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Aufsatz von Prof. Helga Spindler: Vorrang für den Nachrang statt Hilfe zum Lebensunterhalt?

Aus info also 2/2001

Vorrang für den Nachrang statt Hilfe zum Lebensunterhalt?

- Neue Entwicklungen in Praxis und Rechtsprechung bei der Ausgestaltung des Nachranggrundsatzes und der Erwerbs-obliegenheit - Helga Spindler

1. Das Recht auf Bedarfsdeckung und die Verpflichtung zur Selbsthilfe

Der Rechtsanspruch auf Sozialhilfe steht denjenigen zu, die sich nicht selbst helfen können und den notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen können, wie das allgemein im Nachranggrundsatz in § 2 BSHG und im § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG als Tatbestands-voraussetzung enthalten ist.
Dabei war das Verhältnis von Bedarfsdeckung und Nachrang, von Leistung und Mitwirkung immer schon von einem Spannungsverhältnis gekennzeichnet,1 jedoch boten ein herrschendes Verständnis von der Notwendigkeit unmittel-barer Bedarfsdeckung, das dogmatisch an § 5 BSHG festgemacht wurde, und insbesondere die Vorschriften der §§ 18 f., 25 BSHG und später die §§ 60 f. SGB I jahrelang genug Grundlage für Verwaltungspraxis und Rechtsprechung. Unbestritten war der Leistungsanspruch bei bestehender Arbeitslosigkeit und bei erst zukünftig zu erwartenden Einkommen und noch nicht realisierten oder realisierbaren Ansprüchen. Auch wenn der Leistungsempfänger mit dem Beginn des Bezugs der Leistung vielfältigen Mitwirkungspflichten unterworten war, die dann bestehenden Obliegenheiten verhinderten nicht schon die Entstehung des Leistungsanspruchs.

Der Nachranggrundsatz führt zur Anrechnung vorrangiger Leistungen und Einkünfte und zu vielfältigen Mitwirkungspflichten, von denen die wichtigste die Erwerbsobliegenheit darstellt, die in § 18 f. BSHG ausgeformt ist. Dieser Nachranggrundsatz steht aber von Anfang an neben einem anderen Grundsatz: dem der Bedarfsdeckung, der die Deckung des gegenwärtigen individuellen Bedarfs ohne Rücksicht auf die Entstehung der Notlage und immer dann, wenn bereite Mittel nicht vorhanden sind, erfordert. Mitwirkungspflichten gab es schon immer reichlich in der staatlichen Armenfürsorge,2 das Neue am Bundessozialhilfegesetz gegenüber der alten Reichsfür-sorgepflichtverordnung war aber der Rechtsanspruch auf Sozialhilfe und die unter dem Einfluß des Grundgesetzes, vor allem unter dem Einfluß des Verhältnismäßigkeits-prinzips ausgestalteten Verfahrensrechte bei der Umsetzung des Nachrangs und der Pflichten. Das Urteil des Bundes-verwaltungsgerichts von 1954, mit dem diese Rechtsent-wicklung eingeleitet wurde, war eindeutig:
Der Einzelne sei zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. Darum dürfe er in der Regel nicht Gegenstand staatlichen Handelns sein. Die unantastbare, von der staatlichen Gewalt zu schützende Würde des Menschen ( Art. 1 GG) verbiete es, ihn lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns zu betrachten, soweit es sich um die Sicherung notwendigen Lebensbedarfs, also seines Daseins überhaupt handele.3 Auch in der Politik wurde dieser Paradigmenwechsel so verstanden und propagiert. Vom damaligen Bundesinnenminister (er hieß übrigens Gerhard Schröder und war konservativ) wird berichtet, er habe geäußert, Ziel des Gesetzes sollte sein, endgültig die letzten Reste der Diskriminierung der Fürsorgeempfänger zu beseitigen und das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes zu verwirklichen.4 »Sozialhilfe - Ihr gutes Recht« war in der Folge der Titel der zentralen Aufklärungsbroschüre des zuständigen Ministeriums.

Diese Grundsätze forderten in ihrer Anwendung Auseinandersetzung mit dem Einzelfall, mit dem Bedarf und den Möglichkeiten, die jeder einzelne Bürger hat, und selbst die Fälle, in denen Mißbrauch vermutet wurde, mußten im Einzelfall ermittelt und nachgewiesen werden. Und diese Grundsätze werden auch von der überwiegenden Mehrheit der Gerichte bis heute vertreten und angewandt.

2. Abwertung des Leistungsanspruchs bei Ausweitung verschwommener Mitwirkungspflichten

Aber: In den Zeiten, in denen die Eigenverantwortlichkeit der Bürger neu betont wird, wird vor allem die bedarfs-orientierte Hilfe zum Lebensunterhalt pauschal kritisiert und begrifflich durchgängig negativ besetzt. Sie mache als Sozialleistung ohne Gegenleistung die Menschen nur passiv und abhängig. Nicht nur bei Wirtschaftswissenschaftlern wird davon gesprochen, daß Hilfe zum Lebensunterhalt ob ihrer existenzsichernden Höhe gar in eine ausweglose Armutsfalle locke, eine echte Chance zum Nichtstun biete und damit vor allem die Jugend verführe. Derartig durch den international wehenden Zeitgeist beflügelt, wird dann in der kommunalen Praxis und auch schon durch einzelne Gerichte mutig und tabufrei versucht, durch immer neue Ausformungen des Nachrangs die Selbsthilfekräfte des träge gewordenen Wohlfahrtsstaatsklientels zu entfachen.

Dabei ist das Problem - aus meiner Sicht - nicht so sehr, daß im Gefolge der Änderung vom AFG zum SGB III verstärkt auch eigene Arbeitsbemühungen verlangt und kontrolliert werden, daß man Beratungsangebote vorsieht, in denen mittelfristig auf Beendigung des Sozialhilfebezugs hingearbeitet wird, daß man Mitwirkung der Einzelnen beim Erwerb von Sprachkenntnissen und weiterer Qualifikationen oder bei der Senkung überhöhter Aufwendungen für Unterkunft verlangt. Sozialhilfe als Fürsorgeleistung sollte, wenn möglich, keine soziale Dauerversorgung werden, und die Aufgabe der Sozialhilfe, zur Hilfe zur Selbsthilfe anzuregen und zu unterstützen, ist viele Jahre lang vernachlässigt worden.

Aber das Pendel schlägt zu weit in die andere Richtung. Es ist die Überspannung, die Überdehnung dieser Mitwirkungs-pflichten, die Vorverlegung von Erwerbs- und sonstigen -obliegenheiten, der Zwang, eigens eingerichtete Niedrig-lohnarbeit oder aufgedrängte (meist noch nicht einmal besonders) gute Ratschläge nur noch um des Erziehungs-, Disziplinierungs- und Ausgabenspareffekts willen anzunehmen, mit der der sozialhilferechtliche Existenz-schutz, der Grundsatz der Bedarfsdeckung - und in vielen Fäüen auch der Auftrag, menschenwürdiges Leben sicher-zustellen - unterlaufen bzw. faktisch wieder abgeschafft werden.
Die einseitige Demontage bewährter Sozialhilfepraxis entwickelt sich auch, weil der neuen Betonung der Selbsthilfeverpflichtung bisher keine eindeutigeren Rechtspositionen der Bürger gegenüberstehen - weder im Sozialhilferecht noch im Arbeitsrecht -, weil nicht genug eigenständige qualifizierte und loyale Beratung der Antragsteller gewährleistet ist und weil sich die Gerichte trotz bestimmter Einzelentscheidungen nicht zu klaren Kriterien durchringen können bzw. wichtige Fragen überhaupt nicht mehr zu den Obergerichten durchdringen oder in Eilentscheidungen komplexe Sachverhalte nicht mehr angemessen ermittelt und zugeordnet werden.

So wird es für alle Beteiligten im konkreten Verwaltungs-vollzug immer schwieriger, Klarheit über Rechte und Pflichten zu gewinnen. Was fehlt, ist die Abgrenzung zwischen transparenten, kalkulierbaren, demokratisch legitimierten Anforderungen an den Bürger als Rechtssubjekt und sozialautoritär bevormundenden Eingriffen durch Behörden und immer zahlreichere beauftragte Einrichtungen in immer mehr Bereiche der Persönlichkeit.

3. Die veränderte Interpretation und Anwendung des §2 BSHG

Die Überbetonung des Nachranggrundsatzes schlägt sich besonders in einer veränderten Interpretation und Anwendung von § 2 BSHG nieder, mit der in der Folge der Leistungs-anspruch und der gesamte Verfahrens- und Sanktionsmechanis-mus des BSHG außer Kraft gesetzt wird.
Genauso, wie sich der Rechtsanspruch im BSHG nicht aus dem allgemeinen Grundsatz des § 4 BSHG, sondern nur im Zusammenhang mit den konkret ausgestalteten Anspruchs-grundlagen in den folgenden Vorschriften ergibt, verwirklicht sich der Nachranggrundsatz nicht allein im § 2, sondern im Zusammenhang mit den folgenden Spezial-vorschriften, die ihn aus den verschiedensten Gründen teilweise wieder außer Kraft setzen oder modifizieren. Nicht umsonst werden ja Rücknahmen derartiger Vorschriften unter dem Stichwort: »Wiederherstellung/Durchsetzung des Nachranggrundsatzes« gefordert, was dann, wenn sich der Nachrang allein aus dem Wortlaut des § 2 BSHG ergäbe, schlicht überflüssig wäre.
Die Frage ist doch nicht nur, ob man sich selbst helfen kann, sondern welche Selbsthilfe verhältnismäßig und zumutbar ist, und das ist besonders in den §§ 15b, 18 und 25, 76 f. und 88, 91 BSHG, in den dazugehörigen Rechtsverordnungen, teilweise auch Empfehlungen des Deutschen Vereins und in § 3 RegelsatzVO und §§ 60 f. SGB I geregelt. Dort finden sich im Regelfall auch Abwägungen in bezug auf Zumutbarkeit und Formvorschriften, und die meisten Sanktionsvorschriften sind nicht als zwingende, sondern als Ermessensvorschriften ausgestaltet oder werden in diese Richtung interpretiert, wie etwa § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Das erfordert unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit abgestuftes Vorgehen und Einzelfall-begründung. Wird dieser Kontext ignoriert und der Leistungsanspruch bereits nach § 2 BSHG versagt, dann kommt es durchgängig zu Rechtsverkürzungen.

4. Beispiele für die Ablehnung der Hilfe aus Gründen des Nachrangs

a) Verweisung auf Unterhalt

Mancherorts ist es Verwaltungspraxis, Neuantragsteller noch vor Aufnahme ihres Antrags zu einer Unterhaltseinzugsstelle zu schicken, um die möglichen, aber bisher nicht realisierten Ansprüchen auf Unterhalt prüfen zu lassen. Das führt in jedem Fall zu einer Verzögerung der Leistungs-gewährung, häufig aber auch zu deren Ablehnung. Dabei ist der Fall selten, daß bedarfsdeckende Unterhaltsleistungen unmittelbar abrufbar sind. In der Regel muß in einem langwierigen Verfahren zunächst der Anspruch durchgeklagt, bisweilen auch mit Hilfe des Gerichtsvollziehers beigetrieben werden. Hierauf können die Hilfesuchenden nicht verwiesen werden; sie haben vielmehr im Regelfall Anspruch darauf, daß das Sozialamt bereits bei erstmaliger Vorsprache - zumindest bis zur Klärung der Unterhalts-ansprüche - die Leistung aufnimmt und den Nachrang dann auf Grundlage von § 91 BSHG gegenüber dem Unterhaltspflichtigen realisiert. Wäre bei einem möglichen, aber noch nicht realisierten Unterhaltsanspruch Sozialhilfe bereits nach § 2 BSHG ausgeschlossen, dann gäbe es für die Spezialregelung des § 91 BSHG, den in vielen Fällen ausgeschlossenen und eingeschränkten Unterhaltsübergang, wie er auch in den Empfehlungen des Deutschen Vereins zu dieser Frage deutlich wird,5 keine Grundlage.

Ein Beschluß des niedersächsischen OVG6 beanstandet eine Variante dieser Praxis: Dort wurde nach dem Sachverhalt sogar einer nachweislich regelmäßig arbeitssuchenden und darüber hinaus »selbsthilfewilligen« Hilfeempfängerin die Leistung nach § 2 Abs. 1 BSHG versagt, nur weil der Träger befürchtete, er könne mögliche Unterhaltsansprüche gegenüber ihrer Mutter nicht realisieren.
Gegen eine Ausdehnung der Verpflichtung einer Unterhalts-berechtigten, auch noch dafür zu sorgen, daß der Unterhalts-verpflichtete leistungsfähig wird, mußte bereits das VG Hamburg Grenzen ziehen.7 Dem Kind und der Partnerin eines erwerbslosen Unterhaltsverpflichteten war durch das Sozialamt die Leistung zum Lebensunterhalt mit der Begründung verweigert worden, sie seien im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 BSHG verpflichtet, an den Unterhalts-verpflichteten zu appellieren, eine unterhaltssichernde Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

b) Verweisung auf künftige Einnahmen/Kreditaufnahme

Die Tendenzen, Sozialhilfe wegen zukünftiger Einnahmen zu versagen, gehen schon sehr weit, wie eine weitere Entscheidung des niedersächsischen OVG beweist.8 Darin wird etwas bestätigt, das bisher als gesichert galt: Einkünfte, die dem Hilfeempfänger erst in Tagen oder Wochen zufließen werden, wie etwa Arbeitslosengeld am Ende des Monats, sind nicht bereite Mittel im Sinne des § 2 BSHG. Der handelnde Sozialhilfeträger hat das aber schon anders gesehen und offenbar als Selbsthilfe in der Zwischenzeit eine Kredit-aufnahme vorausgesetzt. Auch das OVG NRW hat sich im Rahmen von Eilentscheidungen genötigt gesehen, klarzustellen, daß die Ausschöpfung eines Dispokredits aus der Zeit vor dem Sozialhilfebezug nicht zu den im Normalfall zu fordernden Selbsthilfemöglichkeiten gehört.9
Zu Recht hat das niedersächsische OVG darauf hingewiesen, daß derartige Fälle, wenn sie wirklich nur vorübergehend sind, nach § 15b BSHG zu lösen sind, der ansonsten überflüssig wäre.
Doch selbst § 15 b BSHG wird heute in der Praxis dahingehend eingeschränkt, daß ohne die vorgeschriebene Ermessensausübung nur noch Darlehen bewilligt werden, selbst wenn Hilfeempfänger im Anschluß über keine nennenswert höheren Einkünfte verfügen und die Selbsthilfe nur über immer höhere Verschuldung erreicht wird. Eine rechtswidrige Aushöhlung des Grundsatzes der Bedarfsdeckung liegt auch in der Verwaltungsanweisung von Sozialhilfe-trägern, bei Neuantragstellern im Regelfall nur noch Darlehen nach § 15 b BSHG zu bewilligen, weil doch Sozialhilfe nur eine vorübergehende Hilfe sei und nicht zur Dauerleistung werden solle.

c) Wegen Haltens eines Kfz

Überzogen ist auch die schematische Versagung der Hilfe bei Neuantragstellern, die noch ein Kfz halten. Nach jahrelangem Laisser-faire in der Überprüfung, ob überhaupt Kfz gehalten werden (noch 1994 mußte die Aachener Sozialamtsleiterin zurücktreten, weil sie das noch ohne eindeutige Rechtsgrundlagen erstmals intensiver geprüft hat), wird heute das gegenteilige Extrem praktiziert.

aa) Verweisung auf Verwertung von Vermögen

Ein Kfz ist ein Verrnögensgegenstand, und das wird heute auch ermittelt. Aber ob er auch verwertbar im Sinne des § 88 Abs. 2 BSHG ist, das ist erst nach einer gründlichen Prüfung der Voraussetzungen von § 88 Abs. 2 Ziff. 4, Ziff. 810 und § 88 Abs. 3 BSHG im Verlauf des Sozialhilfebezugs zu beantworten. Natürlich kann man jemanden durch Versagung der Hilfe zum übereilten und meist noch verlustreichen Verkauf seines Kfz zwingen. § 88 Abs. 2 Ziff. 4 BSHG würde insofern zwar noch einige Klarstellungen erfordern, aber er gibt auch bisher schon weit über § 2 BSHG hinausgehend genug Ansätze, kurzsichtiges und unverhältnismäßiges Bestehen auf Selbsthilfe zur Sozialhilfeersparnis abzulösen durch abgestuftes Vorgehen und eine nachhaltige Unterstützung künftiger Selbsthilfebemühungen.

bb) Hilfeversagung wegen unklarer wirtschaftlicher Verhältnisse

Darüber hinaus kann das Sozialamt jedes Kfz zum Beweis für verschwiegene Einkünfte und unwirtschaftliches Verhalten umdeuten oder Mitarbeiter anweisen, bei vorhandenem Kfz keinen Sozialhilfeantrag aufzunehmen, wie das auch einzelne Rechnungsprüfungsämter fordern. Sachlich berechtigt ist dieser Generalverdacht bei sparsamem Kfz-Einsatz nicht, und wie man damit erreichen will, daß jemand sich auch nach dem eingetretenen Sozialhilfebezug so gut und bald wie möglich wieder selbst helfen kann, das bleibt das Geheimnis einer immer noch großen Gemeinschaft von hohen Richtern und Verwaltungsbeamten. Mit einer Aneinanderreihung von Rechtsprechung zu Einzelfällen, in denen die Sachverhalte oft darauf hindeuten, daß sich alle Beteiligten die Überprüfung von anderen Anhaltspunkten für Mißbrauchsvorgänge ersparen wollten, läßt sich hier keine Entscheidungslinie finden.

5. Verweisung auf das Erfordernis einer vorgeschalteten Auswegberatung

Eigentlich sollte der Sozialhilfeträger nach § 17 BSHG durch Beratung und Unterstützung zur Vermeidung und Überwindung von Lebenslagen, in denen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erforderlich sind, beitragen; ein Bereich von Beratung, der auch als Auswegberatung umschrieben wird. Dabei sollen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im gleichberechtigten Gespräch gemeinsam Möglichkeiten gesucht werden, die Ursachen von Bedürftigkeit zu bewältigen.11 Bewältigung der Ursachen bedeutet aber nicht Vermeiden und Verzögern der Hilfe zum Lebensunterhalt, und doch wird das dahingehend umgedeutet. Das führt nicht nur in der Praxis zu einer Verweigerung der Antragsbearbeitung mit der Begründung, man müsse erst einmal seinen Beratungstermin bei seinem »Fallmanager« abwarten, das wird auch schon in der Literatur entsprechend vertreten: so führen etwa Berater von Sozialämtern aus, Sozialhilfe sei heute vor allem Dienstleistung, und die allgemeine Zielsetzung der Dienstleistung Sozialhilfe sei die Vermeidung, Überwindung und Reduzierung der Sozialhilfebedürftigkeit.12 Oder noch pointierter: »Bisher ging es in der Sozialhilfe immer um die Frage: Welche Ansprüche hat wer an wen auf welcher Grundlage? Demgegenüber sollte neuerdings das Erstgespräch immer schon konkrete Auswegberatung sein und die Eingangsfrage lauten: Was tun Sie, um Arbeit oder eine kleinere Wohnung zu kriegen? Wie können wir Sie dabei unterstützen?« - denn der Auftrag des Gesetzes sei, »grundsätzlich Sozialhilfe zu verhüten«.'3 Eine immer umfangreichere Hilfeplan- und Casemanagementliteratur setzt mehr oder weniger offen Beratung in Gegensatz zu Bedarfsfeststellung und Gewährung von Geldleistungen durch überprüfbaren Verwaltungsakt.14 Von guten Ratschlägen wird der Mensch aber nicht satt, deswegen kann die Auswegberatung über Selbsthilfemöglich-keiten nicht an die Stelle der Hilfe zum Lebensunterhalt treten, zumal das gleichberechtigte Gespräch und die gemeinsame Suche nach Lösungen etwas dadurch getrübt sein dürften, daß eine Partei in ihrer Existenz bedroht ist. Gerade mit der übereilten Einführung des § 17 BSHG, der richtig verstanden nur eine spezielle Ausgestaltung der persönlichen Hilfe nach § 8 BSHG betont, wäre eine Klarstellung zur Auswirkung auf die Leistungsbearbeitung und zu möglichen Reaktionen auf die Nichtwahrnehmung eines solchen Beratungsangebots notwendig gewesen,'5 denn weder bei der Gesetzgebung zum BSHG noch zum SGB I hat man wohl vorhergesehen, daß es eine Entwicklung geben würde, wo die Annahme von persönlicher Hilfe und Beratung durch Verzögerung oder Einstellung von existenzsichernden Leistungen erzwungen würde.
Und auch eine Praxis etwa aus Remscheid, wo Antragstellern geraten wurde, in den ein bis zwei Wochen, die sie auf einen Besprechungstermin beim Sozialamt warten müssen, ihren Hunger doch am kostenlosen Mittagstisch der
»Remscheider Tafel« im Wege der Selbsthilfe zu stillen, soll zwar nicht mehr fortgeführt werden, aber wohl weniger aus grundsätzlichen rechtlichen Erwägungen als wegen des Protests aus der Wohlfahrtspflege.

6. Verweisung auf Erwerbstätigkeit

Die stärkste Überdehnung des Nachrangprinzips ist aus Hamburg durch Berichte und auch die in dieser Zeitschrift schon vielfach kritisierte Rechtsprechung und Verwaltungs-praxis'6 dokumentiert: Dort haben arbeitsfähige Personen nach Auffassung der Behörde und des OVG schon wegen § 2 BSHG keinen Hilfeanspruch, weil sie sich wegen des Vorhandenseins einer Tagesjob-Vermittlung des Arbeitsamts und zahlreicher Teilzeitarbeitsfirmen selbst helfen können. Ihr Anspruch auf Bedarfsdeckung wird bereits durch Verweis auf die abstrakte Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vernichtet, und zwar noch nicht einmal durch Verweis auf vernünftige Arbeitsstellen, sondern ausschließlich auf prekäre Arbeitsstellen mit eingeschränkten Rechten. Diese Praxis schlägt sich inzwischen im Benchmarkingvergleich der Großstädte in einer überproportionalen »Verbesserung«, d.h. Absenkung der Fallzugangsquote nieder.'7
Und das Beispiel Hamburg macht Schule. Vielfach wird der dortige OVG-Beschluß in internen Sozialamtsfortbildungen als herrschende Rechtsprechung zur Anwendung des Nachranggrundsatzes vorgestellt.
So liegen bereits Berichte von weiteren Sozialhilfeträgern vor, wo keine aktuelle Aufnahme und Prüfung von Hilfe-anträgen mehr stattfindet, eine »Beweislastumkehr« bei der Bedürftigkeit von Erwerbslosen praktiziert wird und der aktuelle Bedarf durch Aushändigung einer Liste von Zeit-arbeitsfirmen und der Tagesjobvermittlung des Arbeitsamts zur Stimulierung der Selbsthilfebemühungen gedeckt wird. In der Stadt Neuss etwa werden Anträge von arbeitsfähigen Hilfesuchenden nicht mehr angenommen, sondern folgendes Merkblatt verteilt:
»Zur Bearbeitung Ihres Antrags setzen Sie sich bitte innerhalb der nächsten drei Arbeitstage nach Aushändigung dieses Merkblatts mit dem für Sie zuständigen Sachbe-arbeiter in Verbindung, damit eine evtl. Bewilligung ab dem heutigen Tage erfolgen kann. Sofern Sie diese Frist nicht einhalten, kann Ihre heutige Vorsprache bei der Info-Theke nicht mehr als Antragsdatum gelten. Halten Sie möglichst folgende Unterlagen bereit, da diese für die Prüfung und ggf. Berechnung Ihres Sozialhilfeanspruchs von Bedeutung sein können.
- Nachweis über Vorsprachen bei der Jobvermittlung/Schnelldienst des Arbeitsamtes Neuss....
- mindestens 10 Nachweise über Vorsprachen bei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen (Adressen siehe Anlage)
- Personalausweis ... usw.«
In der Anlage sind die Adressen von 16 Zeitarbeitsfirmen, auch aus Nachbarstädten, aufgeführt, von denen zumindest eine bereits nicht mehr existiert.

7. Rechtliche Grenzen des Nachrangs bei Verweis auf Erwerbstätigkeit

a) Spezialität des § 18 f. BSHG

Solange, wie bisher, § 18 in Verbindung mit § 25 BSHG als spezielle Ausformung des Nachranggrundsatzes bezüglich der Erwerbsobliegenheit anerkannt wurde, mußte sich jemand erst einmal weigern, eine konkrete, zumutbare Arbeit anzunehmen oder sich um zumutbare Arbeit zu bemühen, bevor in einem überprüfbaren Verwaltungsverfahren zeitlich nach der Entscheidung über die Leistung über Anspruchswegfall oder eine Kürzung nach § 25 Abs. 1 BSHG entschieden wurde.
Nur so läßt sich ein Rechtsschutz gewährleisten, in dem die individuellen Bedingungen im Konflikt zwischen Behörde und Bürger eine Chance haben, ausreichend gewürdigt zu werden.
Wird dagegen bei Konflikten um Zumutbarkeit und Intensität von Erwerbsbemühungen, ja schon bei vagen Erwerbs-und sonstigen Einkommenschancen bereits der Anspruch auf Leistung nach § 2 BSHG verneint, werden die Hilfe-bedürftigen von Anfang an durch die damit verbundene existentielle Bedrohung in eine Situation gebracht, in der sie ihre Bedürfnisse gar nicht mehr geltend machen, keine nachhaltigen Selbsthilfeaktivitäten mehr entwickeln können, sondern sich unter Bedingungen auf Arbeitssuche begeben müssen, die eher dem ausgehenden 19. Jahrhundert oder dem Ende der 30er Jahre entsprechen.
Auch die Ausübung des Ermessens, das die Rechtsprechung entsprechend dem Hilfeauftrag bei der Anwendung des § 25 Abs. 1 BSHG annimmt,18 vor allem ein abgestuftes Vorgehen bei Kürzungen, verliert bei dieser veränderten Sichtweise die Grundlage.

Dagegen beruft man sich in Neuss außer auf Hamburg auch auf eine bis heute unveröffentlichte Eilentscheidung des OVG NRW, die man mit dieser Verwaltungspraxis umsetzen wolle. Doch die hat sich nicht mit dieser Praxis, sondern - wenn man dem kargen Sachverhalt folgt - mit den fehlenden eigenständigen Suchbemühungen eines Erwerbsgeminderten aus Minden befaßt. Allerdings findet sich in dem bisher unveröffentlichten Beschluß folgende Ausführung: »Danach muß ein sozialhilferechtlicher Bedarf u. a. wegen eines Einkommens verneint werden, das zu erzielen dem Hilfesuchenden zuzumuten ist ... Der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 BSHG greift bei der Selbsthilfe - anders als bei der Hilfe durch andere - schon dann, wenn der Hilfesuchende sich selbst helfen >kann<, er also die Möglichkeit hat, eine Arbeit aufzunehmen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob er auch von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. «19
Sollte damit wirklich eine Praxis wie in Hamburg oder Neuss bestätigt werden, dann wäre zu wünschen, daß dies weder in unveröffentlichten noch in Eilentscheidungen geschieht. Inhaltlich gelten gegenüber der weiten Auslegung des § 2 BSHG die gleichen Einwände wie sie gegen die Hamburger Praxis vorgebracht werden.

b) Der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Selbsthilfe

Eine negative Konsequenz der direkten Anwendung von § 2 BSHG und der Außerachtlassung der speziellen Regelungen wie etwa in den § 18 f. BSHG liegt nicht zuletzt in der Nichtbeachtung differenzierter Kriterien für die Zumut-barkeit der Selbsthilfe. Entscheidet der Sozialhilfeträger in unmittelbarer Anwendung der Regelung des § 2 BSHG, wird der Schutzzweck des § 18 Abs. 3 BSHG unterlaufen. Wird dann aber im Rahmen der Prüfung eines ungeschriebenen Tatbe-standsmerkmals der Zumutbarkeit die Wertung des § 18 Abs. 3 BSHG übernommen, stellt sich zwingend die Frage, warum dann nicht auch § 25 Abs. 1 BSHG für die Entscheidung über den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt maßgeblich sein sollte.
Wie unzumutbar der Verweis gerade auf fiktive Angebote von Zeitarbeitsfirmen sein kann, macht eine jüngste Entscheidung des Arbeitsgerichts Bremen20 deutlich, in der die Ausnutzung der Zwangslage einer Arbeitslosen, Lohnwucher und fragwürdige Vertragsstrafenregelungen beanstandet wurden. Die Klägerin in dem Verfahren war offenbar gegen ihren Willen und trotz gesundheitlicher Probleme in eine Fischfabrik geschickt worden.
Differenziert ist die Zumutbarkeitsfrage bisher auch im Zusammenhang mit den Regelungen im SGB III (früher AFG)
diskutiert worden, wo gute Gründe für die sozialpolitische Fragwürdigkeit von Leiharbeit wie auch ihren Nutzen im Einzelfall angeführt wurden.21 Auch der neuerliche Runderlaß der Bundesanstalt für Arbeit vom 14.7.2000 über die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Verleihern22 betont, daß nur konkrete Stellenangebote des Verleihers an die Arbeitsvermittlung, die ausführlich schriftlich beschrieben sein müssen, geeignet sind, mit Rechts-folgenbelehrung einzelnen Arbeitslosen angeboten zu werden, und daß die sog. Poolbildung von Daten von Arbeitslosen nur zum Zwecke einer zukünftigen privaten Arbeitsvermittlung im Rahmen der Zusammenarbeit unzulässig ist.
Alle diese Bedingungen sind richtigerweise bei der Anwendung von § 25 BSHG im Einzelfall zu überprüfen. Die pauschale Versagung von Hilfe nach § 2 BSHG verstößt demgegenüber nicht nur gegen den Grundsatz der Bedarfsdeckung, sondern beeinträchtigt auch die Rechte von Hilfesuchenden im Arbeitsleben.

c) Weitere Beispiele überzogener Erwerbsobliegenheit

Wer das Prinzip der Bedarfsdeckung derartig in Frage stellt, der kennt bald auch keine Grenzen der körperlichen Unversehrtheit mehr, worauf der Sachverhalt aus dem Beschluß des OVG Hamburg23 hindeutet. Dort war einem 57jährigen, an Diabetes mellitus Erkrankten von der Hamburger Behörde die Krankenhilfe nach § 37 BSHG für ärztliche Behandlung und Medikamenten verweigert worden. Die Behörde ging dabei davon aus, der - damals noch sozialversicherungsfrei - geringfügig Beschäftigte habe es im Rahmen seiner Selbsthilfemöglichkeiten schuldhaft unterlassen, rechtzeitig eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen, und habe damit wegen § 2 BSHG auch keinen Anspruch auf Krankenhilfe.
Das Bedrückende dieses Falles liegt darin, daß selbst bei akuter Erkrankung die Hilfe erst durch zwei Instanzen erstritten werden mußte. Und leider läßt das OVG Hamburg, seiner grundlegenden Rechtsauffassung folgend, sogar noch offen, wie es die Selbsthilfeverpflichtung bei Kranken-hilfeansprüchen nach dem 1. April 1999 - nach dem auch geringfügige Beschäftigungen sozialversicherungspflichtig sind - beurteilen würde.

Eine wegen des Verweises auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ebenfalls hier einzuordnende, etwas harmlosere Variante ist auch das gerade bekanntgewordene Modell Berlin-Neukölln. Dort hatte das Bezirksamt mehrere Jahre schulpflichtigen Hilfeempfängern ab 18 Jahre zu Beginn der Sommerferien
folgenden Hinweis zur Kenntnis vorgelegt: »Für volljährige Schüler kann die Sozialhilfe nicht automatisch für die Dauer der Sommerferien gezahlt werden. Bemühen Sie sich bitte rechtzeitig um einen Ferienjob. Die Weiterzahlung erfolgt nach Vorlage einer neuen Schulbescheinigung nach den Sommerferien.« Die Sozialhilfe wurde dann zu Beginn der Ferien eingestellt, und die Behörde berief sich dabei auf ein bestätigendes Urteil des Verwaltungsgerichts von 1996, das nicht nur unveröffentlicht war, sondern bei näherer Nachforschung auch nicht existierte.
Das Verfahren ist seit Sommer 2000 ausgesetzt - aber nicht aufgrund rechtlicher Kontrolle, sondern wegen der sich häufenden politischen Kritik.24

8. Verweisung auf Angebote von Arbeitsgelegenheiten

Am problematischsten ist gegenwärtig jedoch die Ausweitung der Mitwirkungspflichten, die darauf hinausläuft, eine eigens geschaffene, meist gemeinnützige Arbeitsgelegenheit in dem expandierenden öffentlich geförderten Beschäf-tigungssektor anzunehmen.
Die Verpflichtung, sich eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu suchen, stößt ja gegenwärtig bald an die Grenze, daß zu wenig geeignete Arbeitsplätze vorhanden oder bekannt sind, daß bei Sozialhilfebeziehem auch vermittlungs-hemmende Merkmale vorliegen können, die einen Arbeitgeber abhalten, ihn einzustellen, und daß es vermehrt eben auch unseriöse Arbeitsangebote gibt, die man aus guten Gründen nicht annehmen sollte und muß.
Nun steht im BSHG neben der Erwerbsobliegenheit die Hilfe zur Arbeit mit den verschiedenen, außerhalb des Marktes geschaffenen Arbeitsgelegenheiten, die vornehmlich nach § 19 BSHG als Integrations- und Hilfsangebote kompensieren sollen, wenn normale Arbeit nicht gefunden werden kann. Hier stellt sich zunächst das Verständnis von der Obliegenheit anders: Kann die Annahme eines Angebots, das eigentlich individuelle Hilfe bei der Entwicklung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit darstellen und zur nachhaltigen Eingliederung ins Arbeitsleben geeignet sein soll, mit der Androhung der Einstellung der Zahlung genauso erzwungen werden wie die Arbeitsaufnahme auf dem regulären Arbeitsmarkt? Vor allem Krahmer hat Anfang der 80er Jahre mit vielen guten Gründen dagegen argumentiert, die Annahme dieser Hilfe, vor allem wenn sie, wie bei der Mehrauf-wandsvariante, mit verminderten Rechten ausgestattet war, durch Versagung der Sozialhilfeleistung erreichen zu wollen.25 Er konnte sich nicht durchsetzen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung festgestellt hatte, daß Arbeiten als solches - ganz gleich auf welchem Weg hierzu Gelegenheit geboten werde - ein Mittel sei, einen Hilfesuchenden in seinem Selbsthilfe-streben zu unterstützen und ihm Gelegenheit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu geben.26 Es kommt aber doch auf den Weg und die Bedingungen von Arbeit an, vor allem in einer Zeit, in der arbeits- und tarifrechtlicher Schutz so demontiert werden wie heute. Trotzdem hat der Gesetzgeber diese Auffassung 1993 mit der Änderung in §§ 18 Abs. 1, 25 Abs. 1 BSHG nachvollzogen.27 Auf dieser Grundlage ist das Hilfeangebot aber nicht mehr verbessert, sondern nur noch vielhunderttausendfach vermasst worden, und es hat Politiker und Verwaltungen errnuntert, die das Angebot zunehmend nicht mehr als Eingliederungshilfe verstehen, sondern als Gegenleistung für die ansonsten zu zahlende Sozialhilfe. Die bis hin in die Lohnermittlung völlig von den öffentlichen Zuwendungen abhängigen Beschäftigungs-gesellschaften haben dabei oft genausowenig die Möglichkeit zur freien Vertragsgestaltung und zur Entwicklung sinnvoller Arbeitsplätze wie die betroffenen Bürger. Weil das alles noch etwas unterschiedlich nach Zielgruppen begründet und ausgestaltet wird, soll in der Folge weiter zwischen Arbeitsgelegenheiten für junge Erwachsene und denen für die übrige Bevölkerung unterschieden werden.

a) Die Angebote der Hilfe zur Arbeit für junge Erwachsene

Hier ist eine Verfahrensweise angesprochen, die nicht nur in Köln praktiziert wird, aber am Beispiel des Kölner
»Arbeit sofort« Angebots28 ausführlich dargestellt und analysiert wurde. Die Antragsteller werden dabei zwar nicht auf den prekären allgemeinen Arbeitsmarkt, aber zwingend auf ein Arbeits- und Beratungsangebot verwiesen, das vergleichbar schlechte Arbeitsbedingungen bietet und das nach Auffassung der Akteure zur Anspruchsvernichtung nach § 2 BSHG führt. Die Maßnahmen richten sich vornehmlich an Jugendliche und junge Erwachsene bis etwa 25 Jahre, sind mit pädagogischen Ansprüchen und Konzepten überfrachtet, die unklare Arbeits- und Verhaltensanforderungen verschleiern, und werden mit der Verwahrlosung oder der mangelnden produktiven Arbeitsleistung des Klientels gerechtfertigt, das eingegliedert werden soll. Als Arbeitgeber fungieren hier oft ehemalige Träger der Jugendberufshilfe, die, von ihren bisherigen Erfahrungen mit diesen Maßnahmen frustriert, die Gründe für plötzlich freimütig eingestandene bisherige Mißerfolge beim widerspenstigen Klientel suchen und den durch das Sozialamt hergestellten Zwangszusammenhang oft sehr zu schätzen wissen.
Die Gesamtaufwendungen für diese Arbeitsplätze sind - anders als bei Typ Hamburg - relativ hoch und belaufen sich, wenn man Angaben zusammennimmt, auf über 3000,- DM pro Monat und Arbeitsplatz, wovon allerdings weniger als die Hälfte dem Hilfebedürftigen zufließt, dessen notwendiger Lebensunterhalt durch die Nettoauszahlung damit noch nicht einmal vollständig gedeckt wird.29 Die Aufwendungen werden allerdings wieder dadurch kompensiert, daß sich viele Betroffene, und zwar auch Arbeitswillige, von dieser Bevormundung derart abgeschreckt fühlen, daß sie aus dem Hilfebezug ausscheiden.

Mitarbeiter und Geschäftsführer des in den Projekten besonders engagierten Internationalen Bundes für Sozialarbeit (IB) übernehmen dabei mit Billigung des Sozialamts auch gleich die Aufgabe der Gesetzesauslegung zum Verhältnis von § 2 und § 25 BSHG:
»Vielfach wird in irriger Weise angenommen, daß jedem mittellosen Nachfrager im Sozialamt grundsätzlich zunächst Sozialhilfe zu gewähren sei. Wird die Arbeitsaufnahme verweigert, könne allenfalls eine stufenweise Kürzung ... nach § 25 BSHG erfolgen. Der Sachverhalt Arbeitsver-weigerung stellt sich nach dem Gesetz und der geltenden Rechtsprechung aber wie folgt dar: Der Anwendungsbereich des § 25 Abs. 1 BSHG unterscheidet sich von § 2 Abs. 1 BSHG in der Form, daß § 25 BSHG nicht als Sanktionsvorschrift, sondern als Hilfenorm zu verstehen ist .... Macht der Antragsteller glaubhaft, neben der Hilfe zum Lebensunterhalt auch Hilfe für den Weg zur Selbsthilfe (§§ 18-20, 25 Abs. 1 BSHG) zu benötigen, kann er nicht auf die Selbsthilfemöglichkeit des § 2 Abs. 1 BSHG verwiesen werden. ... § 25 Abs. 1 BSHG ist keine den § 2 Abs. 1 BSHG ausschließende Spezialregelung. ... Kann der Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft machen, daß er Hilfe zur Arbeit benötigt, kann er auf die Möglichkeit der Selbsthilfe durch Arbeitsaufnahme nach § 2 Abs. 1 verwiesen werden. Auf dieser Möglichkeit basiert das Programm >Arbeit sofort«<.30
»Arbeit sofort« ist mit besonderer Förderung durch das Land NW inzwischen im Rahmen von »Sprungbrett« auf die ganze Stadt Köln ausgeweitet worden. 7 Träger bieten gegenwärtig ständig ca. 450 derartige Plätze an, damit jeder mögliche Antragsteller »jederzeit sofort« eine Arbeit unter den immer gleichen geschilderten Bedingungen aufnehmen kann. Anträge auf Sozialhilfe werden neuerdings nur noch an die Job-Börse »Junges Köln« als insoweit »zuständige Stelle« weitergeleitet, und diese Stelle muß, wenn sie keine anderen Angebote hat, die Jugendlichen in die Maßnahmen schicken, damit ihnen auf keinen Fall auch nur einen Tag Hilfe zum Lebensunterhalt ausgezahlt werden muß. Bei diesen Maßnahmen werden selbst hohe Zusatzausgaben nicht gescheut: So hat der Rat in Köln inzwischen die Schaffung einer eigenen Stelle im Gesundheitsamt zur amtsärztlichen Betreuung nur für Maßnahmeteilnehmer geschaffen, denen damit die freie Arztwahl beschnitten wird.

Ähnlich geht man in anderen Städten vor; »Job direkt« soll das Modell in Aachen heißen, »Arbeit direkt« heißt es in Düsseldorf, wobei nirgends Arbeitsverhältnisse im üblichen Sinn geplant sind. Beim Düsseldorfer Beschäftigungsträger, der Jugendberufshilfe e.V., ist der Sozialdezernent auch gleich als Vorsitzender und damit »Arbeitgeber« tätig und hat vermutlich auch dafür gesorgt, daß während der Maßnahme nur 1,50 DM pro Stunde Mehraufwandsentschädigung geleistet wird. Er möchte, wie er in einem Zeitungsinterview gesteht, die Stadt mit dieser Maßnahme von der schweren finanziellen Bürde der vielen Sozialhilfeempfänger entlasten.31 Auch das Krefelder Modell CaseManagement scheint einen vergleichbaren Verfahrensablauf zu haben. Dort wird allerdings kritisiert, daß das zuständige Verwaltungs-gericht die völlige Einstellung der Zahlung an unwillige Jugendliche noch gelegentlich durch (unveröffentlichte) Eilentscheidungen behindere.

b) Insb.: Die konsequente Familienhaftung

Sozialhilferechtlich bedenklicher ist, daß das Kölner Modell, und vermutlich auch die anderen, sozusagen zwangsläufig in eine neue Art Familienhaftung einmündet. Wenn der Jugendliche - ob mit guten Gründen oder nicht, es gibt da sehr verschiedene Fallgestaltungen - nicht bei der Job-Börse erscheint, die Maßnahme nicht antritt oder abbricht, werden im Sozialhilfebescheid der Eltern oder des Elternteils ohne vorherige Androhung oder Begründung nicht nur der Regelbedarf für den betreffenden Jugendlichen auf Null gestellt, sondern auch die Unterkunfts- und Heizkosten um seinen Anteil gekürzt, was je nach Größe der Gemeinschaft bis zur Hälfte der Aufwendungen gehen kann.
Weil die Miete aber weiter fällig wird (z.T. sogar vom Sozialamt weiter in voller Höhe direkt an den Vermieter überwiesen wird) und die Eltern ihre Kinder meist nicht verhungern lassen wollen und weiter versorgen, stehen die Familien bald insgesamt am Rand des finanziellen Abgrunds und verschulden sich, um zu überleben, oder der Jugendliche taucht ab.
Wer Widerspruch einlegt, wird darüber beschieden, daß er mit einem Sohn / einer Tochter zusammenlebt, die das Angebot der Stadt nicht angenommen haben und sich offenbar selbst helfen können und deshalb nach § 2 BSHG keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben. Was den Unterkunftsanteil anbetrifft, wird ausgeführt, daß bei einer Berücksichtigung des Gesamtbetrags auch Sohn oder Tochter mittelbar Kosten der Unterkunft und damit Sozialhilfe erhalten würden. Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sei jedoch die Miete grundsätzlich auf die Anzahl der im Haushalt lebenden Personen zu gleichen Anteilen aufzuteilen und es sei einem Hilfeempfänger auch regelmäßig möglich und zuzumuten, von Mitbewohnern, die keine Sozialhilfe erhalten, einen Mietanteil einzuziehen.
§ 25 Abs. 3 BSHG, die Auswirkung der Kürzung auf die in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen, wird konsequent vom Standpunkt des Trägers aus nicht mehr geprüft, weil man ja von § 2 BSHG ausgeht.
Die Entscheidung des VGH Baden Württemberg32 hat aus gegebenem Anlaß die Schutzwirkung des § 25 Abs. 3 BSHG für Familienmitglieder bei Sanktionen selbst gegenüber arbeitsunwilligen Hilfeempfängern wieder in Erinnerung gerufen. Eine Haftung von Familienangehörigen ist im Gesetz nicht begründet, weswegen die völlige Einstellung der Regelsatzleistung selbst bei dem Vater einer 6jährigen Tochter, der sich über einen längeren Zeitraum geweigert hatte, eine zumutbare Halbtagsbeschäftigung anzunehmen, zum Schutz der Tochter beanstandet wurde. Das gilt auch umgekehrt für die Eltern von Jugendlichen.
Aber auch diese relativ eindeutige Vorschrift wird umgangen, wenn die Leistung beim wirklich oder vermeintlich Arbeitsunwilligen nach § 2 BSHG nicht zum Entstehen kommt.

c) Die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung nach § 19 Abs. 2, 2. Alt. BSHG.

Unter dem Aspekt der Umformung des Nachrangprinzips noch genauer zu untersuchen sind Modelle, die publizistisch in der Bundesrepublik als besonders innovativ geradezu gefeiert werden, bei denen nicht nur Jugendliche, sondern Arbeitsfähige aller Altersgruppen bis hin zu Behinderten und Suchtabhängigen möglichst keine Sozialhilfeleistung bekommen, sondern zu ihrer Selbsthilfe in eine oder mehrere Beschäftigungsgesellschaften eingegliedert werden. Stellvertretend seien hier die Städte Lübeck und Leipzig genannt, die dies früh offensiv vertreten haben, wobei sich die Praxis in vielen weiteren Kommunen mangels echter Arbeitsalternativen diesen Modellen immer mehr annähert, z. B. in Essen mit der neuen Säule des Programmes ProChip, wo für das Jahr 2001 ca. 1200 neue »2.-DM-Jobs« bis zur Dauer von einem Jahr geplant sind. Die Losung »Arbeit statt Sozialhilfe«, mit der ursprünglich echte Arbeitsverträge zu üblichen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen angeboten wurden, ist hier schleichend umgewandelt worden in ein flächendeckendes Angebot »gemeinnützige Arbeitsgelegenheit vor Sozialhilfebezug«.
Der bfb (Betrieb für Beschäftigungsförderung) in Leipzig ist ein solcher Betrieb und mit zeitweise 5500 bis 6000 Beschäftigten der größte Betrieb in der Stadt. Er ist inzwischen zu einem undurchdringlichen Machtapparat mit vielfältigen Abhängigkeiten geworden, den selbst staats-anwaltliche Ermittlungsverfahren nur schwer aufbrechen können.33 Prinzipiell wird dort jeder arbeitsfähige Sozialhilfeantragsteller dem bfb zugewiesen und zunächst und offenbar auch längere Zeit auf Basis der Mehrauf-wandsentschädigung beschäftigt. Die vom ehemaligen Bundespräsidenten Herzog beauftragte Bertelsmann Stiftung empfiehlt übrigens in voller Kenntnis des Verfahrens, dem Leipziger Modell eine positive Vorreiterrolle für ganz Deutschland zukommen zu lassen.34

d) Insb.: Die Konsequenz fehlerhafter Heranziehungsbescheide

In erster Instanz beschäftigt sich das Arbeitsgericht Leipzig35 mit der unzulässigen Art und Weise der Arbeitnehmerrekrutierung in diesem Betrieb. Weil in diesen Fällen Sozialhilfe nach § 2 BSHG verweigert wird, übersieht man selbst die mit der Rechtsprechung des Bundesver-waltungsgerichts von 1983 aufgestellten Erfordernisse an die Form und den Inhalt, dem die Aufforderung zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit als Verwaltungsakt genügen muß, bevor der § 25 BSHG angewandt werden kann. Das gilt auch, wenn zur Arbeit an einen gemeinnützigen Träger verwiesen wird.36 Da wird ohne weitere Begründung in einen privatwirtschaftlich organisierten Betrieb geradezu abkommandiert, um dort auch über längere Zeiträume 8 Stunden am Tag mit Mehraufwendungsentschädigung von 2.- DM pro Stunde beschäftigt zu werden.
Das Arbeitsgericht Leipzig zieht den Schluß, daß ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis auf dieser Grundlage nicht entstehen kann und bestätigt das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses.
Merkwürdig bleibt nur, daß es nicht möglich sein soll, die Tätigkeitsmerkmale dieser Beschäftigung festzustellen, was in seriösen Arbeitsverhältnissen eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten dürfte. Das beweist aber um so deutlicher, daß bei diesem Rechtsverstoß nicht nur kein Ermessen bei der Auswahl nach § 19 Abs. 2 BSHG mehr ausgeübt wird, sondern auch die Begründung in bezug auf Zumutbarkeit der geforderten Tätigkeit und des Arbeitsumfangs, Verhältnismäßigkeit und vor allem auch Zusätzlichkeit der Arbeit unterbleibt und die Betroffenen insoweit rechtlos gestellt werden.
Nicht nur Arbeitsgerichte beschäftigen sich in jüngster Zeit mit den Folgen fehlerhafter Zuweisung, sondern vor allem Verwaltungsgerichte.
Das VG Kassel37 sieht aufgrund einer ebenfalls rechtswidrigen Arbeitsaufforderung, das Recht der Antragsteller, weiterhin ungekürzte Sozialhilfe zu beziehen, als gegeben an. Der Sachverhalt macht deutlich, daß in diesem Fall nicht nur das Merkmal der Zusätzlich-keit, sondern auch die Geeignetheit der Maßnahme zweifelhaft waren, weil die Antragsteller nicht nur aktiv arbeitssuchend waren, sondern sogar einer Teilzeitbe-schäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt nachgingen, die durch die Ableistung der Arbeitsmaßnahme gefährdet wurde. Wegen eines aus den gleichen Gründen rechtswidrigen Bescheids stellt das VG Weimar38 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Heranziehungsbescheid wieder her.

Alle Entscheidungen machen deutlich, daß der Einsatz der nicht mehr hinreichend begründeten, flächendeckend statt Hilfe zum Lebensunterhalt angebotenen Mehraufwandsvariante offenbar wieder im Vormarsch ist. Deshalb ist auch die jüngste Entscheidung des VG Freiburg39 von besonderer Bedeutung. Dort wurde einem Hilfeempfänger als Selbsthilfemöglichkeit angeboten, statt Auszahlung von Hilfe durch Arbeitsleistungen beim Verein zur Förderung kommunaler Arbeits- und Beschäftigungsmaßnahmen (VABE) jeweils täglich einen Anspruch auf Auszahlung seines Tagessatzes an Hilfe zum Lebensunterhalt zu erreichen. Das stellt, wie das Gericht zu Recht feststellt, kein echtes Arbeitsverhältnis und damit keine Selbsthilfemöglichkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 BSHG dar, sondern eine vom Gesetz nicht gedeckte Bedingung für die Auszahlung von Sozialhilfe.

9. Das neue Paradigma: »Arbeiten für die Sozialhilfe«

Gemeinnützige Arbeit nicht mehr als Hilfeangebot, sondern als Gegenleistung für erhaltene Sozialhilfe - das ist in der
Tat die Vorstellung, die den sich inflationär erweiternden Angeboten von Arbeit sofort und für jeden zugrunde liegt, die nach § 2 BSHG den Anspruch auf Geldleistung zur Existenzsicherung unterlaufen sollen.
Daß dazu bisher die rechtliche Grundlage fehlt, das ist nicht nur eine Einsicht des VG Freiburg.40 Das ist auch den Arbeits- und Sozialministern der Bundesländer bewußt, die auf ihrer Konferenz am 25./26. Oktober 2000 in Kiel auf Antrag zweier rot/grün regierter Bundesländer einmütig festgestellt haben, daß Sozialhilfe »die effiziente Abwicklung von Zahlungsvorgängen nicht als Kerngeschehen betrachten« dürfe, wobei »früher die ausreichende Bemessung der Hilfe im Hinblick auf die Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums und die effiziente Abwicklung der monetären Leistungen im Mittelpunkt« gestanden habe. Demgegenüber müsse sie heute vorrangig Hilfeempfänger vor allem befähigen, ein Leben ohne Sozialhilfe zu führen. Und weiter: »Das setzt voraus, dass diesem Hilfeanspruch rechtlich und tatsächlich die Mitwirkungsverpflichtung der Hilfeempfänger gleichgewichtig gegenübersteht. Sozialhilfe sollte in diesem Sinne so weit wie möglich zu einer Leistungsbeziehung auf Gegenseitigkeit ausgestaltet werden.«41 Wenn das Gesetz, trotz vielfältiger Mitwirk-ungspflichten, erst so ausgestaltet werden soll, dann wird damit ja zugestanden, daß es in seiner bisherigen Ausgestaltung keine Grundlage dafür bietet.
Bezeichnend ist, daß im ganzen Text die Zielsetzung des bisherigen BSHG, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, nicht mehr auftaucht. Die Forderung nach Umgestaltung der Sozialhilfe nach Gegenleistungsprinzipien ist nichts anderes als das Eingeständnis, echte Arbeitsplätze, auf die man ja nach der gegenwärtigen Rechtslage immer verweisen kann, nicht mehr schaffen zu können und zu wollen, ja sie wird dazu beitragen, reguläre Arbeitsstellen für öffentliche und gemeinnützige Dienstleistungen noch weiter zu vernichten, als das heute schon der Fall ist. Eine solche Reform hätte grundsätzliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die von wirtschaftsliberaler Seite bereits erkannt und befürwortet werden: »Eine Reform der Sozialhilfe hätte den Charme, daß sie weitere Änderungen fast zwingend nach sich zöge: Wenn von den Antragstellern verlangt wird, daß sie einen Teil ihres Unterhalts selbst verdienen, dann wird man sie aus der Tarifbindung und aus den Regularien eines rundum >ordentlichen< Arbeitsverhältnisses entlassen müssen.«42

Es wird eine Diskussion darüber zu führen sein, ob der Nachrang der Sozialhilfe zum Vorrang eines sozialen Arbeitsdienstes, zum Vorrang für entrechtete, unterwertige Beschäftigungsverhältnisse werden soll, vermittelt durch Sozialleistungsträger, die statt existenzsichernder Geldleistung nur noch diese zweifelhafte Dienstleistung erbringen. Der Nachrang der Sozialhilfe darf nicht zum Vorrang der Hilfeverweigerung und unzumutbarer Anforderungen werden.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu auch H. Spindler, Beratung und persönliche Hilfe in der Sozialarheit, in: K.-H. Lehmann (Hrsg.), Recht sozial: Rechtsfragen der Sozialen Arbeit, Hannover 2000.S.355 f.
2 Schulte/Trenk-Hinterberger, Sozialhilfe, 2. Aufl. 1986, S.39 f.
3 Schulte/Trenk Hinterberger (Fn. 2), S.46; BVerwG, Urteil vom 24.6.1954, BVerwGE 1, 159f.
4 Münder, Zukunft der Sozialhilfe - Sozialpolitische Perspektiven nach 25 Jahren BSHG, Münster 1988, S.21.
5 Deutscher Verein, Empfehlungen für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger, NDV 2000, 5. 129 f., FuR 2000, S.309 f.
6 NdsOVG, Beschluß vom 3.7.2000 - 4 L 1967/00, info also 2001, Heft 1, 5.33.
7 VG Hamburg Beschluß vom 3.3. 1998, NJW 1999, 5.2386-2387.
8 NdsOVG, Beschluß vom 21.12.1999, NDV-RD 2000, S. 36-37.
9 OVG NRW Beschluß vom 10.4.2000, info also 2000, Heft 3, S. 150-151.
10 BVerwG Urteil vom 19.12.1997, NDV-RD 1998, S. 56.
11 BT-Drs. 12/4401, S.78.
12 Kennzahlenvergleich 1998, S. 5 und Kennzahlenvergleich 1999, S. 4, 5, Hilfe zum Lebensunterhalt der (15) 16 deutschen Großstädte, con-sens Hamburg 1999 und 2000.
13 W. Hinte, Zukunftsmodell: »Amt für Arbeit, Einkommen und Existenzsicherung« - für eine gestaltende Sozialverwaltung, TuP 1999, S. 176f.
14 Vgl. etwa M. Urban, Hilfeplanung in der Sozialhilfe - von der Behörde zum Dienstleistungsamt Sozialhilfe, NDV 1999, S.55 f.
Kritisch zu dieser Entwicklung: H. Spindler, Benchmarking - Wettbewerb unter den Kommunen, Neue Steuerung in der kom
munalen Sozialhilfeverwaltung und die Folgen für die Hilfeempfänger, Sozialer Fortschritt 1999, S. 310f.
15 H. Spindler (Fn. 1), S. 366.
16 info also 1999, S.47, S. 175f.; 2000, Heft 1, S.61; D. Schoch, Hilfe zur Arbeit, Verlust des Anspruchs auf Sozialhilfe oder Kürzung der Sozialhilfe, ZfF 1999, S. 127 f.
17 Kennzahlenvergleich 1999 (Fn. 12), S. 18, 19.
18 Zusammenfassend dazu U. Krahmer, in: LPK-BSHG, 5. Aufl., § 25 Rn. 7.
19 OVG NRW Beschluß vom 6.2.1997 - 8 B 52/97, S. 7.
20 ArbG Bremen, Urteil vom 30.8.2000 - 5 Ca 5152, 5198/00-, NZA-RR 2001, S. 27 f.
21 Vgl. Überblick zur Zumutbarkeit von Leiharbeit mit weiteren Nachweisen in: Leitfaden für Arbeuslose, 17. Aufl. 2000, S. 88.
22 Bericht in quer 2000, Heft 6, S. 7, Runderlaß der Bundesanstalt für Arbeit vom 14.7.2000, Grundsätze für die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Verleihern (Zeitarbeitsunternehmen)
23 OVG Hamburg vom 13.7.1999, ZFSH/SGB 1999, S. 737 f.
24 Dokumentation in: BAG SHI Rundbrief 2/2000, S. .32 f.
25 U. Krahmer, ZfSH/SGB 1983, S.211; ders., Rechtliche Würdigung der gegenwärtigen Praxis der Arbeitshilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz, in: H. Hartmann (Hrsg.), Die Praxis der Hilfe zur Arbeit nach dem Bundessozialhilfe-gesetz, Köln 1984, Teil II; ders., LPK-BSHG, 5. Aufl., l 25 Rn. 6.
26 BVerwG, Urt. v. 10.2.1983, BVerwGE 67, 1.
27 Vgl. dazu: U. Krahmer/H. Spindler, Konsolidierung der Qualifikationsanforderungen an die »Hilfe zur Arbeit« durch das FKPG von 1993 - Vorläufige Thesen zu den neuen §§ 18-20, 25 BSHG, ZfSHISGB 1994, S. 18 f. Die damals formulierte Hoffnung auf eine Verbesserung der Qualität der Arbeitsmaßnahmen hat sich leider nicht erfüllt.
28 H. Spindler, Hilfe zur Arbeit, Existenzsicherung und Arbeitnehmerrechte, info also 1999, S. 170 f.
29 Ebd., S. 173 f.
30 G. Kirch/K. Müller-Starmann, Arbeit sofort, ein erster Bericht nach 100 Tagen, Köln 2000, S. 2.
31 Rheinische Post vom 29.9.2000.
32 VGH Baden Württemberg, Beschluß vom 11.10.1999, info also 2000, Heft 2, S. 76 f.
33 Zur kritischen Beschreibung der dortigen Arbeitsbedingungen wird verwiesen auf quer, Heft 1, 2000, S. 3 f.
34 St. Empter/F. Frick, Beschäftigungsorientierte Sozialpolitik, Gütersloh 1999, S.60 f., 63.
35 ArbG Leipzig, Urteil vom 24.3.2000, info also 2001, Heft 1, S.36.
36 Vgl. dazu A. Brühl, Die Hilfe zur Arbeit nach dem BSHG-Reformgesetz, info also 1997, S.71 (mit Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des BVerwG) und VG Karslruhe, Gerichtsbescheid vom 20.5.1998, info also 1999, S. 83 f.
37 VG Kassel, Beschluß vom 7. 10. 1999, abgedruckt in diesem Heft auf S.103.
38 VG Weimar Beschluß vom 28.12.1999, abgedruckt in diesem Heft auf S 101.
39 VG Freiburg, Beschluß vom 14.8.2000, abgedruckt in diesem Heft auf S. 104.
40 Zur fehlenden Abhängigkeit der Sozialhilfe von Gegenleistung auch J. Falterbaum, Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt wegen »Fehlverhalten<« des Leistungsberechtigten nach § 25 BSHG, ZFSH/SGB 2000, Heft 10, S. 579 f., 581.
41 Beschluß der 77. ASMK vom 25./26. Oktober 2000. TOP 7.1., (A) Konzertierte Aktion zur Überwindung von Sozialhilfebedürftigkeit, info also, Heft 1, 2001, S. 57 f.
42 Barbier, Leistung und Fürsorge, FAZ v. 27 1.2001, S. 13.

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