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Weitere Entwicklung zur Leistungsstreichung einer schwerkranken 62-jährigen Bürgergeld-Empfängerin in Wuppertal
Nach öffentlicher Thematisierung des Vorfalls ist Bewegung in den Fall gekommen: Das Jobcenter Wuppertal hat die Leistungen nun nachgezahlt, Fehler eingeräumt und sich bei der Betroffenen entschuldigt. Allerdings wurde der Kern des Problems und das dahinterliegende strukturelle Defizit bislang nicht erkannt – daher hat Tacheles nochmals Stellung genommen.
Am 18. Mai 2025 hatte Tacheles die vollständige Leistungsstreichung bei einer schwerkranken 62-jährigen Bürgergeld-Empfängerin in Wuppertal öffentlich gemacht. Hintergrund war, dass die Frau vom Jobcenter aufgefordert wurde, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Dabei füllte sie versehentlich das falsche Formular aus. In der Folge stellte das Jobcenter wegen angeblich fehlender Mitwirkung sämtliche Leistungen für den Zeitraum von April bis Dezember 2025 ein.
Trotz Nachholung der Rentenantragstellung, eines Überprüfungsantrags inklusive Aufforderung zur Korrektur des Vorgehens und einer Fristsetzung bis zum 16. Mai 2025 durch Tacheles, blieb eine Reaktion aus. Im Gegenteil: Der Überprüfungsantrag wurde von der zuständigen Sachbearbeiterin mit einer eindeutig falschen und rechtswidrigen Begründung abgelehnt.
Daraufhin wurde der Fall medial publik gemacht. Erst Nachdem IPPEN.MEDIA ua. in der Frankfurter Rundschau darüber berichtete, reagierte das Jobcenter Wuppertal. Am 21. Mai 2025 wurden die Leistungen vollständig nachgezahlt.
Am 22. Mai 2025 folgte eine Rückmeldung von der Leiterin des Jobcenters Wuppertal, Frau Degener. Darin räumte sie behördliche Fehler ein und entschuldigte sich ausdrücklich. Zur Dienstaufsichtsbeschwerde erklärte sie:
„Die Sachentscheidung hat sich im Ergebnis als unrichtig herausgestellt und musste korrigiert werden. Eine Sorgfaltspflichtverletzung, die ein Dienstvergehen im engeren Sinne darstellen würde, liegt darin – auch unter Berücksichtigung der täglich zu bewältigenden Arbeitsmenge – jedoch nicht. Insbesondere kann ausgeschlossen werden, dass die Mitarbeiterin die beanstandete Fehlentscheidung vorsätzlich getroffen hat.“
Hierzu erwiderte Tacheles am 22. Mai 2025:
„Bezüglich unseres geäußerten Verdachts, Frau XY könne vorsätzlich gehandelt haben, möchten wir ergänzend anmerken, dass sie bereits seit vielen Jahren im Jobcenter tätig ist. Es ist daher davon auszugehen, dass ihr die rechtlichen Grundlagen ihres Handelns bekannt sein müssten. Zudem waren vergleichbare rechtswidrige Versagungen und Entziehungen – mit der damit einhergehenden Existenzgefährdung von Leistungsberechtigten – in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand von Beschwerden gegen ebenjene Mitarbeiterin.“
Tacheles führte weiter aus:
„Wir möchten die Problematik nochmals verdeutlichen: Im Jobcenter Wuppertal werden Leistungsberechtigte – wie im vorliegenden Fall – regelmäßig im Rahmen angeblicher Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I zur Beantragung vorrangiger Leistungen aufgefordert. Wird dieser Aufforderung nicht nachgekommen, erfolgt in der Regel ein Versagungs- und Entziehungsbescheid gemäß § 66 SGB I – so auch hier mit Bescheid vom 06.03.2025.
Eine Verpflichtung zur Beantragung vorrangiger Leistungen lässt sich jedoch nicht aus den Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I ableiten, da diese nicht zu den dort abschließend aufgeführten Pflichten (§§ 60–64 SGB I) gehören.
Folglich kann und darf bei einer unterlassenen Beantragung vorrangiger Leistungen kein Versagungs- und Entziehungsbescheid nach § 66 SGB I ergehen.
Darüber hinaus möchten wir betonen, dass eine vollständige Versagung – also die Streichung von 100 % der existenzsichernden Leistungen – nur in absoluten Ausnahmefällen rechtmäßig ist. Leider beobachten wir, dass dies im Jobcenter Wuppertal an verschiedenen Stellen gängige, wenn auch rechtswidrige Praxis ist.
Auf diese Problematik der unzulässigen Aufforderung zur Beantragung vorrangiger Leistungen im Rahmen der Mitwirkungspflichten sind Sie in Ihrer Antwort nicht eingegangen. Aus unserer Sicht stellt dies jedoch den zentralen Aspekt im vorliegenden Fall dar – neben den von Ihnen eingeräumten Versäumnissen und Fehlern.“
Tacheles regt daher an, die Verwaltungspraxis des Jobcenters Wuppertal in diesem Zusammenhang einer grundsätzlichen und kritischen Prüfung zu unterziehen und die Arbeitsorganisation entsprechend der geltenden Rechtslage anzupassen. Denn aus Sicht von Tacheles bildet gerade diese fehlerhafte Praxis den Ausgangspunkt für das rechtswidrige Verwaltungshandeln in diesem Fall.
Hoffen wir, dass dieser Fall dazu führt, die unsägliche Verwaltungspraxis in Wuppertal zu ändern – und dass die verantwortliche Mitarbeiterin der Geschäftsstelle 2 künftig unter größerem Druck steht, ein solches Handeln nicht mehr durchführen zu können.
Hintergrund:
- Veröffentlichung von Tacheles vom 18.05.2025 Kurzlink: https://t1p.de/l5mab
- Veröffentlichung der Frankfurter Rundschau vom 21.05.2025 / Kurzlink: https://t1p.de/z2fp9
- Antwort von JC Leiterin Frau Degener vom 22.05.2025 / Kurzlink: https://t1p.de/irbii
- Erwiderung von Tacheles an JC Leiterin Frau Degener vom 23.05.2025 / Kurzlink: https://t1p.de/ybixe