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Bericht: Seminar für aktive Erwerbslose und solche, die es werden wollen"

SEMINARBERICHT: Weimar, 13. bis 15. März 2009

Um uns bei der Gründung unserer Schwelmer Erwerbslosen- Selbsthilfegruppe „Aktiv gegen Armut“ (AgA-Schwelm@web.de) zu unterstützen, boten Harald und Frank mir die Teilnahme am Seminar „aktive Erwerbslose“ an. Diese Gelegenheit musste ich nutzen, denn mir war schon klar, dass die Sozialberatung unser „Hauptgeschäft“ würde, und dass in unserer Gruppe niemand so richtig Ahnung von den Gesetzen hatte.

Schon während der angenehmen Anreise mit den Referenten und einem Teilnehmer aus Remscheid von Wuppertal aus wurde mir die Leidenschaft der beiden Referenten für ihr Thema deutlich. Gegen 14.00 Uhr trafen die TeilnehmerInnen sich erstmalig im angemieteten Seminarraum des Hauses „Europäische Jugendbildungs- und Begegnungsstätte Weimar“ am Freitag, den 13.02.2009, wo die notwendigen Formalitäten kurz erledigt wurden. Anschließend bezogen wir die Zimmer und erhielten noch eine warme Mahlzeit im Hause.

Die Referenten Harald Thomè für Arbeitslosen- und Sozialrecht und Frank Jäger für Sozialrecht und Sozialpolitik begrüßten dann zum ersten Arbeitstreffen die Anwesenden und stellten sich und ihre Tätigkeit im Verein „Tacheles e.V“ in Wuppertal vor. Sie erläuterten den geplanten Ablauf des Seminars und die Situation für das Wochenende im Hause, und verteilten das kostenlose Arbeitsmaterial für die TeilnehmerInnen, das aus einem jeweils 76 Seiten umfassenden Satz Fotokopien der Folienpräsentation „Folien zum SGB II“ von Harald Thomè bestand.

In der Vorstellungsrunde wurden ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Erwartungen der einzelnen TeilnehmerInnen deutlich. Einige hatten schon Erfahrung in der Sozialberatung mit Erwerbslosen, da sie an den jeweiligen Heimatorten schon in entsprechenden Gruppen aktiv geworden waren und sich nun aber ein fundierteres Fachwissen aneignen wollten. Andere kamen aus der gewerkschaftlichen Arbeit und wollten sich auf zu erwartende Problemstellungen ihrer Kollegen bei zunehmend drohender Arbeitslosigkeit einrichten und die Möglichkeiten der Vernetzung mit bestehenden Gruppen nutzen. Einige „EinzelkämpferInnen“ oder „Neue“ in der Branche (wie ich) suchten Motivation, Kenntnisse und Anstoß zu gemeinsamer Arbeit.

Die 16 TeilnehmerInnen waren aus der gesamten BRD angereist: aus Berlin, München, Dresden, Herford, Zwickau, Wuppertal, Leipzig, Aschaffenburg, Klarau, Kassel, etc. Als gemeinsamer Nenner Aller trat deutlich die Unzufriedenheit mit der politischen und gesellschaftlichen Situation der Hartz IV-LeistungsbezieherInnen zutage und die Bereitschaft der Anwesenden, einen Beitrag zu aktiver, parteiischer Beratung und Unterstützung der Betroffenen in ganz unterschiedlicher Form leisten zu wollen, weshalb man/frau sich dankbar zeigte für die Teilnahme an diesem Seminar.

Nach Absprache wurde ein Teil des Seminars auf den Samstagabend verlegt; so gewann man Zeit für einen Stadtrundgang am Nachmittag, da die TeilnehmerInnen doch wenigstens einen Eindruck von Weimar mitnehmen wollten. Die Veranstaltung gliederte sich also in fünf Einheiten, statt – wie vorgesehen – in vier Teile.

Das Seminar vermittelte einen grundlegenden Überblick über das SGB II, es wurde fundiert und systematisch die aktuelle Gesetzeslage und Rechtssprechung dargestellt, soweit dies für eine erste parteiische Beratung der von Hartz IV-Betroffenen notwendig ist und den Betroffenen damit eine Möglichkeit der Gegenwehr eröffnet.

Im Einzelnen wurden folgende Themen behandelt:
- Auftretende Probleme schon bei Antragstellung (Wie, wo und wann muss Leistung beantragt werden und welche Wirkungen hat dies?)
- Grundsätze zum Umgang mit der Behörde (Notwendigkeit der Dokumentation der Ereignisse)
- Anspruchsvoraussetzungen (Erwerbsfähigkeit, Aufenthaltsrecht, „aktive“ und „passive“ Leistungen)
- Unterschiedliche Wohn- und Lebenssituationen der Leistungsbezieher (Alter der Kinder, Krankheit, ausländerrechtliche Fragen)
- Notwendigkeit des Leistungsbezuges
- Einkommen und Vermögen (KiZ, Aufwandsentschädigung, abweichender Bedarf, einmalige Einkünfte, geschütztes Vermögen, Immobilienbesitz)
- Berechnung des Bedarfs bei Einzelpersonen sowie Bedarfsgemeinschaften
- Erwerbstätigenfreibeträge (gestaffelte Berechnung)
- Notwendigkeit der Prüfung jedes Bescheides
- Problematik der Kinder und Jugendlichen, insbesondere der Stiefkinder (Praxis der Familienzerstörung)
- Leistungen für Unterkunft und Heizung (Erstausstattung, Angemessenheit, Zumutbarkeit, Umzugs- und Renovierungsnotwendigkeit- und kosten)
- Problematik der Berechnung von Heiz- und Stromkosten (Berechnung von Warmwasser, Stromverbrauch)
- Darlehensgewährung der Behörde und Tilgung (unabweisbarer Bedarf, einmalige Beihilfe, Tilgung/Aufrechnung bis 10% der monatlichen Regelleistung)
- Eingliederungsvereinbarung und Sanktionierungen (verhandelbare EinV, Gründe für gestaffelte Kürzung der RL, Regelungen unter 25Jährige/ über 25Jährige,Verfassungswidrigkeit von 100% Sanktion)
- 1-Euro-Jobs (dürfen keine regulären Arbeitsplätze ersetzen, werden aber de facto – oft von Wohlfahrtsverbänden – so eingesetzt, dass Arbeitsplätze verdrängt werden)
- Vermittlungsbudget (Bewerbungs- und Fahrtkosten, Friseur, Kleidung zum Antritt einer Stelle oder eines Bewerbungsgespräches)
- Beistand leisten im Umgang mit der Behörde (Notwendigkeit der Zeugenfunktion, Übersetzung für MigrantInnnen, Moderation des Gesprächs bei Emotionalität des Erwerbslosen, Ablehnung des Beistandes)
- Erfahrungsaustausch der TeilnehmerInnen und Diskussion
- Beispiel einer Arbeitslosen – Selbsthilfe – Gruppe („ALSO“ aus Oldenburg mit „Begleitschutz-Truppe“ und regelmäßigem „Zahltag“ vor der Behörde)
- Historischer Abriss über die Entwicklung der Arbeitslosen-Selbstorganisation von der Weimarer Republik bis heute
- Politische Dimensionen des Widerstandes gegen Hartz IV (Herrschaftswillen: Abbau des Sozialstaates, Medienpolitik: Hetzkampagnen gg. „Sozialmissbrauch“, Ohnmacht und Isolation der Betroffenen muss durchbrochen werden durch Selbstorganisation, Notwendigkeit einer Klageflut)
- Tipps für erfolgreiche Selbstorganisation (Handzettel, Zusammenarbeit mit bestehenden Gruppen, Nutzung lokaler Hilfen durch neue Gruppen, Vereinsgründung)
- Möglichkeiten der Finanzierung der eigenen Gruppenarbeit vor Ort (Stiftungen nutzen, Mitgliedsbeiträge, Spenden, Kreativität nutzen wie z.B. „Theaterprojekt“ in Herford)
- Literaturempfehlungen und Internetadressen zum Thema

Die Referenten wechselten sich – je nach ihrem „Spezialgebiet“ – im Vortrag ab und ergänzten sich jeweils darin. Auch kamen ergänzend Folien von Frank Jäger zum Einsatz, speziell zu den Themen: Energiekosten, Historie, Selbstorganisation, politische Dimensionen des Widerstandes.

Die ZuhörerInnen bekamen zwischenzeitlich immer wieder Gelegenheit zu kritischen Fragen, die kompetent und fundiert beantwortet wurden, wobei die Referenten sich nicht beirren ließen und mit ihrer humorvollen und konsequenten Art die sehr umfangreichen Inhalte didaktisch gut vermittelten. Dabei wurde durchgängig politische Bildung im besten Sinne betrieben, indem immer wieder auf die politische Zielsetzung und die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Gesetzgebung hingewiesen wurde und so die politische Willensbildung der TeilnehmerInnen unterstützt wurde.

Die anschließende „Manöverkritik“ zeigte, dass die Fortbildung allgemein zu einem sehr großen Motivationsschub bei den Anwesenden geführt hat: Man/frau sehe die Notwendigkeit der eigenen Arbeit bestätigt, habe neuen Mut gefasst für die oft frustrierenden Aufgaben, ein Solidaritätsgefühl sei entstanden und das Erlebnis, nicht allein zu sein mit seinen Bemühungen wurde als sehr positiv bewertet. Zwar hätten alle einen „rauchenden Schädel“ gehabt von den vielen Paragraphen, aber die Arbeit habe sich gelohnt und wir seien jetzt viel besser gerüstet für den Kampf um unsere Rechte. Einige wünschten sich weiterführende Informationen und wurden dazu von den Referenten auf die Möglichkeit zur Teilnahme an weiteren Seminaren aus ihrem Repertoire verwiesen. Man bedankte sich gegenseitig für die gute Zusammenarbeit und es wurde vereinbart, über das Internet und ggf. telefonisch in Kontakt zu bleiben zum weiteren Erfahrungsaustausch über die Arbeit vor Ort.

Die Einzelunterbringung in Dreibettzimmern mit Dusche und WC in der Jugendbildungsstätte Weimar war komfortabel und angenehm, auch mit der Verpflegung im Hause war man allgemein sehr zufrieden, da hier eine gesunde und ausgewogene Kost angeboten wurde.

Die Gruppe mit Referenten blieb auch in der notwendigerweise sparsam bemessenen Freizeit größtenteils zusammen und harmonierte mit sehr wenigen Ausnahmen sehr gut. Man nahm die Mahlzeiten zusammen ein, blieb für den kurzen Stadtrundgang beieinander und gestaltete auch die Abende zwanglos gemeinsam. Selbst dann wurden die Referenten nicht von Fragen zur Thematik verschont, die sie ausnahmslos geduldig und gern beantworteten.

Harald und Frank hatten das Seminar über die Stiftung „Die Gesellschafter.de“ finanzieren können und auf ihr eigenes Honorar verzichtet, sodass für uns kaum Kosten entstanden. Als Geschenk von den Referenten erhielten die TeilnehmerInnen dann noch jeweils eine Ausgabe des „Leitfaden ALG II/Sozialhilfe von A-Z“, Hrg: Frank Jäger, Harald Thomè, Tacheles e.V. Wuppertal, 2008.
Wir bedankten uns, verabschiedeten uns guten Mutes und wünschten uns gegenseitig viel Erfolg für die weitere Arbeit.

Beate John, 10.04.09

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