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Leben ohne Strom – Jobcenter Wuppertal stellt Leistungen ein - Obdachlosigkeit droht wegen eklatanter Fehlentscheidungen
Wir berichten im Folgenden von einem Fall aus unserer Beratung, der uns betroffen und fassungslos macht.
In diesem befremdenden Beratungsfall von Tacheles e.V. zieht das Jobcenter Wuppertal, bis hinauf in die Führungsetage, beharrlich die Hilfsbedürftigkeit unseres Ratsuchenden in Zweifel und ist mit dieser Haltung auf dem besten Weg, dessen Existenz zu zerstören.
Im Einzelnen erheben wir gegen die Behörde die folgenden Vorwürfe:
- offensichtlich gezielt falsche Sachverhaltsdarstellung durch Mitarbeitende des Jobcenters Wuppertal,
- Manipulation der im Rahmen einer Akteneinsicht vorgelegten Leistungsakte,
- eine voreingenommene Haltung gegenüber unserem Klienten und leichtfertige Versagung von Leistungen,
- konsequente Verweigerung von Antworten auf unsere Anfragen zum Fall und Sachverhalt von Seiten der Sachbearbeitung, Verletzung des Kooperationsgebots mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen, sowie
- fehlende Sorgfalt von Seiten der Sachbearbeitung, der Rechtsstelle und der Geschäftsführung zur Aufklärung von Sachverhalten unter Einbeziehung sämtlicher Informationen,
Wie wir zu diesen schwerwiegenden Vorwürfen kommen, wollen wir im Folgenden darstellen:
Der Sachverhalt:
Ein 59jähriger arbeitslose Wuppertaler bekommt nun im achten Monat seine Leistungen zum Lebensunterhalt vom örtlichen Jobcenter vorenthalten. Seit acht Monaten fehlt ihm Geld für seinen Lebensunterhalt, er hat keinen Krankenversicherungsschutz und auch die Miete konnte er nicht bezahlen. Infolgedessen wurde seine Wohnung fristlos gekündigt. Die Räumungsklage steht nun vor der Tür.
Der Betroffene war jahrelang im Leistungsbezug beim Jobcenter. Durch private Verwicklungen wurde der Bezug von Bürgergeld kurz unterbrochen und er musste im März 2024 einen Neuantrag stellen.
Bereits seit einigen Jahren ist die Stromversorgung in seiner Wohnung aufgrund von Stromschulden unterbrochen. Dem Jobcenter Wuppertal war dieser Umstand von Beginn an bekannt. Obwohl der 59-Jährige jahrelang ohne Strom und somit auch ohne Heizung in seiner Wohnung lebte, ging das Jobcenter diesem Sachverhalt erst im Rahmen der Überprüfung seines Neuantrags im März dieses Jahres nach. Allerdings nicht in Form von Hilfsangeboten, wie es eigentlich für einen Sozialleistungsträger geboten gewesen wäre, sondern mit Misstrauen und Unterstellungen: Weil er keinen Strom verbraucht habe, wohne er nicht mehr in Wuppertal und habe hier auch keinen Anspruch auf Lebensunterhalt und Miete, so die Behauptung des Jobcenters.
Dabei teilen viele Menschen in Deutschland bekanntlich dieses Schicksal, allein in Wuppertal gab es im Jahr 2023 rund 1300 Fälle, in denen die Stromzufuhr unterbrochen wurde. Das Phänomen sollte bei den Sozialbehörden also eigentlich bekannt sein. Doch auf dem Standpunkt, dass eine Wohnung nur dann bewohnt werden kann, wenn sie mit Strom versorgt ist, hält die Behörde beharrlich fest, obwohl der Betroffene gegenteilige Erklärungen, Belege und Glaubhaftmachung nachweislich und mit unserer Unterstützung beigebracht hatte. Voreingenommen wird vom Jobcenter unterstellt, dass sich unser Ratsuchender, der in den letzten Monaten in regelmäßigem Kontakt zu unserer Beratungsstelle stand, nicht in seiner Wohnung ohne Strom und folglich auch nicht in Wuppertal aufhält bzw. aufhalten kann. Kein Aufenthalt in Wuppertal – kein Anspruch auf Bürgergeld, basta!
Ein Leben ohne Strom in einer Wohnung heißt zwar, dass alltägliche Dinge, wie Körperpflege, Wäsche waschen, Kochen usw. zum Problem werden. Trotzdem weiß unser Klient seine Wohnung als sicheren Rückzugsort zu schätzen und hält sie in Ordnung, so gut es eben geht. Er hält sich täglich dort auf und schläft auch in seiner Wohnung. Aufgrund der Verweigerung existenzsichernder Leistungen durch das Jobcenter Wuppertal, droht nun der Verlust dieser Wohnung, und mit ihr der sichere Ort für die vielen persönlichen Dinge, die er im Laufe seines Lebens angesammelt hat.
Nachweise, Eingaben und Klärungsangebote bleiben ohne Wirkung
Im Rahmen seines Neuantrages wurden am 26. März 2024 einige Unterlagen und Erklärungen von unserem Ratsuchenden angefordert. Diese Pflicht zur Mitwirkung hat er nachweislich vollumfänglich und zeitnah erfüllt. Trotzdem wurden Leistungen mit Bescheid vom 16. Mai 2024 abgelehnt. Es bestünden „Zweifel an der Hilfebedürftigkeit“ und er habe nicht ordentlich mitgewirkt.
Gegen diese Entscheidung, in der vage Behauptungen aufgestellt, aber nicht begründet werden, legte der Betroffene selbst Widerspruch ein und wandte sich im Anschluss an unsere Beratungsstelle.
Darauf folgte ein längerer Prozess, in dem wir über Monate versuchten, im Sinne unseres Ratsuchenden tätig zu werden.
Unsere Bemühungen, die allesamt dokumentiert sind, blieben seitens der Leistungsabteilung, die für die Bearbeitung der Anträge zuständig ist, ohne Reaktion. Dabei ist das Jobcenter zur Kooperation mit Beratungsstellen gesetzlich verpflichtet und man sollte außerdem davon ausgehen, dass auch aufseiten der Behörde ein Interesse besteht, Sachverhalte aufzuklären. Vor diesem Hintergrund ist diese Verweigerung der Zusammenarbeit für uns nicht nachvollziehbar.
Erst nachdem wir das zweite Mal an die Beschwerdestelle geschrieben hatten, wurde am 16. September 2024 reagiert. Zu diesem Zeitpunkt befand sich unser Ratsuchender bereits im 6. Monat ohne Leistungen. Leider brachte auch diese Intervention keine Lösung. Nachdem wir monatelang unsere Hilfe bei der Aufklärung von Sachverhalten angeboten hatten, hieß es nun, zu viel wäre noch ungeklärt und man könne nicht kurzfristig helfen.
Jobcentermitarbeitende stellen Sachverhalte falsch dar und eine unvollständige Leistungsakte
Auch die Einbeziehung der Geschäftsführung des Jobcenters Wuppertal, in die wir einige Hoffnung setzten, sollte keine Lösung bringen. In einem Schreiben der Jobcentergeschäftsführung vom 9. Oktober 2024 an uns wird behauptet, der Betroffene wäre mehrfach bei Hausbesuchen nicht vor Ort gewesen, einen Termin für einen erneuten Hausbesuch habe er bei einem Telefonat erst für Tage später vorgeschlagen und somit wäre belegt, dass er sich nicht in Wuppertal aufhalte. Diese Behauptungen entsprechen nicht den Tatsachen. Richtig ist, dass der Betroffene ein großes Interesse an der Aufklärung hatte und hat. Zum vom Anrufer vorgeschlagenen Termin hatte er sich mit einem Zeugen in seiner Wohnung aufgehalten. Es kam niemand.
Aus dieser Antwort der Geschäftsführung wurde deutlich, dass die Verantwortlichen auf der höchsten Ebene entweder nicht richtig über den Fall informiert wurden oder sich selbst nicht hinreichend und intensiv mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt haben. Oder beides.
Im Rahmen unserer Beratungstätigkeit beantragten wir Akteneinsicht. Die uns daraufhin vom Jobcenter zur Verfügung gestellte Leistungsakte weist eine Reihe von Lücken in genau den Punkten auf, die maßgeblich für die Ablehnung der Leistungen waren. Es fehlen Protokolle über angebliche Hausbesuche oder Vermerke des Ermittlungsdienstes zu diesen, ebenso fehlt eine Anfrage an einen Arbeitgeber und dessen Antwort zum Einkommen aus einem kleinen Minijob. Diverse interne Vermerke der Sachbearbeitung wurden geschwärzt. Auch wurde auf eine Nummerierung der Seiten, wurde in der Akte verzichtet. Wir vermuten, dass Seiten aus der Akte entfernt wurden.
Dafür konnten wir in der Akte Einsicht nehmen in einen Widerspruchsbescheid mit Datum vom 8. Oktober 2024. Dieser ging bei unserem Klienten erst deutlich später, am 24. Oktober 2024, ein.
Und auch in der Begründung des Widerspruchsbescheides wird der Sachverhalt wiederholt zum Nachteil unseres Klienten falsch dargestellt. Es werden die behaupteten, nicht dokumentierten Hausbesuche zum Vorwurf gemacht, woran nach Ansicht des Jobcenters ersichtlich werde, dass unser Klient gar kein Interesse an der Aufklärung des Sachverhaltes habe. Dass ihm die ersten beiden Hausbesuche nicht bekannt waren und der angebliche dritte Versuch durch Verschulden des Jobcenters nicht stattgefunden hat, interessiert dabei nicht. Ebenso wurden, entgegen der rechtlichen Vorgaben, vonseiten des Betroffenen und uns vorgelegte oder vorgetragene Informationen nicht berücksichtigt.
Letzter Versuch einer Klärung
Der Vorstand des Vereins Tacheles wies die Jobcenter Geschäftsführung mit Schreiben vom 20. Oktober 2024 auf die Vielzahl der Fehler und Ungereimtheiten hin. In der Hoffnung, dass die genaue Darstellung des Sachverhaltes und ein erneuter Hinweis auf die Notlage unseres Ratsuchenden ein verantwortungsbewusstes Handeln auslösen würde, baten wir erneut um eine Intervention der Geschäftsführung. Das Schreiben mit Hintergründen ist hier dokumentiert. Leider ließ die Geschäftsführung unsere Frist für eine Reaktion verstreichen. Es gab nicht einmal eine Eingangsbestätigung zu unserem Schreiben.
Da alle Klärungsversuche mit der Behörde gescheitert sind, wurde nun Klage beim Sozialgericht eingereicht und wir müssen den Fall nun wegen des Fehl- und Nichtverhaltens der Behörde an die Öffentlichkeit bringen.
Sollte das Jobcenter inzwischen doch an einer konstruktiven Lösung interessiert sein, halten wir unser Angebot, gemeinsam nach einer Lösung im Sinne des Betroffenen zu suchen, selbstverständlich aufrecht.
Hintergrundmaterial:
- Schreiben der Jobcenter Geschäftsführerin Frau Degener vom 9. Oktober 2024
- Schreiben des Vorstandes von Tacheles e.V. vom 20. Oktober 2024