bemessen wird, noch einmal herunter. Es ist unglaublich, dass der Regelsatz für Erwerbslose maßgeblich auf der Basis von Verbrauchsausgaben von Rentnerinnen festgelegt wird, ohne dass das irgendwo zum Problem gemacht wird.
Gehen wir nach all diesen Überlegungen grob davon aus, dass Alg II im Schnitt für 20 Tage im Monat reicht, wäre eine Erhöhung um 50% angebracht, um bis zum Monatsende auszukommen, also eine Erhöhung auf 500 Euro.
Der Paritätische fordert 412 Euro, klammert aber Verschiedenes aus, z.B. dass im Regelsatz mehr enthalten sein muss als 4,23 Euro täglich für Essen und Trinken. Es müssten meiner Meinung nach mindestens 50% mehr, also rd. 6,30 Euro am Tag. (vgl. Thesen zum Regelsatz für Alg II-BezieherINnen, Klartext e.V., September 2005, www.klartext-info.de)
Er klammert auch aus, dass der Regelsatz maßgeblich auf den Verbrauchsausgaben von Rentnerinnen beruht.
Der Regelsatz wird wohl in den nächsten nicht erhöht werden, weil der Rentenwert nicht steigt, mit dessen Erhöhung er fortgeschrieben werden muss. Es gibt also eine reale Senkung des Regelsatzes, weil die Inflation an ihm nagt. Auch diese reale Regelsatzsenkung ist beabsichtigt.
Aus all diesen Gründen ist es notwendig, offensiv für eine Erhöhung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 Euro einzutreten. Das würde eine deutliche Erleichterung bringen, gerade auch für Familien mit Kindern. Denn die Regelsätze der Kinder würden sich entsprechend erhöhen, da sie Prozentsätze des Eckregelsatzes sind. Die Erhöhung des Eckregelsatzes ist das wichtigste Mittel, auch die Lage von Kindern von Erwerbslosen zu erleichtern.
Die Regelsätze aller Kinder von Erwerbslosen wurden, wie schon ausgeführt, entweder absolut oder, wegen der ausgebliebenen Erhöhung des Eckregelsatzes, relativ abgesenkt.
Sie sind nur vom Eckregelsatz abgeleitet, beruhen also nicht auf spezifischen Untersuchungen über die Verbrauchsausgaben von Kindern. Die absolute Regelsatzkürzung für Schulkinder begründete die Bundesregierung so: „Mit der neuen Regelsatzverordnung werden die Leistungen für Familien gerechter verteilt.” (Pressestelle BMGS vom 16.05.2004)
Gerechtigkeit ist also das Motiv, nicht der Wunsch, Leistungen zu kürzen. Wieso? „Die neuen Anteile von 60 vom Hundert bzw. 80 vom Hundert des Eckregelsatzes orientieren sich an einer wissenschaftlichen Untersuchung des Statistischen Bundesamtes (Margot Münnich, Thomas Krebs, Ausgaben für Kinder in Deutschland, Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, Wirtschaft und Statistik 12/2003, 1080 ff.), wonach 14-jährige und ältere Kinder etwa um ein Drittel höhere Kosten als jüngere Kinder verursachen. Mit der Neuregelung wird ... der nach dem bisherigen Regelsatzsystem zu große Unterschied in den Leistungen für kleine und große Kinder … beseitigt.” (VO zur Durchführung des _ 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Drucksache 206/04 vom 12.03.2004, 11; Nebenbei: der Aufsatz stammt nicht von 2003, sondern von 2002.)
Kleine Kinder wurden also im Verhältnis zu großen Kindern benachteiligt. Das war ungerecht. Schulkinder hätten nicht so viel mehr bekommen dürfen. Die Bundesregierung tritt im Namen der unter 6-jährigen Kinder auf, obwohl sie die Leistungen aller Kinder angreift. Sie spielt nicht nur Alte gegen Junge, Erwerbstätige gegen Erwerbslose, sondern auch jüngere gegen ältere Kinder aus.
In der genannten Untersuchung ist aber gar nicht von Altersgruppen über 14 Jahren die Rede, sondern nur von Altersgruppen von 0-6, von 6 bis 12 und von 12 bis 18 Jahren.
Die Berechnungen ergaben, dass Kinder zwischen 12 und 18 Jahren, die im früheren Bundesgebiet leben, mit 658 Euro Durchschnittsausgaben im Monat mehr als das 1,5 fache an Kosten verursachen wie Kinder unter 6 Jahren, für die 428 Euro zur Verfügung standen. Die Ausgaben für Kinder der Altersgruppe zwischen 6 und 12 lagen um knapp 20% über denen der Altersgruppe unter 6 Jahren. (Münnich, Krebs 2002, 1090)
Die Ausgabenunterschiede wurden vom Statistischen Bundesamt nur für Haushalte mit Durchschnittsverdienst ermittelt, nicht für die Haushalte unterer Einkommensgruppen. Deshalb kann sich die Bundesregierung nur auf diese Angaben berufen haben. Ihre Aussage, sie habe sich an den wissenschaftlichen Ergebnissen „orientiert”, bedeutet im Klartext: sie hat sie nicht beachtet. Sie hat die Unterschiede von 50% auf 33% abgesenkt.
Sie hat diesen um ein Drittel höheren Betrag nicht einmal ab dem Alter von 12 Jahren, sondern erst ab dem Alter von 14 Jahren zugestanden. Bei Schulkindern zwischen 6 und 12 sind die um rd. 20% höheren Ausgaben überhaupt nicht anerkannt worden.
Offensichtlich hat es die Bundesregierung für notwendig gehalten, die Regelsätze für Kinder unter 7 Jahren zu erhöhen. Das war richtig. Würde man sich wirklich an den Ergebnissen der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes orientieren, hätten die Regelsätze der Schulkinder von 6 bis 12 aber nicht auf dasselbe Niveau wie bei Kindern unter 6 gesenkt werden dürfen. Deren Regelsätze hätten um 20% höher sein müssen.
Vor Einführung von Hartz IV bekamen Kinder zwischen 7 und 14 Jahren 20% mehr als unter 7-jährige (bei Alleinerziehenden) oder etwa 30% mehr (bei Kindern in Paar-Haushalten). Es wurde jedenfalls anerkannt, dass Schulkinder höhere Ausgaben haben als Kinder im Vorschulalter. Das wird heute nicht mehr anerkannt.
Hätte man sich an der Untersuchung orientiert, dann hätten die Altersklassen verändert werden müssen. Denn offensichtlich tifft ein höherer Bedarf nicht erst ab 15 Jahren, sondern schon ab dem 13. Lebensjahr ab. Der Regelsatz der 12 bis 14-jährigen hätte also 50% höher sein müssen als der der Kinder unter 6 Jahren. Hier ist die unsichtbare Regelsatzkürzung am höchsten.
Der Regelsatz von Kindern zwischen 15 und 18 Jahren hätte um 50% höher sein müssen, nicht wie jetzt um ein Drittel. Die Bundesregierung hat also die nominale Erhöhung der Regelsätze für Kinder unter sieben Jahren dadurch kompensiert, dass sie die Regelsätze für Kinder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen massiv abgesenkt hat. Vermutlich kam so noch ein Gewinn an Einsparungen heraus.
Mehr noch. In den ermittelten Lebenshaltungskosten für Kinder sind die Ausgaben für Bildung, d.h. für die Schule gar nicht enthalten. (Münnich, Krebs 2002, 1080). Die Unterschiede zwischen Kindern unter 6 und Kinder über 6 Jahren sind also noch größer.
Nach einer Umfrage des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter an hessischen Schulen, gibt es trotz Lehrmittelfreiheit in keiner Schulform eine Schule, in der keine Beiträge zu Lehr- und Lernmitteln erhoben werden. Die durchschnittlichen Ausgaben pro Schulkind und Jahr belaufen sich (Verpflegung und mehrtägige Klassenfahrten abgerechnet) auf etwa 438 Euro. Umgerechnet auf einen Monat ergibt das 36,50 Euro. (Informationen Dezember 2005, VAMV LV Hessen, 3-9) Nicht berücksichtigt sind freiwillige Beiträge.
Rechnen wir die Regelsätze allein unter Einbeziehung der Ergebnisse der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes um, müsste ein Regelsatz für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren eingeführt werden, der bei 248 Euro (20% höher) plus Schulkosten, also bei rd. 284 Euro statt 207 Euro liegen müsste.
Bei Kinder zwischen 12 und 18 Jahren müsste er bei 310 Euro statt 207 bzw. 276 Euro liegen, zuzüglich der Schulkosten für Schulkinder, also bei rd. 345 Euro.
Kinderregelsätze sind Prozentsätze des Eckregelsatzes. Umgekehrt aber beeinflussen sie aber auch die Höhe des Eckregelsatzes, wenn sie zu niedrig festgesetzt sind. Wenn der Regelsatz von Schulkindern über 12 Jahren schon 345 Euro sein muss, kann der Eckregelsatz nicht genauso hoch sein. Nach dem bisherigen Abstand von 25% (bei 15 bis jährigen) müsste er bei mindestens 431 Euro liegen. Auch von diesem Blickwinkel nähern wir uns also wieder den 500 Euro für den Eckregelsatz.
Weil die Regelsätze für alle Kinder zu niedrig sind, führt das wiederum zu realen Kürzungen des Eckregelsatzes, da die Eltern, vor allem die Mütter, das auf Kosten ihres Regelsatzes ausgleichen. Das ist vor allem bei den Schulkosten ganz offensichtlich der Fall, die im Regelsatz keinerlei Berücksichtigung finden.
Die neue Bundesministerin für Familie, Ursula von der Leyen erklärte bei der ersten Lesung des 12. Kinder- und Jugendberichts im Bundestag: „Für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft gibt es keine wichtigere Aufgabe als die zugewandte, verlässliche und kompetente Unterstützung aller Kinder, die in diese Gesellschaft hineinwachsen.” (www.bmsfj.de/root,did=72370.html)
Alle Kinder? Das ist nicht ernst gemeint, wie die Geschichte der Festsetzung des Eckregelsatzes und der Kinderregelsätze zeigt. Es geht hauptsächlich um die Kinder bürgerlicher Schichten.
All die genannten Umstände zeigen, dass es nicht um die Verbesserung des Lebensniveaus von Erwerbslosen und ihrer Kinder geht, sondern um seine Verschlechterung. Verbrämt mit Phrasen von Gerechtigkeit.
Alles Andere wäre auch ein kleines Wunder. Denn die allgemeine Richtung der Verbände des Kapitals, der Ökonomen, wie z.B. des Sachverständigenrats der Bundesregierung, und auch verschiedener Parteien wie von CDU/CSU und FDP geht dahin, das Leistungsniveau für Erwerbslose und ihre Familien zu senken, um damit die Bereitschaft zu erhöhen, Arbeit für niedrige Löhne anzunehmen, eine Bereitschaft, die sonst nicht bestehen würde.
Vertreter des Kapitals vergleichen häufig das Alg II-Einkommen einer Familie mit zwei Kindern mit dem Einkommen aus dem Lohn eines ungelernten Arbeiters. Da das Einkommen einer Familie von Erwerbslosen dank der Regelsätze der Kinder oft höher ist als das Einkommen eines ungelernten Arbeiters, wird daraus der Schluss gezogen, dass sich Arbeiten wegen der Kinder nicht lohne und deshalb der Regelsatz gesenkt werden müsse.
Hans-Werner Sinn, der Leiter des ifo-Instituts ist z.B. für die völlige Streichung des Eckregelsatzes für Erwerbsfähige. Stattdessen sollen die ersten 400 Euro Arbeitsverdienst anrechnungsfrei bleiben. Man soll sich also unter Androhung von Hunger den Regelsatz selbst erarbeiten. Gelingt das nicht, soll jeder über die Kommunen als Leiharbeiter auch an private Firmen vergeben werden können. Lohn soll dann der Regelsatz plus Miete sein, also das Alg II. (Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, Münchn 2003, 202 f.) Auch die Bertelsmannstiftung, die Inhaberin des größten Medienkonzerns in Europa ist für die völlige Streichung des Eckregelsatzes. (Fr. Breyer, W. Franz, S. Homburg, R. Schnabel, E. Wille, Reform der sozialen Sicherung, Berlin 2004, 42)
Andere wie der Sachverständigenrat der Bundesregierung wollen den Eckregelsatz für Erwerbsfähige um 30%, d.h. auf 242 Euro senken und zum Ausgleich dafür ebenfalls die anrechnungsfreien Teile des Arbeitseinkommens erhöhen. (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum, Jahresgutachten 2002/03, Stuttgart 2002, 254 ff.) Auch hier sollen nur die Regelsätze der Erwerbsfähigen betroffen sein, die Regelsätze der Kinder angeblich nicht.
Da aber zu den erwerbsfähigen Personen nach dem SGB II alle Personen zwischen 15 und 65 Jahren gehören, streben Sinn und Co. offensichtlich auch die Streichung des Regelsatzes für Kinder über 15 Jahren an. Zumindest haben solche Leute wie er das zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen.
Wenn aber der Eckregelsatz für Alg II-Bezieher gesenkt wird, muss automatisch auch der Regelsatz der Kinder sinken. Auch diese Wirkung ist bisher nicht dementiert worden. Dass die Bundesregierung die Regelsätze von Kindern gesenkt hat, steht im Zusammenhang damit, Kombilöhne auszusenken. Kombilöhne beruhen auf dem Grundprinzip, dass das Lohnniveau nach unten gedrückt werden und durch staatliche Lohnsubventionen aufgestockt werden muss.
Alg II wird umso mehr zur Lohnsubvention, je niedriger die Regelsätze und je höher die Freibetrag vom Arbeitseinkommen ausfallen. Alle Überlegungen, die vorgebracht werden, um den Regelsatz von erwachsenen Erwerbslosen zu kürzen, gelten nach den Interessen des Kapitals indirekt auch für die Regelsätze der Kinder.
Momentan wird das Klima für weitere Regelsatzsenkungen vorbereitet.
Der hessische Ministerpräsident Koch forderte dazu auf, dagegen vorzugehen, dass Arbeitslose ihre Familien als Schutzschild für ihre Faulheit benutzen. „Derzeit nutzten Arbeitslose die Familie faktisch als Schutzschild gegen Leistungskürzungen, sagte Koch. Eine vierköpfige Familie könne derzeit einschließlich Wohngeld bis zu 1.900 Euro netto im Monat bekommen. Gekürzt werden könnten aber nur die 345 Euro für den Familienvater, zunächst nur um 30%. Das maximale Kürzungsrisiko betrage meist rund 200 Euro. 'Das wird in der Regel kaum jemanden dazu bewegen, 40 Stunden die Woche zu arbeiten,' kritisierte der Ministerpräsident. (SPIEGEL ONLINE 1.2.2006)
Es geht natürlich nicht um Sanktionen, sondern um die Leistungshöhe von 1.900 Euro, die angeblich die Faulheit begünstigt. Wenn also die Regelsätze der Kinder ebenso wie die des „Familienvaters” deutlich gesenkt würden, dient das nach Meinung des Kapitals der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
BILD startet rechtzeitig wieder Missbrauchskampagnen über Alg II-Bezieher, die so reich sind, dass sie das Geld gar nicht brauchen. (Alg II und trotzdem zwei Häuser auf Mallorca)
Ein Arbeitgebervertreter erklärte, die Höhe von Alg II sei nicht von der Verfassung geschützt. Das Erwerbslosenforum berichtet, dass angeblich das Ministerium von Müntefering eine Absenkung des Alg II auf 225 Euro favorisieren würde. (Pressemeldung vom 14.3.2006)
Bei der Festsetzung der Kinderregelsätze des SGB II hat die Große Koalition aus SPD und CDU vorauseilend wenigstens auf indirekte Art die Regelsätze deutlich gesenkt. Nur bei den Kindern, für die sie sich doch so selbstlos einsetzen, haben diese beiden Parteien und ihre jeweiligen Satellitenparteien die Regelsätze ganz offen gesenkt.
A 1
„Der neue Regelsatz verbessert die Situation der betroffenen Menschen,” erklärte die Bundesregierung vor der Verabschiedung von Hartz. (Pressemitteilung Nr. 653 vom 16.12.2004) Und der DGB-Bundesvorstand schloss sich dem an. DGB-Vizechefin Engelen-Kefer: „Wer bisher Sozialhilfe erhalten hat, profitiert von der neuen Regelung.” (DGB, Arbeitslosengeld II, Tipps und Hilfen des DGB, Berlin Oktober 2004, 6)
In der Tat: 345 Euro sind mehr als 297 Euro. Die einmaligen Beihilfen, die 2004 im Schnitt 16,2% des damaligen Regelsatzes von 297 Euro, also 48 Euro ausgemacht haben, müssen nicht mehr beantragt werden (das haben einige nicht gemacht). Sie werden jetzt pauschal ausbezahlt, ob man sie braucht oder nicht. Folglich erscheint Alg II als eine Verbesserung für SozialhilfebezieherInnen. Wie wir noch sehen werden, ist das Schein, nicht Sein.
A 2
„Der neue Regelsatz verbessert die Situation der betroffenen Menschen,” erklärte die Regierung. Sind Kinder zwischen 7 und 18 Jahren, also Schulkinder, keine betroffenen Menschen? Der Regelsatz für Kinder zwischen 7 und 14 Jahren ist nämlich von 65% auf 60% des Eckregelsatzes abgesenkt worden, der von Kindern zwischen 15 und 18 Jahren von 90 auf 80%. Der Regelsatz von 345 Euro heißt Eckregelsatz, weil sich von ihm alle anderen Regelsätze ableiten.
Die Pauschalierung der einmaligen Beihilfen führte zu einer weiteren Kürzung. Der Anteil von einmaligen Beihilfen am Regelsatz betrug bei Kindern vor Verabschiedung von Hartz IV nicht 16%, wie heute, sondern 20%. Nach den bis Ende 2004 geltenden Leistungsniveau hätte der Regelsatz für Kinder von 7-14 Jahren also 232 Euro statt 207 Euro sein müssen, der von 15-18jährigen 319 statt 276 Euro. Die neuen Regelsätze für Kinder verschlechtern vor allem die Situation der Schulkinder und damit auch die ihrer Eltern.
Sollen so die Bildungschancen der Kinder von Arbeitslosen verbessert werden? Ist das eine Konsequenz aus der PISA-Studie, die extreme Unterschiede in den Bildungschancen zwischen Kindern unterer Schichten und denen bürgerlichen Schichten nachgewiesen hat? Oder leistet die Große Koalition aus SPD, CDU, Grünen und FDP, die das beschlossen hat, damit einen Beitrag, Deutschland immer kinderfreundlicher zu machen und die Familien zu stärken? Freundlich gegenüber den Kindern und den Familien der Armutsbevölkerung sind sie jedenfalls nicht.
Wurde aber nicht der Regelsatz von Kindern unter sieben Jahren von 50 bzw. 55% bei Alleinerziehenden auf 60% erhöht? Ist das nicht kinderfreundlich? Dieser Schluss wäre voreilig.
Zieht man die 10,25 Euro ab, die seit Hartz IV beim Kindergeld nicht mehr anrechnungsfrei sind und rechnet nach wie vor 20% für einmalige Beihilfen, bekommen Kinder unter 7 Jahren, die bei Alleinerziehenden leben, gerade mal 7 Euro mehr. Die Kinder unter 7, die bei Paaren leben, bekommen 18 Euro mehr.
Aber auch hier trügt der Schein. Denn der Eckregelsatz, von dem sich die Prozentsätze für Kinder ableiten, hätte nicht 345, sondern mindestens 382 Euro betragen müssen, wenn die Berechnungsgrundlage nicht unsichtbar verändert worden wäre. Der Regelsatz von Kindern unter 7 Jahren hätte also in Wirklichkeit nicht 207, sondern mindestens 229 Euro betragen müssen. (vgl. B 1)
Es gab bei den Regelsätzen nur eine einzige reale Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand. Das war die Erhöhung des Regelsatzes für über 18-jährige, die im Haushalt der Eltern wohnen, von 276 auf 345 Euro. Aber genau das wurde gerade wieder abgeschafft, eben weil es eine wirkliche Verbesserung war.
A 3
In Bezug auf die früheren Arbeitslosenhilfebezieher stellte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung fest, dass immerhin noch 40% von ihnen zu den Gewinnern zählen würden. (FR 1.1.2006) Z.B. diejenigen, die früher trotz Anspruchs keinen Antrag auf ergänzende Sozialhilfe gestellt haben oder Alleinerziehende. Ausgeklammert wird allerdings, dass AlHi-Bezieher früher zusätzlich zur AlHi Wohngeld und Kindergeld bekamen. Mit ihrer Verwandlung in Alg II-Bezieher ist Wohngeld und Kindergeld jedoch im Alg II enthalten. Das erscheint als Erhöhung gegenüber der alten Arbeitslosenhilfe. Um beides sauber zu vergleichen, müssten Kindergeld und Wohngeld zur Arbeitslosenhilfe dazugerechnet werden. Das geschieht aber in keiner der Berechnungen, wie Helga Spindler feststellt. (www.nachdenkseiten.de) Auch hier wird gefälscht, um Gewinner zu konstruieren.
Summiert man „Gewinner und Verlierer” bei AlHi und Sozialhilfe kommt nach Meinung der FAZ angeblich heraus. „Das Gesamtniveau der Mindestsicherung für erwerbsfähige Transferempfänger wurde … eher gehoben als gesenkt.” (Carsten Germis, Die Mär vom großen Sozialabbau, FAZ 1.1.2006) Daraus folgert dann die FAZ, dass die Regelsätze endlich spürbar gekürzt werden müssen, damit Arbeitslose an Arbeit interessiert werden könnten. Das entspricht der Meinung der Arbeitgeberverbände. Gegenwärtig wird überlegt, wie das umgesetzt werden kann.
B 1
Leistungsniveau insgesamt niedriger
Wesentlich für die Beurteilung des SGB II ist nicht, ob sich einzelne Leistungsbezieher besser oder schlechter stellen, sondern wie sich das Leistungsniveau von Alg II gegenüber dem Leistungsniveau der alten Sozialhilfe entwickelt hat.
Grundlage für die Festsetzung der Regelsätze sind die Ausgaben der unteren 20% der Ein-Personen-Haushalte der Verbrauchergruppen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung entscheidet, zu wieviel Prozent die Bedarfspositionen dieser Verbrauchergruppen in den Regelsatz eingehen sollen. Genau diese Prozentsätze sind in vielen Fällen gegenüber dem früheren Zustand abgesenkt worden.
Beispiele:
Früher wurden die Ausgaben der unteren Verbrauchergruppen für Telefon zu 100% anerkannt und in den Regelsatz aufgenommen, ab 2005 aber nur noch zu 60%. Allein das macht eine Kürzung von 11,90 Euro mtl. aus.
Ausgaben für Genussmittel wie Kaffee, Tee, alkoholische Getränke wurden entweder gar nicht mehr anerkannt oder ebenfalls stark gekürzt. Das macht eine Kürzung von 11,85 Euro im Monat aus.
Stromkosten wurden nicht mehr zu 100%, sondern nur noch zu 85% anerkannt. Das ergibt eine Kürzung von 3,66 Euro im Monat.
Ausgaben für Freizeit z.B. Veranstaltungen, Gebrauchsgüter, Hobbys usw. wurden nur noch zu 70% statt zu 100% anerkannt. Das ergab eine Kürzung von zusammen 5,44 Euro.
Insgesamt summieren sich die unsichtbaren Kürzungen auf 37,29 Euro. Der Eckregelsatz hätte also statt 345 Euro 382 Euro betragen müssen.
Erklärungen für diese Kürzungen gab es keine. Die Verhandlungen und Diskussionen über die Festsetzung eines Betrags, der die Lebensverhältnisse von etwa 7-8 Millionen Menschen bestimmt und der für weitere Millionen als Grundlage für Mindestlöhne bzw. die Steuerfreiheit des Existenzminimums dient, waren geheim.
Die Große Koalition von SPD und CDU spricht von Verbesserungen, hat sich aber mit Hartz IV im Wesentlichen darauf konzentriert, die deutliche Erhöhung zu verhindern, die eigentlich notwendig gewesen wäre. Indem die notwendige Erhöhung trickreich verhindert wurde, wurden auch die notwendige Erhöhung der Regelsätze der Kinder verhindert.
Aber Respekt: Medienkonzerne und die in den staatlichen Medien herrschenden Regierungsparteien verschweigen das alles erfolgreich. Sie können es, weil sie in der veröffentlichen Meinung fast ein Monopol haben. Sie können eine deutliche Verschlechterung problemlos zu einer Verbesserung umetikettieren, so wie andere Spezialisten Gammelfleisch umetikettieren, ohne dass es groß auffällt. Im letzteren Fall wird es allerdings wenigstens verfolgt, wenn es mal auffliegt.
Eigentlich waren Clement, Eichel und die CDU/CSU damals für eine Senkung des Eckregelsatzes von Alg II um 25%, ebenso wie die Arbeitgeberverbände. Sie wagten nicht, das durchzusetzen. Deswegen erscheint solchen Leuten Hartz IV geradezu als Verhinderung von Sozialabbau, eben als Verbesserung.
Die angestrebte Regelsatzsenkung wurde auf indirekte, gewissermaßen sozialverträglich-sozialdemokratische Art verwirklicht, als relative Senkung gegenüber einer notwendigen Erhöhung. Die Verhinderung der notwendigen Erhöhung des Eckregelsatzes ist aber nur ein Durchgangsstadium zur nach wie vor angestrebten Senkung der Regelsätze.
B 2
Dass indirekte Methoden der Regelsatzsenkung vorherrschen, zeigt sich auch darin, dass eine ganze Reihe anderer, vormals anerkannter realer Ausgaben nicht mehr anerkannt werden.
Beispiele:
- Die Weihnachtsbeihilfe ist ersatzlos gestrichen worden. Das stand so versteckt in einer Presseerklärung der Bundesregierung, dass es kaum einer gemerkt hat.
Sie ist jetzt weder im Regelsatz enthalten, noch kann sie als einmalige Beihilfe beantragt werden. Mit dem früheren Betrag umgerechnet auf den Monat macht das 6,17 Euro aus. - Ohne Konto läuft heutzutage wenig. Die Arbeitsagenturen setzen den Besitz eines Kontos voraus. Die Kontogebühren für Einkommensbezieher unter 1.250 Euro betragen z.B. bei der Postbank 5,90 Euro. Im Regelsatz sind aber nur 0,36 Euro drin. Früher waren es immerhin 0,77 Cent. (vgl. Rainer Roth, Harald Thomé, Leitfaden Alg II/Sozialhilfe von A-Z, Frankfurt 2005, 172) Ein Konto für die Überweisung des Alg II vorauszusetzen, seine Kosten aber nicht in den Regelsatz aufzunehmen, folgt aus dem Streben, den Eckregelsatz wenigstens unsichtbar zu kürzen, wenn es schon offen nicht geht.
- Gesundheitskosten: 2% des Regelsatzes, also 6,90 Euro im Monat bzw. 82,80 Euro im Jahr, müssen für Zuzahlungen an die Krankenversicherung aufgebracht werden. 82,80 Euro müssen aus dem Regelsatz erst vorgelegt werden, bevor ein Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen gestellt werden kann. Brillen und Brillengläser, Fahrtkosten zu Behandlungstermine, nicht verschreibungspflichtige Medikamente usw. müssen schon seit 2004 ebenfalls aus dem Regelsatz bezahlt werden. Unter dem Betreff Hungern für Medikamente mailte eine Frau. „Ich bin Schmerzpatientin und brauche sehr viele Medikamente. … In den Wochen, in denen ich Medikamente brauche, muss ich mir das von den Lebensmitteln abziehen.” (Tacheles 22.01.06) Der Gesundheitszustand von Alg IIern ist relativ schlechter als der der Gesamtbevölkerung. Sie haben also höheren Gesundheitsausgaben.
Die Gesundheitsausgaben sind aber nicht einmal mit 6,90 Euro mtl. in den Regelsatz eingerechnet worden, sondern nur mit rd. 6 Euro. Dafür wurde dann die gleiche Summe anderswo gekürzt. Auch hier ging es um die Verhinderung einer notwendigen Erhöhung. - Kosten für Verhütungsmittel sind nicht im Regelsatz enthalten, aber bei Frauen über 20 Jahren auch nicht als zusätzliche Leistung vorgesehen. Das ist eine Folge der „Gesundheitsreform” von 2004. Frauen, die verhüten, haben also einen um 10-15 Euro geringeren Regelsatz als Männer. Kann jemand Verhütungsmittel nicht zahlen, kann es zu ungewollten Schwangerschaften kommen, die dann auf Staatskosten abgebrochen werden. So wälzt der Bund, der für die Regelsätze aufkommt, Kosten auf die Länder ab, die die Schwangerschaftsabbrüche zahlen müssen.
- Von den 345 Euro müssen Bewerbungskosten vorgestreckt werden. Sie können von den Arbeitslosenbehörden erstattet werden, müssen aber nicht. Die Erstattung ist nur für 260 Euro im Jahr oder 22 Euro im Monat möglich. Wer sich intensiv bewirbt, muss also am Essen sparen. Bewerbungen können zeitweise zu erheblichen Regelsatzkürzungen führen. Wer sich bewirbt, wird bestraft. Dieser verrückte Mechanismus verwirklicht das offizielle Dogma, dass die Arbeitsmotivation steigt, je niedriger der Regelsatz ist.
- Kosten für Bildung sind nicht im Regelsatz drin. Sollten sich Erwerbslose auf dem Laufenden halten wollen, um ihre Qualifikation zu erhalten, können sie allgemein für Zeitschriften, Zeitungen und Bücher insgesamt 16 Euro im Monat ausgeben. Für Samstagsausgaben mit den Stellenanzeigen reicht das auf jeden Fall. Abundzu ist auch eine BILD-Zeitung drin, um sich ausführlich über Sozialschmarotzer, Kinderschänder und Filmsternchen informieren zu können.
- Die Kosten für Strom und Gas sind in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Der im Regelsatz enthaltene Anteil dagegen ist gleich geblieben. Die Energiekonzerne bereichern sich u.a. auch an Erwerbslosen, um die Summen aufzuhäufen, mit denen sie in Europa auf Einkaufstour gehen. Im übrigen wird z.B. in Frankfurt unterstellt, dass der Regelsatzanteil für Strom nicht 20,74 Euro, sondern 27,60 Euro beträgt. Diese überhöhte Summe wird von der Heizungsrechnung abgezogen. Auch das ist eine faktische Regelsatzkürzung.
- In zahlreichen Kommunen wird die Angemessenheit der Unterkunftskosten so niedrig festgesetzt, dass zahlreiche Alg II-BezieherInnen aufgefordert werden, umzuziehen. Häufig werden nicht einmal Mietpreise für Sozialwohnungen als angemessen anerkannt.
Aufgrund einer repräsentativen Untersuchung in Berlin-Kreuzberg überschreiten 1/3 derjenigen, die von ALG II leben müssen, mit ihren Mietkosten die von der Arbeitslosenbehörde als angemessen angesehene zulässige Höchstmiete. Und das, obwohl sie in der Regel keine überdurchschnittliche Mieten zahlen oder in überdurchschnittlich großen Wohnungen leben. (Junge Welt 15.06.2005) Hochgerechnet auf Berlin müssten 70.000 Haushalte sich eine neue Wohnung suchen, obwohl es keine 70.000 freien Wohnungen zu den geforderten Mietpreisen gibt. Gelingt ihnen das nicht, wird irgendwann trotzdem nur noch die angemessene Miete anerkannt. Das bedeutet faktisch eine Regelsatzkürzung. Die Angemessenheit der Miete muss nach dem Mietspiegel vorgenommen werden und nach einer Analyse des unter diesen Bedingungen tatsächlich für Alg II-Bezieher verfügbaren freien Wohnraums. Sind entsprechende Wohnungen nicht in ausreichender Anzahl vorhanden, muss die Angemessenheit der Miete höher festgesetzt werden.
Ansonsten ist es der Versuch der Kommunen einen Teil des vom Bund bezahlten Regelsatzes für die Deckung der von den Kommunen zu zahlenden Unterkunftskosten heranzuziehen. Die Kommunen tragen durch die Privatisierung ihrer Wohnungsbestände und die Privatisierung von Versorgungsunternehmen ihrerseits viel dazu bei, dass das Niveau der Unterkunftskosten steigt. - Eigenheim- oder Eigentumswohnungsbesitzer, die noch Hypotheken abzahlen müssen, müssen die Tilgungsbeiträge aus ihrem Regelsatz zahlen, da sie nicht als Unterkunftskosten anerkannt werden. Das gleiche kann mit Reparaturen usw. passieren.
- Anschaffungen für Möbel, Haushaltsgeräte und Hausrat und deren Reparaturen müssen ab 2005 aus dem Regelsatz bezahlt werden. Dafür sind 27,70 Euro mtl. vorgesehen. Es wird unterstellt, dass sie angespart werden. Tatsache ist aber, dass man mit Alg II wie früher schon mit der Sozialhilfe in der Regel nicht einmal bis zum Ende des Monats auskommen kann. Ansparen ist so gut wie nicht möglich. Die in den Regelsatz pauschal eingestellten Ausgaben für Möbel dienen dazu, die Löcher zu stopfen, die u.a. durch die beschriebenen Regelsatzkürzungen und die Verhinderung der Erhöhung gerissen werden, die notwendig gewesen wäre.
Auf die Frage, wie lange Alg II reicht, mailte jemand an Tacheles: „Wie die anderen Schreiber hier habe ich mich extrem eingeschränkt, aber es reicht einfach nicht. Meist sind die verbleibenden Mittel so um den 20.ten aufgebraucht und ich lebe dann von Freunden oder Geschwistern.” (Tacheles 22.01.2006) Dieser Alg II-Bezieher begeht Leistungsbetrug, da Mahlzeiten bei Freunden oder Geschwistern kostenlos einzunehmen, eigentlich mit dem dafür veranschlagten Betrag von z.B. 1,67 Euro pro Mittag- oder Abendessen anrechnungspflichtig ist.
Dass die Sozialhilfe im Schnitt nur bis zum 20.ten reicht, war schon das Ergebnis einer Befragung von 200 Sozialhilfehaushalten in den Jahren 1988 bis 1990. (Rainer Roth, Über den Monat am Ende des Geldes, Frankfurt 1992) Das ist bis heute so geblieben, wahrscheinlich eher noch verschlechtert.
Folge: „Natürlich kann ich nur noch am Essen sparen - und das tue ich exzesshaft, weil es keine andere Möglichkeit gibt, über die Runden zu kommen,” schreibt jemand im Tacheles-Forum.
SPD und CDU (Müntefering und Merkel) gestehen Erwerbslosen so wenig Geld zu, dass in der Regel noch sehr viel Monat am Ende des Geldes übrig ist. Sie erwarten aber gewaltige Ansparungen bei Gesundheitskosten, bei Bewerbungskosten, bei Kleidung und bei Möbeln. Haushalte von Arbeitslosen sparen von ihren für Konsum ausgabefähigen Einkünften in Höhe von 1.475 Euro (!) immerhin 4%, oder 59 Euro im Monat. (Statistisches Bundesamt, Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte 2003, Wiesbaden 2004, 50) Die Bundesregierung aber erwartet von der Armutsbevölkerung, dass sie ausgabefähigen Einkünften von 345 Euro allein 8% monatlich für Haushaltsgeräte und Möbel anspart, ganz zu schweigen von den Ansparungen, die für Kleidung, Gesundheitskosten und Bewerbungskosten erwartet werden. Die Bundesregierung propagiert die Pauschalierung der früheren einmaligen Beihilfen als Förderung der Eigenverantwortung, entzieht aber den Hartz IV-Empfängern dafür noch mehr die Grundlage als früher.
Der illusionäre Ansparzwang bezweckt auf indirekte Weise Regelsatzsenkungen. Wird eine Anschaffung, die nicht aus Ansparungen gedeckt werden kann, von der Behörde als notwendig anerkannt, gibt sie ein Darlehen. Das aber muss sofort mit bis zu 10% des Regelsatzes wieder zurückgezahlt werden. Vor Hartz IV konnte ein Darlehen nur dann aus dem Regelsatz zurückgefordert werden, wenn es für Leistungen gezahlt wurde, die eigentlich schon durch vorherige Sozialhilfe gedeckt waren (z.B. für Miet- oder Stromschulden). Heute werden Erwerbslose auch dafür bestraft, dass sie Auslagen für Möbel usw. nicht angespart haben, die sie gar nicht ansparen konnten.
Ein Unterstützungsempfänger schreibt: „Kurz gesagt, das Geld reicht, wenn man auf Sparflamme lebt. Aber was passiert, wenn ich die Kleidung verschlissen, die Waschmaschine und den Fernseher geschrottet habe? Ich denke lieber nicht darüber nach.”
C 1
Wichtigste Grundlage der Regelsatzbemessung: Verbrauchsausgaben von RentnerInnen
Grundlage für die Festsetzung des Regelsatzes von 345 Euro sind die Verbrauchsausgaben der unteren 20% der Verbrauchergruppen. Wer ist das eigentlich? Die Grundlagen für die Regelsatzbemessung, die detaillierten Einkommen und Ausgaben, sowie die Altersstruktur der untersten 20% der Ein-Personen-Haushalte unter den Verbrauchergruppen der EVS 1998 werden geheim gehalten.
Damit soll vertuscht werden, dass der Eckregelsatz, salopp gesagt, ein Regelsatz für RentnerInnen ist, nicht für Erwerbslose. Den Beweis dafür kann man nur indirekt führen. (Die folgenden Angaben beziehen sich alle auf das Frühere Bundesgebiet.)
Veröffentlicht sind nur Angaben über die Haushalte der Einkommensklasse unter 1.800 DM. Diese Haushalte sind Durchschnittshaushalte, keine Ein-Personen-Haushalte. Die unterste Einkommensklasse (Haushalte unter 1.800 DM) ist nicht identisch mit den unteren 20% der Ein-Personen-Haushalte. Dennoch sind ihre Ausgaben in den verschiedenen Bedarfspositionen fast gleich. Das unterste Dezil der Haushalte (Grenzwert der Einkommen: 1.907 DM) hat 1.582 DM für den Privaten Verbrauch. Die untersten zwei Dezile der Einpersonen-Haushalte hatte 1.476,63 DM (Grenzwert der Einkommen war 1.777 DM). (Nicht veröffentlichte Angaben des Statistischen Bundesamtes bzw. Paritätischer Wohlfahrtsverband, „Zum Leben zu wenig…” Berlin 2005, 22 und 41) Demzufolge dürften die Angaben über die Sozialstruktur der Einkommensklasse unter 1.800 DM auch Aufschluss über die der unteren 20% der Verbrauchergruppen der Ein-Personen-Haushalte geben.
Unter den 2.560 Haushalten dieser untersten Einkommensklasse unter 1.800 DM waren 1.623 Haushalte, in denen der Haupteinkommensbezieher nicht erwerbstätig war. Da Arbeitslose nicht unter den Begriff nicht-Erwerbstätige fallen, sind Nicht-Erwerbstätige also in erster Linie Rentner. Das wird dadurch bestätigt, dass mit 927 Euro rd. 70% des Bruttoeinkommens der Nicht-Erwerbstätigen dieser Einkommensklasse (abzüglich der Sozialhilfeeinkommen) aus Renten besteht und nur 75 Euro aus Arbeitseinkommen anfallen. RentnerInnen machten also zwei Drittel der Haushalte der untersten Einkommensklasse aus.
(Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, Fachserie 15, Heft 4 Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte, Wiesbaden 2001, 58)
50% der Haupteinkommensbezieher der Haushalte von Nicht-Erwerbstätigen sind über 70 Jahre, weitere 17% sind zwischen 65 und 70%, weitere 21% sind zwischen 55 und 65 Jahren. (ebda., 98)
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die veröffentlichten Angaben über die Altersstruktur der Haushalte der Einkommensklasse unter 1.800 DM betrachtet. Danach waren 30% der Haupteinkommensbezieher dieser Haushalte über 70 Jahre, insgesamt ein Drittel über 65 Jahre. (ebda., 102) Diese sind also mit Sicherheit RentnerInnen. Sie hatten denn auch keinerlei Arbeitseinkommen mehr.
Aber auch unter den 15% der Haupteinkommensbezieher zwischen 55 und 65 Jahre waren Renten mit 40% der Bruttoeinnahmen (abzüglich der Sozialhilfeausgaben) die wichtigste Einkommensquelle. Selbst unter den 45 bis 55-jährigen (rd. 10% der Haupteinkommensbezieher der Einkommensklasse unter 1.800 DM) waren die Bruttoeinnahmen aus Renten nahezu ebenso hoch wie die Einnahmen aus Erwerbstätigkeit bzw. aus der damaligen Arbeitslosenhilfe. Auch hieraus geht hervor, dass die Vergleichsgruppe für die Bemessung der Regelsatzes maßgeblich aus RentnerInnen besteht.
Grundlage für die Regelsatzbemessung sind aber nicht Haupteinkommensbezieher von Mehrpersonenhaushalten, sondern Ein-Personen-Haushalte.
Die RentnerInnen konzentrieren sich bei den Ein-Personen-Haushalten, die ja die Grundlage der Regelsatzbemessung sind.
2.343 Personen der veröffentlichten untersten Einkommensklasse unter 1.800 DM waren Alleinstehend. (eba., 26) Zwei Drittel dieser Alleinstehenden waren Frauen. Nachdem Zahlungen für Sozialhilfe abgezogen sind, bestanden 52,6% ihrer Bruttoeinnahmen aus Renten. Bei den Nettoeinnahmen ist der Prozentsatz noch höher. Bei dem Drittel der Männer bestehen nur 23,3% der Bruttoeinnahmen aus Renten. Aber auch die angegebenen Einkommen aus unselbstständiger bzw. selbstständiger Arbeit, aus Sparvermögen und aus nicht-öffentlichen Transferzahlungen können Einkommen von RentnerInnen sein.
Angaben über die Altersstruktur der Ein-Personen-Haushalte, aufgeschlüsselt nach Dezilen, sowie Angaben über deren Einkommen, aufgeschlüsselt nach Dezilen, werden nicht gemacht. RentnerInnen dürften sich hier noch stärker konzentrieren als bei den Druchschnittshaushalten der Einkommensklasse unter 1.800 DM.
Aus den vorhandenen Angaben lässt sich also schließen, dass die Grundlage für die Regelsatzbemessung überwiegend in den Verbrauchsgaben von RentnerInnen sind. Dabei spielen Rentnerinnen über 70 Jahren eine herausragende Rolle.
Auch nach Angaben der EVS 1993 waren mehr als ein Drittel der Haupteinkommensbezieher der Haushalte der Einkommensklassen der Haushalte zwischen 1.000 und 1.600 DM RentnerInnen über 70. Insgesamt waren etwa die Hälfte RentnerInnen über 65 Jahre. Aber auch unter den 11,6% der Bezugspersonen zwischen 55 und 65 waren zahlreiche RentnerInnen. (Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1993, Fachserie 15, Heft 4 Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte, Wiesbaden 1997, 175)
Der Eckregelsatz ist also, salopp gesagt, ein Regelsatz für Alte.
Die Verbrauchsausgaben von aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen , nicht-erwerbsfähigen Personen sind der wichtigste Maßstab dafür, was erwerbsfähige Personen brauchen, die erwerbslos sind.
Die Verbrauchsausgaben von RentnerInnen sind aber tendenziell niedriger als die von erwerbsfähigen Personen.
Beispiele:
Die Ausgaben für Verkehrsmittel sind erheblich geringer. Mobilität und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben lassen im Alter nach. Im Regelsatz von 345 Euro sind 18,11 Euro monatlich für fremde Verkehrsdienstleistungen enthalten. Reisen werden im Gegensatz zum Warenkorb der 80er Jahre nicht mehr anerkannt.
Insgesamt wurden von den unteren Verbrauchergruppen für Verkehrsmittel rd. 51 Euro für Verkehrsmittel ausgegeben. Das entspricht dem, was Menschen über 70 Jahren 1998 als Haupteinkommensbezieher in Haushalten unter 1.800 DM für Verkehrsmittel ausgegeben haben. Sie gaben 48 Euro aus. Die Ausgaben von unter 65-jährigen aber betrugen 132 Euro, also fast das Dreifache. (EVS 1998, 102) Der Regelsatz ist allein schon aus diesem Grund für die Festsetzung notwendiger Lebenshaltungskosten von erwerbsfähigen Menschen völlig ungeeignet.
Warum aber werden selbst von den Rentnerausgaben von 51 Euro für Erwerbslose nur 18,11 Euro anerkannt?
Das Bedürfnis nach Mobilität wird nicht nur mit dem Öffentlichen Nahverkehr, sondern z.B. auch mit einem Auto befriedigt. Dafür gaben die unteren 20% der Verbrauchergruppen im Durchschnitt bescheidene 18,49 Euro aus. Autoreparaturen waren in den 18,49 Euro schon enthalten. Die alten Leute, die Autos hatten, müssen es überwiegend auf einem Parkplatz abgestellt haben.
Der Regelsatz erkennt nicht einmal diese mickrigen Ausgaben an, obwohl das Auto inzwischen als Vermögen weitgehend geschützt ist, damit Erwerbslose mobil sein können. Wie man mit einem Auto ohne einen Tropfen Benzin im Tank mobil sein kann, bleibt der Eigenverantwortung überlassen, die ja mit Hartz IV bekanntlich erheblich gestärkt wurde.
Die 18,11 Euro für öffentliche Verkehrsmittel sind ferner nicht die tatsächlichen Ausgaben derer, die öffentliche Verkehrsmittel tatsächlich nutzen. Es sind die durchschnittlichen Ausgaben aller unteren Verbrauchergruppen der Ein-Personen-Haushalte.
Wenn nur die Hälfte von ihnen Öffentliche Verkehrsmittel nutzt, die andere Hälfte aber nicht, halbieren sich die tatsächlichen Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel, auf den Durchschnitt aller Haushalte bezogen. In Wirklichkeit wären also die Ausgaben derer, die den ÖPNV wirklich nutzen, doppelt so hoch. Wenn sie also statt 18,11 Euro 36,22 Euro betragen würden, könnte man sich das verbilligte Sozialticket z.B. in Frankfurt schon eher leisten, etwas über 40 Euro kostet.
Bei Menschen über 70 sind auch die Ernährungsausgaben und die Ausgaben für Gaststättenbesuche geringer. Ältere Frauen haben z.B. nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einen Bedarf an 1.700 Kilokalorien, jüngere Männer dagegen an 2.400 Kilokalorien. Die Ernährungsausgaben von 4,23 Euro pro Tag, die im Regelsatz enthalten sind, sind u.a. auch darauf zurückzuführen, dass ältere Menschen weniger für Ernährung ausgeben. 0,88 Euro sind fürs Frühstück gedacht, je 1,67 Euro für Mittag- und Abendessen. Die verbleibenden 21 Cent täglich kann man eigenverantwortlich verprassen, z.B. für Kaffee und Kuchen. Bei einer Umfrage schätzten über 400 Befragte, dass 8,24 Euro pro Tag für Essen und Trinken im Regelsatz enthalten sind, etwa doppelt so viel.
Über 70-jährige gaben dafür 43 DM im Monat aus, unter 65-jährige dagegen 72 DM, also zwei Drittel mehr. Während über 65-jährige im Schnitt 146 DM für Freizeit, Unterhaltung und Kultur ausgeben, sind es bei unter 65-jährigen 183 DM oder ein Viertel mehr.
Auch die Ausgaben für Nachrichtenübermittlung, Bekleidung usw. sind bei Menschen über 70 Jahren geringer. (EVS 2003, 102)
All das zieht die Verbrauchsausgaben, von denen aus der Regelsatz bemessen wird, noch einmal herunter. Es ist unglaublich, dass der Regelsatz für Erwerbslose maßgeblich auf der Basis von Verbrauchsausgaben von Rentnerinnen festgelegt wird, ohne dass das irgendwo zum Problem gemacht wird.
Gehen wir nach all diesen Überlegungen grob davon aus, dass Alg II im Schnitt für 20 Tage im Monat reicht, wäre eine Erhöhung um 50% angebracht, um bis zum Monatsende auszukommen, also eine Erhöhung auf 500 Euro.
Der Paritätische fordert 412 Euro, klammert aber Verschiedenes aus, z.B. dass im Regelsatz mehr enthalten sein muss als 4,23 Euro täglich für Essen und Trinken. Es müssten meiner Meinung nach mindestens 50% mehr, also rd. 6,30 Euro am Tag. (vgl. Thesen zum Regelsatz für Alg II-BezieherINnen, Klartext e.V., September 2005, www.klartext-info.de)
Er klammert auch aus, dass der Regelsatz maßgeblich auf den Verbrauchsausgaben von Rentnerinnen beruht.
Der Regelsatz wird wohl in den nächsten nicht erhöht werden, weil der Rentenwert nicht steigt, mit dessen Erhöhung er fortgeschrieben werden muss. Es gibt also eine reale Senkung des Regelsatzes, weil die Inflation an ihm nagt. Auch diese reale Regelsatzsenkung ist beabsichtigt.
Aus all diesen Gründen ist es notwendig, offensiv für eine Erhöhung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 Euro einzutreten. Das würde eine deutliche Erleichterung bringen, gerade auch für Familien mit Kindern. Denn die Regelsätze der Kinder würden sich entsprechend erhöhen, da sie Prozentsätze des Eckregelsatzes sind. Die Erhöhung des Eckregelsatzes ist das wichtigste Mittel, auch die Lage von Kindern von Erwerbslosen zu erleichtern.
D 1
Festsetzung der Kinderregelsätze
Die Regelsätze aller Kinder von Erwerbslosen wurden, wie schon ausgeführt, entweder absolut oder, wegen der ausgebliebenen Erhöhung des Eckregelsatzes, relativ abgesenkt.
Sie sind nur vom Eckregelsatz abgeleitet, beruhen also nicht auf spezifischen Untersuchungen über die Verbrauchsausgaben von Kindern. Die absolute Regelsatzkürzung für Schulkinder begründete die Bundesregierung so: „Mit der neuen Regelsatzverordnung werden die Leistungen für Familien gerechter verteilt.” (Pressestelle BMGS vom 16.05.2004)
Gerechtigkeit ist also das Motiv, nicht der Wunsch, Leistungen zu kürzen. Wieso? „Die neuen Anteile von 60 vom Hundert bzw. 80 vom Hundert des Eckregelsatzes orientieren sich an einer wissenschaftlichen Untersuchung des Statistischen Bundesamtes (Margot Münnich, Thomas Krebs, Ausgaben für Kinder in Deutschland, Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, Wirtschaft und Statistik 12/2003, 1080 ff.), wonach 14-jährige und ältere Kinder etwa um ein Drittel höhere Kosten als jüngere Kinder verursachen. Mit der Neuregelung wird ... der nach dem bisherigen Regelsatzsystem zu große Unterschied in den Leistungen für kleine und große Kinder … beseitigt.” (VO zur Durchführung des _ 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Drucksache 206/04 vom 12.03.2004, 11; Nebenbei: der Aufsatz stammt nicht von 2003, sondern von 2002.)
Kleine Kinder wurden also im Verhältnis zu großen Kindern benachteiligt. Das war ungerecht. Schulkinder hätten nicht so viel mehr bekommen dürfen. Die Bundesregierung tritt im Namen der unter 6-jährigen Kinder auf, obwohl sie die Leistungen aller Kinder angreift. Sie spielt nicht nur Alte gegen Junge, Erwerbstätige gegen Erwerbslose, sondern auch jüngere gegen ältere Kinder aus.
In der genannten Untersuchung ist aber gar nicht von Altersgruppen über 14 Jahren die Rede, sondern nur von Altersgruppen von 0-6, von 6 bis 12 und von 12 bis 18 Jahren.
Die Berechnungen ergaben, dass Kinder zwischen 12 und 18 Jahren, die im früheren Bundesgebiet leben, mit 658 Euro Durchschnittsausgaben im Monat mehr als das 1,5 fache an Kosten verursachen wie Kinder unter 6 Jahren, für die 428 Euro zur Verfügung standen. Die Ausgaben für Kinder der Altersgruppe zwischen 6 und 12 lagen um knapp 20% über denen der Altersgruppe unter 6 Jahren. (Münnich, Krebs 2002, 1090)
Die Ausgabenunterschiede wurden vom Statistischen Bundesamt nur für Haushalte mit Durchschnittsverdienst ermittelt, nicht für die Haushalte unterer Einkommensgruppen. Deshalb kann sich die Bundesregierung nur auf diese Angaben berufen haben. Ihre Aussage, sie habe sich an den wissenschaftlichen Ergebnissen „orientiert”, bedeutet im Klartext: sie hat sie nicht beachtet. Sie hat die Unterschiede von 50% auf 33% abgesenkt.
Sie hat diesen um ein Drittel höheren Betrag nicht einmal ab dem Alter von 12 Jahren, sondern erst ab dem Alter von 14 Jahren zugestanden. Bei Schulkindern zwischen 6 und 12 sind die um rd. 20% höheren Ausgaben überhaupt nicht anerkannt worden.
Offensichtlich hat es die Bundesregierung für notwendig gehalten, die Regelsätze für Kinder unter 7 Jahren zu erhöhen. Das war richtig. Würde man sich wirklich an den Ergebnissen der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes orientieren, hätten die Regelsätze der Schulkinder von 6 bis 12 aber nicht auf dasselbe Niveau wie bei Kindern unter 6 gesenkt werden dürfen. Deren Regelsätze hätten um 20% höher sein müssen.
Vor Einführung von Hartz IV bekamen Kinder zwischen 7 und 14 Jahren 20% mehr als unter 7-jährige (bei Alleinerziehenden) oder etwa 30% mehr (bei Kindern in Paar-Haushalten). Es wurde jedenfalls anerkannt, dass Schulkinder höhere Ausgaben haben als Kinder im Vorschulalter. Das wird heute nicht mehr anerkannt.
Hätte man sich an der Untersuchung orientiert, dann hätten die Altersklassen verändert werden müssen. Denn offensichtlich tifft ein höherer Bedarf nicht erst ab 15 Jahren, sondern schon ab dem 13. Lebensjahr ab. Der Regelsatz der 12 bis 14-jährigen hätte also 50% höher sein müssen als der der Kinder unter 6 Jahren. Hier ist die unsichtbare Regelsatzkürzung am höchsten.
Der Regelsatz von Kindern zwischen 15 und 18 Jahren hätte um 50% höher sein müssen, nicht wie jetzt um ein Drittel. Die Bundesregierung hat also die nominale Erhöhung der Regelsätze für Kinder unter sieben Jahren dadurch kompensiert, dass sie die Regelsätze für Kinder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen massiv abgesenkt hat. Vermutlich kam so noch ein Gewinn an Einsparungen heraus.
Mehr noch. In den ermittelten Lebenshaltungskosten für Kinder sind die Ausgaben für Bildung, d.h. für die Schule gar nicht enthalten. (Münnich, Krebs 2002, 1080). Die Unterschiede zwischen Kindern unter 6 und Kinder über 6 Jahren sind also noch größer.
Nach einer Umfrage des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter an hessischen Schulen, gibt es trotz Lehrmittelfreiheit in keiner Schulform eine Schule, in der keine Beiträge zu Lehr- und Lernmitteln erhoben werden. Die durchschnittlichen Ausgaben pro Schulkind und Jahr belaufen sich (Verpflegung und mehrtägige Klassenfahrten abgerechnet) auf etwa 438 Euro. Umgerechnet auf einen Monat ergibt das 36,50 Euro. (Informationen Dezember 2005, VAMV LV Hessen, 3-9) Nicht berücksichtigt sind freiwillige Beiträge.
Rechnen wir die Regelsätze allein unter Einbeziehung der Ergebnisse der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes um, müsste ein Regelsatz für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren eingeführt werden, der bei 248 Euro (20% höher) plus Schulkosten, also bei rd. 284 Euro statt 207 Euro liegen müsste.
Bei Kinder zwischen 12 und 18 Jahren müsste er bei 310 Euro statt 207 bzw. 276 Euro liegen, zuzüglich der Schulkosten für Schulkinder, also bei rd. 345 Euro.
Kinderregelsätze sind Prozentsätze des Eckregelsatzes. Umgekehrt aber beeinflussen sie aber auch die Höhe des Eckregelsatzes, wenn sie zu niedrig festgesetzt sind. Wenn der Regelsatz von Schulkindern über 12 Jahren schon 345 Euro sein muss, kann der Eckregelsatz nicht genauso hoch sein. Nach dem bisherigen Abstand von 25% (bei 15 bis jährigen) müsste er bei mindestens 431 Euro liegen. Auch von diesem Blickwinkel nähern wir uns also wieder den 500 Euro für den Eckregelsatz.
Weil die Regelsätze für alle Kinder zu niedrig sind, führt das wiederum zu realen Kürzungen des Eckregelsatzes, da die Eltern, vor allem die Mütter, das auf Kosten ihres Regelsatzes ausgleichen. Das ist vor allem bei den Schulkosten ganz offensichtlich der Fall, die im Regelsatz keinerlei Berücksichtigung finden.
Die neue Bundesministerin für Familie, Ursula von der Leyen erklärte bei der ersten Lesung des 12. Kinder- und Jugendberichts im Bundestag: „Für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft gibt es keine wichtigere Aufgabe als die zugewandte, verlässliche und kompetente Unterstützung aller Kinder, die in diese Gesellschaft hineinwachsen.” (www.bmsfj.de/root,did=72370.html)
Alle Kinder? Das ist nicht ernst gemeint, wie die Geschichte der Festsetzung des Eckregelsatzes und der Kinderregelsätze zeigt. Es geht hauptsächlich um die Kinder bürgerlicher Schichten.
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Warum die Anstrengungen, die Lebensverhältnisse der Kinder von Erwerbslosen zu verschlechtern?
All die genannten Umstände zeigen, dass es nicht um die Verbesserung des Lebensniveaus von Erwerbslosen und ihrer Kinder geht, sondern um seine Verschlechterung. Verbrämt mit Phrasen von Gerechtigkeit.
Alles Andere wäre auch ein kleines Wunder. Denn die allgemeine Richtung der Verbände des Kapitals, der Ökonomen, wie z.B. des Sachverständigenrats der Bundesregierung, und auch verschiedener Parteien wie von CDU/CSU und FDP geht dahin, das Leistungsniveau für Erwerbslose und ihre Familien zu senken, um damit die Bereitschaft zu erhöhen, Arbeit für niedrige Löhne anzunehmen, eine Bereitschaft, die sonst nicht bestehen würde.
Vertreter des Kapitals vergleichen häufig das Alg II-Einkommen einer Familie mit zwei Kindern mit dem Einkommen aus dem Lohn eines ungelernten Arbeiters. Da das Einkommen einer Familie von Erwerbslosen dank der Regelsätze der Kinder oft höher ist als das Einkommen eines ungelernten Arbeiters, wird daraus der Schluss gezogen, dass sich Arbeiten wegen der Kinder nicht lohne und deshalb der Regelsatz gesenkt werden müsse.
Hans-Werner Sinn, der Leiter des ifo-Instituts ist z.B. für die völlige Streichung des Eckregelsatzes für Erwerbsfähige. Stattdessen sollen die ersten 400 Euro Arbeitsverdienst anrechnungsfrei bleiben. Man soll sich also unter Androhung von Hunger den Regelsatz selbst erarbeiten. Gelingt das nicht, soll jeder über die Kommunen als Leiharbeiter auch an private Firmen vergeben werden können. Lohn soll dann der Regelsatz plus Miete sein, also das Alg II. (Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, Münchn 2003, 202 f.) Auch die Bertelsmannstiftung, die Inhaberin des größten Medienkonzerns in Europa ist für die völlige Streichung des Eckregelsatzes. (Fr. Breyer, W. Franz, S. Homburg, R. Schnabel, E. Wille, Reform der sozialen Sicherung, Berlin 2004, 42)
Andere wie der Sachverständigenrat der Bundesregierung wollen den Eckregelsatz für Erwerbsfähige um 30%, d.h. auf 242 Euro senken und zum Ausgleich dafür ebenfalls die anrechnungsfreien Teile des Arbeitseinkommens erhöhen. (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum, Jahresgutachten 2002/03, Stuttgart 2002, 254 ff.) Auch hier sollen nur die Regelsätze der Erwerbsfähigen betroffen sein, die Regelsätze der Kinder angeblich nicht.
Da aber zu den erwerbsfähigen Personen nach dem SGB II alle Personen zwischen 15 und 65 Jahren gehören, streben Sinn und Co. offensichtlich auch die Streichung des Regelsatzes für Kinder über 15 Jahren an. Zumindest haben solche Leute wie er das zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen.
Wenn aber der Eckregelsatz für Alg II-Bezieher gesenkt wird, muss automatisch auch der Regelsatz der Kinder sinken. Auch diese Wirkung ist bisher nicht dementiert worden. Dass die Bundesregierung die Regelsätze von Kindern gesenkt hat, steht im Zusammenhang damit, Kombilöhne auszusenken. Kombilöhne beruhen auf dem Grundprinzip, dass das Lohnniveau nach unten gedrückt werden und durch staatliche Lohnsubventionen aufgestockt werden muss.
Alg II wird umso mehr zur Lohnsubvention, je niedriger die Regelsätze und je höher die Freibetrag vom Arbeitseinkommen ausfallen. Alle Überlegungen, die vorgebracht werden, um den Regelsatz von erwachsenen Erwerbslosen zu kürzen, gelten nach den Interessen des Kapitals indirekt auch für die Regelsätze der Kinder.
Momentan wird das Klima für weitere Regelsatzsenkungen vorbereitet.
Der hessische Ministerpräsident Koch forderte dazu auf, dagegen vorzugehen, dass Arbeitslose ihre Familien als Schutzschild für ihre Faulheit benutzen. „Derzeit nutzten Arbeitslose die Familie faktisch als Schutzschild gegen Leistungskürzungen, sagte Koch. Eine vierköpfige Familie könne derzeit einschließlich Wohngeld bis zu 1.900 Euro netto im Monat bekommen. Gekürzt werden könnten aber nur die 345 Euro für den Familienvater, zunächst nur um 30%. Das maximale Kürzungsrisiko betrage meist rund 200 Euro. 'Das wird in der Regel kaum jemanden dazu bewegen, 40 Stunden die Woche zu arbeiten,' kritisierte der Ministerpräsident. (SPIEGEL ONLINE 1.2.2006)
Es geht natürlich nicht um Sanktionen, sondern um die Leistungshöhe von 1.900 Euro, die angeblich die Faulheit begünstigt. Wenn also die Regelsätze der Kinder ebenso wie die des „Familienvaters” deutlich gesenkt würden, dient das nach Meinung des Kapitals der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
BILD startet rechtzeitig wieder Missbrauchskampagnen über Alg II-Bezieher, die so reich sind, dass sie das Geld gar nicht brauchen. (Alg II und trotzdem zwei Häuser auf Mallorca)
Ein Arbeitgebervertreter erklärte, die Höhe von Alg II sei nicht von der Verfassung geschützt. Das Erwerbslosenforum berichtet, dass angeblich das Ministerium von Müntefering eine Absenkung des Alg II auf 225 Euro favorisieren würde. (Pressemeldung vom 14.3.2006)
Bei der Festsetzung der Kinderregelsätze des SGB II hat die Große Koalition aus SPD und CDU vorauseilend wenigstens auf indirekte Art die Regelsätze deutlich gesenkt. Nur bei den Kindern, für die sie sich doch so selbstlos einsetzen, haben diese beiden Parteien und ihre jeweiligen Satellitenparteien die Regelsätze ganz offen gesenkt.
Schluss
- Es ist notwendig, verstärkt eine Erhöhung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 Euro zu fordern. Da das Lohnniveau damit im Zusammenhang steht, brauchen wir auch einen gesetzlichen Mindestlohn oberhalb dieses Niveaus. Er sollte mindestens zehn Euro die Stunde betragen.
- Eine offensive Aufklärung ist notwendig, wie der Eckregelsatz nach unten manipuliert wurde und warum er erhöht werden muss.
- Die Festsetzung der Kinderregelsätze muss angegriffen werden. Darüber hat bis jetzt noch nicht einmal eine Diskussion angefangen.
Hintergrund:
- Thesen zur Anhebung des Regelsatzes auf 500 EUR