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Gaby Gottwald: Vergifteter Köder - zum Rüttgers - Antrag

Gaby Gottwald

Vergifteter Köder

Unscheinbar im Rüttgers-Antrag, der vom CDU-Parteitag angenommen wurde, war ein pikantes Detail versteckt

Jürgen Rüttgers hat es hervorragend eingefädelt, sich mit seinem Vorschlag zur Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I (ALG I) als Vorkämpfer eines sozialen Flügels der CDU zu inszenieren. Das konnte dem NRW-Ministerpräsidenten nur gelingen, weil der eigentliche Sprengsatz im seinem Antrag, den der CDU-Parteitag vergangene Woche schließlich angenommen hat, nicht diskutiert wurde. Dort steht nicht nur, dass diejenigen, die viele Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, entsprechend längeren Anspruch auf ALG I erhalten, sondern auch, dass die Bedingungen für Hartz IV-Empfänger spürbar verschärft werden sollen.

Rüttgers hatte vorgeschlagen, wer lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, solle auch mehr rausbekommen. Klingt plausibel. Doch sollten keine zusätzlichen Kosten dadurch entstehen. Von der SPD wurde zu Recht kritisiert, der Vorstoß ginge zu Lasten der jüngeren Erwerbslosen, deren Bezugsdauer man dann eben verkürzen müsse. Doch auf einen Alternativvorschlag, der dieses Problem löst, wartete man bei den Sozialdemokraten vergeblich. Verwunderlich angesichts von elf Milliarden Euro Überschuss der Bundesagentur für Arbeit. Warum kann dieses Geld nicht für einen gerechteren Leistungsbezug eingesetzt werden?

Die Eintracht der Großkoalitionäre ist größer, als der Disput erscheinen lässt. Beidseitig wird am Ziel der Hartz-Gesetze festgehalten; die Lohnnebenkosten müssen sinken. Die drastische Absenkung des Beitragssatzes für die Arbeitslosenversicherung wurde bereits von der großen Koalition beschlossen. Rüttgers hat die SPD auf diese Weise kalt erwischt, da auch sie keine höheren Ausgaben für das Arbeitslosengeld will.

Die Gerechtigkeitsdebatte zwischen CDU und SPD ist eine Farce, denn beide Parteien haben mit ihrer Zustimmung zu den Hartz-Gesetzen die bessere Risikoabsicherung für Ältere in der Arbeitslosenversicherung weitgehend abgeschafft. Rüttgers korrigiert diesen Fehler nur minimal. Den Ängsten vieler - gerade Älterer - vor dem sozialen Absturz kann jedoch so nicht begegnet werden, denn die haben ihren Grund in der Lage, die häufig dem Arbeitslosengeld folgt. Vielen droht Hartz IV und eine dauerhafte Alimentierung auf Sozialhilfeniveau. Und für diese hat Rüttgers sich etwas ganz besonderes ausgedacht: Eltern und Kinder sollen wieder füreinander aufkommen müssen. Dieses kaum beachtete Detail macht den NRW-Antrag so perfide und zeigt seine eigentliche Stoßrichtung: Es geht um die dauerhaft Erwerbslosen. Hartz IV schaffte die allgemeine Unterhaltspflicht zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern ab. Rüttgers will sie wieder einführen. Ob ein 53-jähriger Erwerbsloser sich wohl der erniedrigenden und konfliktträchtigen Situation aussetzen möchte, dass seine Kinder seinen Lebensunterhalt finanzieren müssen? Wohl kaum, lieber werden Betroffene jede noch so schlecht bezahlte und entwürdigende Arbeit annehmen.

Die Wiedereinführung der Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern - ein Vorstoß des Arbeitgeberverbandes BDA vom Sommer - hatte die CDU/CSU-Fraktion bereits im Oktober in ihrem Eckpunktepapier zur Arbeitsmarktpolitik aufgegriffen. Damit würden die Regelungen der alten Sozialhilfe für die Gruppe der ALG II-Empfänger übernommen. Auch bei Niedriglohnjobbern, die ergänzend ALG II beziehen, müssten dann überprüft werden, ob nicht eine zahlungsfähige Mutter oder ein Sohn für sie aufkommen könnte. Dieser Sprengsatz, den der "soziale" Rüttgers den ALG II-Empfängern vor die Füße legt, wurde in der Debatte leider so gut wie nicht beachtet. Er wurde kaschiert durch die drastische Anhebung des Schonvermögens im Alter, von dem jedoch dann nichts für spätere Zeiten übrig bleibt, wenn wegen der Unterhaltspflicht darauf verzichtet wird, Hartz IV zu beantragen.

Es geht der CDU in der Tat darum, "Hartz IV generell zu überholen", so ist übrigens der Rüttgers-Vorschlag auch betitelt. Den ALG I-Bezug in Maßen zu verlängern, diente Rüttgers als vergifteter Köder, um die Wiedereinführung der Sozialhilfe für alle Empfänger von ALG II zu legitimieren. Der Rüttgers-Vorschlag trifft materiell am heftigsten die Gruppe, für die er vermeintlich in die Schlacht gezogen ist: langjährige Erwerbstätige, die ihren Job verlieren. Der CDU-Parteitag ergänzte Rüttgers Logik nur konsequent und beschloss zudem die Verschlechterung des Kündigungsschutzes.

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