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Rechtsanwalt Helge Hildebrandt: Stichwort „Beratungshilfe“

Beratungshilfe



Haben Sie einen Konflikt mit einem Sozialleistungsträger und verfügen Sie nur über ein geringes Einkommen, können Sie Beratungshilfe bekommen, um sich vom einem Anwalt rechtlich beraten und, soweit erforderlich, auch vertreten zu lassen. Wird Ihnen Beratungshilfe gewährt, ist der anwaltliche Rat und die anwaltliche Vertretung für Sie kostenlos. Der Anwalt kann lediglich eine Beratungshilfegebühr von 15 € von Ihnen verlangen, die er Ihnen aber auch erlassen kann (Nr. 2500 VV RVG) - was viele Anwälte auch machen. Beratungshilfe kann auf allen Rechtsgebieten, also auch im Sozialrecht erteilt werden. Lediglich in Angelegenheiten des Strafrechts und des Ordnungswidrigkeitsrechts wird Beratungshilfe nur für eine Beratung und nicht auch für eine Vertretung gewährt (§ 2 Abs. 2 BerHG). Anwälte sind standesrechtlich zur Übernahme von Beratungshilfemandaten verpflichtet (§ 49a BRAO).

1. Wie bekomme ich Beratungshilfe?


Um Beratungshilfe zu bekommen, müssen Sie einen Antrag auf Beratungshilfe bei dem für Sie zuständigen Amtsgericht stellen. Bei Vorliegen der Beratungshilfevoraussetzungen stellt Ihnen der Rechtspfleger am Amtsgericht dann einen Berechtigungsschein mit der genauen Bezeichnung der Angelegenheit aus, mit dem Sie einen Anwalt ihrer Wahl aufsuchen können (§ 6 Abs. 1 BerHG). Sie können sich aber auch direkt an den Anwalt wenden. Alle Anwälte halten das amtliche Beratungshilfeformular vor und können für Sie den Beratungshilfeantrag auch nachträglich stellen (§ 6 Abs. 2 BerHG). Das Beratungshilfeformular muss in diesem Fall vor der anwaltlichen Beratung ausgefüllt und von Ihnen unterzeichnet werden (BVerfG 16.1.2008 - 1 BvR 2392/07). Der Antrag ist seit Januar 2014 innerhalb von 4 Wochen nach Beginn der Beratungstätigkeit zu stellen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BerHG; bis 31.12.2013 keine zeitliche Befristung; BVerfG 19.12.2007 - 1 BvR 1984/06 u.a.).

Tipp: Besorgen Sie sich bei dem für Sie zuständigen Amtsgericht einen Berechtigungsschein, bevor Sie einen Anwalt aufsuchen. Für die Anwälte bedeutet das Ausfüllen des Beratungshilfeantrages sowie das Kopieren der Einkommens- und Vermögensnachweise viel Arbeit. Außerdem ist der Anwalt bei Vorlage eines Berechtigungsscheins auf der sicheren Seite, dass er später seine Beratungshilfevergütung bekommt und Sie müssen nicht befürchten, im Falle der Ablehnung von Beratungshilfe auf Ihren Anwaltskosten sitzen zu bleiben. Viele Anwälte nehmen aufgrund der zunehmenden Streitigkeiten mit den Amtsgerichten um die Bewilligung von Beratungshilfe Beratungshilfemandate ohnehin nur noch gegen Vorlage eines Berechtigungsscheins an.

2. Welche Nachweise muss ich meinem Beratungshilfeantrag beifügen?


Bringen Sie nach Möglichkeit gleich beim ersten Gang zum Amtsgericht alle Unterlagen mit, die der Rechtspfleger benötigt, um über Ihren Antrag auf Beratungshilfe positiv entscheiden zu können (§ 4 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 BerHG). Dazu gehören
  • Ihr Personalausweis,
  • Einkommensnachweise (Gehaltsabrechnungen der letzten drei Monate, Alg II/ Grundsicherungsbescheid, Wohngeldbescheid o.ä.),
  • lückenlose Kontoauszüge der letzten 4 Wochen bis aktuell und gegebenenfalls Nachweise über sonstige Konten/Sparbücher sowie
  • soweit Ihre tatsächliche Miete über der vom Grundsicherungsträger anerkannten Miete liegt und sich deswegen nicht aus Ihrem Leistungsbescheid ergibt – auch einen aktuellen Mietnachweis.

Im Einzelfall und nur soweit es erforderlich ist, sollten Sie Nachweise zu sonstigen Belastungen (kostenaufwändige Ernährung, Abzahlungsverpflichtungen o.ä.) mitnehmen. Unbedingt mitnehmen sollten Sie die Unterlagen (Schreiben, Bescheide der Behörde o.ä.), aus denen sich Ihr Rechtsproblem ergibt.

3. Unter welchen Voraussetzungen erhalte ich Beratungshilfe?


Grundsätzlich wird Beratungshilfe nur für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens gewährt (§ 1 Abs. 1 BerHG). Für die anwaltliche Vertretung ab Klageerhebung kann Ihnen bei Vorliegen der Voraussetzungen nur noch Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt werden. Deswegen sollten Sie sich vor Erhebung einer Klage überlegen, ob Sie anwaltlichen Rat benötigen. Haben Sie erst einmal selbst Klage erhoben, können Sie sich von einem Anwalt nicht mehr auf Beratungshilfebasis beraten lassen und die Prozesskostenhilfegewährung ist oft langwierig und hängt davon ab, ob das Prozessgericht Ihrer Klage Aussicht auf Erfolg beimisst. Benötigen Sie anwaltlichen Rat außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, hängt die Bewilligung von drei Voraussetzungen ab:

3.1 Die Kosten eines Anwalts können nicht aufgebracht werden


Ihr Einkommen und Vermögen muss so gering sein, dass Ihnen Prozesskostenhilfe ohne Eigenanteil zusteht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 BerHG). Bei Bezug von GSi, HzL und Alg II liegt das Einkommen regelmäßig innerhalb der Freigrenzen. Alg-II-Bezieher müssen aber auf die Vermögensfreigrenzen achten (§ 115 Abs. 3 ZPO i.V. mit § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V. mit § 1 Abs. 1 b BarBetrVO): Geschützt sind nach ganz überwiegender Rechtsprechung 2.600 € plus 614 € für den Ehepartner sowie 256 € für jede Person, der Unterhalt gezahlt wird.

3.2 Keine andere zumutbare Hilfsmöglichkeit


Voraussetzung ist weiter, dass Ihnen keine anderen Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme Ihnen zumutbar ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG).

3.2.1 Mitgliedschaft in einer Beratungsorganisation


Möglichkeiten für eine zumutbare andere Hilfe sind etwa bei einer Mitgliedschaft in einem Mieterverein der Mieterverein für das Rechtsgebiet Mietrecht, bei Mitgliedschaft in einem Sozialverband der entsprechende Verband für das Rechtsgebiet Sozialrecht, bei Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft die Gewerkschaft für die Rechtsgebiete Arbeitsrecht und gegebenenfalls Sozialrecht (nachfragen!) oder bei Mitgliedschaft in einem Selbsthilfeverein der Verein (BVerfG 10.1.2014 - 1 BvR 256/14 u.a.). Im Vorfeld einer Rentenantragstellung kann das Amtsgericht einen Ratsuchenden an den beratungspflichtigen Rentenversicherungsträger verweisen (§ 14 SGB I; BVerfG 14.12.2011 - 1 BvR 2735/11), nicht aber, wenn sich der Hilfesuchende mit einem Widerspruch gegen eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers wehren will (BVerfG 29.4.2015 - 1 BvR 1849/11).

Tipp: Insbesondere einige Gewerkschaften bieten Ihren Mitgliedern auch Rechtsberatung im Sozialrecht an, ohne über das hierfür erforderliche Fachwissen und entsprechend geschultes Personal zu verfügen. Viele Rechtspfleger an den Amtsgerichten wissen das und gewähren etwa Gewerkschaftsmitgliedern trotzdem Beratungshilfe, weil deren Inanspruchnahme besonders in kompliziert gelagerten Fällen nicht „zumutbar“ ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG). Häufig genügt es, den Rechtspflegern glaubhaft zu versichern, dass Sie sich um Rechtsrat bei Ihrer Gewerkschaft bemüht haben, diese Ihnen aber nicht weiterhelfen konnte. Einige Gewerkschaften bescheinigen dies auch schriftlich für die Amtsgerichte. In letzterem Fall ist Ihnen stets Beratungshilfe zu bewilligen.

3.2.2 Rechtschutzversicherungen?


Da Rechtschutzversicherungen im Regelfall nur Rechtsschutz ab dem gerichtlichen Verfahren bieten, stellen diese regelmäßig keine andere Hilfsmöglichkeit dar. Nur sehr wenige Altverträge decken auch die Kosten einer außergerichtlichen Beratung und Vertretung ab. Bietet Ihnen Ihre Versicherung Kostendeckung auch für außergerichtlichen Rechtschutz, sollten Sie bei Ihrer Versicherung erfragen, ob auch das Rechtsgebiet Sozialrecht abgedeckt ist und wie hoch Ihr Eigenanteil ist. In vielen Versicherungsverträgen ist ein Eigenanteil von 150 € vereinbart, der weit über den Beratungshilfegebühren liegt. In diesem Fall steht Ihnen trotz einer Rechtsschutzversicherung für Sozialrecht im vorgerichtlichen Bereich Beratungshilfe zu.

3.2.3 Büros der Bürgerbeauftragten?


Keine andere zumutbare Möglichkeit für eine Rechtsberatung sind die Büros der Bürgerbeauftragten der Bundesländer, denn Bürger, die sich an den Bürgerbeauftragten wenden, führen eine Petition. Das in der Verfassung verankerte Petitionsrecht beruht ausnahmslos auf Freiwilligkeit. Aus diesem Grunde kann das Führen einer Petition nicht Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe sein (Stellungnahme der Bürgerbeauftragen des Landes Schleswig-Holstein vom 4.9.2009).

3.2.4 Öffentliche Rechtsberatung?


In den Stadtstaaten Hamburg und Bremen gibt es eine öffentliche Rechtsberatung für Bürger und Bürgerinnen mit geringem Einkommen. Die hierfür eingerichteten öffentlichen Beratungsstellen (ÖRA) erteilen Rechtsrat und, soweit erforderlich, auch praktische Hilfe und Unterstützung (etwa durch Schreiben an die Gegenseite, Akteneinsicht usw.) unter vergleichbaren Voraussetzungen, unter denen sonst Beratungshilfe gewährt wird. Der Eigenanteil beträgt zwischen 3 € und 10 €. Unter Hinweis auf die öffentlichen Beratungsstellen lehnen die Amtsgerichte in Bremen und Hamburg Beratungshilfe für die anwaltliche Beratung regelmäßig ab. In Berlin haben Ratsuchende ein Wahlrecht zwischen ÖRA-Beratung und beratungshilfefinanziertem anwaltlichem Rechtsrat.

3.2.5 Schuldnerberatungsstellen?


Die Gewährung von Beratungshilfe für den außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch gemäß § 305 Abs. 1 Nr. InsO ist grundsätzlich möglich. Soweit vor Ort für den Schuldner kostenlos arbeitende Schuldnerberatungsstellen existieren, stellen diese aber eine andere Möglichkeit der Hilfe dar, auf die das Amtsgericht verweisen kann. Bei zu langen Wartezeiten kann der Verweis im Einzelfall allerdings unzumutbar sein, so dass Beratungshilfe für einen Anwalt zu gewähren ist (BVerfG 4.9.2006 - 1 BvR 1911/06).

3.2.6 Rechtsanwalt „pro bono“ oder gegen Honorar?


Die Möglichkeit, sich durch einen Rechtsanwalt unentgeltlich oder gegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars beraten oder vertreten zu lassen, begründet keine andere Hilfemöglichkeit (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 BerHG).

3.3 Keine mutwillige Inanspruchnahme der Beratungshilfe


Zuletzt darf die Inanspruchnahme der Beratungshilfe nicht mutwillig erscheinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG). Mutwilligkeit liegt nach dem Gesetz vor, wenn Beratungshilfe in Anspruch genommen wird, obwohl ein Rechtsuchender, der keine Beratungshilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände der Rechtsangelegenheit davon absehen würde, sich auf eigene Kosten rechtlich beraten oder vertreten zu lassen. Bei der Beurteilung der Mutwilligkeit sind die Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers sowie seine besondere wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 3 BerHG). Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber zum 1.1.2014 die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur „zumutbaren Selbsthilfe“ umgesetzt. Das Sozialrecht ist eine Spezialmaterie, die besondere Rechtskenntnisse und Erfahrungen erfordert, so dass bei sozialrechtlichen Problemen im Regelfall anwaltliche Hilfe notwendig ist (BVerfG 6.9.2010 - 1 BvR 440/10; 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08; zur PKH BT-Drucks. 8/3068, S 22 f.). Anwaltlicher Rat kann dabei nicht nur bei Rechtsfragen erforderlich sein, sondern auch bei schwierigen Tatsachenfragen (BVerfG 7.10.2015 - 1 BvR 1962/11). Gerade um Bürgern in ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen auch in sozialrechtlichen Fragen eine Beratung durch den „Anwalt des Vertrauens“ zu ermöglichen, wurde das Sozialrecht im Jahre 1994 als eines der Gebiete, für das Beratungshilfe gewährt werden kann, in § 2 Abs. 2 BerHG a.F. ausdrücklich aufgeführt (BT-Drucks. 12/7009, S. 6).

3.3.1 Keine Beratungshilfe für jedes einzelne Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft


Legt ein Rechtsanwalt für jedes einzelne Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft Widerspruch gegen denselben Bescheid aufgrund der gleichen Rechtsfrage ein, gibt es nur für eines der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder Beratungshilfe. Denn ist die Parallelität der Fallgestaltungen offenkundig, ist es den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft zuzumuten, sich im Widerspruchsverfahren selbst zu vertreten und in ihren Verfahren auf die Anwaltsschriftsätze des anwaltlich vertretenen Bedarfsgemeinschaftsmitgliedes zu verweisen (BVerfG 8.2.2012 - 1 BvR 1120/11).

3.3.2 Beratungshilfe für eine Vertretung im Verwaltungsverfahren?


Bereits in mehreren Entscheidungen hat das BVerfG die Auffassung vertreten, dass Rechtsuchende im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahrensstadium der Anhörung über eine Rückforderung von Leistungen auf die zur Beratung verpflichtete Behörde (§ 14 SGB I) verwiesen werden dürfen. Das BVerfG argumentiert, die Behörde habe nach § 2 Abs. 2 SGB I die sozialen Rechte bei der Auslegung der Vorschriften und der Ausübung von Ermessen zu beachten. Von einer Gegnerschaft zwischen Behörde und Rechtsuchendem könne erst im Widerspruchsverfahren gesprochen werden (30.6.2009 - 1 BvR 470/09).Bemittelte Rechtsuchende müssten darüber hinaus die Kosten der Rechtsverfolgung für das Verwaltungsverfahren selbst tragen. Aufwendungen für die Hinzuziehung anwaltlicher Unterstützung würden im Erfolgsfall erst für das Widerspruchsverfahren, nicht aber für das Verwaltungsverfahren erstattet (§ 63 Abs. 2 SGB X). Kosten, die durch eine anwaltliche Vertretung während des Verwaltungsverfahrens bis zur Entscheidung durch einen Verwaltungsakt entstanden sind, würden nicht erstattet. Daher stünde auch Unbemittelten eine solche Kostenerstattung nicht zu (BVerfG 7.2.2012 - 1 BvR 804/11).

Diese Entscheidungen sind zu kritisieren. Aufgabe der Beratungshilfe ist es gerade, rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden und zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt eine Streitbeilegung zu erwirken. Ein Rechtskonflikt kann auch bereits im Verwaltungsverfahren oder im Anhörungsverfahren vorliegen. In keinem anderen Rechtsgebiet wird zudem die Gewährung von Beratungshilfe davon abhängig gemacht, ob im Fall des Obsiegens ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Gegner besteht. Letztlich liegt eine möglichst frühzeitige Klärung des Rechtskonfliktes auch im Interesse der Sozialleistungsträger und der Steuerzahler, die bei einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren Anwaltskosten tragen müssen, die rund das Dreifache der Beratungshilfegebühr betragen.

Tipp: Versuchen Sie in solchen Fällen ruhig, sich den Berechtigungsschein für die Beratungshilfe zu besorgen. Der Rechtspfleger beim Amtsgericht kann Ihnen durchaus Beratungshilfe gewähren, muss es aber nicht.

3.3.3 Beratungshilfe für die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens


Grundsätzlich nicht zumutbar ist es einem Rechtsuchenden, selbst Widerspruch gegen einen Bescheid einer Behörde einzulegen und dabei die Beratung derjenigen Behörde in Anspruch zu nehmen, die zuvor den Ausgangsverwaltungsakt erlassen hat (grundlegend BVerfG 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08; dem folgend: 29.4.2015 - 1 BvR 1849/11; 30.6.2009 - 1 BvR 470/09; 31.8.2010 - 1 BvR 2318/09; 14.9.2009 - 1 BvR 40/09; Beschlüsse vom 6.8.2009 - 1 BvR 1554/08 - 1 BvR 321/09 - 1 BvR 320/09 - 1 BvR 319/09 - 1 BvR 281/09 - 1 BvR 1550/08 - 1 BvR 1551/08 - 1 BvR 1552/08 - 1 BvR 322/09).

3.3.4 Bagatellgrenze


Mutwillig ist i.d.R. die Beantragung von Beratungshilfe bei einer Bagatellforderung von unter 10,- €, weil wegen des Missverhältnisses von Kosten und Nutzen ein Nichtbedürftiger auf die Konsultation eines Rechtsanwaltes verzichten würde (AG Halle 22.8.2011 - 103 II 1513/11). Der Antrag auf Beratungshilfe zur Durchsetzung einer Forderung von 29,84 € ist nicht mutwillig (AG Kiel 14.4.2015 - 7 UR II 11433/14).

3.3.5 Weitere Einzelfälle


  • Für die anwaltliche Androhung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zwecks Durchsetzung der Barauszahlung von existenzsichernden Sozialleistungen innerhalb der 7-Tage-Frist des § 55 Abs. 1 SGB I a.F. ist Beratungshilfe zu gewähren (BVerfG 9.11.2010 - 1 BvR 787/10).

  • Der Verweis auf eine Erstberatung bei der Verbraucherzentrale kann zumutbar sein (BVerfG 20.2.2012 - 1 BvR 2695/11).

  • Die Abwehr einer Sanktion wegen Vorliegen eines wichtigen Grundes setzt eine juristische Wertung und die Verhängung einer Sanktion auf Grundlage der komplexen Norm des § 31 SGB II eine rechtliche Durchdringung voraus, die von einem juristischen Laien nicht geleistet werden kann, so dass – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Sicherung des Existenzminimums – die Beantragung von Beratungshilfe nicht mutwillig ist (BVerfG 28.9.2010 - 1 BvR 623/10).

  • Vor allem bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden stellt sich stets die sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht häufig schwierige Frage, ob die strengen Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen (BVerfG 8.2.2012 - 1 BvR 1120/11).

  • Das Amtsgericht darf Beratungshilfe nicht mit dem pauschalen Hinweis ablehnen, die bloße Einlegung des Widerspruches durch den Rechtsuchenden selbst wahre seine Rechte genauso effektiv wie die Einlegung eines begründeten Widerspruches durch einen Rechtsanwalt. Denn regelmäßig führt nicht bereits die bloße Erhebung des Widerspruches zur begehrten Änderung der angefochtenen Entscheidung, sondern erst dessen sorgfältige Begründung (BVerfG 7.10.2015 - 1 BvR 1962/11).

  • Der undifferenzierte Hinweis des Amtsgerichts auf das angebliche Bestreben des Rechtsuchenden, „für jegliche Lebenslagen eine anwaltliche Vertretung zu erlangen“, trägt nicht die Annahme der „Mutwilligkeit“ des Antrags auf Beratungshilfe für ein konkretes Widerspruchsverfahren (BVerfG 7.10.2015 - 1 BvR 1962/11).

  • Ist für den Rechtsuchenden ohne Schwierigkeiten zu erkennen, dass es in weiteren Bescheiden um die gleiche rechtliche und tatsächliche Problematik geht, ist es ihm zuzumuten, selbst Widerspruch einzulegen (BVerfG 2.9.2010 - 1 BvR 1974/08; vgl. auch 30.5.2011 - 1 BvR 3151/10 - Abmahnungen).

  • Keine Beratungshilfe ist für die Überprüfung sämtlicher Bescheide ab 1.1.2005 „wegen verfassungsrechtlicher Bedenken“ zu gewähren, denn eine verzögerte Überprüfung ohne konkrete Anhaltspunkte nimmt nur derjenige vor, für den Kosten keine Rolle spielen (BVerfG 19.8.2010 - 1 BvR 465/10).

  • Vor Einholung anwaltlicher Hilfe kann zunächst zumutbare Eigeninitiative etwa durch Nachfragen bei der Behörde sowie die Beschaffung der wesentlicher Unterlagen bei dieser abverlangt werden (BVerfG 15.7.2010 - 1 BvR 2681/09).

  • Analphabetentum begründet keinen Anspruch auf Beratungshilfe, weil diese kein Instrument der allgemeinen Lebenshilfe ist (BVerfG 12. 6.2007 - 1 BvR 1014/07).

  • Trotz „der in der Beratungshilfe ohnehin zu niedrigen Gebühren“ ist es „noch vertretbar“, wenn das Amtsgericht bei der Beratung über Kindesunterhalt und das Umgangsrecht des Vaters von einer Angelegenheit ausgeht und deswegen nur einmal Beratungshilfe bewilligt (BVerfG 31.10.2001 - 1 BvR 1720/01).

  • Beratungshilfe kann versagt werden, wenn der Rechtsanwalt lediglich Unterlagen nachreicht (BVerfG 7.2.2012 - 1 BvR 804/11) oder

  • wenn das Jobcenter noch ermittelt, ohne eine rechtsverbindliche Entscheidung getroffen zu haben (BVerfG 9.1.2012 - 1 BvR 2852/11).


4. Rechtsschutz bei Ablehnung von Beratungshilfe


An vielen Amtsgerichten wird es für Rechtsuchende immer schwieriger, Beratungshilfe zu erhalten. Beratungshilfe ist eine Sozialleistung und wie bei allen Sozialleistungen gilt auch bei der Beratungshilfe, dass Betroffene für ihre Rechte gelegentlich kämpfen müssen.

4.1. Anspruch auf förmlichen Beschluss über den Beratungshilfeantrag


Es kommt immer wieder vor, dass sich Rechtspfleger an Amtsgerichten weigern, Beratungshilfeanträge überhaupt anzunehmen oder über gestellte Beratungshilfeanträge förmlich durch Beschluss zu entscheiden. Stattdessen verweisen sie die Rechtsuchenden in sozialrechtlichen Angelegenheiten an die Behörden oder erteilen selbst Rechtsauskünfte und erklären die Angelegenheit damit für erledigt (§ 6 Abs. 1 BerHG). Diese Praxis ist grob rechtswidrig.
Haben Sie ausdrücklich einen Berechtigungsschein für die Konsultation eines Rechtsanwalts beantragt und haben sich Ihre Fragen durch die Auskunft des Rechtspflegers aus Ihrer Sicht nicht erledigt, haben Sie einen Anspruch darauf, dass Ihr Antrag angenommen und über diesen förmlich durch Beschluss entschieden wird (BVerfG 29.4.2015 - 1 BvR 1849/11). Zudem entspricht es ständiger Rechtsprechung des BVerfG, dass ein Rechtsuchender jedenfalls für die Beratung über die Erfolgsaussichten eines Widerspruchsverfahrens nicht an dieselbe Behörde verwiesen werden darf, gegen die er sich mit seinem Widerspruch wenden will (->3.3.3).

4.2 Erinnerung gegen den Rechtspflegerbeschluss


Gegen den Beschluss des Rechtspflegers, durch den Ihr Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe zurückgewiesen worden ist, ist das Rechtsmittel der Erinnerung statthaft (§ 7 BerHG). Über Ihre Erinnerung entscheidet der am Amtsgericht für Beratungshilfesachen zuständige Richter. Die Erinnerung ist an keine Frist gebunden. Wollen Sie gegen einen etwaigen ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Verfassungsbeschwerde erheben (->4.3), müssen Sie den nicht befristeten Rechtsbehelf der Erinnerung allerdings innerhalb der für das Verfassungsbeschwerdeverfahren geltenden Einlegungsfrist von einem Monat erheben (BVerfG 25.11.2009 - 1 BvR 2464/09).

4.3 Rechtschutz gegen der Richterbeschluss


Gegen Beschlüsse der Amtsgerichte in Beratungshilfesachen ist kein Rechtsmittel zu einem weiteren Fachgericht gegeben. Allerdings haben Sie die Möglichkeit, sich gegen einen die Beratungshilfegewährung ablehnenden Beschluss an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu wenden und eine Verletzung Ihres Anspruches auf Rechtswahrnehmungsgleichheit zu rügen (Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG). Die Gründe für eine Grundrechtsverletzung müssen von Ihnen in der Verfassungsbeschwerde substantiiert dargelegt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 2; § 92 BVerfGG). Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt darüber hinaus, dass Sie die Umstände, die Sie Ihrer Meinung nach in Ihrem Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleichheit verletzen, auch schon beim Amtsgericht vorgetragen haben.
Waren Sie im Beratungshilfe-Bewilligungsverfahren nicht anwaltlich vertreten, darf die Darlegungslast dabei allerdings nicht zu hoch angesetzt werden (BVerfG 30.5.2011 - 1 BvR 3151/19). Vor dem BVerfG besteht kein Anwaltszwang, d.h. Sie können sich selbst vertreten. Das Verfahren ist grundsätzlich gerichtskostenfrei. Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen gewährt das BVerfG Prozesskostenhilfe und ordnet einen Rechtsanwalt bei. Steht die Höhe der Vergütung im Streit – etwa weil das Amtsgericht mehrere Angelegenheiten gebührenrechtlich zu einer Angelegenheit zusammenfasst – sind nicht Sie beschwert, sondern allein Ihr Rechtsanwalt. Der Rechtsanwalt kann in diesem Fall Verfassungsbeschwerde erheben und einen Eingriff in seine Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) rügen (BVerfG 11.4.2011 - 1 BvR 2390/10; 31.10.2001 - 1 BvR 1720/01).

Tipp: Sollten Sie erwägen, sich gegen einen etwaigen ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts vor dem BVerfG zur Wehr zu setzen, sollten Sie bereits die Erinnerung gegen den ablehnenden Rechtspflegerbschluss sehr gewissenhaft begründen und schon an dieser Stelle darauf hinweisen, dass und warum Sie sich durch die Ablehnung von Beratungshilfe durch den Rechtspfleger in Ihrem Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleichheit verletzt sehen.

5. Anwaltswechsel und Beratungshilfe


Beratungshilfe für eine anwaltliche Beratung wird für dieselbe Angelegenheit i.d.R. nur einmal gewährt (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 BerHG). Deswegen sollten Sie im Vorfeld einer Mandatierung genau erfragen, ob der von Ihnen ins Auge gefasste Anwalt  der richtige für Sie ist. Sind Sie mit der Arbeit Ihres Anwalts trotz sorgfältiger Auswahl nicht zufrieden, können Sie diesen nur unter der Maßgabe wechseln, dass Sie den zweiten Anwalt aus eigener Tasche bezahlen.
Sind Ihrem Anwalt nachweislich schwere Fehler wie etwa Fristversäumnisse oder Verfahrensfehler unterlaufen, so dass Sie das Vertrauen zu ihm verloren haben, sollten Sie das Gespräch zu ihrem Anwalt suchen. Die meisten Anwälte werden in diesem Fall Verständnis für Ihren Wunsch nach einem Anwaltswechsel haben und Ihrem neuen Anwalt die Beratungshilfegebühren überlassen. Ein Druckmittel in Ihrer Hand wäre die Meldung eklatanter Fehler bei der zuständigen Anwaltskammer.

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