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Tacheles fordert Finanzierung unabhängiger Sozialberatung durch die NRW Landesregierung

In Wuppertal wurde dem Verein Tacheles e.V. zunächst vom „Regionalen Konsens” des bergischen Städtedreiecks die Zustimmung für die Förderung nach dem Landesprogramm „Erwerbslosenberatung und Arbeitslosenzentren” mit der Begründung „fehlender Arbeitsmarktorientierung” verweigert. In der Empfehlung des „Regionalen Konsens” kamen stattdessen mehrerer Wuppertaler Beschäftigungsträger mit entsprechender Nähe zum SGB II-Leistungsträger und offensichtlich ausreichender Arbeitsmarktorientierung zum Zuge. Mit ähnlicher Begründung wie dem Verein Tacheles e.V. wurde auch dem Wuppertaler „Arbeitslosenhilfe e.V.” der Zuschlag bei der Bewerbung um die Förderung als Beratungsstelle versagt.



Auch wenn Tacheles e.V. und Widerspruch e.V. in Bielefeld, der ebenfalls nicht durch das Votum des dortigen „Regionalen Konsens’” berücksichtigt wurde, letztlich durch Entscheidung der Landesregierung zusätzlich in das Förderprogramm aufgenommen wurde, sind die Empfehlungen der regional verantwortlichen Gremien symptomatisch für eine fehlgeleitete Orientierung bei der Vergabe der Landesförderung. So ist damit zu rechnen, dass auch in anderen Regionen in nächster Zeit unabhängige Erwerbslosenstrukturen bei der Vergabe der Fördermittel das Nachsehen haben werden hinter den örtlichen Beschäftigungsträgern. Ferner schätzten wir ein, dass viele Gruppen gar keinen Antrag gestellt haben, da sie die Förderkriterien ohnehin nicht erfüllen können. Die Frage, ob angesichts hochgesteckter Fördervoraussetzungen überhaupt ein Antrag gestellt werden soll, ist beispielsweise auch im Verein Tacheles e.V. intensiv diskutiert worden.

Ich möchte die Entscheidung des „Regionalen Konsenses” des bergischen Städtedreiecks zum Anlass nehmen, einige Änderungen für das Landesprogramm vorzuschlagen. Diese Änderungen sollen sicherstellen, dass von der Landesförderung auch die Organisationen profitieren, die nach meinem Dafürhalten zur originären Zielgruppe der Landesförderung „trägerunabhängigen Erwerbslosenberatung” gehören sollten.

Das Landesprogramm ist 1995 mit dem Ziel gestartet worden, Erwerbslosenberatung und Arbeitslosenzentren zu unterstützen und zu etablieren. Nach der Einstellung der Förderung 2008 sollte das Projekt durch die rot-grüne Landesregierung 2011 in den „alten Strukturen” weitergeführt werden. Viele dieser alten Strukturen existieren aber nicht mehr. Stattdessen sind weitere große Beschäftigungsgesellschaften in die Lücke des Bewerberkreises um die Landesmittel gestoßen. Die Ableger der Beschäftigungsförderung können aber die Aufgaben der Erwerbslosenberatung und -unterstützung sowie ihrer Interessenvertretung nicht leisten, ohne in Konflikt mit den vorrangigen Unternehmenszielen eines Beschäftigungsträgers zu geraten.

Wer praktische Erfahrung in der Beratung und Unterstützung von Erwerbslosen hat, wird bestätigen, dass sich die Hilfestellungen in diesem Bereich in erster Linie um die Sicherstellung der Existenz drehen, bevor an eine Orientierung in Richtung Arbeitsmarkt überhaupt erst zu denken ist. Ein Einsatz des Förderprogramms für eine neue „Eingliederungsmaßnahme Arbeitslosenzentrum und -beratung” wäre dagegen eine Zweckentfremdung der Mittel, da entsprechende Aufgaben mit Mitteln aus dem Eingliederungsbudget bei den entsprechenden Beschäftigungsträgern bereits gefördert werden.

Seit Einführung der Hartz IV Reform haben sich landesweit eine Reihe neuer Gruppen und Organisationen gegründet, die eine Erwerbslosenarbeit und -beratung ehrenamtlich durchführen. Sie leisten eine unabhängige und betroffenenorientierte Unterstützungs- und Beratungstätigkeit und sind vielerorts Bestandteil der sozialen Infrastruktur geworden. Viele dieser Gruppen und Organisationen können ihr selbstorganisiertes und niedrigschwelliges Angebot nicht in der gebotenen Form weiterentwickeln, weil sie keine Finanzierung von öffentlicher, kirchlicher oder verbandlicher Seite erhalten. Eine solche Finanzierung unabhängiger Erwerbslosenarbeit ist aber notwendig, um eine qualifizierte und kontinuierliche Erwerbslosen- und Beratungsarbeit sicherzustellen.

Diese neueren Gruppen/Organisationen würden – wie auch einige bereits länger bestehende Einrichtungen – nicht in das derzeitige Landesförderprogramm passen, weil sie nicht über die personellen und finanziellen Ressourcen verfügen, um die Öffnungszeiten für ein Arbeitslosenzentrum nach den Kriterien der Landesförderung zu gewährleisten und die geforderten Eigenmittel aufzubringen. Wenn die Wuppertaler Kriterien auch anderswo zugrunde gelegt würden, fehlte es diesen Organisationen an „Arbeitsmarktorientierung” oder an den entsprechenden „Marketingfähigkeiten”, sich gegen die Konkurrenz der großen Beschäftigungsträger zu behaupten.

Neue Gruppen/Organisationen und diejenigen, die wie Tacheles e.V. gegen die „neuen Akteure” der Erwerbslosenarbeit und -beratung keine Chance haben, sollen durch das vorliegende Konzept unterstützt und gefördert werden. Wir schlagen daher vor, neben der bestehenden Landesförderung ein zweites Programm mit anderen Zielgruppen und Fördervoraussetzung im Bereich der „unabhängigen Erwerbslosenarbeit” zu etablieren.

Der Vorschlag zielt auf eine Erweiterung des Landesprogramms der Förderung von Erwerbslosenberatung und Arbeitslosenzentren um die Förderung unabhängiger Erwerbslosenarbeit. Darunter sind z.T. sehr unterschiedliche Gruppen und ihre Angebote zu verstehen, die nicht unbedingt das Angebotsniveau eines Arbeitslosenzentrums mit festen Öffnungszeiten, Infrastruktur und entsprechender Angebotsstruktur erreichen. Hierunter fallen auch Organisationen, denen durch eine entsprechende Förderung erst die Möglichkeit gegeben würde, entsprechende Räumlichkeiten anzumieten, Technik und Infrastruktur anzuschaffen und so eine kontinuierliche Erwerbslosenarbeit, niedrigschwellige Sozialberatung und Interessenvertretung zu etablieren. Eine solche Förderung muss die Selbsthilfe und Selbstorganisationen von Betroffenen fördern.

1. Die Adressaten der Förderung und ihre Arbeitsfelder



Das Förderprogramm soll entsprechend der Aussage des rot-grünen Koalitionsvertrages, „trägerunabhängige Erwerbslosenberatung” fördern zu wollen, ausgeweitet werden auf den Bereich „Erwerbslosenarbeit”. Darunter ist eine Beratungs- und Unterstützungsarbeit im Interesse der Betroffenen aber auch eine kommunalpolitische Interessenvertretung von Erwerbslosen zu verstehen. Voraussetzung für eine Förderung sollte daher eine kontinuierliche Erwerbslosenarbeit und eine tragfähige personelle Besetzung der Gruppe sein. Solche Gruppen können als reine Betroffenenorganisationen tätig sein oder an Wohlfahrtsverbände bzw. gewerkschaftliche Strukturen angeschlossen sein. Die Förderung wäre an Gruppen gerichtet, die ihre Arbeit bislang über Sachzuwendungen, Spenden oder unsichere kommunale Mittel in vergleichbar prekärer Lage sicherstellen.

Ziel des Förderprogramms „unabhängige Erwerbslosenarbeit” ist, sowohl neueren Gruppen und Organisationen den Aufbau von festen und dauerhaften Strukturen zu ermöglichen, als auch den Fortbestand bereits etablierter Einrichtungen in diesem Bereich zu gewährleisten. Voraussetzung für eine Förderung sollten öffentlich gut zugängliche Räumlichkeiten sein, die für unabhängige Erwerbslosenarbeit geeignet sind, oder zumindest die Absichtserklärung der Gruppe/Organisation, dass im Rahmen der Förderung innerhalb eines Jahres solche Räume geschaffen werden.

Eine weitere Fördervoraussetzung sollte die Unabhängigkeit von örtlichen Beschäftigungsträgern sein, um Erwerbslosenarbeit frei von Interessenskonflikten etablieren und weiterentwickeln zu können.

Unabhängige Erwerbslosenarbeit bedeutet, die Betroffenen bei wirtschaftlichen und psychosozialen Problemen zu beraten, Unterstützung bei sozialrechtlichen Angelegenheiten zu leisten sowie über Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitsmarktintegration zu informieren. Eine solche Unterstützung umfasst Beratung und Aufklärung bei der Realisierung sozialrechtlicher Ansprüche, Hilfen bei der Antragstellung oder Stellensuche bzw. Bewerbung sowie Behördenbegleitung. Diese Erwerbslosenarbeit umfasst aber auch sozialpolitische Lobbyarbeit, bei der die Interessen von Erwerbslosen gegenüber Verwaltung, Kommunalpolitik und der Öffentlichkeit vertreten werden.

2. Umfang der Förderung



Im Rahmen des Förderprogramms „unabhängige Erwerbslosenarbeit” sollten landesweit bis zu 25 Gruppen und Organisationen mit je 40.000 Euro jährlich gefördert werden. Das Gesamtfördervolumen beträgt somit 1 Mio. Euro.

Die Mittel sollten als Globalzuschuss vergeben werden. So können die Gruppen und Organisationen entsprechend der örtlichen Verhältnisse selbst entscheiden, wie die Förderung auf Sach-, Raum und Personalkosten verteilt werden. Hier sollten im Gegensatz zur ALZ Förderung (siehe Fördersteckbrief) auch höherwertige Wirtschaftsgüter förderfähig sein, da häufig noch eine Erstausstattung der Einrichtung angeschafft werden muss.

Viele der aus meiner Sicht in Frage kommenden Gruppen werden die Förderung nach dem Landesprogramm gar nicht beantragt haben, da sie den geforderten Eigenanteil nicht aufbringen können. Es sollte daher sichergestellt werden, dass das Förderprogramm „unabhängige Erwerbslosenarbeit” keine feste Eigenfinanzierung voraussetzt. Nur so wird die Zielsetzung erreicht, insbesondere neue Gruppen und Organisationen einzubinden und ihre Etablierung zu ermöglichen. Eine niedrigschwellige Förderung in diesem Sinne würde zudem die Unabhängigkeit der Erwerbslosenarbeit gewährleisten, weil Gruppen und Organisationen nicht darauf angewiesen wären, ihre Mitarbeiter/innen über Bürgerarbeit, Lohnkostenzuschüsse oder Arbeitsgelegenheiten kofinanzieren zu müssen.

3. Zeitlicher Rahmen



Die Förderung sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzen und entsprechend der allgemeinen Förderung der ersten Förderphase zunächst bis Ende 2012 erbracht werden. Da die Förderung 2011 verspätet einsetzen wird, wäre es wünschenswert, im ersten Jahr den vollen Jahresförderbetrag von 40.000Euro zu bewilligen.

4. Wer entscheidet?



Die Entscheidung, wer im Förderprogramm „unabhängige Erwerbslosenarbeit” den Zuschlag erhält, sollte nicht auf kommunaler Ebene von den „Regionalen Konsensen” oder den SGB II-Leistungsträgern getroffen werden, sondern von einem Beirat, der vom zuständigen Ministerium einberufen wird. Dieses Gremium sollte mit Vertretern des Ministeriums, der Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Vertretern von Erwerbslosengruppen besetzt werden.

5. Beispiele von Organisationen die derart gefördert werden könnten:





(Diese Liste ist ohne Rücksprache mit den Organisationen erstellt worden. Sie soll – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Organisationen aufzeigen, die mit einer um Erwerbslosenarbeit erweiterten Förderung unterstützt werden können.)

6. Die Linkspartei hat nun die Tachelesforderung aufgriffen…



und im einen dahingehenden Antrag der Fraktion DIE LINKE unter dem Motto „Selbstorganisation und Selbsthilfe von Erwerbslosen fördern” am 22.3.2011 gestellt. Dieser ist hier zu finden (Dokument: Antrag Förderung Elo-Inis).

Nachtrag: Gerade kam die Meldung rein, dass im grün/rotem Baden Württemberg nun auch die Forderung aufkommt Erwerbslosenberatung angelehnt an die NRW - Förderung finanzieren zu wollen. Wünschenswert wäre, dass dort aus den Fehlern in NRW gelernt wird und diese nicht nur SGB II _ Trägerunabhängig ist, sondern auch noch Beschäftigungsträgerunabhängig, sie das Ziel hat parteiliche Beratung zu fördern und nicht Arbeitsmarktnähe und das nicht so horrende Eigenmittel gefordert werden. Für BaWü scheint es sinnvoll, das sich die möglichen Adressaten dieser Förderung zusammentuen und eigene Überlegungen präsentieren.

Tacheles – Onlineredaktion
Harald Thomé & Frank Jäger



Links


  • Konzept: Unabhängige Sozialberatung ist so Notwendig wie noch nie
  • Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 22. März 2011 „Selbstorganisation und Selbsthilfe von Erwerbslosen fördern” [PDF 98KB]

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