Newsticker

Jahresarchiv

Jahresarchive

Gaby Gottwald: Über den Start und die Folgen von Hartz IV



Laden dicht

Über den Start und die Folgen von Hartz IV

Gaby Gottwald, ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, hat ihren Laden zum 31. Dezember 2004 dicht gemacht und damit auch ihren Job aufgegeben: Sie war Geschäftsführerin von »Abakus«, einem gemeinnützigen Beschäftigungsträger in Hamburg, der Langzeiterwerbslose auf Basis des SGB III und des BSHG, also z.B. als ABM-Kräfte, sozialversicherungspflichtig beschäftigt, qualifiziert und wo möglich in Arbeitsverhältnisse des so genannten »ersten Arbeitsmarktes« vermittelt hat – bis Ende letzten Jahres. Aufgrund der neuen Konkurrenz durch 1-Euro-Jobs seit dem 1. Januar 2005 sei Abakus die betriebswirtschaftliche Grundlage zur Erfüllung dieser Aufgabe entzogen, so Gottwald. Im Folgenden begründet sie, warum es nicht nur ökonomische Gründe waren, die bei Abakus dazu führten, die weitere Tätigkeit des Vereins einzustellen. Demnach wird Abakus kein Einzelfall bleiben..., es sei denn, es regt sich doch noch breiterer Widerstand der Beschäftigungsträger (s. dazu das Interview mit Michael Burbach ebenfalls erschienen in express 01/2005)..

»Ein Mann klagt an: Tricks mit 1-Euro-Jobs«. Schlagzeilen wie die des Hamburger Abendblatts am 17. Januar werden die Presselandschaft in 2005 wie Sand am Meer füllen. Die städtische Beschäftigungsgesellschaft hatte einem Altenheim 1-Euro-Jobber als Küchenhilfen überlassen. Diese verrichteten die gängig anfallenden Tätigkeiten wie Spülen, Abräumen, Essensausgabe. Der dafür ehemals benötigte reguläre Arbeitsplatz hatte sich erübrigt. Ein Skandal? Trickserei? Oder folgen die Betreiber des Altenheims nur der immanenten Logik des 1-Euro-Programms, das die Bundesregierung als zentrales Förderinstrument für Langzeitarbeitslose auserkoren hat?

Von ABM zu 1-Euro-Jobs
Am ersten Januar startete Hartz IV. Wirtschaftsminister Clement will rund 20 Prozent aller Langzeitarbeitslosen – ca. 600000 Personen – in 1-Euro-Jobs bringen. Deren Annahme ist für Erwerbslose verpflichtend. Bei Weigerung drohen Sanktionen: Kürzung der Regelleistung von 345 Euro (Alleinstehende) in einer ersten Stufe um 30 Prozent für drei Monate, bei wiederholter Ablehnung innerhalb der Dreimonats-Frist verdoppelt sich der Kürzungsbetrag. Jugendliche unter 25 Jahren erhalten während dieser Zeit überhaupt keine Geldleistungen mehr. Allein Hamburg plant für 10000 Personen Plätze ein, Berlin 35000 Plätze. Die 1-Euro-Jobs werden die befristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (ABM u.a.) für Langzeitarbeitlose verdrängen.

Derzeit verliert allerdings die Fan-Gemeinde der 1-Euro-Jobs diejenigen, die sich vom Programm die Integration der Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt versprechen. Vermehrt artikuliert sich die Sorge von Kammern und Gewerkschaften, dass sich die massenhaften »Zusatzjobs«, so die inzwischen offizielle Bezeichnung, als staatlich subventionierte Arbeitsplatzkiller erweisen werden. Um dies zu vermeiden, erlaubt das SGB II für 1-Euro-Jobber nur Tätigkeiten, die im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sind. Diese Kriterien wurden auch durch Senatsämter bzw. Kommunen vielerorts schriftlich fixiert und sollen von der Arbeitsagentur bzw. der ARGE (Arbeitsgemeinschaft der Sozial- und Arbeitsämter) überwacht werden.

Doch Papier ist geduldig. Das »öffentliche Interesse« ist ein dehnbarer Begriff und oft (zu) schnell definiert. Häufig wird es mit gemeinnützig gleichgesetzt. Doch 1-Euro-Jobs erfordern diese Einbettung nicht, sondern können auch von privaten Unternehmen eingesetzt werden, wenn dies einem öffentlichen Interesse gilt. »Zusätzlich« ist nach offizieller Definition, »was nicht, nicht in diesem Umfang oder zu einem späteren Zeitpunkt« erledigt wird. Und hier tut sich ein zweites Eldorado auf für den Einsatz von »Zusatzjobs«.

Im Oktober 2004 lief das Vorläuferprogramm für Hartz IV an. Die Arbeitsagentur stellte Mittel für hunderttausend 1-Euro-Jobs bereit. Die Teilnahme am Programm für Langzeitarbeitslose war in 2004 noch freiwillig. Erste Erfahrungen mit der konkreten Umsetzung der Zusatzjobs liegen bereits vor.

In Hamburg fochten die Kitas in 2004 einen harten Kampf gegen extreme Finanzkürzungen und bereiteten Entlassungsszenarien vor. Der kommunale Beschäftigungsträger lockte bereits mit 1-Euro-Jobbern. Was also im neuen Finanzrahmen 2005 nicht mehr steht, ist folglich zukünftig zusätzlich, wenn es wieder auftaucht. Theoretisch könnte eine in 2005 entlassene Erzieherin in 2006 in »ihrer« Kita wieder arbeiten – unentgeltlich.

Ein bekannter Hamburger Beschäftigungsträger, dessen Tätigkeit als gemeinnützig und zusätzlich gilt, muss sich vom EDV-Spezialisten trennen und stellt auf Honorartätigkeit um. Dank des neuen, selbst durchgeführten 1-Euro-Programms konnten zwei Plätze mit Programmierern besetzt werden, die nun im eigenen Betrieb externe Honoraraufträge ersetzen.

Die Hamburger Schulen mussten vor einem Jahr den zusätzlichen Deutschunterricht für Migrantenkinder stark reduzieren, da Lehrerstellen gekürzt wurden. Jetzt bieten Träger den Schulen hierfür 1-Euro-Jobber an.

Berlin führt ab 2005 verbindlich vor der Einschulung von Migrantenkindern mit mangelnden Deutschkenntnissen Sprachkurse ein. Diese staatliche Pflichtanforderung soll mit 1-Euro-Lehrern durchgeführt werden. Klar, diese Tätigkeit gibt es derzeit nicht, aber kann etwas zusätzlich sein, zu dem der Staat sich selbst und andere verpflichtet?

Soziale Einrichtungen und Wohlfahrtsverbände wichen in jüngster Zeit bei Personalkürzungen auf 400-Euro-Mini-Jobs aus, die nicht fest im jährlichen Finanzierungsplan eingebucht sind und jederzeit gekündigt werden können. Ab 2005 erhalten sie 1-Euro-Jobber, für die sie auch noch eine zusätzliche Kostenerstattungspauschale einstreichen. Viele der bislang geringfügig Beschäftigten werden die ersten sein, die ersetzt werden.

Die Kommunen vernachlässigen aufgrund des Finanzierungsproblems bisherige Regelaufgaben. Parks werden zunehmend nur unzureichend gepflegt, Müll nicht mehr regelmäßig entsorgt, u.s.w. Eigenes Personal wurde bereits eingespart, und Aufträge an private Firmen wurden gekündigt, entsprechende finanzielle Einsparungen im Haushalt 2005 bereits vorgenommen. 1-Euro-Jobber erledigen künftig zahlreiche solcher Aufgaben insbesondere bei der Gebäudereinigung, Straßenreinigung und der Pflege von Grünanlagen.
Deregulierung und Lohndumping
In der Realität werden die »Zusatzjobs« zum Einfallstor für Lohndumping und reguläre Arbeit verdrängen. Das staatlich finanzierte System der erzwungenen und oft entwürdigenden unentgeltlichen Arbeit gefährdet reguläre Beschäftigungsstrukturen, ohne für Langzeitarbeitslose eine Perspektive jenseits der Abhängigkeit von Transferleistungen zu generieren. Das 1-Euro-Programm ist kein arbeitsmarktpolitisches Integrationsprogramm für Langzeitarbeitslose, sondern die offizielle politische Aufkündigung, dieses Ziel weiter verfolgen zu wollen. Langzeitarbeitslose werden durch das Programm perspektivisch als Alimentationsfälle abgeschrieben und nicht nur statistisch ausgesteuert. Das Programm hat einen doppelt negativen Effekt: Es schafft keine Beschäftigung für Erwerbslose und gefährdet Arbeitsplätze wie auch Arbeitsbedingungen der (noch) Beschäftigten.

Wer der Bundesregierung glaubt, 600000 zusätzlicher staatlich subventionierter Jobs ohne Entgeltleistung hätten keine deregulierende Auswirkung auf die reguläre Beschäftigungsstruktur, ist naiv. Besonders betroffen vom Verdrängungsprozess werden all die Bereiche sein, die direkt oder indirekt öffentlich alimentiert und seit Jahren strukturell unterfinanziert sind. Viele soziale Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände, Initiativen, etc., die zu Beginn des Programms zusätzliche kostenlose Arbeitskräfte als Gewinn empfinden, werden bald bitter feststellen, dass die 1-Euro-Jobber aufgrund weiterer Mittelkürzungen zum integralen Bestandteil ihrer Basisstruktur geworden sind. Dies wird jenseits des Verdrängungsprozesses gegenüber bezahlter Arbeit eine Fülle organisatorischer Probleme mit sich bringen. Seit Jahresbeginn ist die Teilnahme am Programm nicht mehr freiwillig. Gerade soziale Einrichtungen werden an der »Passungenauigkeit« der Zuweisung und am ständigen Personenwechsel verzweifeln, zumal, wenn sie auf die so genannten zusätzlichen Arbeitskräfte bereits strukturell angewiesen sind. Spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem die betrieblichen Strukturen auf den kontinuierlichen Nachschub von 1-Euro-Kräften eingestellt sind, werden viele soziale Einrichtungen unweigerlich auch zu Bütteln der Hartz IV-Politik.

Ehrenamt und Zusätzlichkeit – Anspruch und Wirklichkeit
Nun fällt häufig auch das Argument, dass es eine Fülle sinnvoller Aufgaben gibt, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht erledigt werden könnten – wäre da nicht das viel gelobte Ehrenamt. In den anfänglichen Diskussionen über die 1-Euro-Jobs wurde vielfach eine Nähe zur ehrenamtlichen Tätigkeit hergestellt, um zu suggerieren, dass Hunderttausende von Zusatzjobs ein Segen für die sozial schwächelnde Gesellschaft seien. Doch Ehrenamt und 1-Euro-Jobs haben nichts gemein. Basis des Ehrenamtes ist die Freiwilligkeit und das eigene (soziale) Engagement, die persönliche Eignung und meist der immaterielle Nutzen. Pflichtarbeit dagegen gründet auf Zwang und sozialer Not der Betroffenen. Dennoch wird dieser Antagonismus nicht verhindern, dass klassische ehrenamtliche Tätigkeit durch 1-Euro-Jobber ersetzt wird. Ist das Ehrenamt erst verdrängt, werden viele soziale oder karitative Tätigkeiten nicht mehr stattfinden, denn ständig wechselnde 1-Euro-Jobber müssen weder fähig noch willig sein, für andere Wohltätigkeit walten zu lassen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass 1-Euro-Jobber besonders da gefragt sind, wo ihre Tätigkeit nicht zusätzlich ausgeübt wird, sondern versteckt Regelaufgaben an sie delegiert werden können. Die Durchführung wirklich zusätzlicher Tätigkeiten muss schließlich zusätzlich organisiert werden, bedarf zusätzlicher finanzieller Mittel und personeller Ressourcen. Welche (soziale) Einrichtung aber kann sich dies leisten, wenn die Umsetzung des Regelangebotes bereits kaum noch zu schaffen ist? So bedarf es keiner Prophetie, um festzustellen, dass es die Anzahl an Tätigkeiten für die 1-Euro-Jobs, die die Bundesregierung ins Auge gefasst hat, als zusätzliche nicht geben wird. Die derzeitigen Planungen in den Kommunen und die ersten Vergabeprogramme für 2005 belegen auch bereits, dass die Zahl von 600000 Zusatzjobs nicht erreicht wird. Aber selbst wenn nur die Hälfte realisiert würde, bleibt der immanente materielle Zwang in der Umsetzung, die Jobs da anzusiedeln, wo sie sich rentieren, eben weil die ausgeführten Tätigkeiten nicht zusätzlich – und damit im Prinzip für das eigene Organisations- oder Betriebsinteresse überflüssig sind.

Auflösung arbeitsmarktpolitischer Projektstrukturen
Die immanente Logik des 1-Euro-Programms, den Preis der Ware Arbeitskraft zu drücken und reguläre Beschäftigung zu verdrängen, erfährt zusätzlich Aufwind durch die Art der Organisierung des Programms. Beispiel Hamburg. Dort wurde Mitte Dezember bekannt gegeben, welche Träger die ARGE zur Umsetzung des 1-Euro-Programms für das erste Halbjahr 2005 ausgewählt hat, nachdem ca. 100 Hamburger und externe Anbieter für rund 20000 Plätze Angebote eingereicht hatten – mehr als das Doppelte des Programmbedarfs. Entschieden wurde die Vergabe primär über den Preis, den ein Träger für einen Euro-Jobber pro Monat erhält, wenn er ihn beschäftigt oder extern einen Arbeitsplatz organisiert. Im Trägerwettbewerb behaupteten sich diejenigen, die einen niedrigen Preis für die »Kopfpauschalen« anbieten konnten, da sie geringe eigene Infrastrukturkosten haben. Das Rennen machten Weiterbildungsträger – auch externe –, die keine eigenen Betriebsstätten unterhalten. Beschäftigungsträger, die 1-Euro-Jobs bewilligt bekommen, müssen ebenfalls einen Großteil der Plätze über externe Strukturen abwickeln. Beschäftigungsträger, die (zusätzlich) weiterhin eigene Projektstrukturen für Zusatzjobber unterhalten, unterliegen dem betriebswirtschaftlichen Zwang, die im Vergleich zum ABM-Programm der Vorjahre stark abgesenkten Kopfpauschalen durch die Erhöhung der Anzahl an Arbeitsplätzen zu kompensieren, soll nicht Personal entlassen werden. Die Qualifizierung der Langzeitarbeitslosen, ihre individuelle Beratung und Betreuung, personengeeignete Tätigkeiten, individuelle Förderpläne, etc. werden der betriebswirtschaftlichen Logik weichen müssen, die da heißt: hohe Platzzahl, wenig Aufwand. Quantität statt Qualität ist erzwungenermaßen die neue Maxime in der Arbeit mit Zusatzjobbern, die wesentlich auch die Arbeitsbedingungen der Festangestellten prägen wird. Viele der klassischen ABM-Beschäftigungsträger, die in Eigenregie Produktionsstätten, Projekte oder Dienstleistungszentren betreiben, in denen zukünftig 1-Euro-Jobber als Ersatz für ABM-Beschäftigte tätig werden sollen, gingen im Vergabeverfahren ohne Zuschlag aus. Öffentlicher Druck sorgte dafür, dass Hamburg den Regieträgern einen Übergangsmodus bis Mitte 2005 anbot, um eine plötzliche Pleitewelle abzufangen. Für nicht wenige der Träger stellt sich jedoch im zweiten Halbjahr 2005 die Existenzfrage.

Verleih von Zusatzjobbern gefährdet Arbeitsplätze
Diese Logik der Umsetzung des neuen Jobprogramms bedeutet jedoch nicht nur die (gewollte) Auflösung der bisherigen arbeitsmarktpolitischen Trägerstruktur, sondern hat gravierende Konsequenzen für den regulären Arbeitsmarkt. Zukünftig werden Zusatzjobber nicht mehr wie bei ABM vorrangig in eigenen Projektstrukturen und Betrieben beschäftigt werden, sondern mangels dieser Infrastruktur im Rahmen von Kooperationen direkt bei interessierten öffentlichen oder privaten Einrichtungen. Kooperationsplätze statt Programmdurchführung in Eigenregie sind für den Geldgeber billiger. Angesichts der Masse der Zusatzjobs und angesichts des realen Mangels an wirklich zusätzlichen Arbeitsplätzen wird dieser primär am Preis orientierte Vergabemechanismus den programmimmanenten Verdrängungseffekt enorm dynamisieren. Die durchführenden Träger erhalten ihre Finanzierung nur für real besetzte Plätze, so dass sie gezwungen sind, die Zusatzjobs wie Sauerbier anzubieten. Träger ohne eigene Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten Hunderte von Plätzen, die jeden Monat durchgängig bei anderen besetzt sein werden. Dabei ist der Schindluderei Tür und Tor geöffnet. Kontrollen durch die ARGE wird es angesichts Tausender von Plätzen nur stichprobenartig geben. Gerade externe Anbieter, aber nicht nur diese, bedienen sich da gerne des Branchenbuchs. Zahlreiche Rückmeldungen von Initiativen und sozialen Einrichtungen liegen bereits vor. Telefone klingeln: »Wollen Sie nicht 1-Euro-Jobber? Sie können bestimmt Unterstützung gebrauchen. Wir bieten kostenlos mit guter Betreuung...« Was nicht passt, wird passend gemacht. Das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit blüht, und jeder will etwas vom Kuchen abhaben. Die Vermakelung von 1-Euro-Jobbern ist ein neuer Geschäftszweig geworden. Ein Tor, wer glaubt, bei dieser Art der Programmumsetzung werde zuallererst streng darauf geachtet, dass die neuen Tätigkeitsfelder wirklich zusätzlich sind und vorhandene Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Ein Tor auch, wer glaubt, dass die Auswahl der Tätigkeitsbereiche und die personelle Besetzung primär dem vermeintlichen arbeitsmarktpolitischen Grundgedanken folgen, die Zusatzjobs dienten der Qualifizierung und Integration der Langzeitarbeitslosen.

Da die Grundlage des Programms ist, möglichst kostengünstig möglichst große Mengen von Zusatzjobs anzubieten – schon wegen des statistischen »Bereinigungseffektes« – dürfte folgende Grundregel zum Tragen kommen:

Je weniger qualifiziert eine Tätigkeit ist, desto mehr Erwerbslose können in großen Gruppen in Tätigkeitsbereichen beschäftigt werden, die keinen hohen Betreuungsaufwand erfordern. Je qualifizierter die Tätigkeit ist und je höher die Anforderung an soziale Kompetenzen, desto geringer die Möglichkeit, große Kontingente von Zusatzjobbern in internen oder externen Tätigkeitsfeldern unterzubringen. Die Durchführungseinrichtungen leben betriebswirtschaftlich von der Logik der Masse ohne hohen Aufwand, was dazu führt, dass sie einen Großteil der Zusatzjobs in den Bereich der gewerblichen Einfachtätigkeiten drängen. Wer Hunderte von Zusatzjobbern selbst beschäftigen soll, sucht nach Aufträgen in den Standardbereichen Sauberkeit der Stadt, Straßenbegleitgrün, bezirkliche Grünanlagenpflege, Ordnung und Sicherheit, allgemeine Reinigungsarbeiten, etc. Träger, die bis dato mit einem Anleiter und acht bis zehn ABM-Beschäftigten diese Arbeiten verrichteten, werden die gleiche Arbeit zukünftig mit 20 1-Euro-Jobbern oder mehr und einem Anleiter durchführen. Parallel dazu wird nach neuen Aufträgen gesucht. Gerade in diesen Einfachtätigkeitsbereichen wird es zu erheblichen Konkurrenzen mit privaten Firmen kommen. Da meist Kommunen die Auftraggeber sind, ist das Interesse groß, kommerzielle Aufträge durch »zusätzliche Tätigkeiten« zu ersetzen.

Da jedoch ein Großteil der Programmabwickler keine eigenen Tätigkeiten durchführt, sondern Zusatzjobber nur vermittelt, werden sich die Zusatzjobs nicht auf die Einfachtätigkeiten beschränken, sondern auch in qualifiziertere Tätigkeiten im sozialen, kulturellen, bildungspolitischen Bereich drängen. Da viele der qualifizierten Zusatzkräfte in Tätigkeitsfeldern eingesetzt werden, deren Anforderungen weit unterhalb ihrer Kompetenzen liegen, wird sich ein struktureller Mitnahmeeffekt ergeben, der gerne in Anspruch genommen wird. Für den Zusatzjobber dagegen, der dadurch dequalifiziert wird, ergibt sich durch die unbezahlte Arbeit keine Integrationsperspektive, da kein Geld für Neueinstellungen da ist. Für die Festangestellten der Einrichtung wiederum wird sich dieser Mechanismus negativ auswirken.

Gewerkschaften zwischen Ignoranz und selbstorganisierter Hilflosigkeit
Auf Seiten der betrieblichen Interessenvertretungen und Gewerkschaften bestimmt derzeit gespaltene Wahrnehmung das Bild. Die einen ignorieren Zielrichtung und Wirkung von Pflichtarbeit, die anderen stehen den Zusatzjobs mehr als skeptisch gegenüber. Beide sitzen in einer selbst gebauten Falle. Mit ihrer Absegnung des Gutachtens der Hartz-Kommission kurz vor den Wahlen in 2002 haben die Gewerkschaften auch ihrer weiteren strategischen Entmachtung zugestimmt. Die Umsetzung des Hartz IV-Programms für Langzeitarbeitslose untersteht nicht mehr der Selbstverwaltung der Agentur für Arbeit, sondern der ARGE. Auf dieser Ebene kann allenfalls über die Teilnahme im örtlichen ARGE-Beirat, in dem auch Kammern und Gewerkschaften vertreten sind, Einfluss geltend gemacht werden, aber Entscheidungskompetenz sieht anders aus. Zwar üben Gewerkschaften Kritik und stoßen Warnungen aus, aber wirkliche Gegenwehr ist kaum zu erkennen. So fordert etwa der DGB im September 2004 die Nachrangigkeit der 1-Euro-Jobs gegenüber den herkömmlichen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wie ABM und Qualifizierung. Er verlangt eine kriteriengebundene Beschränkung von Pflichtarbeit auf bestimmte Personen- und Zielgruppen und verleiht dem Instrument doch gerade dadurch am Ende eine gewerkschaftseigene Legitimation. Angesichts der damals politisch längst entschiedenen Konzentration arbeitsmarktpolitischer »Förderung« für Langzeitarbeitslose auf den Zusatzjob taugt die seichte DGB-Erklärung allenfalls als zeitlose Seelenakrobatik zur eigenen Beruhigung. Ver.di legte Ende September eine Unterrichtungsvorlage für den Bundesvorstand vor; zu einer eindeutigen Absage an 1-Euro-Jobs reichte aber auch hier nicht der Mut. Man müsse – so der Tenor – schließlich auch Rücksicht nehmen auf die, die diese Jobs ausüben. Diese Philanthropie ist jedoch weder für die Langzeitarbeitslosen noch für die (noch) beschäftigte Klientel ein zweckdienliches Argument. Die freiwillige Nachfrage nach 1-Euro-Jobs in 2004, die von Bundesregierung und Arbeitsagentur als Programmlegitimation ins Feld geführt wird, bestätigt lediglich die extreme Arbeitsbereitschaft der Langzeitarbeitslosen und damit die Überflüssigkeit des massenhaften Einsatzes eines Instruments, das im Rahmen des SGB II primär der Überprüfung der Arbeitswilligkeit dient. Schon aus Gründen gewerkschaftlichen Anstandes sollte das ausgeprägte Verlangen vieler Langzeitarbeitsloser nach unbezahlter Arbeit als das bezeichnet werden, was es ist: Ausdruck des massenhaften sozialen und psychischen Elends von Erwerbslosen in diesem Land sowie unübersehbarer Beleg für den absoluten Mangel an vernünftigen arbeitsmarktpolitischen Alternativen für diesen Personenkreis.

Die vielleicht gut gemeinte Zurückhaltung der Gewerkschaften enthält unfreiwillig nicht nur einen gewissen Zynismus; sie ist auch im eigenen Organisationsinteresse ausgesprochen dumm. Denn was für 1-Euro-Jobber gelten soll, gilt auch für alle anderen Erwerbslosen und natürlich für diejenigen, die Angst haben, bald dazu zählen zu können. Betroffen von den Wirkungen der 1-Euro-Jobs sind damit gerade auch die Arbeitsbedingungen in jenen Branchen und Wirtschaftsbereiche, die vermeintlich nichts mit diesen Jobs zu tun haben. Das Sich-Einlassen auf diese Logik bedeutet das Ende von Interessenvertretung in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und die weitere Erosion gewerkschaftlicher Organisierung überhaupt. Zum Verzicht bedarf es keiner Gewerkschaften mehr. Es ist bekannt, dass der, der in Not ist, auch für Dumpinglöhne arbeitet. Dagegen politisch ins Feld zu ziehen, bedeutet eben nicht gleichzeitig, denjenigen zu verurteilen, der sich so billig verdingt. Der Pflichtarbeiter folgt der gleichen Logik wie der Billigarbeiter. Das 1-Euro-Pro-gramm forciert die weitere Ausbreitung von Niedriglöhnen. Es ist ein Programm gegen Gewerkschaften und gehört nicht nur im Interesse der Arbeitslosen und der Beschäftigten, sondern aus ureigenem Organisationsinteresse entschieden bekämpft.

Erste regionale Ansätze, wie der Flut der neuen Pflichtarbeit begegnet werden kann, gibt es, wenn auch spärlich und verspätet. So hat ver.di Hamburg Ende November in einem Eckpunktepapier den Einsatz des Instruments generell abgelehnt und für Betriebs- und Personalräten eine erste Handlungsorientierung entwickelt. Obwohl es sich bei Zusatzjobbern nicht um Beschäftigte handelt, unterliegt deren Einstellung aufgrund der Weisungsgebundenheit ihrer Tätigkeit und der Eingliederung in die betrieblichen Strukturen der Mitbestimmung der betrieblichen Interessenvertretung. Ver.di rät den Betriebs- und Personalräten deshalb, jeden geplanten Zusatzjob genauestens daraufhin zu überprüfen, ob er im öffentlichen Interesse liegt und wirklich zusätzlich ist. Hierbei sind sehr enge Kriterien anzulegen; aus gewerkschaftlicher Sicht ist eine Tätigkeit dann nicht zusätzlich, wenn Stellenpläne und Leistungskataloge in der Vergangenheit diese Tätigkeit noch beinhaltet haben. Etatkürzungen sind kein zu akzeptierendes Argument, um aus ehemaligen Regeltätigkeiten zusätzliche werden zu lassen. Zudem sollen bei neuen Stellenbesetzungen bereits im Betrieb tätige Zusatzjobber Vorrang gegenüber einer Außenbewerbung genießen, u.a.m.

Solche gewerkschaftlichen Initiativen schärfen nicht nur das Bewusstsein über die Problematik des Programms gerade auch für reguläre Beschäftigte, sie streuen auch Sand ins Getriebe, da sie versuchte Mitnahmeeffekte der Arbeitgeber unterlaufen können. All dies muss aber Stückwerk bleiben, solange sich Gewerkschaften nicht endlich klar gegen Pflichtarbeit und die Logik der Hartz IV-Gesetzgebung positionieren – und zwar nicht nur auf dem Papier. Hartz IV bedient sich der Not der Erwerbslosen, zielt aber letztlich auf das Erwerbssystem, die dort Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen und gerade auch auf die kollektive Interessenvertretung.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/05

Zurück