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Frieder's: Die wirtschaftliche Entwicklung / Lineares Wachstum, steigende Sockelarbeitslosigkeit u. fallende Gewinnquote
Vorab, der Text ist ohne Fußnoten, wer den vollständigen text als Word.doc haben möchte soll mich oder Frieder anmailen.
Harald
Die wirtschaftliche Entwicklung
Lineares Wachstum, steigende Sockelarbeitslosigkeit und fallende Gewinnquote
Bis Mitte der 70er Jahre ging die BRD von der optimistischen Annahme aus, dass das Wirtschafts wachstum exponential mit einem "Zinseszins-Effekt" verläuft. Dabei kommt jedes Jahr der selbe Prozentsatz hinzu. Die Beträge nehmen bei einem solchen Verlauf absolut also stetig zu, denn wenn 5% aus 100 noch einen Zuwachs von absolut 5 ergeben, sind es bei 5% aus 500 schon 25, aus 1000 gar 50. Ein solch exponentiales Wachstum bildet sich in der grafischen Darstellung in einer immer steiler ansteigenden Kurve in Form einer Parabel ab, die im Zuwachs gegen Unendlich strebt.
Tatsächlich aber ergibt sich in der langfristigen Betrachtung seit 1950 bei allem Auf und Ab ein bestenfalls lineares Wachstum. Jährlich wächst (durchschnittlich und preisbereinigt) immer nur der selbe Betrag zu. Für das prozentuale Wachstum hat dies die umgekehrte Folge. Es strebt gegen Null: während ein Zuwachs von 5 aus 100 noch 5% Wachstum ergeben, sind dies bei 5 aus 500 nur noch 1%, bei 5 aus 1000 noch 0,5% u.s.w. u.s.f. Das prozentuale Wachstum einer linearen Entwicklung bildet sich in der grafischen Darstellung in einer immer flacher werden Kurve in Form einer Hyperbel ab, deren prozentuale Entwicklung gegen Null strebt.
Dies deckt sich mit der bundesrepublikanischen Entwicklung der Wachstumsraten unseres Bruttosozialprodukts. Lag dieses 1950 noch bei stolzen 12%, war es 1960 schon auf 5,5% gefallen. 1990 wurden durchschnittlich noch 2% erreicht, im Moment liegen wir bei etwa 1%.
Tatsächlich exponential verläuft aber die Entwicklung der Produktivität. Immer weniger Menschen stellen immer mehr Waren und Werte her. Hier kommt es zu dem "Zinseszins-Effekt", wobei jeder einzelne Arbeiter jedes Jahr mehr zusätzlich produziert, als er im Vorjahr mehr produziert hat. Die Herstellung von Waren und Werten von 1 Million Mark brauchte 1960 noch 26 Erwerbstätige. Heute braucht es hierzu (preisbereinigt) weniger als 10 Beschäftigte. Die Entwicklung der Produktivität bildet sich tatsächlich in einer steil ansteigenden Parabel ab, die gegen Unendlich strebt.
So kommt es zu einer Scherenentwicklung, bei der einerseits unser prozentuales Wirtschaftswachstum stetig sinkt und für dieses sinkende Wachstum durch die exponentiale Entwicklung der Produktivität immer weniger Beschäftigte benötigt werden. Der Prozess bildet sich ab in einer ständigen Zunahme der Arbeitslosen. Auch wenn diese Entwicklung im Auf und Ab der Konjunktur ihre Hoch- und Tiefpunkte hat, kommt es zu einem stufenförmigen Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit, die auch in konjunkturellen Hochphasen nicht mehr unterschritten wird. Diese Sockel bilden eine Treppe, die immer mehr Menschen aus dem Arbeitsprozess ausgrenzen:
Stetig steigende Sockelarbeitslosigkeit
Zeitspanne 1960 - 70 1970 – 80 1982 – 92 1993 – 98 1999 - 2003
Sockelarbeitslosigkeit 0,2 Mio. 0.9 Mio. 1,7 Mio. 2,3 Mio. 3,9 Mio.
Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung kommt es nun zu Gegensteuerungen der Wirtschaft, die das Problem der Massenarbeitslosigkeit aber noch verschärfen:
- Gewinne können mit der fallenden Wachstumsrate nicht mehr durch Expansion maximiert werden. Es wird zunehmend rationalisiert und automatisiert, um im technischen Vorsprung vor der Konkurrenz Sondergewinne zu realisieren
- Dem durch die hohe Produktivität hohen Lohnniveau wird durch Produktionsverlagerung in Billiglohnländer entgegengewirkt. Derzeit geht der Zug dieser Entwicklung über die EU-Beitrittsländer hinaus in die Ukraine, Südostasien bis hin nach China
Die Rationalisierung und Automatisierung führt zu hohen Kosten für technische Anlagen und Maschinen . Mit diesem steigenden Kostenballast sinkt die Gewinnquote der Unternehmen stetig. Lag sie Mitte der 60er-Jahre noch bei durchschnittlich 14% im Verhältnis zum investierten Kapital, ist sie inzwischen tendenziell auf unter 8% gefallen . Dieser niedrige Schnitt, der je nach Branche und in den Tiefpunkten der Krisen noch gewaltig unterlaufen wird, bietet immer weniger Anreize, Kapital in unternehmerische Prozesse zu investieren. Immer mehr Kapital sucht deshalb seine Rendite in rentableren Kapitalanlagen. Der Anteil der Gewinne, der wieder in die Unternehmen investiert wird, ist von ca. 65% Ende der 70er-Jahre auf weit unter 20% heute gesunken. Täglich kreisen Billionen von Dollar um den Globus auf der Suche nach spekulativen Gewinnen, mit der Gefahr von "Blasenbildungen" und Überhitzungen an den Finanzmärkten und der Bedrohung ganzer Volkswirtschaften und Staatswährungen. In manchen Betrieben erbringt die Anlageabteilung höhere Umsätze als das eigentliche Kerngeschäft . Diese Prozesse werden gefördert durch die weitgehende Steuerfreiheit von Börsengeschäften. Während jedes Stück Brot und jeder Kühlschrank mit Mehrwertsteuer belastet wird, sind selbst millionenschwere Gewinnen bei Währungs- oder Termingeschäften völlig umsatzsteuerfrei .
Die skizzierte Entwicklung ist kein deutsches Problem. Die gesamten westlichen Industriestaaten unterliegen diesen Prozessen. Sie versuchen, in einem "Dumpingwettbewerb" von niedrigen Zinsen, immer niedrigeren Unternehmenssteuern, Abbau von Sozialleistungen bzw. Kostenverlagerung auf die Versicherten und der Durchsetzung von Billiglöhnen große Unternehmen anzulocken und zu halten .
Der Erfolg ist zweifelhaft: die Verschuldung der öffentlichen Hand erreicht (nicht nur in Deutschland) gigantische Ausmaße, die Kaufkraft und die Binnenmarktnachfrage schrumpft, Verarmungs- und Segregationsprozesse führen zu Unwägbarkeiten bzgl. der Entwicklung von Kriminalitätsquote und sozialem Frieden. Der Abbau von Arbeitsplätzen und die Kapitalflucht setzt sich indessen unvermindert fort. Der Run in Länder mit immer niedrigeren Löhnen lässt die Weltkaufkraft schrumpfen. Es bleibt dabei offen, wer die teueren Hightech-Produkte noch kaufen soll, wenn die zu immer niedrigeren Löhnen Beschäftigten eher Blech zum Abdichten von Dächern oder Fahrräder brauchen.
Der ruinöse und ziellose "Dumpingwettbewerb" auf der Ebene der Kleinstaaten hat im gegebenen politischen Rahmen keine Endmarke. Kein Land kann sich dieser Spirale folgenlos entziehen. Sie hat auch keine Lösung, denn ein Konkurrieren mit den Lohn-, Steuer- und Sozialniveaus der Ukraine und Chinas würde brutalste gesellschaftliche Verwerfung in den Industriestaaten auslösen. Die politischen Lösungsversuche deutscher Reformpolitik beschränkt sich bislang leider noch auf solche Lösungsversuche.
Notwendig ist ein neues Mandat der Politik über die Wirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhardts funktionierte, weil Politik damals noch auf nationaler Ebene Vorgaben setzen konnte. Diese Chance eröffnet der große europäische Wirtschaftsmarkt wieder, auf den kein Konzern verzichten will und kann. Dort könnten steuerliche, soziale und beschäftigungspolitische Standards vorgegeben werden, an die sich jeder zu halten hat, der in diesem Markt verkaufen will. Bislang zielt die gemeinsame europäische Politik allerdings einseitig auf die Währungspolitik, Geldwertstabilität, abgestimmte Außenpolitik und militärische Handlungsmöglichkeit. Der große Ruck für ein neues politisches Mandat über die Wirtschaft ist dringend gefragt. Er ist entscheidend für das Zusammenleben der Menschen Europas ohne Verarmung und Segregation.
15.9.03 Frieder Claus
Die seit Jahren betriebene und zuletzt mit der Agenda 2010 klar formulierte Politik zielt auf den Abbau sozialer Leistungen und die Verlagerung deren Kosten auf die Schultern der Versicherten und abhängig Beschäftigten.
Argumentiert wird,
- es sei kein Geld mehr für die Finanzierung da
- es gäbe somit keine Alternative.
Beides ist zu hinterfragen.
Zunächst ist festzustellen, dass das private Vermögen jährlich neue Höchststände feiert und bei der gigantischen Summe von über 8 Billionen Euro angekommen ist. Die aktuelle Verteilung sieht so aus: die untere Bevölkerungshälfte hat nicht die Hälfte sondern weniger als 5% dieses Gesamtvermögens, das obere Zehntel keine 10% sondern ungefähr die Hälfte dieser 8 Billionen . Doch bedrohlicher als diese extreme Ungleichverteilung ist die Geschwindigkeit, in der diese Kluft weiter auseinander reißt.
Das riesige Privatvermögen auf der Halde trägt nun aber – im Gegensatz zu anderen großen Industrieländern – nicht einmal mit einer Vermögenssteuer bei. Es erwirtschaftet riesige Zins- und Dividendenerträge, die für die Krankenversicherung und die Rente keinen Cent abführen. Selbst bei der Steuer sind Dividendenerträge zur Hälfte und Börsengewinne praktisch fast ganz frei gestellt.
Im Jahr 2000 hatte man mit der Unternehmenssteuerreform erhofft, mit weniger Steuern für die großen Konzernen Arbeitsplätze zu gewinnen. Es führte zu einem fatalen Zusammenfall der ganzen Körperschaftssteuer (Gewinnsteuer der Kapitalgesellschaften) und der Gewerbesteuer. 2001 brachen 24 Milliarden Euro in der Körperschaftssteuer weg (1/8 des Bundeshaushalts), weitere 4 Milliarden an Gewerbesteuereinnahmen . Kaum eine Kapitalgesellschaft zahlt noch Steuern. Die öffentlichen Haushalte bis hin zu den Gemeinden verarmen – doch kein Arbeitsplatz ist entstanden. Im Gegenteil: zigtausende weitere sind abgebaut worden. Die größte Steuereinnahme in der Daimlerstadt Sindelfingen ist die Hundesteuer .
Die Behauptung, es sei kein Geld mehr da, lässt sich also in ihrer Absolutheit nicht halten, das Geld ist nur in andere Kanäle geflossen. Die Starken sind immer weniger bereit, die Lasten der Schwachen mit zu tragen, oder, wie es Ernst Bloch ausdrückte: wenn es nicht mehr für alle reicht, springen die Armen ein. Diesem Muster folgt die Agenda 2010, die zu einer riesigen Umverteilung, reicheren Reichen und ärmeren Armen führt:
Um die riesigen Löcher zu stopfen, baut die Agenda massiv Sozialleistungen ab und verlagert die Kosten auf die Schultern der Schwachen. In der größten Massenarbeitslosigkeit werden ihre Opfer zu Drückebergern gebrandmarkt. Arbeitslosen werden rund 8 Milliarden Euro weg genommen. Man muss jetzt erst verarmen, bevor man Hilfe erhält. Über 4 Mio. Menschen rutschen mit dem neuen "Arbeitslosengeld II" unter die Armutsgrenze der Sozialhilfe. Viele Familien werden den heftigen Sturz nicht überstehen, wenn Ratenzahlungen zusammen brechen und Streit ums Versagen in die Wohnzimmer einzieht. Eine neue halbe Million Kinder wird dabei sein, die in der Schule zu Außenseitern werden, weil sie in dem, was man haben muss, nicht mithalten können und man zu Geburtstagsfeiern nur eingeladen wird, wenn man selbst auch eine macht.
Es gäbe eine Alternative: die weitgehende Rücknahme der Unternehmenssteuerreform, weil sie eben keine Arbeitsplätze gebracht hat. Plötzlich wäre wieder drei mal so viel Geld da, wie man durch die Kürzung bei den Arbeitslosen einsparen zu müssen meint.
Ähnlich sieht es in der Krankenversicherung aus. 80% der Einsparungen tragen die Versicherten und Kranken, nur 20% die starke Seite der Pharmaindustrie, Ärzte und Kassen. 15 Milliarden Euro wird zunächst der Beitrag der Schwachen sein mit selbst zu zahlendem Zahnersatz und Krankengeld, Arztgebühren, Medikamentenkosten u.a..
Es gäbe eine Alternative: 15 Mrd. €, also genau so viel an Mehreinnahmen hätte eine Bürgerversicherung gebracht, in die auch alle Gutverdienenden mit allen Einkunftsarten einzahlen . Mit Einnahmen aus Zinsen, Mieten, Dividenden. Doch so lange diese aus dem Boot in günstige Privatversicherungen steigen können, wird das Boot der Gesetzlichen mit den Arbeitslosen, Chronischkranken und sozial Schwachen nicht aus dem Schlingerkurs kommen.
In der Rentenversicherung erreicht man gerade mal Minderung des Beitragsanstiegs von 2,4% bis 2040, mit harten Opfern wie Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre und dort ein Siebtel weniger Leistung als bisher .
Es gäbe eine Alternative: Wenn nicht nur die sinkenden Löhne, sondern auch die steigenden Kapitalerträge in die Rentenkassen einzahlen würden, hätte man mehr Beitragssenkung14. Drei Prozent, doch ohne solche harten Kürzungen und Einschnitte.
Die harten Absenkungen der Sozialleistungen werden überwiegend mit einer notwendigen Absenkung der Lohnnebenkosten begründet. Dies muss kritisch hinterfragt werden, denn
1.) liegt Deutschland in der Gesamtbelastung von Sozialabgaben + Steuern auf Platz 4 der OECD-Länder
2.) wirken manche Leistungen wie die Arbeitslosenhilfe gar nicht auf die Lohnnebenkosten, weil sie steuerfinanziert sind
3.) liegt der durchschnittliche Lohnanteil in der Wirtschaft nur noch bei 30% . Selbst eine Absenkung der Lohnnebenkosten um 4% würde sich auf den Produktpreis nur mit 0,6% auswirken . Ob dies die Wettbewerbsfähigkeit gravierend verbessert, darf bezweifelt werden.
Das Aufbrechen des Solidarprinzips folgt überall dem selben Mechanismen: die Starken sind immer weniger bereit, die Lasten der Schwachen mitzutragen. Wir haben einen großen Mangel an sozialer Gerechtigkeit.
16.09.03 Frieder Claus
Harald
Die wirtschaftliche Entwicklung
Lineares Wachstum, steigende Sockelarbeitslosigkeit und fallende Gewinnquote
Bis Mitte der 70er Jahre ging die BRD von der optimistischen Annahme aus, dass das Wirtschafts wachstum exponential mit einem "Zinseszins-Effekt" verläuft. Dabei kommt jedes Jahr der selbe Prozentsatz hinzu. Die Beträge nehmen bei einem solchen Verlauf absolut also stetig zu, denn wenn 5% aus 100 noch einen Zuwachs von absolut 5 ergeben, sind es bei 5% aus 500 schon 25, aus 1000 gar 50. Ein solch exponentiales Wachstum bildet sich in der grafischen Darstellung in einer immer steiler ansteigenden Kurve in Form einer Parabel ab, die im Zuwachs gegen Unendlich strebt.
Tatsächlich aber ergibt sich in der langfristigen Betrachtung seit 1950 bei allem Auf und Ab ein bestenfalls lineares Wachstum. Jährlich wächst (durchschnittlich und preisbereinigt) immer nur der selbe Betrag zu. Für das prozentuale Wachstum hat dies die umgekehrte Folge. Es strebt gegen Null: während ein Zuwachs von 5 aus 100 noch 5% Wachstum ergeben, sind dies bei 5 aus 500 nur noch 1%, bei 5 aus 1000 noch 0,5% u.s.w. u.s.f. Das prozentuale Wachstum einer linearen Entwicklung bildet sich in der grafischen Darstellung in einer immer flacher werden Kurve in Form einer Hyperbel ab, deren prozentuale Entwicklung gegen Null strebt.
Dies deckt sich mit der bundesrepublikanischen Entwicklung der Wachstumsraten unseres Bruttosozialprodukts. Lag dieses 1950 noch bei stolzen 12%, war es 1960 schon auf 5,5% gefallen. 1990 wurden durchschnittlich noch 2% erreicht, im Moment liegen wir bei etwa 1%.
Tatsächlich exponential verläuft aber die Entwicklung der Produktivität. Immer weniger Menschen stellen immer mehr Waren und Werte her. Hier kommt es zu dem "Zinseszins-Effekt", wobei jeder einzelne Arbeiter jedes Jahr mehr zusätzlich produziert, als er im Vorjahr mehr produziert hat. Die Herstellung von Waren und Werten von 1 Million Mark brauchte 1960 noch 26 Erwerbstätige. Heute braucht es hierzu (preisbereinigt) weniger als 10 Beschäftigte. Die Entwicklung der Produktivität bildet sich tatsächlich in einer steil ansteigenden Parabel ab, die gegen Unendlich strebt.
So kommt es zu einer Scherenentwicklung, bei der einerseits unser prozentuales Wirtschaftswachstum stetig sinkt und für dieses sinkende Wachstum durch die exponentiale Entwicklung der Produktivität immer weniger Beschäftigte benötigt werden. Der Prozess bildet sich ab in einer ständigen Zunahme der Arbeitslosen. Auch wenn diese Entwicklung im Auf und Ab der Konjunktur ihre Hoch- und Tiefpunkte hat, kommt es zu einem stufenförmigen Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit, die auch in konjunkturellen Hochphasen nicht mehr unterschritten wird. Diese Sockel bilden eine Treppe, die immer mehr Menschen aus dem Arbeitsprozess ausgrenzen:
Stetig steigende Sockelarbeitslosigkeit
Zeitspanne 1960 - 70 1970 – 80 1982 – 92 1993 – 98 1999 - 2003
Sockelarbeitslosigkeit 0,2 Mio. 0.9 Mio. 1,7 Mio. 2,3 Mio. 3,9 Mio.
Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung kommt es nun zu Gegensteuerungen der Wirtschaft, die das Problem der Massenarbeitslosigkeit aber noch verschärfen:
- Gewinne können mit der fallenden Wachstumsrate nicht mehr durch Expansion maximiert werden. Es wird zunehmend rationalisiert und automatisiert, um im technischen Vorsprung vor der Konkurrenz Sondergewinne zu realisieren
- Dem durch die hohe Produktivität hohen Lohnniveau wird durch Produktionsverlagerung in Billiglohnländer entgegengewirkt. Derzeit geht der Zug dieser Entwicklung über die EU-Beitrittsländer hinaus in die Ukraine, Südostasien bis hin nach China
Die Rationalisierung und Automatisierung führt zu hohen Kosten für technische Anlagen und Maschinen . Mit diesem steigenden Kostenballast sinkt die Gewinnquote der Unternehmen stetig. Lag sie Mitte der 60er-Jahre noch bei durchschnittlich 14% im Verhältnis zum investierten Kapital, ist sie inzwischen tendenziell auf unter 8% gefallen . Dieser niedrige Schnitt, der je nach Branche und in den Tiefpunkten der Krisen noch gewaltig unterlaufen wird, bietet immer weniger Anreize, Kapital in unternehmerische Prozesse zu investieren. Immer mehr Kapital sucht deshalb seine Rendite in rentableren Kapitalanlagen. Der Anteil der Gewinne, der wieder in die Unternehmen investiert wird, ist von ca. 65% Ende der 70er-Jahre auf weit unter 20% heute gesunken. Täglich kreisen Billionen von Dollar um den Globus auf der Suche nach spekulativen Gewinnen, mit der Gefahr von "Blasenbildungen" und Überhitzungen an den Finanzmärkten und der Bedrohung ganzer Volkswirtschaften und Staatswährungen. In manchen Betrieben erbringt die Anlageabteilung höhere Umsätze als das eigentliche Kerngeschäft . Diese Prozesse werden gefördert durch die weitgehende Steuerfreiheit von Börsengeschäften. Während jedes Stück Brot und jeder Kühlschrank mit Mehrwertsteuer belastet wird, sind selbst millionenschwere Gewinnen bei Währungs- oder Termingeschäften völlig umsatzsteuerfrei .
Die skizzierte Entwicklung ist kein deutsches Problem. Die gesamten westlichen Industriestaaten unterliegen diesen Prozessen. Sie versuchen, in einem "Dumpingwettbewerb" von niedrigen Zinsen, immer niedrigeren Unternehmenssteuern, Abbau von Sozialleistungen bzw. Kostenverlagerung auf die Versicherten und der Durchsetzung von Billiglöhnen große Unternehmen anzulocken und zu halten .
Der Erfolg ist zweifelhaft: die Verschuldung der öffentlichen Hand erreicht (nicht nur in Deutschland) gigantische Ausmaße, die Kaufkraft und die Binnenmarktnachfrage schrumpft, Verarmungs- und Segregationsprozesse führen zu Unwägbarkeiten bzgl. der Entwicklung von Kriminalitätsquote und sozialem Frieden. Der Abbau von Arbeitsplätzen und die Kapitalflucht setzt sich indessen unvermindert fort. Der Run in Länder mit immer niedrigeren Löhnen lässt die Weltkaufkraft schrumpfen. Es bleibt dabei offen, wer die teueren Hightech-Produkte noch kaufen soll, wenn die zu immer niedrigeren Löhnen Beschäftigten eher Blech zum Abdichten von Dächern oder Fahrräder brauchen.
Der ruinöse und ziellose "Dumpingwettbewerb" auf der Ebene der Kleinstaaten hat im gegebenen politischen Rahmen keine Endmarke. Kein Land kann sich dieser Spirale folgenlos entziehen. Sie hat auch keine Lösung, denn ein Konkurrieren mit den Lohn-, Steuer- und Sozialniveaus der Ukraine und Chinas würde brutalste gesellschaftliche Verwerfung in den Industriestaaten auslösen. Die politischen Lösungsversuche deutscher Reformpolitik beschränkt sich bislang leider noch auf solche Lösungsversuche.
Notwendig ist ein neues Mandat der Politik über die Wirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhardts funktionierte, weil Politik damals noch auf nationaler Ebene Vorgaben setzen konnte. Diese Chance eröffnet der große europäische Wirtschaftsmarkt wieder, auf den kein Konzern verzichten will und kann. Dort könnten steuerliche, soziale und beschäftigungspolitische Standards vorgegeben werden, an die sich jeder zu halten hat, der in diesem Markt verkaufen will. Bislang zielt die gemeinsame europäische Politik allerdings einseitig auf die Währungspolitik, Geldwertstabilität, abgestimmte Außenpolitik und militärische Handlungsmöglichkeit. Der große Ruck für ein neues politisches Mandat über die Wirtschaft ist dringend gefragt. Er ist entscheidend für das Zusammenleben der Menschen Europas ohne Verarmung und Segregation.
15.9.03 Frieder Claus
Die seit Jahren betriebene und zuletzt mit der Agenda 2010 klar formulierte Politik zielt auf den Abbau sozialer Leistungen und die Verlagerung deren Kosten auf die Schultern der Versicherten und abhängig Beschäftigten.
Argumentiert wird,
- es sei kein Geld mehr für die Finanzierung da
- es gäbe somit keine Alternative.
Beides ist zu hinterfragen.
Zunächst ist festzustellen, dass das private Vermögen jährlich neue Höchststände feiert und bei der gigantischen Summe von über 8 Billionen Euro angekommen ist. Die aktuelle Verteilung sieht so aus: die untere Bevölkerungshälfte hat nicht die Hälfte sondern weniger als 5% dieses Gesamtvermögens, das obere Zehntel keine 10% sondern ungefähr die Hälfte dieser 8 Billionen . Doch bedrohlicher als diese extreme Ungleichverteilung ist die Geschwindigkeit, in der diese Kluft weiter auseinander reißt.
Das riesige Privatvermögen auf der Halde trägt nun aber – im Gegensatz zu anderen großen Industrieländern – nicht einmal mit einer Vermögenssteuer bei. Es erwirtschaftet riesige Zins- und Dividendenerträge, die für die Krankenversicherung und die Rente keinen Cent abführen. Selbst bei der Steuer sind Dividendenerträge zur Hälfte und Börsengewinne praktisch fast ganz frei gestellt.
Im Jahr 2000 hatte man mit der Unternehmenssteuerreform erhofft, mit weniger Steuern für die großen Konzernen Arbeitsplätze zu gewinnen. Es führte zu einem fatalen Zusammenfall der ganzen Körperschaftssteuer (Gewinnsteuer der Kapitalgesellschaften) und der Gewerbesteuer. 2001 brachen 24 Milliarden Euro in der Körperschaftssteuer weg (1/8 des Bundeshaushalts), weitere 4 Milliarden an Gewerbesteuereinnahmen . Kaum eine Kapitalgesellschaft zahlt noch Steuern. Die öffentlichen Haushalte bis hin zu den Gemeinden verarmen – doch kein Arbeitsplatz ist entstanden. Im Gegenteil: zigtausende weitere sind abgebaut worden. Die größte Steuereinnahme in der Daimlerstadt Sindelfingen ist die Hundesteuer .
Die Behauptung, es sei kein Geld mehr da, lässt sich also in ihrer Absolutheit nicht halten, das Geld ist nur in andere Kanäle geflossen. Die Starken sind immer weniger bereit, die Lasten der Schwachen mit zu tragen, oder, wie es Ernst Bloch ausdrückte: wenn es nicht mehr für alle reicht, springen die Armen ein. Diesem Muster folgt die Agenda 2010, die zu einer riesigen Umverteilung, reicheren Reichen und ärmeren Armen führt:
Um die riesigen Löcher zu stopfen, baut die Agenda massiv Sozialleistungen ab und verlagert die Kosten auf die Schultern der Schwachen. In der größten Massenarbeitslosigkeit werden ihre Opfer zu Drückebergern gebrandmarkt. Arbeitslosen werden rund 8 Milliarden Euro weg genommen. Man muss jetzt erst verarmen, bevor man Hilfe erhält. Über 4 Mio. Menschen rutschen mit dem neuen "Arbeitslosengeld II" unter die Armutsgrenze der Sozialhilfe. Viele Familien werden den heftigen Sturz nicht überstehen, wenn Ratenzahlungen zusammen brechen und Streit ums Versagen in die Wohnzimmer einzieht. Eine neue halbe Million Kinder wird dabei sein, die in der Schule zu Außenseitern werden, weil sie in dem, was man haben muss, nicht mithalten können und man zu Geburtstagsfeiern nur eingeladen wird, wenn man selbst auch eine macht.
Es gäbe eine Alternative: die weitgehende Rücknahme der Unternehmenssteuerreform, weil sie eben keine Arbeitsplätze gebracht hat. Plötzlich wäre wieder drei mal so viel Geld da, wie man durch die Kürzung bei den Arbeitslosen einsparen zu müssen meint.
Ähnlich sieht es in der Krankenversicherung aus. 80% der Einsparungen tragen die Versicherten und Kranken, nur 20% die starke Seite der Pharmaindustrie, Ärzte und Kassen. 15 Milliarden Euro wird zunächst der Beitrag der Schwachen sein mit selbst zu zahlendem Zahnersatz und Krankengeld, Arztgebühren, Medikamentenkosten u.a..
Es gäbe eine Alternative: 15 Mrd. €, also genau so viel an Mehreinnahmen hätte eine Bürgerversicherung gebracht, in die auch alle Gutverdienenden mit allen Einkunftsarten einzahlen . Mit Einnahmen aus Zinsen, Mieten, Dividenden. Doch so lange diese aus dem Boot in günstige Privatversicherungen steigen können, wird das Boot der Gesetzlichen mit den Arbeitslosen, Chronischkranken und sozial Schwachen nicht aus dem Schlingerkurs kommen.
In der Rentenversicherung erreicht man gerade mal Minderung des Beitragsanstiegs von 2,4% bis 2040, mit harten Opfern wie Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre und dort ein Siebtel weniger Leistung als bisher .
Es gäbe eine Alternative: Wenn nicht nur die sinkenden Löhne, sondern auch die steigenden Kapitalerträge in die Rentenkassen einzahlen würden, hätte man mehr Beitragssenkung14. Drei Prozent, doch ohne solche harten Kürzungen und Einschnitte.
Die harten Absenkungen der Sozialleistungen werden überwiegend mit einer notwendigen Absenkung der Lohnnebenkosten begründet. Dies muss kritisch hinterfragt werden, denn
1.) liegt Deutschland in der Gesamtbelastung von Sozialabgaben + Steuern auf Platz 4 der OECD-Länder
2.) wirken manche Leistungen wie die Arbeitslosenhilfe gar nicht auf die Lohnnebenkosten, weil sie steuerfinanziert sind
3.) liegt der durchschnittliche Lohnanteil in der Wirtschaft nur noch bei 30% . Selbst eine Absenkung der Lohnnebenkosten um 4% würde sich auf den Produktpreis nur mit 0,6% auswirken . Ob dies die Wettbewerbsfähigkeit gravierend verbessert, darf bezweifelt werden.
Das Aufbrechen des Solidarprinzips folgt überall dem selben Mechanismen: die Starken sind immer weniger bereit, die Lasten der Schwachen mitzutragen. Wir haben einen großen Mangel an sozialer Gerechtigkeit.
16.09.03 Frieder Claus