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Stadt saniert ihren Haushalt zu Lasten armer Kinder

Die Stadt Wuppertal greift zur sogenannten Haushaltskonsolidierung seit diesem Jahr verstärkt auf Mittel zurück, die eigentlich die Chancen sozial benachteiligter Kinder auf Bildung und Teilhabe verbessern sollen. Der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles verurteilt diese kurzsichtigen und unsozialen Kürzungen. Gerade Kinder, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, dürfen nicht zum Opfer der Sparauflagen werden, die der »Stärkungspackt Stadtfinanzen« dem verschuldeten Wuppertal aufbürdet.



So wurde zu Beginn des Schuljahres 2012/2013 die Möglichkeit der Befreiung der Schulkinder vom Eigenanteil zu den Lernmitteln aufgehoben. Dies betrifft Familien, die auf Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen sind. Diese Kürzung wurde von einer Mehrheit des Wuppertaler Stadtrats im Rahmen des Haushaltssanierungsplans 2012 bis 2021 verabschiedet.1 Die Verantwortlichen begründeten die Kürzung mit der Einführung der Leistungen für Bildung und Teilhabe.2 Leistungsberechtigte Schulkinder bekommen demnach zum Schuljahresbeginn einen Pauschalbetrag von 70 Euro und zum Beginn des Halbjahres noch einmal 30 Euro für Schulbedarf.

Faktische Kürzung beim Schulbedarf



Solche Einmalzahlungen für Bildung steht den Schülerinnen und Schülern bereits seit Sommer 2009 zu, um den gesamten, mit der Schulausbildung zusammenhängenden Schulbedarf zu decken. Bildungsausgaben sind im Kinderregelsatz nämlich nicht berücksichtigt. Der Betrag von 100 Euro pro Jahr muss reichen, um den Bedarf vom Füller, über Zeichenblock und Malfarbe, den Schulranzen, bis hin zur Bekleidung für den Schulsport sicherzustellen. Dass mit Verweis auf Bildungs- und Teilhabeleistungen jetzt auch noch der Eigenanteil zu den Lernmitteln in Höhe von bis zu 30 Euro zusätzlich abverlangt wird, ist für betroffene Familien eine schwerwiegende Belastung und Schlechterstellung. Die in Wuppertal angestrebten Minderausgaben in Höhe von 90.000 Euro pro Jahr, sind dem gegenüber völlig unverhältnismäßig.

Nach Auffassung des Vereins Tacheles hat die Koalition im Rat mit der Begründung der Mittelkürzung sowohl die eigenen Reihen als auch die Öffentlichkeit getäuscht. Kommunale Schulleistungen mit Verweis auf das Bildungs- und Teilhabepaket abzubauen, ist ein katastrophales bildungspolitisches Signal. Der Verein fordert die Parteien im Rat auf, die städtischen Sparkommissare zurückzupfeifen und bei der Sanierung der Stadtfinanzen die soziale Spaltung nicht weiter zu verschärfen. Viele betroffene Eltern haben dem Verein gegenüber bestätigt, dass das 100-Euro-Budget schon vorher kaum gereicht hat, um den Schulbedarf für ein Schuljahr zu decken. Wer hier den Rotstift ansetzt, handelt ohne jegliches soziales Augenmaß.

Zweckentfremdung von Bildungs-und Teilhabemitteln



Doch damit nicht genug: Gleichzeitig plant der Wuppertaler Kämmerer Johannes Slavig Bundesmittel für Bildung und Teilhabe fest ein, um das städtische Haushaltsdefizit zu »bekämpfen«. Er bedient sich dabei der Mittel, die von den Leistungsberechtigten in den Jahren 2011/2012 nicht abgerufen wurden. Die Gelder des Bundes werden zweckentfremdet dem Haushalt zugeführt. So wurde im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit bekannt, dass 2011 mindestens 2,2 Mio. Euro allein bei den Bildungs- und Teilhabeleistungen (ohne Verwaltungskosten) übrig geblieben sind.3 Und für 2012 plant das Finanzressort auf diese Weise ein Haushaltskonsolidierungspotenzial von etwa 1,5 Mio. Euro fest ein.4 Sozial benachteiligte Kinder werden in Wuppertal offenbar lieber dauerhaft abgeschrieben, anstatt die für Bildung und Teilhabe bereitgestellten und nicht abgerufenen Bundesmittel den Kindern auf andere Weise zugute kommen zu lassen. Das fordert jedenfalls Tacheles e.V. Der Verein hält es unverantwortlich, für Wuppertaler Kinder vorgesehene Mittel auf nimmer wiedersehen im städtischen Schuldenloch zu versenken.

Schleppende Bewilligung



Der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein kritisiert schon seit 2011 die restriktive Bewilligung von Leistungen und die ungenügende Informationspolitik beim Bildungs- und Teilhabepaket. So gibt es bis heute in Wuppertal noch kein umfassendes Verzeichnis von Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe, das zum Beispiel auch Teilhabeangebote von Kindern im Klein- und Vorschulalter berücksichtigt. Allein mit der kostspieligen Gestaltung einer lila Schwebebahn als »Bildungs- und Teilhabe-Werbeträger« ist der Aufklärungspflicht der Behörden längst nicht Genüge getan.

Inzwischen hat Tacheles sogar Hinweise erhalten, dass die Verwaltung bei der Bewilligung von Bildungs- und Teilhabeleistungen intern auf die Bremse tritt. Hinter vorgehaltener Hand sollen Mitarbeiter/innen bei Aufklärung, Hilfestellung und Bewilligung der Leistung zur Zurückhaltung aufgefordert worden sein. Unter dem Druck der Sparvorgaben des »Stärkungspakts Stadtfinanzen« schreckt man in Wuppertal offensichtlich vor nichts zurück.

Auf Dauer abgehängt



Dabei ist diese Art der Haushaltskonsolidierung nicht nur in Bezug auf vergebene Chancen im Bildungsbereich kurzsichtig, sondern sie wirkt sich verheerend auf die Zukunft aus. Künftig werden die Bundesmittel für Bildung und Teilhabe nämlich an den tatsächlichen Ausgaben des Jahres 2012 gemessen.5 Was in diesem Jahr an den Kindern eingespart wird, bekommt Wuppertal in den kommenden Jahren an Bundesmitteln gekürzt. „Wird die Wuppertaler Sozial- und Bildungspolitik weiter nach den Vorgaben des Kämmerers gemacht”, warnt Tacheles e.V., „bleiben sozial benachteiligte Kinder als erstes auf der Strecke.”

Tacheles Onlineredaktion
Frank Jäger



Fussnoten


1) Haushaltssanierungsplan 2012-2021 - Entwurf, Stand: 13.02.2012, in der vorliegenden Fassung vom Rat beschlossen und von der Bezirksregierung genehmigt, S 23, http://www.wuppertal.de/rathaus-buergerservice/medien/dokumente/Haushaltssanierungsplan_2012-2021_Entwurf.pdf.



2) Schreiben der Stadt Wuppertal an die Schulen vom 22.05.2012. Siehe auch: Erläuterungen zur Schulbuchbestellung 2012/2013 der Gesamtschule Vohwinkel vom Juli 2012.



3) Stadt Wuppertal, Drucks. Nr.: VO/0756/12, Antwort auf die große Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit vom 18.10.2012, http://www.frank-jaeger.info/download/dokumente/Beantworung-BuT-Anfrage.pdf/at_download/file.



4) Stadt Wuppertal, Ressort Finanzen, Jahresergebnisprognose der Stadt Wuppertal, Bericht zum Stand 30.06.2012, S 2, http://www.frank-jaeger.info/download/dokumente/Finanzprognose-2012-zum-30-06-2012.pdf/at_download/file.



5) Die Bundesmittel für Bildungs- und Teilhabeleistungen werden für 2013/2014 an den Ausgaben des Jahres 2012 bemessen (vgl. § 46 Abs. 7 SGB II).



Bedrohliche Haushaltsplanspiele



  • In den zehn Jahren von 2012 bis 2021 sollen durch die Streichung der Lernmittelbefreiung bei sozial benachteiligten Kindern 900.000 Euro – also 90.000 Euro pro Jahr – zur Haushaltssanierung abgezweigt werden.
  • 2011 sind dem städtischen Haushalt mindestens 2,2 Mio. = 2.200.0000 Euro durch nicht abgerufene Leistungen für Bildung und Teilhabe zugeflossen.
  • Insgesamt 1,5 Mio. = 1.500.000 Euro plant der Kämmerer 2012 aufgrund nicht abgerufener Leistungen für Bildung und Teilhabe ein, die dem klammen Haushalt zufließen sollen.
  • Die Stadt Wuppertal hat derzeit über 2 Mrd. = 2.000.000.000 Euro Schulden.

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