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SG Aurich 24.02.05: Auch KFZ über 5000 EUR fällt unter Schonvermögen

SOZIALGERICHT AURICH
S 1 5 A S 1 1 / 0 5 E R
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit

Antragsteller,

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Kroll u.w_,
Haarenfeld 52 c, 26129 Oldenburg,

g e g e n

Landkreis Leer Kreissozialamt vertreten durch den Landrat,
Bergmannstraße 37, 26789 Leer,

Antragsgegner,

hat das Sozialgericht Aurich - 15. Kammer - am 24. Februar 2005

durch den Direktor des Sozialgerichts Frank – Vorsitzender –
beschlossen.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, dem Antragsteller ab 14.02.2005 für die
Dauer von 6 Monaten Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende zu gewähren.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung von Arbeitslosengeld
ohne vorherige Verwertung eines Pkw als Vermögensgegenstand.
Der am 03 06.1970 geborene Antragsteller ist alleinstehend und bezog bis einschließlich
13 02.2005 Arbeitslosengeld beim Arbeitsamt ____. Zuvor arbeitete er als Lagerarbeiter,
Gartenbauhelfer und Sortierer. Am 24.01.2005 beantragte er im Hinblick auf den auslaufenden
Leistungsbezug bei dem Antragsgegner die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Als
Vermögen gab er u. a. einen Bausparvertrag mit einem Guthaben von 2.081,27 Euro, eine
Kapitallebensversicherung mit einem Auszahlungswert von 1.347 Euro sowie einen Pkw
Marke Skoda Octavia ( Erstzulassung 27.06.2003, 1595 cm3 und 102 PS) an, den er im
Juni 2003 als Neufahrzeug für 17.100 Euro gekauft hatte. Der Wert dieses Fahrzeugs
belief sich im Zeitpunkt der Antragstellung ausweislich eines beigefügten Bewertungsbogens
der Firma Fahrzeughaus Nee auf 9.900 Euro. Die Gemeinde _____________ lehnte
den Antrag mit Bescheid vom 03.02.2005 ab, da der Antragsteller nicht bedürftig sei. Unter
Berücksichtigung eines Grundfreibetrages von 6.800 Euro sowie eines Freibetrages für
notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro ergebe sich, dass die beim Antragsteller
vorhandenen Vermögenswerte den Freibetrag von 5.878,27 Euro überschritten. Der
Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und führte aus, ein angemessenes
Kraftfahrzeug sei kein verwertbares Vermögen und müsse unberücksichtigt bleiben. Dies
sei für ihn besonders wichtig, da er in der Vergangenheit oft als Saisonkraft beschäftigt sei
und angesichts der unzulänglichen Infrastruktur an seinem Wohnort, insbesondere der
fehlenden öffentlichen Verkehrsmittel für die Stellensuche ebenso wie für die Aufnahme
einer Arbeit einen Pkw benötige. Über den Widerspruch ist – soweit er-sichtlich -- bis zum
heutigen Tage noch nicht entschieden worden.
In seinem am 14.02.2005 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung beruft sich der Antragsteller auf seine Ausführungen in der Widerspruchsbegründung
und beantragt,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ihm
Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß SGB II für den Zeitraum
ab 14.02.2005 in gesetzlicher Höhe und Laufzeit zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Er führt aus, entgegen der Begründung im angefochtenen Bescheid sei nicht der gesamte
Wert des Fahrzeugs (9.900 Euro) anzurechnen, sondern ein möglicher Verkaufserlös von
9.900 Euro abzüglich 5.000 Euro mithin 4.900 Euro. Dadurch ergäbe sich anhand der
durchgeführten Gesamtberechnung ein einzusetzendes Vermögen von lediglich 821,2.7
Euro Er ist weitergehend der Auffassung, der Pkw sei von der Berücksichtigung als
Vermögen nicht ausgeschlossen, da bei einem Verkaufserlös von mehr als 5.000 Euro
keine Angemessenheitsprüfung mehr vorzunehmen sei. Im Übrigen sei angesichts der
vorausgegangenen saisonal eingeschränkten und wenig qualifizierten Tätigkeiten allenfalls
ein Pkw der unteren Klasse angemessen. Die Unterkunftskosten seien ungeklärt, da
der Antragsteller am 01.04.2004 von seinem Vater eine Wohnung im elterlichen Haus
gemietet habe, für die der Nachweis regelmäßiger Mietzahlungen aber nicht geführt sei.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Antragsgegners beigezogen und bei der Entscheidungsfindung
berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird
auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

II.
Der Antrag ist zulässig und inhaltlich begründet.
Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn die Gefahr besteht, das durch eine Veränderung des bestehenden
Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG), Der Anordnungsanspruch, also die
Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der
Anordnungsgrund, die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft
zu machen (§ 86 Abs. 2 SGG iVm § 920 Abs. 3 ZPO). Für beide Voraussetzungen reicht
eine überwiegende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. Krodel, Die Begründetheit des Antrags
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, NZS 2002, Seite 234 ff; Grieger, Vorläufiger
Rechtsschutz in Angelegenheiten der Sozialhilfe und der Grundsicherung für
Arbeitsuchende, ZFSH/SGB 10/2004, S. 579 ff).

Unter Beachtung dieser Grundsätze liegt ein Anordnungsanspruch mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit vor.

Rechtsgrundlage sind § 19 SGB II i. V. m. §§ 9 Abs. 1 und 12 SGB II. Danach erhalten
erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung sowie
unter den Voraussetzungen des § 24 einen befristeten Zuschlag. Hilfebedürftig ist
gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen
oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Als Vermögen sind
dabei alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II),
nicht zu berücksichtigen ist u.a. ein angemessenes Kraftfahrzeug (§ 12 Abs. 3 Satz 1
Ziffer 2 SGB II). Für die Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs
der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend (§ 12 Abs. 3 Satz 2
SGB II).
An der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers bestehen nach Aktenlage keine Zweifel. Der
Antragsteiler ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch hilfebedürftig. Entgegen der
Auffassung des Antragsgegners ist dabei der Pkw des Antragstellers nicht als Vermögen
zu berücksichtigen.
Bei dem Begriff „angemessen” handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. In
der Begründung des Regierungsentwurfs findet sich zur Ausfüllung dieses Begriffs lediglich
der Hinweis, maßgebliches Kriterium sei die aktuelle Lebenssituation des Bezuges
einer staatlichen Fürsorgeleistung und nicht der vorherige Lebenszuschnitt (vgl. BTDrucksache
15/1516, S. 53), was letztlich in § 12 Abs 3 Satz 2 SGB II seinen Niederschlag
gefunden hat. Nach der Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Arbeit zu der
wortgleichen Regelung in § 1 Abs 3 Ziffer 2 Arbeitslosenhilfe-Verordnung ist ein Kraftfahrzeug
geschützt, das abzüglich ggf. bestehender Kreditverbindlichkeiten einen Verkaufserlös
von maximal 5.000 Eure hat. In der Kommentarliteratur wird die Auffassung
vertreten, dass es sich dabei um eine Untergrenze handele und die Schmerzgrenze bei
einem Mittelklassewagen liegen dürfe; gerade zu Beginn der Arbeitslosigkeit seien auch
Kraftfahrzeuge angemessen, für die ein höherer Verkaufserlös erreichbar ist (Brühl in
LPK-SGB II, Rn 36 zu § 12). Ein bereits vor der Arbeitslosigkeit vorhandener Wagen sei
wegen seines altersbedingten Wertverlustes in der Regel nicht mehr unangemessen
(Ebsen in Gagel, Kommentar zum SGB III, Rn 151 zu § 193).
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts kann es keine starre Wertgrenze für das
Kriterium angemessen geben. Entscheidende Bedeutung kommt dem Sinn und Zweck
der Vorschrift zu. Historisch ist es so gewesen, dass ein Kraftfahrzeug im Bereich des
BSHG in der Regel einsetzbares Vermögen war (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf,
Kommentar zum SGB XII, Rn 9 zu § 12 SGB II ). In der Arbeitslosenhilfe war ein Kraftfahrzeug
bis zum 31.12.2001 nur dann vor der Verwertung geschützt, wenn es zur Aufnahme
oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich war
(vgl § 6 Abs 3 Satz 2 Ziffer 4 der bis zum 31 12.2001 gültigen Arbeitslosenhilfeverordnung
vom 07.08.1974, zuletzt geändert durch Artikel 26 des Gesetzes vom 26.062001 —BGBl. 1
S. 1310 -). Wohl aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität ( vgl.
Ebsen in Gagel, Kommentar zum SGB III, Rn 150 zu § 193) war ab dem 01.01.2002 auch
in der Arbeitslosenhilfe ein angemessenes Kraftfahrzeug generell nicht mehr als Vermögen
zu berücksichtigen (§ 1 Abs_ 3 Ziffer 2 der Arbeitslosenhilfeverordnung 2002 vom
13.12.2001 - BGBl. 1 , S. 3734 -). Diese Regelung wurde auch für das SGB II
übernommen.
Der Gesetzgeber hat damit der Tatsache Rechnung getragen, dass im Zuge der allgemein
gestiegenen Mobilität der Arbeitnehmer und der gestiegenen Zumutbarkeitsanforderungen
(vgl. § 121 Abs 4 SGB III und § 10 Abs 2 Ziffer 3 SGB II) immer mehr Arbeitnehmer weitere
Strecken zurücklegen müssen, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Da gleichzeitig der
öffentliche Personenverkehr, nicht zuletzt bedingt durch die leeren Kassen der öffentlichen
Haushalte insbesondere im ländlichen Raum immer weiter eingeschränkt wurde, ist die
Benutzung des Pkw in vielen Fällen eine Notwendigkeit geworden, zumal viele Betriebe in
Gewerbegebieten, Stadtrandlagen und ähnlichen schlecht durch den öffentlichen
Personenverkehr erschlossenen Regionen angesiedelt sind. Dem wollte der Gesetzgeber
ersichtlich Rechnung tragen, indem er nicht nur im Falle einer im konkreten Einzelfall
nachgewiesenen Erforderlichkeit ( wie in der bis zum 31.12.2001 gültigen Arbeitslosenhilfe-
Verordnung), sondern generell ein Kraftfahrzeug von der Anrechnung als Vermögen
ausgenommen hat.
Das Kriterium der Angemessenheit ist vor dem Hintergrund dieses Verwendungszwecks
auszulegen. Das Kraftfahrzeug wird nicht als Vermögensgegenstand, sondern als Verkehrsmittel
geschützt. Angemessen ist damit ein Kraftfahrzeug, das ein zuverlässiger,
möglichst wenig reparaturanfälliger, sicherer und arbeitstäglich benutzbarer Gebrauchsgegenstand
ist, der weder übertriebenen Luxus, noch eine deutlich über dem Durchschnitt
liegende Motorleistung aufweist. Vor diesem Hintergrund ist in aller Regel ein
Mittelklassefahrzeug, das bereits definitionsgemäß nicht als Luxusgegenstand eingestuft
wird, mit mittlerer Motorisierung als angemessen anzusehen, Dies gilt jedenfalls für Fahrzeuge,
die sich bereits vor der Arbeitslosigkeit und damit auch bevor sich ein reduzierter

Dem aktuellen Fahrzeugwert kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu.
Einmal abgesehen davon, dass es generell nicht sinnvoll erscheint und vom Gesetzgeber
mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch nicht beabsichtigt war, die Leistungsberechtigten
des SGB II zu veranlassen ein solides, zuverlässiges und ihnen bekanntes Auto
gegen ein geringwertigeres, damit im Zweifel aber auch reparaturanfälligeres und mit dem
Risiko unbekannter Mängel behaftetes Kfz einzutauschen, relativiert sich das Wertproblem
durch die weitere Entwicklung. Findet der Leistungsberechtigte kurz nach Beginn des Alg-
Il-Bezuges wieder eine Arbeit, wäre die vorgenommene Verwertung und der Umstieg auf
ein geringwertigeres Fahrzeug unwirtschaftlich gewesen. Bleibt er hingegen längerfristig
arbeitslos, ist das Kfz einem -- gerade in der Anfangszeit erheblichen – Wertverlust
ausgesetzt, so dass sich der „zu hohe” Wert in überschaubarer Zeit verbraucht. Auch unter
Billigkeitsgesichtspunkten ist es sachgerecht, in der ersten Phase des ALG II
– Bezuges einen höheren Wert für angemessen zu erachten, als in späteren Phasen. Eine
starre Wertgrenze wird mithin dem Begriff der Angemessenheit nicht gerecht
Angemessen ist daher ein Mittelklassewagen ohne besonderen Luxus und mit durchschnittlicher
Motorisierung, der sich bereits vor der Arbeitslosigkeit im Eigentum des Arbeitslosen
befand, ohne dass es auf den aktuellen Marktwert ankäme.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Skoda Octavia und damit eines Fahrzeugs, dass
eindeutig der Mittelklasse zuzuordnen ist. Das Fahrzeug hat –soweit ersichtlich – keinen
besonderen Luxus und mit 102 PS nach aktuellen Vergleichsmaßstäben auch noch keine
übertriebene Motorleistung. Der Erwerb erfolgte im Juni 2003 und damit vor der aktuellen,
im Herbst 2004 eingetretenen Arbeitslosigkeit. Es ist daher als angemessen anzusehen
und von der Verwertung ausgenommen.
Unter Berücksichtigung des von dem Antragsgegner errechneten Freibetrages verbleibt
mithin kein einzusetzendes Vermögen, so dass dem Antragsteller dem Grunde nach Arbeitslosengeld
II nach §§ 19 ff SGB 11 zu gewähren ist. Die Bedenken des Antragsgegners
hinsichtlich der Unterkunftskosten teilt das Gericht nicht. Zumindest im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren ist die Vorlage des Mietvertrages und eines Beleges über die
Zahlung einer Monatsmiete ausreichend. Der Behörde bleibt es unbenommen vor Entscheidung
über den Widerspruch weitere Ermittlungen anzustellen und dem Antragsteller
den lückenlosen Nachweis der Mietzahlung aufzugeben, was bislang nicht geschehen ist.

Ein Anordnungsgrund ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt
nach Aktenlage nicht auf andere Weise sicherstellen kann, so dass die von ihm
erstrebte Regelung auch eilbedürftig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Rechtsbehelfsbelehrunq
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-
Bremen angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses bei dem Sozialgericht Aurich, Kirchstr. 15, 26603 Aurich, schriftlich oder zur
Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Hilft das Sozialgericht
der Beschwerde nicht ab, legt es sie dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zur
Entscheidung vor.

Frank
Direktor des Sozialgerichts

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