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Zur Kürzung der Regelleistungen bei Klinikaufenthalten

Ein Beitrag zur Praxis der ARGEn von Gregor Kochhan *



I. Vorbemerkung



Soweit feststellbar, wird durch die mit der Durchführung des SGB II befassten Behörden die monatliche Regelleistung in Höhe von EUR 345,00 (West) bzw. EUR 331,00 (Ost) bei stationärem Aufenthalt gekürzt. Dies betrifft sowohl den Krankenhausaufenthalt als auch andere Unterbringungen in stationären Therapien etc. Die Regelleistung wird bis zu 35 % gekürzt, soweit der Hilfebedürftige während seines stationären Aufenthaltes volle Verpflegung erhält. Lediglich für die Zeit, in der noch Zuzahlungen zu leisten sind, erfolgt keine Kürzung der Regelleistung.

Bei teilstationärem Aufenthalt (z. B. Tagesklinik) werden, soweit in der Tagesklinik Frühstück und Mittagessen bereitgestellt werden, andere Prozentzahlen zugrunde gelegt.

Die Begründung für die Kürzung der Regelleistung für die Zeit des stationären Aufenthaltes ist uneinheitlich. Zum einen wird damit argumentiert, dass der Bedarf durch die Gewährung der vollen Verpflegung teilweise gedeckt sei. Hier wird in den entsprechenden Bescheiden teils auf § 9 SGB II bzw. § 20 SGB II verwiesen.

Zum anderen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gewährung kostenfreier Verpflegung als Sachbezug eine Einnahme in Geldeswert darstelle und diese somit als Einkommen i. S. d. § 11 SGB II anzusehen sei (s. Auszug aus der BA – Wissensdatenbank zu § 11 SGB II, zit. nach: http://www.harald-thome.de/media/files/Gesetzestexte SGB II + VO/WDB270405.pdf).

II. Zur teilweisen Bedarfsdeckung



Hier ist zunächst zu prüfen, ob das Argument der teilweisen Bedarfsdeckung durch die Bereitstellung der Verpflegung, bereits aus der Sozialhilfe bekannt, auf das SGB II angewandt werden kann.

§ 20 Abs. 2 SGB II legt die Höhe der monatlichen Regelleistung auf einen absoluten Betrag gesetzlich fest. Festzustellen ist, dass dem SGB II eine dem § 9 SGB XII entsprechende Regelung fehlt. Ebenso ist das Fehlen einer Öffnungsklausel gem. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII festzustellen. Das SGB II regelt somit keine konkret bedarfsdeckende Leistung, sondern stellt, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, eine bedarfsorientierte Leistung dar (BT-Dr 15/1516, Seite 56).

Mit der Einführung des SGB II (und des SGB XII) wurde weitgehend auf einmalige Leistungen verzichtet und die Leistung pauschaliert. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass dieser Betrag dem Hilfebedürftigen ohne Berücksichtigung der individuellen Belange zustehen soll (vgl. SG München, Beschluss v. 27.04.05, Wohnungslos 03/05, S. 123ff m. Anm. Hammel; sowie SG München, Urteil v. 24.05.05, ebenda.). Durch diese weitestgehende Pauschalierung der Regelleistung verbietet sich jedoch eine individuelle Bedarfsfeststellung (vgl. Urteil des Sozialgerichtes Dortmund; S 31 SO 10/05 vom 18.10.2005 zum Grundsicherungsgesetz, soweit ersichtlich nicht veröffentlicht). Eine Kürzung der Regelleistung wegen fehlenden Bedarfes sieht das Gesetz nicht vor. Die Herabsetzung der Regelleistung durch eine wie auch immer geartete Ersparnis bei einer lediglich bedarfsorientierten, pauschalierten Leistung scheidet daher aus (SG Dortmund a.a.O.).

III. Freie Kost als Einkommen



Hier käme allenfalls eine Anrechnung der freien Verpflegung als Einkommen i. S. d. § 11 Abs. 1 SGB II (Einnahmen in Geldeswert) in Betracht.

Soweit sich die mit der Durchführung des SGB II befassten Behörden auf die Anwendung des § 2 Abs. 4 ALG II - VO berufen, ist anzumerken, dass eine direkte Anwendung daran scheitert, dass § 2 ALG II – VO nur für Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit gilt.

In Betracht zu ziehen ist lediglich eine entsprechende Anwendung über § 2b ALG II – VO. Einnahmen in Geldeswert sind solche Sacheinnahmen einschließlich Dienstleistungen, die einen Marktwert besitzen (vgl. Brühl in LPK - SGB II, § 11, Rz. 11; Zitat: Einnahmen sind … oder Sacheinnahmen einschließlich Dienstleistungen mit Geldeswert, d.h. solche, die einen Marktwert besitzen, also gegen Geld tauschbar sind.). Weiter hinzukommen muss die bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit (vgl. Brühl a. a. O., Rz. 12), was wiederum bedeutet, dass diese Leistung jederzeit in Geld tauschbar sein muss (so schon zum BSHG, Brühl in LPK – BSHG, § 76, Rz. 4).

Die Verpflegung in stationären Einrichtungen besitzt nach diesseitiger Ansicht keinen Marktwert, da dieser Leistung die Tauschbarkeit in Geld fehlt. Sollte der Hilfebedürftige die Leistung nicht in Anspruch nehmen wollen oder können, hat er hiervon keinerlei geldwerten Vorteil. Die Nichtabnahme der Verpflegung, z.B. aus religiösen Gründen, führt nicht zu einer Reduzierung der Vergütung. Weder er noch seine Krankenkasse haben irgendeine Ersparnis durch die Nichtinanspruchnahme der (vollen oder teilweisen) Verpflegung zu verzeichnen. Freie Kost (und Logis) eines Arbeitgebers dagegen, und hierauf bezieht sich § 2 ALG II – VO i.V.m. der Sachbezugsverordnung, besitzen einen geldwerten Vorteil und würden bei Nichtinanspruchnahme einen höheren Lohnanspruch bedingen.

Weiter wird bei der Anrechnung als Einkommen in Höhe von 35 % der Regelleistung (bei voller Verpflegung) übersehen, dass dem Hilfeempfänger für den Zeitraum des Krankenhausaufenthalts die Ansparmöglichkeit zumindest eingeschränkt wird. Die 35 % werden bei den vorliegenden Bescheiden aus der vollen Regelleistung berechnet, so dass auch der Anteil betroffen ist, der zu Ansparmöglichkeiten führen soll. Das Ziel des Gesetzgebers, durch die Pauschalierung der Regelleistung weitgehend selbständiges Wirtschaften zu ermöglichen (vgl. Brünner in LPK – SGB II, § 20, Rz. 11), wird durch die Praxis der Behörden unterlaufen.

Dass es sich bei der Anrechnung der Verpflegung als Einkommen um eine (untaugliche) Hilfskonstruktion handelt, wird auch daran deutlich, dass das Einkommen nicht um den Pauschbetrag des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG II – VO bereinigt wird.

Die Systemwidrigkeit der Anrechnung wird weiterhin daran sichtbar, dass während der Zeit der Zuzahlung (€ 10,-/Tag im Krankenhaus) eine Anrechnung unterbleibt. Auch hier wäre die Verpflegung selbstverständlich Einkommen, dem durch die Zuzahlung allerdings ein erhöhter Bedarf gegenüber stehen würde. Die Geltendmachung eines solchen erhöhten Bedarfes ist jedoch, anders als im SGB XII, im SGB II durch die Pauschalierung der Bedarfe nicht möglich. Die Gegenrechnung anderer, im Einzelfall möglicherweise auftretender Bedarfe (Telefonkosten, Bekleidung bzw. Wäsche etc.) ist ebenfalls verwehrt.

An alledem wird deutlich, dass es nicht zum System des SGB II und der damit verbundenen Pauschalierung der Bedarfe passt, die Verpflegung in stationären Aufenthalten als Einkommen anzurechnen.

IV. Ergebnis



Eine Kürzung der Regelleistung gem. § 20 SGB II während eines stationären Aufenthaltes in Bezug auf die gewährte Verpflegung ist rechtswidrig. Eine gesetzliche Grundlage für die Kürzung der Regelleistung ist nicht ersichtlich. Weder das Argument der (teilweisen) Bedarfsdeckung noch die Anrechnung der Verpflegung als Einkommen vermögen zu überzeugen.

* Der Autor ist Jurist bei einem Verband der Freien Wohlfahrtspflege



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