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Verfahren gegen die Caritas wegen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz wird am 21. Juni 2001, 12 Uhr weiter verhandelt Anwaltskammer legt unannehmbaren Vergleichsvorschlag vor

Betonte doch der Präsident der Stuttgarter Anwaltskammer Peter Ströbel während des ersten Prozesses extra noch, dass die Anwälte "der Berufsstand sind, dessen Selbstverständnis es ist, den Armen und Entrechteten zu helfen". Er vergaß dabei nur zu erwähnen, dass diese tapferen Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit sich nur gegen eine entsprechend hohe Entlohnung aus ihren Sesseln erheben. Aber für einen Stundenlohn von 70 DM zuzüglich Mehrwertsteuer und Prozesskostenhilfe würden sie sich schon für die Armen und Entrechteten einsetzen. Für die Frage der Finanzierung dieses Stundenlohns fand man in Kreisen der Anwaltskammer Stuttgart auch sogleich eine Lösung: da die Caritas den Anwälten schon die Klienten verschafft, könne sie doch auch gleich noch die Finanzierung derselben übernehmen. Um den Vorschlag für die Caritas annehmbar zu machen, erklärte sich die Anwaltskammer bereit, angesichts schon verplanter Haushaltsmittel der Caritas, die Finanzierung für das Jahr 2001 zu übernehmen. Ab 2002 müsste sie diese aber selbst bezahlen. Ein weiterer Punkt als Bedingung für eine Einigung verlangte die Anwaltskammer die Rücknahme der Eingabe an den Landesdatenschutzbeauftragten wegen der illegalen Aktenweitergabe eines Verwaltungsgerichtsrichters, die wie schon dargestellt erst zu dem Verfahren führte. Außerdem wird verlangt, dass Mitarbeiter der Caritas generell darauf verzichten, bei Formulierungen von Klagen und gerichtlichen Anträgen behilflich zu sein. Nach Ansicht der Anwaltskammer könnte man sich unter diesen Bedingungen auf einen Vergleich einigen. Nach Ansicht der Caritas glücklicherweise nicht! Diese lehnt es ab, als Auftraggeber für Rechtsanwälte zu fungieren. Sie verweist dabei auf ein in einer anderen Gemeinde in Baden-Württemberg durchgeführtes Modell, das als unzulässig erklärt wurde. Danach kann sich ein Anwalt nicht von einem freien Träger zur Beratung Dritter beauftragen lassen und danach den betreffenden Mittellosen vor Gericht auf der Grundlage von Prozesskostenhilfe vertreten. Dies würde eine doppelte Abrechnung des jeweiligen Rechtsanwaltes bedeuten, die juristisch nicht statthaft und moralisch sehr fragwürdig ist. Die Caritas erklärte sich zu dem geforderten Verzicht auf weitere gerichtliche Unterstützungstätigkeiten bereit, insofern dies nicht auf ihre Tätigkeit als zugelassene Schuldnerberatungsstelle übertragen wird. Hinsichtlich der Tätigkeit des Landesdatenschutzbeauftragten wurde darauf hingewiesen, dass für diesen das Offizial- und nicht das Antragsprinzip maßgebend sei, weswegen die Caritas die dortige Eingabe nicht zurücknehmen könne. Da sich Anwaltskammer und Caritas nicht außergerichtlich einigen konnten, kommt es nun zu einem weiteren Prozesstermin am Donnerstag den 21. Juni. Tacheles möchte alle Interessierten und eine kritische Öffentlichkeit zur Teilnahme aufrufen. Das Verfahren findet am 21. Juni 2001, 12 Uhr, Saal 230, Justizgebäude Archivstrasse 15 in Stuttgart statt.

Tacheles möchte zu dem Verfahren anmerken, dass das Betreiben des Verfahrens durch die Anwaltskammer eine reine Farce ist. Im Verfahren wollte die Anwaltskammer zunächst sämtliche Unterstützungs- und Beratungstätigkeit der Caritas gegenüber Behörden und Gerichten verbieten lassen. Erst nach dem gerichtlichen Hinweis, dass sich das Gericht dieser Auffassung nicht anschließt ist die Anwaltskammer von diesem Standpunkt abgerückt. Dann wurde großkotzig vom Vorsitzenden der Anwaltskammer betont, wie sehr den Anwälten und der Anwaltskammer die Armenpflege am Herzen läge.
Im nachfolgenden wird deutlich, dass die Armenpflege für die Anwaltskammer tatsächlich ein gewichtiges Anliegen ist, sie wollen zunächst einen Stundensatz von 70 DM kassieren und dann noch in der weiteren Vertretung Betroffener Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe.

Es ist daher dem Caritas Verband zu danken, dass er sich nicht auf den Diktus der Anwaltskammer eingelassen hat. Es kommt dadurch für die Rechtsentwicklung ein sehr wichtiges Urteil zustande, aus dem deutlich wird, dass Vertretung und Beratung im Vorverfahren gegenüber Behörden nicht gegen das Rechtsberastungsgesetz verstößt. Grade vor dem Hintergrund. dass bundesweit eine Reihe von Organisationen aus den unterschiedlichsten Spektren (Sozialhilfe- und Arbeitslosenberatung, Senioren - und Flüchtlingsberatung, Mietervereine und - zusammenschlüsse, ......) regelmäßig mit dem Rechtsberatungsgesetz ausgebremst werden, kommt diesem Urteil eine entscheidende Bedeutung zu.

Somit erfolgt mit dem aus Stuttgart kommenden Urteil, zumindestens den außergerichtlichen Bereich betreffend, ein längst überfälliges Urteil.

Auf der anderen Seite wird mit dem Urteil der Caritas in Stuttgart wohl untersagt werden, dass sie in Zukunft Hilfestellungen bei der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen von Sozialhilfeempfängern, Alleinerziehenden, Flüchtlingen und Obdachlosen geben darf.
Diese Regelung erscheint nicht sinnvoll. Von knapp 110.000 in Deutschland zugelassenen Anwälten sind grade mal 786 Anwälte als Fachanwälte für Sozialrecht zugelassen.

Jeder der in der Armutsberatung tätig ist, erfährt immer wieder, dass sehr viele Anwälte Sozialhilfefälle generell ablehnen. Wenn Nichtsesshafte anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen, kommt es nicht selten vor, dass diese bei Eintritt in die Kanzlei derselben auch wieder verwiesen werden.

Eine weitere Besonderheit der Sozialhilfevertretung ist, dass der überwiegende Teil der gerichtlichen Auseinandersetzungen einstweilige Anordnungen nach § 123 VwGO sind. Bei einstweiligen Anordnungen wird nicht, wie in anderen Klagearten im Vorfeld über einen PKH Antrag entschieden, sondern diese Entscheidung erfolgt nach dem gerichtlichen Beschluss. Immer mehr Sozialämter haben sich in einstweiligen Anordnungsverfahren aber auch sonstigen normalen Leistungsklagen angewöhnt, dass sie die begehrte Leistung bewilligen, wenn sie vom Gericht signalisiert bekommen, dass sie unterliegen werden. Die Sozialämter wollen damit erreichen, dass es keine für sie negativen und ggf. bindenden Urteile/Beschlüsse gibt. Das bedeutet in einstweiligen Anordnungsverfahren, dass der Antragsteller durch die Bewilligung klaglos gestellt wird und der bevollmächtigte Anwalt dadurch keine Prozesskostenhilfe erhält.

Im Fazit bedeutet dies, der Antragsteller erhält zwar seine per einstweiligen Rechtsschutz durchgesetzte Leistung vom Sozialamt, bleibt aber auf rund 500 DM Anwaltskosten sitzen.

Weitere Erschwernis in Sozialhilfesachen ist, dass das Sozialhilferecht nicht dem Sozialrecht, sondern dem Verwaltungsrecht zugeordnet ist. Das bedeutet, ein Rechtsanwalt, der in Sozialhilfesachen tätig ist, muss im Sozial- und Verwaltungsrecht versiert sein, und sich zusätzlich, grade wegen der ständigen Weiterentwicklung des Sozialhilferechts, kontuinierlich mit aktuellen Veröffentlichungen, Urteilen und Fachaufsätzen beschäftigen. Grade die reichlich spärlichen Mittel von Beratungshilfescheinen (um die 115 DM + Mehrwertsteuer) und die absolute Unsicherheit Prozesskostenhilfe bewilligt zu bekommen, macht daher die Vertretung in Sozialhilfesache für Anwälte nicht grade attraktiv.

Im Ergebnis bedeutet das hier aufgezeigte für die Betroffenen, dass Rechtsdurchsetzung durch Anwälte in Sozialhilfesachen für die Betroffenen kaum zu realisieren ist.

Eine unter Strafe gestellte unterstützende Tätigkeit der Wohlfahrtsverbände im Verwaltungsgerichtsverfahren bedeutet für die Betroffenen die Versagung zumindest der theoretischen Chance von Rechtsdurchsetzung in Sozialhilfesachen.

Aus diesem Grunde ist es dringend notwendig in der ersten Instanz eine Unterstützungstätigkeit durch die Wohlfahrtsverbände zuzulassen. Diese Regelung würde auch der Regelung der VwGO entsprechen, nach der in der ersten Instanz kein Anwaltszwang besteht und Bevollmächtigte und Beistände zuzulassen sind.

Rechtsdurchsetzung in Sozialhilfesachen durch Anwälte ???

Entlang der hier aufgerissenen Diskussion über das Rechtsberatungsgesetz und des anwaltlichen Rechtsschutz in Sozialhilfesachen möchte Tacheles einen konkreten Fall aus der eigenen Beratungspraxis dokumentieren.

In dem Fall waren drei Anwälte aktiv, die alle übereinstimmend gesagt haben, sie könnten nichts machen, aber trotzdem zum Teil entsprechende Gebühren kassierten.

In dem Fall ging es um eine bei Tacheles ratsuchende Klientin, die einen Kostenersatzbescheid nach § 92 a BSHG in Höhe von 17.307,75 DM hatte und deren Gehalt zu der Zeit, als sie die Beratungsstelle aufsuchte, seit mehreren Monaten bereits gepfändet wurde.

Sie berichtete, dass sie schon zwei Anwälte in das Verfahren involviert hatte und dass diese aber nach erfolgtem Schriftverkehr mit dem Sozialamt zu dem Ergebnis gekommen seien, dass da halt nichts mehr zu machen sei. Auf Anraten von Tacheles wurde ein Dritter Anwalt mit dem Fall betraut, dieser schloss sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage ebenfalls der Meinung seiner Kollegen an.

Nachdem nun der dritte Rechtsanwalt dieser Auffassung war, sah sich Tacheles gezwungen sich den Fall selbst vorzunehmen.

Hintergrund des Kostenersatzbescheides wegen "schuldhaft herbeigeführter Sozialhilfebedürftigkeit" nach § 92a BSHG war, dass im Jahre 1991 das Arbeitsamt abgelehnt hatte, einen Arbeitslosenhilfeantrag wegen fehlender Unterlagen anzunehmen. Der Sachbearbeiter hatte daraufhin mit Datum vom 21.07.1993 entsprechenden Kostenersatzbescheid in Höhe von 17.307,75 DM erlassen. Da die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung nach § 24 SGB X, aufgrund eines Verschuldens des Sozialamtes erst mit Datum vom 10.08.1993 der Betroffenen zugegangen war.(also zwei Wochen nach Erlass des Bescheides !!!) war an sich der Bescheid schon rechtsfehlerhaft. Die Klientin hatte den Bescheid nicht ernstgenommen, da auch ihr Sachearbeiter sagte, dass da noch eine Anhörung erfolgen würde und deshalb ein Widerspruch nicht erforderlich sei.

Somit war der Rückforderungsbescheid in existenzvernichtender Höhe rechtskräftig geworden und alle nachfolgend aufgesuchten Anwälte hatten übereinstimmend gesagt, aufgrund der Bestandskraft des Bescheides können sie da nichts mehr machen.

Tacheles hat nun den Sachverhalt genauestens recherchiert und festgestellt, dass zum damaligen Zeitpunkt gar keine Ansprüche nach dem AFG bestanden haben, da Vorraussetzungen für AFG-Leistungen eine 6 monatige vorherige versicherungspflichtige Tätigkeit waren. Die Frau hatte aber nur eine 4 monatige versicherungspflichtige Tätigkeit durchgeführt, diese Angaben konnten durch eine Rentenauskunft belegt werden.

Daraufhin wurde mit Unterstützung von Tacheles mit Datum vom 17.04.01 ein Rücknahmeantrag nach § 44 SGB X hinsichtlich des Kostenersatzbescheides gestellt. Dabei wurde ausgeführt, dass die Frau gar keine vorrangigen Leistungsansprüche beim Arbeitsamt hatte und deswegen der Kostenersatzbescheid rechtswidrig war. Ein Antrag nach § 44 SGB X kann bis zu 10 Jahre rückwirkend gestellt werden.

Das Sozialamt hat mit Bescheid vom 07.05.01 die Rücknahme des Kostenersatzbescheides erklärt und zudem die Rückzahlung der bisher gepfändeten Beträge zugesagt.

Wir erlauben uns diesen Fall hier zu dokumentierten um daran zu belegen, dass sich für Klienten aus dem Armutsbereich Rechtsdurchsetzung mit Anwälten nicht selten äußerst schwierig gestaltet. Es wird daran aber auch deutlich, dass bei Armenvertretung ein hochspezialisiertes Fachwissen im Sozial-Verwaltungsrecht erforderlich ist.

Der Fall und Unfähigkeit der Anwaltschaft darin machen deutlich, dass Armutsberatung und -vertretung nicht alleinige Aufgabe der Anwaltschaft sein kann, sondern angesichts der mittlerweile völlig veränderten und verrechtlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch Aufgabe de Wohlfahrtspflege und ihr angeschlossener Interessensgruppen sein muss.
Es ist daher dringend eine Novilierung des Rechtsberatungsgesetz hinsichtlich der Armenvertretung erforderlich !

Harald Thome & Regine Blazevic / Tacheles Online-Redaktion



Hintergrundmaterialien:

Prozess wegen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz geht in die zweite Runde / vom 2.9.2001

Ergebnisprotokoll der Besprechung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtspflege und dem Bundesjustizministerium vom 24.02.1969

Rechtsgutachten des Deutschen Vereins zum Rechtsberatungsgesetz vom 17.09.1997

Rechtsgutachten von Prof.Dr.jur. Albrecht Brühl "Zur Frage der Rechtsbesorgung in Sozialhilfesachen durch Vereine" am Beispiel Tacheles in Wuppertal

Rechtsgutachten zu Dreieich / Verbot der Rechtsberatung - eine Geißel für Selbsthilfe? / (Eine sehr gute Abhandlung zum Rechtsberatungsgesetz, die trotz Erstellung im Juni 1988 immer noch aktuell ist)

Zur Person: Dr Manfred Hammel / Anwalt der Armen / Stuttgarter Zeitung v. 13.7.1998

Klageerwiederung zum laufenden Prozess

Gutachten zu den §§ 8 und 10 BSHG des Deutschen Vereins (27.03.2001)

Obdachlose, Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber künftig Vogelfrei von Georg Classen Flütlingsrat Berlin (27.03.2001)

Erster Erfolg im Rechtsberatungsstreit Anwälte ziehen Klage teilweise zurück (02.04.2001)

Protokoll der Verhandlung am 29. März 2001

Stellungnahme der Lobby für Menschrechte zum Stuttgarter Verfahren

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