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Auswirkungen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes in der Fassung vom 08.09.2003 (BTDrs 15/1525) auf die Sozialhilfe



Auswirkungen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes in der Fassung vom 08.09.2003 (BTDrs 15/1525) auf die Sozialhilfe

I. Neues Zuzahlungssystem (§§ 61 und 62 E)
Es gibt drei verschiedene Zuzahlungsbeträge, die jeweils für bestimmte Leistungen gelten:

1. zehn vom Hundert des Abgabepreises, mindestens jedoch fünf Euro und höchstens zehn Euro; allerdings jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels (§ 61 Satz 1 E)
a. bei Arznei- und Verbandmitteln und einbezogenen Mitteln nach § 31
b. Soziotherapie nach § 37 a pro Tag der Leistung (neu)
c. Haushaltshilfe nach § 38 pro Tag der Leistung (neu)
d. Fahrkosten nach § 60 Abs. 2 E
2. bei stationären Maßnahmen je Kalendertag 10 Euro (§61 Satz 2 E)
a. bei Krankenhausaufenthalt nach § 39 Abs. 4 für 28 Tage
b. bei Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 40 Abs. 6 für 28 Tage
c. bei medizinischen Vorsorgeleistungen nach § 23 Abs. 4
d. bei Vorsorgekuren für Mütter nach § 24 Abs.3
e. den gleichen Betrag als Praxisgebühr nach § 28 Abs.4 E
3. 10 vom Hundert der Kosten sowie 10 Euro je Verordnung (§ 61 Satz 3 E)
a. bei Heilmitteln nach § 33
b. bei häuslicher Krankenpflege nach § 37 für 28 Tage(neu)
Es sind jetzt praktisch alle Leistungen durch Zuzahlungen erfasst, wobei noch einmal pro Quartal die Praxisgebühr hinzutritt. Bei häuslicher Pflege beispielsweise ergibt sich dadurch eine bis zu vierfache Belastung durch Praxisgebühr, Zuzahlung zu Medikamenten, häuslicher Pflege und ggf. Haushaltshilfe, während beim viel teureren Krankenhausaufenthalt nur (aller-dings zeitlich unbegrenzt) die Zuzahlung im Krankenhaus und ggf. für Haushaltshilfe zu leis-ten ist.

Diese Zuzahlungen sind solange zu leisten, bis die in § 62 E geregelte Belastungsgrenze er-reicht ist. Diese Grenze beträgt wie bisher (bei der teilweisen Befreiung) 2 % des Bruttoein-kommens, bei chronisch Kranken 1 %. Bei Angehörigen im gleichen Haushalt werden Brut-toeinkommen und Zuzahlungen zusammengerechnet, wobei als Mindesteinkommen vom Ba-fög-Höchstsatz (jährlich 6.396 €) angenommen wird.

Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt (und den bisher anderen ebenfalls nach § 61 vollständig von der Zuzahlung befreiten) wie auch den von der Sozialhilfe u.ä. unterstützten Heimbewohnern geht man von einem Bruttoeinkommen in Höhe eines Regelsatzes eines Haushaltsvorstands (in NW z.Zt. 296 €) aus. 2 % für ein Jahr sind 71,04 € als Belastungs-grenze. Nach der Begründung „kann der Sozialhilfeträger darlehensweise Hilfe gewähren, wenn die Belastungsgrenze schnell erreicht wird“ und deshalb nicht rechtzeitig das Erreichen der Belastungsgrenze bescheinigt werden kann. Dafür gibt es leider noch keinen Rechtsan-spruch.

II. Leistungsausschlüsse
Zu den bisherigen Leistungsausschlüssen bei
a. Bagatellarzneimitteln (§ 34 Abs.1) z.B. Abführmittel
b. Geringwertige Hilfsmittel (VO nach § 34 Abs.4) z.B. Hörgerätebatterien
Treten neu hinzu
a. Sehhilfen für Erwachsene, die keine schweren Sehbeeinträchtigungen haben (§ 33 Abs.1 E)
b. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 34 Abs.1 Satz 1 E)
c. Krankenfahrten, die nicht „aus zwingenden medizinischen Gründen“ erforderlich sind (§ 60 Abs.1 E)
In eng umgrenzten Ausnahmefällen, die aber nur medizinisch, nicht sozial begründet werden können, gibt es durch ärztliche Begründungen z.T. auch Genehmigung der Krankenkasse eine Aufhebung der Ausschlüsse.
Diese neuen Leistungsausschlüsse werden damit begründet, dass sie sozial gerechtfertigt sind, etwa weil Versicherte für ihre Brillen selbst das dreifache des Krankenkassenanteils aufwen-den. Es fehlt allerdings jede Überlegung, wie sich dies auf Sozialhilfeberechtigte auswirken könnte.

Zu den Leistungsausschlüssen müssen nach der derzeitig geltenden Regelung auch die Kie-ferorthopädischen Leistungen nach § 29 gezählt werden, weil hier zunächst nur teilweise ge-leistet wird (darum muss die Sozialhilfe vorübergehend eintreten). Da der Zahnersatz zukünf-tig getrennt versichert werden soll und hier auch bisher schon nur Teilleistungen erbracht werden, würde es sich ohne eine Befreiungsregelung (über die noch nichts bekannt ist) um einen Leistungsausschluss handeln.

III. Regelungen für Sozialhilfeempfänger
Durch die neuen Absätze von § 264 E wird geregelt, dass Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt und nicht versicherte Empfänger von Hilfen in besonderen Lebenslagen zur Krankenbehandlung Leistung von einer von ihnen, d.h. bei Bedarfsgemeinschaften vom Haushaltsvorstand gewählten Krankenkasse erhalten. Sie erhalten eine Versichertenkarte, auf der sie als Mitglied bzw. über 65 als Rentner ausgewiesen sind. Die Aufwendungen der Kran-kenkasse werden vom Sozialhilfeträger ersetzt. Ursprünglich vorgesehen war eine Versiche-rung für Sozialhilfeempfänger, hier konnte man sich aber nie über die Höhe der Beiträge eini-gen. Von daher ist dies aus der Sicht der Hilfeempfänger sicherlich eine sinnvolle Lösung.

Unklar ist allerdings, ob und wie dies ab 2005 für die Leistung von Zahnersatz gelten soll.

Für die nur kurzzeitig Hilfebedürftigen bleiben die Regelungen der Krankenhilfe nach §§ 36ff BSHG prinzipiell bestehen. Es wird aber nunmehr abschließend auf SGB V einschließlich der Zuzahlungsregelungen verwiesen, die Auffangmöglichkeiten durch § 38 Abs.2 BSHG bei nicht durch Befreiungsregelungen entfallenden Zuzahlungen und anderen finanziellen Zusatz-lasten durch Leistungsausschlüsse wie z.B. Hörgerätebatterien entfallen jedoch.

Durch eine Ergänzung der Regelsatzverordnung wird klargestellt, dass der Regelsatz auch „die Leistungen für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe, soweit sie nicht nach §§ 36 bis 38 des Gesetzes übernommen werden“ umfasst. Das bedeutet, ohne dass darauf in der Begründung eingegangen würde, dass außer den Zuzahlungen, die sich we-gen der Belastungsgrenze nach § 62 E (bei einem Alleinstehenden oder Heimbewohner) in überschaubaren Grenzen halten (ca.6 € durchschnittlich pro Monat), aber auch die im Einzel-fall unüberschaubaren ausgeschlossenen Leistungen aus dem Regelsatz zu finanzieren sind, ohne dass dazu von einer Erhöhung der Regelsätze geredet würde. Dabei würde auch die ge-ringere Belastungsgrenze für chronisch Kranke praktisch keinerlei Hilfe bedeuten, weil jedes einzelne rezeptfreie Mittel schon die Ersparnis illusorisch machen würde. Von daher wirkt es eher als Irreführung des Publikums, wenn ein neuer § 2a eingeführt wird, der fordert, „den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen“.

Wenn nicht die Aufhebung des § 38 Abs. 2 BSHG rückgängig gemacht wird unter aus-drücklicher Erstreckung der Leistungen auf die oben aufgezählten Leistungsausschlusstatbe-stände, würde der Widerspruch völlig unaufhebbar zwischen den gedeckelten Leistungen der Krankenhilfe und dem Mehrbedarf für Krankenkost nach § 23 Abs. 4 BSHG.

Es könnte allenfalls überlegt werden. eine ähnlich pauschalierte Leistung einzuführen, wenn man die erforderlich werdenden Einzelfallprüfungen von Leistungen, von denen die Kranken-kasse gerade entlastet wurde, vermeiden wollte. Auf der anderen Seite dürfte dies aber nicht als Mehrbedarfzuschlag zum Regelsatz ausgestaltet werden, weil dann nicht die Heimbewoh-ner, denen nur der Barbetrag zur Verfügung steht, und Hilfeempfängern, die nur Hilfen in besonderen Lebenslagen benötigen, erfasst werden. Auf diese Weise könnte allerdings nur der möglicherweise abschätzbare monatliche Zusatzbedarf von chronisch Kranken aufgefangen werden, nicht aber z.B. die ausgeschlossenen Anteile bei Kieferorthopädischen Leistungen.

IV. Zusammenfassung
Die Zuzahlungen werden in drei Gruppen vereinheitlicht, aber auf alle Leistungen erstreckt und noch um eine Praxisgebühr erweitert, wobei ambulante Leistungen gegenüber stationären Leistungen benachteiligt werden.. Damit wird die solidarische Finanzierung der Krankenver-sicherung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern weiter ausgehöhlt.
Durch die konsequent durchgehaltene Einführung einer Belastungsgrenze hält sich die Belas-tung durch Zuzahlungen für Personen mit geringerem Einkommen in engen Grenzen

Viel schwerwiegender ist die Belastung gerade auch der geringer Verdienenden durch weitere Leistungsausschlüsse insbesondere für rezeptfreie Arzneimittel, Sehhilfen und Fahrkosten. Hier ist gerade auch für die angeblich neu in den Blickpunkt gerückten chronisch Kranken mit ungeahnten Belastungen zu rechnen, die durch die Betrachtung von durchschnittlichen Prei-sen verharmlost werden.
Besonders gravierend ist es, dass Sozialhilfeempfänger in Zukunft nicht nur die Zuzahlungen aus dem Regelsatz tragen sollen, sondern dass auch keinerlei Entlastung bei den dargestellten Leistungsausschlüssen vorgesehen sind. Dabei ist es für diese auch keine Entlastung, dass sie zwar nicht vom Sozialhilfeträger versichert werden, sondern ihre Leistungen von einer Kran-kenkasse ihrer Wahl auf Rechnung des Sozialhilfeträgers erhalten sollen.

Eine unveränderte Beibehaltung des jetzigen Entwurfsstands würde zu einer völligen Verar-mung von Kranken und zu einem „sozialverträglichen früheren Ableben“ kranker Menschen mit geringerem Einkommen führen. Hiergegen muss die Freie Wohlfahrtspflege m.E. unbe-dingt Stellung beziehen.

Gez. Peter Niemann 10.09.03
(Änderungen gegenüber 05.09.03 kursiv!)

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