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SG Aurich 30. 03.05: Zur Unterhaltsvermutung in einer Haushaltsgemeinschaft

SOZIALGERICHT AURICH
S 25 AS 20105 ER
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit

Antragstellerin,
ProzessbevolImächtigte:
Rechtsanwälte Kroll u.w.,
Haarenfeld 52 c, 26129 Oldenburg,

g e g e n

Landkreis Leer Zentrum für Arbeit vertr d. d. Landrat,
Bergmannstraße 37, 26789 Leer, (II P 50/05),
Antragsgegner,

hat das Sozialgericht Aurich - 25. Kammer - am 30. März 2005
durch den Richter am Verwaltungsgericht Sonnemann — Vorsitzender
— beschlossen:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, der Antragstellerin beginnend ab März 2005 für insgesamt 6 Monate Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung anteiliger Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 50 Euro (abzüglich der anteiligen Kosten für Warmwasserbereitung) zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von (laufenden) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Die Antragstellerin, die am 20. Dezember 1983 geboren worden ist, lebt zusammen mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrem ebenfalls volljährigen Bruder T. in einem Haushalt. Eine Ausbildung hat sie nicht absolviert. Bis zum 09. November 2004 war sie rund 3 Jahre lang der Firma xx , beschäftigt. Derzeit versucht sie eigenen Angaben zufolge ihren Hauptschulabschluss beim BNW nachzuholen.
Am 12. Januar 2005 stellte sie bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Sie fügte ihrem Antrag u.a. in „Zusatzblatt zur Feststellung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft” bei, wonach sie monatlich 75 Euro an anteiligen Unterkunftskosten zu zahlen habe. Des Weiteren findet sich in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ein handschriftliches Schreiben vom 12. Januar 2005 wonach sie an ihre Eltern monatliche Unterhaltszahlungen für Strom (20 Euro), für Wasser (5 Euro), für Gas (20 Euro) und für Miete (30 Euro) zahlen müsse.
Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 21. Februar 2005 unter Hinweis auf die Regelung des § 9 Abs. 5 SGB II ab. Es sei davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin durch deren Eltern sichergestellt werden.
Die Antragstellerin hat hiergegen am 14. März 2005 Widerspruch eingelegt, über den bislang noch nicht entschieden ist.
Mit Schreiben vorn 17. März 2005 forderte der Antragsgegner die Eltern der Antragstellern unter Hinweis auf die gestellten Anträge und im Hinblick auf eine mögliche
Überleitung von Unterhaltsansprüchen auf, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen.

Bereits am 11. März 2005 wandte sich die Antragstellerin mit der Bitte um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an das Gericht, wobei sie ergänzend ausführt, dass sie von
ihrer Eltern keinen Unterhalt erhalte und sich an den Unterkunftskosten anteilig beteiligen müsse. Ihrer Auffassung nach habe sie die Unterhaltsvermutung des § 9 Abs. 5 SGB II wiederlegt. Da ihr Vater lediglich Arbeitslosengeld erhalte und ihre Mutter nur geringfügig beschäftigt sei, seien ihre Eltern unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig.

Hieraus folge, dass die Regelung des § 33 SGB II vorliegend ins Leere liefe. Die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten. ihr laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab dem 12. Januar 2005 zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Er vertritt die Auffassung, dass die gesetzliche Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II nicht wiederlegt sei. Insbesondere seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern der Antragstellerin nicht hinreichend bekannt. Die Antragstellerin sei daher darauf hingewiesen worden, dass ihr Unterhaltsanspruch gegenüber ihren Eltern nach § 33 SGB II übergeleitet werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf das Vorbringen der Beteiligten, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners
sowie auf das Verfahren ihres Bruders ______ (S 25 AS 21/05 ER) Bezug genommen.

II.
Der Antrag ist zulässig und hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung ist, dass sowohl der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) als auch die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), also die Eilbedürftigkeit, glaubhaft gemacht werden (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung
bezieht sich dabei auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes im sogenannten summarischen Verfahren (Beritt. Vorläufiger Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitssuchende — ein Überblick, Info also 2005, 3, 7 ff); Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 7. Aufl. 2002, § 86 b Rn 40).

Der Antragstellerin ist es gelungen glaubhaft zu machen, dass ihr ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gegen den Antragsgegner
zusteht. Die volljährige Antragstellerin, die zusammen mit ihren Eltern und ihrem ebenfalls volljährigen Bruder _______ in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, bildet mit diesen keine „Bedarfsgemeinschaft" gemäß § 7 SGB II. Da sie volljährig ist, findet die Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 4, der die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder betrifft, keine Anwendung.
Der Antragsgegner hat den Antrag der Antragstellerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter Hinweis auf die Regelung des § 9 Abs. 5 SGB
II abgelehnt. Dieser Auffassung vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Nach § 9 Abs. 5 SGB II wird zu Lasten der Hilfebedürftigen, die in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten leben, vermutet, dass von sie von diesen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Zwar liegt vorliegend unstrittig eine „Haushaltsgemeinschaft” zwischen der Antragstellerin, ihren Eitern und ihrem volljährigen Bruder vor. Bei der Regelung des § 9 Abs. 5 SGB II handelt
es sich aber um ein widerlegbare gesetzliche Vermutung, wobei allerdings die Beweislast bei dem Hilfebedürftigen liegt (Brühl in LPK-SGB II, § 9 Rn 53 mwN). In einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist es erforderlich, dass der Hilfebedürftige glaubhaft macht, dass er trotz der an sich bestehenden Erwartung, er werde von seinen Haushaltsmitgliedern Unterhalt erhalten, dennoch keine Unterstützung von ihnen erfährt. Dies ist der Antragstellerin gelungen_ Sie hat bereits in dem „Zusatzblatt zur Feststellung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft” bei Antragstellung erklärt, dass ihr die Unterkunft von ihren Eltern nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt werde. Sie müsse hierfür monatlich einen Betrag von 75 Euro zahlen. Des Weiteren erklärte, dass sie auch ihre Verpflegung bezahlen müsse. Hinsichtlich der Unterkunftskosten legte sie ein handschriftliches Schreiben vom 12. Januar 2005 vor, wonach sie „monatliche Unterhaltszahlungen” an ihre Eltern in Höhe von insgesamt 75 Euro, und zwar für Strom (20 Euro), für Wasser (5 Euro), für Gas (20 Euro) und für Miete (30 Euro) zahlen müsse. Anhaltspunkte dafür, dass diese Erklärungen etwa nicht den Tatsachen entsprechen, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Da es der Antragstellerin somit gelungen ist, die gesetzliche Vermutungsregelung gemäß § 9 Abs. 5 SGB II zu wiederlegen, ist der Antragsgegner dem Grunde nach verpflichtet, der Antragstellerin laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren.

Der Höhe nach ist jedoch entgegen der Auffassung der Antragstellerin für Unterkunftskosten nicht ein monatlicher Betrag von 75 Euro in Ansatz zu bringen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Aus der von der Antragstellerin bei Antragstellung vorgelegten handschriftlichen Erklärung vom
12. Januar 2005 ergibt sich, dass die Kosten für Unterkunft (Miete) 30 Euro und die Kosten für Heizung (Gas) 20 Euro monatlich betragen. Die Aufwendungen für Strom und Wasser werden demgegenüber von den Regelsatzleistungen erfasst.
Gleiches gilt für die Kosten der Warmwasserzubereitung (LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 49; vgl. auch Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vorn 09. November 2000, 22 A 351/99, ZFSH/SGB 2001, 545 f: OVG Lüneburg, Urteil vom 28. Oktober 1994, 4 M 1618/93, NDMBI 1995, 113). ). Da der Energieanteil in den Regelsätzen auch den Energieverbrauch für die Warmwasserbereitung umfasst, sind vorliegend
die Gaskosten in Höhe von 20 Euro monatlich noch um den Betrag für die Warmwasserbereitung zu reduzieren.
Dem Einwand des Antraggegners, dass die Antragstellerin widersprüchliche Angaben gemacht habe und deshalb die Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB II nicht wiederlegt sei, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Zwar trifft es zu, dass sich in dem „Zusatzblatt 1” zum formularmäßigen Antrag vom 12. Januar 2005 die handschriftliche Eintragung „Wohnt bei den Eltern” befindet. Wer diese Eintragung vorgenommen hat, ist aber unklar. Offensichtlich handelt es sich hierbei aber nicht um die Handschrift der Antragstellerin. Die Antragstellerin hat demgegenüber vielmehr in dem gesonderten „Zusatzblatt zur Feststellung des Umfanges des Hilfebedürftigkeit
bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft” ausdrücklich erklärt, dass sie für die Unterkunft 75 Euro zahlen müsse. Diese Angabe deckt sich im Übrigen mit der ebenfalls von der Antragstellerin vorgelegten handschriftlichen Erklärung
vom 12. Januar 2005. Im Übrigen scheint auch der Antragsgegner zumindest von der Möglichkeit auszugehen, dass vorliegend die gesetzliche Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II tatsächlich wiederlegt ist. So hat er bereits in dem ablehnenden Bescheid vom 21. Februar 2005 auf die Möglichkeit des Übergangs von Unterhaltsansprüchen gemäß § 33 SGB II hingewiesen. Dementsprechend hat er sich auch
mit Schreiben vom 17. März 2005 zur Prüfung der Unterhaltsfähigkeit an die Eltern der Antragstellerin gewandt.

Schließlich sprechen auch die Gesamtumstände des vorliegenden Falles in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Antragstellerin gegen die Vermutungsfolge des § 9 Abs.
5 SGB II. Zum einen war die Antragstellerin in der Vergangenheit über einen Zeitraum vom ca. 3 Jahren bis November 2004 bereits berufstätig gewesen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie über mehrere Jahre zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes aus eigenen Mitteln bestritten hat. Zum anderen lässt ich dem Vorbringen der Antragstellerin entnehmen, dass ihre Eltern derzeit wohl nicht über ein Einkommen verfügen, das deutlich über deren SGB II-Bedarf liegt (vgl. hierzu LPK-SGB II, § 9 Rn 50). Da der Vater der Antragstellerin lediglich Arbeitslosengeld bezieht und die Mutter der Antragstellerin nach dem
unbestrittenen Vortrag ein Einkommen aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung erhält, spricht wenig dafür, dass aufgrund dieser Einkommensverhältnisse eine finanzielle Unterstützung der Antragstellerin durch ihre Eltern erwartet werden kann.
Das Gericht verpflichtet den Antragsgegner zur Gewährung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab März 2005, da der entsprechende Eilantrag erst am 11 März 2005 gestellt worden ist Soweit die Antragstellerin mit ihrem Antrag
auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch Leistungen für die Zeit ab Antragstellung (Antragsschreiben: 12. Januar 2005) begehrt, hat der Antrag keinen Erfolg Im Übrigen hat das Gericht die Verpflichtung des Antragsgegners unter Berücksichtigung der Wertung in
§ 41 SGB II insgesamt auf einen Zeitraum von 6 Monaten beschränkt, Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG, wobei das Gericht maßgeblich darauf abgestellt hat. dass der Antrag in der Sache im Wesentlichen Erfolg gehabt hat.

Rechtsbehelfsbelehrung
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-
Bremen angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses bei dem Sozialgericht Aurich, Kirchstr. 15, 26603 Aurich, schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Hilft das Sozialgericht der Beschwerde nicht ab, legt es sie dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zur Entscheidung
vor.
Sonnemann

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