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DWEKD: Vorläufige Bewertung des Gesetzentwurfes über des SGB XII und anderer Gesetze

Vorläufige Bewertung des Gesetzentwurfes über
Änderungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Stand 19.8.2004)
durch das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland

Gliederung:

1. Bewertung der vorgelegten Passagen
2. Darüber hinaus gehender Änderungsbedarf
a) Hilfe zur Familienplanung nach dem SGB XII und dem BSHG
b) Beratung und Unterstützung bei sozialen Notlagen
3. Keine weiteren Kürzungen!

1. Bewertung der vorgelegten Passagen
Der vorgelegte Teil des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wirtschaftlichkeit in der Sozialversicherung über Änderungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze wird von uns wie folgt bewertet:

Die rein redaktionellen Änderungen sind folgerichtig. In Art. 1 Nr. 5 müsste es wohl rein sprachlich „und der Grundsicherung im Alter und ...“ heißen.

Darüber hinaus möchten wir auf folgende weitere Probleme aufmerksam machen. Wegen der geringen Abstimmungszeit können wir leider erst im weiteren Verfahren Lösungsvorschläge machen.

zu Art. 1 Nr. 1:
Ob man Regelsätze nun „bemisst“ oder „berechnet“: Klar ist, dass bei der in der Verordnung genauer festgelegten Methode auch eine Bewertung mit einfließt. Die Regelsätze dürfen jedoch nicht von den Bundesländern willkürlich festgelegt werden. Sonst könnte es unter-schiedliche Festlegungen des sozio-kulturellen Existenzminimums (auch als Referenzgröße für andere Größen wie ALG II und steuerliches Existenzminimum) geben. Hier sind noch weitere Abstimmungen zwischen Bund und Ländern erforderlich.

zu Art. 1 Nr. 2:
Die Integration des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in das SGB XII ist mit dieser einfachen Änderung nicht gelöst. Ein we-sentliches Ziel dieses Gesetzes war insbesondere die Vermeidung von verschämter Armut. Ältere Menschen sollten nicht mehr auf das Sozialamt gehen müssen, um in diesem Fall rentenähnliche Fürsorge durch die Kommunen zu erhalten. Auch sollten die Instrumente der Sozialhilfe erst nachrangig, d.h. wenn die Leistungen der Grundsicherung nicht ausreichen, zur Anwendung kommen. Diese u.a. Vorzüge gehen durch die Integration in das SGB XII wieder verloren.

zu Art. 4 Nr. 1:
Die vorgeschlagene Regelung ist folgerichtig im Sinne der Ausweitung der Zuzahlungen auch auf Sozialhilfeempfänger.
Allerdings wiederholen wir an dieser Stelle unsere Kritik, die wir an anderer Stelle weiter ausgeführt haben: Die Zuzahlungspflichten und besonders die Ausgliederungen aus dem Leistungskatalog der GKV führen bei kranken pflegebedürftigen Menschen in eigener Häus-lichkeit mit geringem Einkommen, bei Menschen mit schwerwiegenden seelischen Erkran-kungen oder Suchtkrankheiten und wohnungslosen Menschen zu wirtschaftlichen Notlagen, die ihre gesundheitliche Versorgung gefährden. Bei Menschen, die in Heimen der Alten- oder Behindertenhilfe leben und deren Heimkosten anteilig von der Sozialhilfe finanziert werden, wird der den Bewohnern für den persönlichen Bedarf zur Verfügung stehende Barbetrag zweckentfremdet, wenn er für gesundheitliche Leistungen ausgegeben werden muss. Des-halb fordern wir eine Härtefallregelung vorzugsweise im Rahmen des SGB V. Selbst von Seiten der Kostenträger wird inzwischen eine Befreiung von der Zuzahlungsverpflichtung mindestens für die Heimbewohner gefordert.

2. Darüber hinaus gehender Änderungsbedarf
a) Hilfe zur Familienplanung nach dem SGB XII und dem BSHG

Nach der Neuordnung der Hilfen zur Gesundheit im Bundessozialhilfegesetz durch das Ge-sundheitssystemmodernisierungsgesetz, die für das SGB XII übernommen worden sind, kommt es nun im Bereich der Hilfe zur Familienplanung zu einer unterschiedlichen Rechts-anwendung. Ein Teil der Träger der Sozialhilfe gewährt Leistungen für empfängnisverhüten-de Mittel für Frauen wie bisher, der andere Teil lehnt die Übernahme der Kosten bei Frauen ab dem vollendeten 20. Lebensjahr mit Hinweis auf die strikte Anpassung des Leistungskata-logs der Sozialhilfe an den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ab. Die letzte Position wird durch ein Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge gestützt. Allerdings gibt es auch bereits einen Beschluss eines Verwaltungsgerich-tes, das die Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers in einem Einzelfall klar stellt.

Da einheitliches Recht in der Praxis unterschiedlich angewandt wird, sollte der Gesetzgeber eine Klarstellung etwa durch folgende Regelung treffen:

§ 49 SGB XII Satz 2 wird wie folgt geändert:
Nach dem Wort „werden“ werden die Worte „auch für Frauen nach dem vollendeten 20. Le-bensjahr“ ergänzt.

Eine adäquate Änderung wäre für das Jahr 2004 auch für das Bundessozialhilfegesetz nötig.

Für eine weitere Gewährung dieser Leistung spricht, dass Sozialhilfeempfängerinnen wie alle Frauen ein Recht darauf haben, sich vor ungewollten Schwangerschaften zu schützen. Anteile für die Finanzierung der notwendigen Mittel können jedoch nicht in der Regelsatzbe-rechnung aufgeführt sein. Es bedarf also einer expliziten Leistungsgrundlage, die hiermit im SGB XII verdeutlicht werden soll.

b) Beratung und Unterstützung bei sozialen Notlagen
Nach § 1 SGB XII bleibt es Aufgabe der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Dieses Ziel ist wei-ter gefasst als die Sicherung des Lebensunterhalts durch laufende Hilfe oder andere Formen der Grundsicherung. Entsprechend werden nicht nur Geld-, sondern auch Sach- und Dienst-leistungen gewährt (§ 10 SGB XII).

Immer mehr Menschen werden mit Umbruchsituationen sowohl im familiären Bereich als auch in der Arbeitswelt konfrontiert. Der soziale Unterstützungsbedarf zur Bewältigung sol-cher Situationen nimmt tendenziell zu. Es werden (präventive) Leistungen benötigt, um sozi-ale Ausgrenzung zu vermeiden. Dies ist und bleibt Aufgabe des BSGH bzw. zukünftig des SGB XII.

Eine Finanzierungsgrundlage für eine Reihe von Diensten der kommunalen Daseinsvorsorge ist bislang § 17 BSHG. Dies gilt u.a. auch für die Schuldnerberatung, derenAngebotskapazi-täten nach allgemeiner Auffassung bei weitem nicht ausreichend ist. Die Verweigerung not-wendiger Unterstützung zur Bewältigung sozialer Notlagen kann unter fiskalischen Gesichts-punkten opportun erscheinen, volkswirtschaftlich sind die sich daraus ergebenden Folgekos-ten aber erheblich höher als die kurzfristig zu erzielenden Einsparungen.

Mit der Einführung des SGB II wird die weit überwiegende Anzahl der heutigen Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt in ein anderes Leistungsrecht wechseln. Mit dem Verlust des Anspruchs auf wesentliche Bestandteile der Hilfe zum Lebensunterhalt ist der Anspruch (dem Grunde nach) auf Beratung nach § 17 nicht mehr gesichert. Auch im SGB II sind Bera-tungsleistungen als Integrationshilfen vorgesehen; allerdings stellt das SGB II ausschließlich auf Arbeitsmarktintegration ab. Die Gewährung von Beratungsleistungen wird voraussichtlich sehr stark an die Erreichung dieses Ziels geknüpft werden.

Die Sozialhilfe hat einen weiter gefassten Integrationsanspruch als das SGB II. Hieraus leitet sich ab, dass die Sozialhilfe auch weiterhin für soziale Notlagen zuständig bleibt, unabhängig davon, ob Personen oder Haushalte, die Beratungsbedarf haben, ihre Grundsicherungsleis-tungen aus anderen Leistungssystemen beziehen oder vielleicht keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben oder einen eventuellen Anspruch nicht geltend machen. Es muss zweifelsfrei im Sozialhilferecht geregelt werden, dass alle Menschen, die sich in einer sozialen Notlage befinden und diese nicht aus eigener Kraft überwinden können, An-spruch auf Beratung und Unterstützung haben. Diese Anforderung ergibt sich einerseits aus der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe und dem engen Integrationsbegriffs im SGB II, andererseits aus den skizzierten allgemeinen gesellschaftlichen Tendenzen.

Daraus leiten sich die Forderungen ab:
- Alle Menschen, die bei sozialen Problemen eine Beratung benötigen, haben einen Rechtsanspruch darauf. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs müssen ausreichende Be-ratungskapazitäten bereit gestellt werden.
- Die Beratung ist kostenfrei allen Personen zu gewähren, die nicht über ausreichende eigene finanzielle Mittel verfügen, um die Beratungskosten selbst zu tragen. Das Kriteri-um muss bei überschuldeten Personen oder Haushalten das nach Abzug des Schulden-dienstes verfügbare Haushaltseinkommen sein und das verwertbare Vermögen. Um die kostenfreie Beratung sicherzustellen ist eine angemessene Finanzierung der Beratungs-dienste notwendig.

Für die direkte gesetzliche Verankerung schlagen wir vor: Nach § 73 (Hilfe in sonstigen Le-benslagen) sollten zukünftig Beratungs- und Unterstützungsleistungen in sonstigen sozialen Angelegenheiten erbracht werden, die nicht zu den anderen in § 8 aufgeführten Hilfearten gehören. Über die Eingliederung der mehr oder weniger typischen sozialen Notlagen unter die Hilfe in anderen Lebenslagen wird die Voraussetzung dafür geschaffen, den Zugang zu Dienstleistungen und Sachleistungen für soziale Integration auch den Menschen zu ermögli-chen, die Grundsicherungsleistungen nach anderen Gesetzen erhalten oder die ohne den Bezug von Grundsicherungsleistungen bedürftig sind.

Der allgemeine Rahmen für die Verankerung von Beratungs- und Unterstützungsleistungen in sozialen Notlagen ist im ersten Abschnitt (Grundsätze der Leistungen) des zweiten Kapi-tels (Leistungen der Sozialhilfe) gesetzt. Die wichtigen Bestimmungen sind dabei § 9 (Sozi-alhilfe nach den Besonderheiten des Einzelfalls), § 10 Leistungserbringung und § 11 (Bera-tung, Unterstützung, Aktivierung).In § 9 SBG XII ist festgelegt, dass sich die Sozialhilfe wei-terhin nach den Besonderheiten des Einzelfalls richtet

In § 10 SGB XII (Leistungserbringung) wird in Abs. 2 spezifiziert, was unter „Dienstleistun-gen“ zu verstehen ist, nämlich: „Beratung in Fragen der Sozialhilfe und die Beratung und Unterstützung in sonstigen sozialen Angelegenheiten.“ Hier sollten Anforderungen an die Qualität von Beratungsleistungen ergänzt werden (z.B. Die Beratung hat den fachlichen Standards zu genügen).

In § 11 SGB XII (Beratung und Unterstützung, Aktivierung) ist in Abs. 5 die Kostenübernah-me geregelt. Dabei werden Leistungsberechtigte in zwei Klassen eingeteilt: Leistungsberech-tigten erster Klasse sollen Leistungen gewährt werden, denen zweiter Klasse können Leis-tungen gewährt werden. Das Unterscheidungskriterium ist, ob mit der Beratung das Ziel der Überwindung oder Vermeidung des Bezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt erreicht wird. Dem ist entgegen zu halten: Der Bedarf begründet sich aus der individuellen Notlage und nicht daraus, dass die Bedarfsbefriedigung zu Einsparungen bei Grundsicherungsleistungen führt. Entsprechend ist die Einschränkung „die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erforderlich macht oder erwarten lässt“ zu streichen. Auch der Satz „in anderen Fällen kön-nen Kosten übernommen werden“ ist zu streichen. Es muss sichergestellt werden, dass alle bedürftigen Menschen (z.B. auch ALG II-Bezieher) Anspruch auf soziale Beratung durch die Sozialhilfe haben.

Der Anspruch auf Beratung muss für alle Bedürftigen über eine angemessene Finanzierung der Dienste realisierbar gemacht werden. Nur wenn die Kostenübernahme verpflichtend wird, ist sichergestellt, dass das Angebot von Beratungsdiensten stärker bedarfsorientiert (im quantitativen Sinn) wird und sich nicht in erster Linie an der Finanzlage und Prioritätenset-zung der Kommunen orientiert.

Diese allgemeinen Grundsätze beziehen sich auf den gesamten Katalog der Sozialhilfeleis-tungen. Im Rahmen jeder einzelnen Hilfeart werden spezifische Beratungs- und Unterstüt-zungsleistungen gegeben. Durch die anstehenden Veränderungen in der Hilfe zum Lebens-unterhalt ist eine Lücke entstanden. Die Hilfe zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behin-derte Menschen, Hilfe zur Pflege und Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierig-keiten beziehen sich entweder auf eindeutig definierte Lebenslagen oder auf eng abgegrenz-te Personengruppen. Um auch diejenigen, die soziale Integrationsleistungen bspw. bei Ü-berschuldung benötigen und keine andere der genannten Hilfen erhalten, den Zugang zu notwendigen Leistungen zu sichern, halten wir eine Verankerung von Beratungs- und Unter-stützungsleistungen bei sozialen Notlagen im Rahmen von § 73 (Hilfe in sonstigen Lebens-lagen) für unabdingbar.

Hilfe in sonstigen Lebenslagen (§ 73) sollte sich auf mehr oder weniger typische soziale Not-lagen beziehen. Um die Verantwortlichkeit der Sozialhilfeträger für diese Notlagen deutlich zu machen, schlagen wir folgenden Änderungen in § 73 vor:

Vorschläge für § 73 neu:
- Analog zur Blindenhilfe (§ 72) sollte die Verbindlichkeit festgeschrieben werden: Leistun-gen sind zu gewähren (nicht „können“ gewährt werden)
- Das Kriterium für die Leistungsgewährung kann nicht sein, „dass der Einsatz öffentlicher Mittel gerechtfertigt ist“, sondern muss gemäß § 9 BSHG sein, „wenn es der Einzelfall notwendig macht“.
- Ergänzend könnte eingefügt werden: Zu den sonstigen Lebenslagen zählen insbesonde-re (nicht abschließende Aufzählung)
- Soziale Notlagen durch berufliche und/oder familiäre Umbruchsituationen
- Überschuldung.

3. Keine weiteren Kürzungen!
Für das Bundessozialhilfegesetz und für die reformierte Sozialhilfe im SGB XII sind in den letzten Jahren erhebliche Leistungskürzungen beschlossen worden. Gleichzeitig sind die Leistungen in ihrer Entwicklung in etlichen Bereichen nicht dem gestiegenen Bedarf ange-passt worden. Beispielhaft sind folgende Maßnahmen zu nennen:

im Bundessozialhilfegesetz:
• Deckelungen des Regelsatzes
• Deckelung der Sachleistungen
• Verpflichtung zu Zuzahlungen für Arztbesuche, Medikamente etc.
• Ausschluss von bestimmten Bedarfen bei der Hilfe zur Gesundheit
• Kürzungen bei den Mehrbedarfen

im SGB XII:
• Streichung des Zusatzbarbetrages
• Senkung der Einkommensgrenzen
• Streichung des Bedarfsdeckungsprinzips bei den einmaligen Leistungen
• stärkerer Unterhaltsrückgriff

Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen haben damit gerade in den letzten Jahren zu wesentlichen Teilen zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte beigetragen. Weitere Kürzungen sind nicht zumutbar.

Berlin und Stuttgart, 25. August 04

Ansprechpartner im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland:
Roland Klose (klose@diakonie.de oder 0711/2159-220)

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