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SG OL 30.05.05: KdU-Kostensenkungsaufforderung in der Regel mit sechs - Monats - Frist

SOZIALGERICHT OLDENBURG
S 47 AS 138/05 ER
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
der Frau

Antragstellerin,

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Kroll und Partner,
Haarenfeld 52 c, 26129 Oldenburg, - E 110/05 -

g e g e n
das Job-Center Wilhelmshaven,
Schillerstraße 43-49, 26382 Wilhelmshaven, - 98-BG 00415-310-K 21/05 ER -
Antragsgegner,

wegen Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier: Angemessene Kosten der Unterkunft)hat das Sozialgericht Oldenburg - 47. Kammer - am 30. Mai 2005
durch den Richter am Verwaltungsgericht Wündrich - Vorsitzender – ohne mündliche Verhandlung beschlossen:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, einstweilen der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nach dem SGB II
für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 2005 unter Berücksichtigung von Unterkunfts- und Heizungskosten in Höhe von monatlich insgesamt 373,77 EURO zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner die Übernahme ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten, die dieser nach Ablauf von drei Monaten auf einen seiner Meinung
nach angemessenen Anteil begrenzt hat.
Die im August 1969 geborene Antragstellerin bezog bis zum Ende Jahres 2004 Arbeitslosengeld und ist Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft. Diese überließ ihr zur
Nutzung mit Vertrag vom 12. Juni 2003 ab dem 1. August 2003 eine 65,36 qm große Wohnung, die über drei Zimmer, eine Küche und ein Bad verfügt und in einem Haus gelegen
ist, das im Jahre 1940 errichtet wurde. Die tatsächliche Miete einschließlich der Heizungskosten beträgt 373,77 EURO monatlich (Kaltmiete, Nebenkosten, Heizungskostenpauschale).
Auf den Antrag der Antragstellerin vom 19. Oktober 2004, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren, bewilligte der Antragsgegner mit
Bescheid vom 1. November 2004, der mit Bescheiden vom 16. Dezember 2004 und vom 24. Februar 2004 geändert wurde, der Antragstellerin monatliche Leistungen in Höhe von 714,97 EURO und einen Zuschlag nach § 24 SGB II. Dabei wurden von dem Antragsgegner Kosten der Unterkunft in Höhe der vorgenannten tatsächlichen Ausgaben in Ansatz gebracht.
Bereits mit Schreiben vom 10. Dezember 2004 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass nach seiner Ansicht die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch seien.
Die Antragstellerin wurde aufgefordert, sich eine preisgünstigere Unterkunft bis zur Mietobergrenze von 258,00 EURO monatlich (ohne Heizungskosten) zu suchen, und es wurde angekündigt, ab dem 1. April 2005 nur noch abgesenkte Unterkunftskosten als Bedarf anzuerkennen. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrem Widerspruchsschreiben vom 17. Dezember 2004 und teilte bei einer Vorsprache am 3. Februar 2005 unter Vorlage verschiedener Unterlagen mit, dass ihre Wohnungsbauge-nossenschaft nicht bereit sei, die Mietkosten abzusenken und dass sie derzeit bei verschiedenen Wohnungsbaugesell-schaften und Maklern keine preisgünstigere Wohnung habe finden können.
Mit Schreiben vom 9. Februar 2005 machte sie geltend, dass sie einen Anspruch darauf habe, dass ihre tatsächlichen Unterkunftskosten für die Dauer von sechs Monaten
übernommen würden.
Mit Bescheid vom 11. März 2005 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für den Monat April 2005 Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 625,70 EURO und für den
Zeitraum vom 1. Mai bis zum 30. September 2005 in Höhe von monatlich 603,20 EURO.

In dem Berechnungsbogen, der diesem Bescheid angefügt war, wurde für Kosten der Unterkunft und Heizung lediglich ein Betrag von 309,00 EURO in Ansatz gebracht. Der dagegen von der Antragstellerin mit Schreiben vom 22. März 2005 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 8. April 2005 als unbegründet
zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid wurde dazu ausgeführt, dass nach dem Mietspiegel für die Stadt Wilhelmshaven die Miethöchstgrenze für einen Ein-Personen-
Haushalt bei 258,00 EURO monatlich Kaltmiete einschließlich der Nebenkosten liege, so dass die Wohnung unangemessen teuer sei. Dem Schreiben angefügt war eine tabellarische Übersicht mit verschiedenen Zahlenkolonnen. Dagegen hat die Antragstellerin am 14. April 2005 Klage zum Sozialgericht Oldenburg erhoben, über die bislang noch nicht entschieden wurde (Az.: S 47 AS 195/05).
Bereits am 22. März 2005 hat sich die Antragstellerin an das Gericht mit der Bitte um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gewandt. Sie macht geltend, dass sie nach § 22 Abs. 1 SGB II einen Anspruch auf Übernahme ihrer Unterkunftskosten mindestens für die Zeit von sechs Monaten habe.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten und macht geltend, dem Begehren der Antragstellerin stehe kein Anordnungsgrund zur Seite, denn sie habe nicht nicht wieder gut zu machende Nachteile zu befürchten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sogenannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für
den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile)
und ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung des Gerichts wegen des summarischen Charakters dieses Verfahrens grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst die Erfordernisse, die bei einem Hauptsacheverfahren zu beachten sind, umgangen würden.
Auch besteht die Gefahr, dass eventuell in einem Eilverfahren vorläufig, aber zu Unrecht gewährte Leistungen später nach einem Hauptsacheverfahren, dass zu Lasten der Antragstellerin ausginge, nur unter sehr großen Schwierigkeiten erfolgreich wieder zurückgefordert
werden könnten. Daher ist der vorläufige Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abzuwendende Nachteile entstünden, zur deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungs-anspruch glaubhaft dargetan.
Der Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 22 Abs. 1 SGB II. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es ihnen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Im vorliegenden Falle wurde die alleinstehende Antragstellerin, die bislang Arbeitslosenhilfe bezog, erstmals mit Schreiben des Antragsgegners vom 10. Dezember 2004 mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre Unterkunftskosten i. S. des SGB II zu hoch und damit
nicht mehr angemessen seien. Sie hat daher gern. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, längstens jedoch für
sechs Monate, d. h. bis zum 30. Juni 2005. Es ist kein Grund ersichtlich und wird auch vom Antragsgegner nicht vorgetragen, aus welchem Grunde im vorliegenden Falle von dieser Regel des Gesetzes abgewichen werden soll. Zwar verweist der Antragsgegner im Widerspruchsbescheid auf die derzeitige Wohnungsmarktlage im Raum Wilhelmshaven
und das wohl bestehende Überangebot preisgünstiger Wohnungen. Indessen hat der Antragsgegner weder die Kündigungsfrist für den Genossenschaftsvertrag der Antragstellerin ermittelt noch hat er den Mietspiegel und sein Zustandekommen im Einzelnen erläutert bzw. die Bedeutung der verschiedenen Tabellen und Spalten dargelegt. Hinzukommt, dass die Antragstellerin erstmals mit Schreiben vom 10. Dezember 2004 auf die Regelung des § 22 SGB II hingewiesen worden ist. Es muss daher bei der in § 22 SGB II
zum Ausdruck kommenden Regel verbleiben, dass für den Normalfall unangemessene Unterkunftskosten längstens für die Dauer von sechs Monaten bei der Gewährung von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf der Bedarfsseite zu berücksichtigen sind.

Für die Zeit über den 30. Juni 2005 hinaus ist ein Anordnungsanspruch hingegen nicht gegeben. Dem steht zum einen die Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II entgegen. Auch hat die Antragstellerin bislang keine weiteren Tatsachen vorgetragen, aus der sich ergeben könnte, sie wäre nicht in der Lage, bis zu diesem Zeitpunkt einen geeigneten und preisgünstigeren Wohnraum zu finden. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang auf ihr Begehren, ihr eine Zusage über Umzugskosten und Wohnungsbeschaffungskosten nach § 22 Abs. 3 SGB II in Höhe von 2.867,75 EURO zu gewähren, verweist, führt dies nicht zu einer anderen Entscheidung. Denn auf eine derartige Umzugskostenzusage hat sie keinen Anspruch glaubhaft dargetan. Insoweit wird auf die Entscheidung des Gerichts im Verfahren gleichen Rubrums zum Az. S 47 AS 196/05 ER zur
Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
Soweit die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch dargetan hat, besteht zugleich ein Anordnungsgrund. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners würde es nämlichen einen schwerwiegenden und nach Ablauf der betreffenden Zeit nur sehr schlecht wieder gut zu machenden Nachteil darstellen, wenn die Antragstellerin gezwungen wäre, während der Monate April bis Juni 2005 auf über 60,00 EURO monatlich ihr zustehende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts verzichten zu müssen. Denn auch bei einer späteren Nachzahlung – ein erfolgreich verlaufendes Hauptsacheverfahren unterstellt – wäre gleichwohl die Gefahr gegeben, dass sie wegen der unvollständigen Mietzahlungen mit einem Räumungsprozess überzogen würde.
Dem Antrag war daher im Wesentlichen stattzugeben. Über die außergerichtlichen Kosten war gern. § 193 SGG analog zu entscheiden. Es entspricht nach Ansicht des Gerichts der
Billigkeit, wegen des überwiegenden Erfolgs der Antragstellerin in der Sache ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären. Für die Antragstellerin ist das Verfahren gern. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGG gerichtskostenfrei.
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Rechtsbehelfsbelehrung
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen- Bremen, Georg-Wilhelm-Str.1, 29223 Celle angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses bei dem Sozialgericht Oldenburg, Schloßwall 16, 26122 Oldenburg schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle einzulegen. Hilft das SG der Beschwerde nicht ab, legt es sie dem LSG Niedersachsen-Bremen zur Entscheidung vor.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 201, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

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