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Daniel Kreutz: Wölfe im Schafspelz - Die Rüttgers-Debatte

Wölfe im Schafspelz
Die Rüttgers-Debatte
Bis hinein in Gewerkschaften und Linke wurde die Forderung des NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers (CDU), die Bezugdauer des Arbeitslosengeld I an die Dauer der Beitragszahlung zur Arbeitslosenversicherung zu koppeln, in der Öffentlichkeit als Forderung nach einer Verbesserung der Absicherung älterer Er-werbsloser verstanden – und damit gründlich missverstanden.
Tatsächlich handelt es sich um einen alten Hut. 2003 forderte der CDU-Parteitag bereits: „Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld soll sich daher nach der Dauer der Versicherungszeit richten.“ Das „daher“ bezog sich auf die vorhergehende Forderung nach genereller Kürzung der ALG-Bezugsdauer, die mit Hartz IV auch punktgenau umgesetzt wurde. Das CDU-Wahlprogramm 2005 konkretisierte „Ver-sicherungszeit“ als Dauer der eigenen Beitragsentrichtung und hob die „auf-kommensneutrale“ Finanzierung hervor: Mehrausgaben für langjährige Beitrags-zahler sollen demnach durch Kürzungen an anderer Stelle gedeckt werden, sei es bei der Bezugsdauer der kürzer Versicherten oder bei den Mitteln zur Arbeits-förderung.
Der Sprengsatz für die Arbeitslosenversicherung liegt indes weniger in solch un-sozialen Finanzierungsvorschlägen als in der Forderung selbst. Die Arbeitslosen-versicherung gründet auf dem Gedanken der solidarischen Risikoabsicherung: die Beschäftigten zahlen für die Erwerbslosen. Die Koppelung der Bezugsdauer an die Dauer der Beitragszahlung würde dagegen die Arbeitslosenversicherung in Richtung eines individuellen „Vorsorgesparens“ nach dem Beispiel der Lebensversicherung verändern. Damit schlüge die neoliberale Abrissbirne in die letzten noch stehenden Wände jener Ruine, die von der einstigen sozialstaatlichen Arbeitslosenversicherung übrig blieb.
Allerdings war der Rüttgers-Vorstoß hervorragend inszeniert. Zunächst wurde ab-sichtsvoll der Eindruck erweckt, es gehe um eine generelle Verbesserung für die Älteren, deren Risiko, langzeit- und dauererwerbslos zu werden, außerordentlich hoch ist. Eine gezielte Irreführung. Denn nicht um eine Verbesserung für Ältere ging es, sondern um eine „Honorierung“ kontinuierlicher Beitragszahlung, die nur denen zugute käme, die keine durch Familienpausen oder Erwerbslosigkeit unterbrochenen Versicherungsverläufe haben. Auch ein Großteil der Älteren, Frauen zumal, würde mit Rüttgers verlieren.
Der ließ dann seinen Arbeitsminister, den CDA-Vorsitzenden Laumann, im Vorfeld des Dresdener CDU-Parteitags einen „Richtungsstreit“ in der CDU ausrufen. Damit wurde das Medienthema erst recht hochgezogen und der öffentliche Eindruck ver-stärkt, hier trete ein „Sozialflügel“ gegen die Neoliberalen an. Dass Laumann junge Erwerbslose als „Säufer“ diffamierte und sich so in rechtspopulistischer Manier als Vorkämpfer der fleißigen Anständigen gegen nichtsnutzige Schmarotzer gerierte, tat der Wirkung kaum Abbruch. Tatsächlich konnte die Rüttgers-Forderung – selbst Baustein des neoliberalen Systemwechsels – nie einen Richtungsstreit auslösen - was der Verlauf des Parteitags dann auch bestätigte.
Doch mehr noch: Münteferings schroffe Ablehnung von Rüttgers gab Anlass zu der öffentlichen Suggestion, dass Rüttgers nicht nur den Wirtschaftsflügel der Union, sondern auch die SPD „links“ überhole. Die SPD verteidigt den erbärmlichen Status Quo – einschließlich der den Arbeitgebern versprochenen Beitragssenkung – in alle Richtungen. In der Sache abwegig, hat die Behauptung vom „linken“ Rüttgers eine gewisse Berechtigung in der öffentlichen Wahrnehmung seines Vorstoßes.
Wollen die 80 Prozent, die in Umfragen Rüttgers zustimmten, dass die Arbeitslosen-versicherung nach dem Prinzip der Privatvorsorge umgebaut wird oder dass etwa erwerbslose Eltern rascher als ältere Langzeitzahler in Hartz IV abrutschen? Richtig ist das Gegenteil. Die Mehrheit der Bevölkerung verlangt angesichts des Schreckens von Hartz IV nach mehr Solidarität bei der Arbeitslosenversicherung. Sie weiß dabei um die hohen Arbeitsmarktrisiken der Älteren. Ihr Gerechtigkeitsempfinden ist bei den Älteren, in der Spätphase eines arbeitsreichen Lebens, besonders verletzt. Diese Mehrheit wollte den Rüttgers-Vorstoß als soziale Verbesserung verstehen – und wurde von den Meinungsmachern darin bestärkt, statt aufgeklärt. Ein Grund mehr für die Mehrheit, selbst öffentlich kundzutun, was sie will, statt es sich über die Medien sagen zu lassen.
Erst nach dem CDU-Parteitag legte der DGB ein Alternativkonzept vor, das dem dringendsten Verlangen der Mehrheit tatsächlich entsprechen könnte. Über den Systemwechsel, auf den Rüttgers zielte, war indes kaum etwas zu hören. Derweil stellte die Linksfraktion in ihrem ALG I-Antrag ganz im Sinne der CDU fest: „Das Äquivalenzprinzip – wer länger einzahlt, hat auch einen längeren Anspruch – muss gestärkt werden.“ Da sieht man künftigen Debatten - auch um die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung - mit noch größerer Sorge entgegen.
Aktuell versucht die Union, den Alternativvorschlag des DGB in Rückenwind für ihre Forderung an die SPD umzumünzen, in Verhandlungen über das ALG I einzutreten. Es verhandelten dann die Verteidiger des erbärmlichen Status Quo mit den Privatisierern der Arbeitslosenversicherung. Ein Grund mehr, unsere Gewerkschaften zur Eile beim Widerstand zu mahnen.

Daniel Kreutz

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