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Goodbye, DGB! Nach dem Sozialabbau ist vor dem Sozialabbau.
Jungle World 29 - 07. Juli 2004
URL: www.jungle-world.com/seiten/2004/28/3452.php
Goodbye, DGB!
Nach dem Sozialabbau ist vor dem Sozialabbau.
Im »Masterplan Deutschland«
der CDU geht es vor allem den Gewerkschaften an den Kragen.
von regina stötzel
Verlöre eine wackere Gewerkschafterin in naher Zukunft das Bewusstsein, etwa weil ihr in Anbetracht von »Hartz IV« ganz anders wird, und wachte nicht so schnell wieder auf, sagen wir, erst im Jahr 2010, so müsste man der stark
Geschwächten, wollte man sie nicht gleich zu Grabe tragen, die Wahrheit über den Zustand und die Befugnisse der ehemaligen Interessenvertretung der Lohnabhängigen vorenthalten.
Das, wovon Michael Rogowski (BDI) träumt (siehe Seite 6), würde ihr auf der Stelle den Garaus machen. Denn auf die Gewerkschaften kommen harte Jahre zu, und Angela Merkel (CDU) soll die Maggie Thatcher abgeben nach dem
Regierungswechsel.
Doch blicken wir zunächst in die Vergangenheit. Welcher Politiker sagte im Sommer des Jahres 2001, wer nicht arbeite, der solle auch keine Sozialhilfe bekommen? War es Edmund Stoiber? Nein! Etwa Roland Koch? Falsch! Die
richtige Antwort lautet: Rudolf Scharping (SPD), damals stellvertretender Parteivorsitzender und Verteidigungsminister. Zwar führte er die Aussage des
Bundeskanzlers aus dem Frühjahr desselben Jahres, es gebe kein Recht auf Faulheit, nur konsequent fort. Dennoch erntete Scharping Widerspruch aus den eigenen Reihen. Franz Müntefering etwa, zu jener Zeit Generalsekretär der
Partei, sagte nach anfänglicher Zustimmung, der Staat müsse auch künftig einen Mindeststandard für seine Bürger sichern, also das Existenzminimum gewährleisten.
Seither hat sich die Regierung bemüht, kraftvolle Aussagen wie die Scharpings weitgehend für sich zu behalten. Meinte sie auch das Gleiche, sprach sie doch lieber von einer neuen »Mischung« oder »Balance« zwischen »Fördern« und »Fordern«.
Anders die Kollegen aus der Union: »Wer nicht arbeitet, obwohl ihm ein Angebot unterbreitet wurde (.), braucht offensichtlich keine Unterstützung«, heißt es in einem Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von Anfang
2002. »Bei der Ablehnung eines Beschäftigungsangebots sind Sanktionen vorgesehen, bis hin zur vollständigen Streichung des Sozialhilfe-Regelsatzes. Bei fortgesetzter Weigerung wird die Sozialhilfe noch stärker gekürzt«, sagte Roland Koch (CDU) im vergangenen Sommer, und das klang so, als müsste der Sozialhilfeempfänger, der nicht spurt, unter
gewissen Umständen sogar draufzahlen. »Wer arbeitsfähig ist, aber dennoch nicht arbeitet, der soll statt Geldleistungen Sachleistungen erhalten«, forderte Edmund Stoiber (CSU) wenig später, und könnte dabei das
Chipkartensystem für Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Kopf gehabt haben.
»Wer nicht arbeiten will, bekommt auch nicht die volle Sozialhilfe«, zitierte der stern Angela Merkel, vergleichsweise milde, in der vergangenen Woche. Denn immer wenn etwas bevorsteht, darf es nicht mehr so grausam
klingen. Also eher nach SPD oder großer Koalition oder eben »Hartz IV«, wonach man sich schon fragt: Ja, kann es denn noch schlimmer kommen?
Es wird schlimmer kommen. Denn nach dem Sozialabbau ist vor dem Sozialabbau.
Und die nächste Regierung ist immer die schlimmste.
Zukunftsweisend ist zweifelsohne der »Masterplan Deutschland - zehn Leitsätze für Aufbruch und Wachstum«, den Kurt Lauk (CDU) auf dem Wirtschaftstag seiner Partei in der vorigen Woche der Presse präsentierte.
Darin steht zum Beispiel schwarz auf weiß: »Reduzierte Transferleistungen für erwerbsfähige, aber arbeitsunwillige Sozialhilfeempfänger um 25 Prozent. Bei andauernder Arbeitsverweigerung ist die Hilfe ganz zu streichen.« Das
Merzsche Steuermodell wird noch ein bisschen ausgebaut: »Das Ziel für 2010 sind Sätze von zehn, 20 und höchstens 30 Prozent.« Ganz abgeschafft wird die
Gewerbesteuer. Aus den neuen Bundesländern soll eine »Modellregion Wachstum« werden, es drängt sich jedoch die Assoziation eines »Wilden Ostens« auf, wenn man liest: »Mindestens zehnjährige Aufhebung bundesrechtlicher Regelungen in Arbeits-, Tarif-, Bau-, Genehmigungs- und
Umweltrecht.« Stattdessen gilt dann wohl das Recht des Stärkeren.
Andere Punkte bleiben unschön, überraschen jedoch nicht. Das Rentenalter soll auf 67 Jahre, die Wochenarbeitszeit
»flexibel« auf »mindestens 40 Stunden« angehoben, Studiengebühren sollen eingeführt werden (denn »auch
Meisterbrief und Kindergarten kosten Geld«). Die Option auf den Ausbau der Atomkraft ist ausdrücklich erwähnt neben Wettbewerb hier, Innovation da, viel Deutschland und ein bisschen Europa. »Deutschland« werde mithilfe des
Masterplans zum »Kompetenzzentrum« in der »Mitte Europas« und Europa wiederum bis zum Jahr 2010 der »Wirtschaftsraum Nummer eins in der Welt«.
Achtung: Die »Kopfpauschale«, also der vom Einkommen unabhängige Einheitspreis für eine notdürftige gesundheitliche Versorgung (Zahnersatz, Krankengeld und Freizeitunfälle sind ausgenommen, Zuzahlungen müssen
geleistet werden) heißt ab sofort »Gesundheitsprämie« und lässt vergeblich darauf hoffen, dass man etwas ausgezahlt bekommt.
Als Zuckerbrötchen für die kleinen Leute dienen eine verbesserte Kinderbetreuung, ein so genanntes Familiensplitting sowie eine freundliche Empfehlung an die ganz oben: »Die Auswüchse bei Gehältern und Stock-Options
der Unternehmensführung sollten beendet werden.«
Offensichtlich geht aus dem Masterplan hervor, dass sich die CDU vor allem zum Ziel gesetzt hat, die Gewerkschaften und mit ihnen das Arbeitsrecht klein zu kriegen. In den Worten des frisch gebackenen Bundespräsidenten Horst Köhler klingt das alles noch total harmonisch: »Arbeitnehmer und
Arbeitgeber, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft - wir sitzen alle in einem Boot«, sagte er bei seinem Amtsantritt. Der Masterplan spricht Tacheles: »Das Tarifkartell auf Kosten der Arbeitslosen muss endlich
beseitigt werden. Komplizenschaft von Politik und Tarifpartnern beenden.«
Kurz: »Gewerkschaftsfunktionäre entmachten.« Die dummen Lohnabhängigen und Arbeitslosen sollen endlich einsehen, dass der Klassenfeind nur ihr Bestes will, die Gewerkschaften aber die Ursache allen Übels sind.
»Abweichungen vom Flächentarifvertrag bei qualifizierter
Belegschaftsmehrheit - ohne Gewerkschaftsveto« sieht der Wirtschaftsrat der CDU vor und baut darauf, dass die Erwerbstätigen einiges aufgeben, um ihren Job zu behalten. Der Kündigungsschutz bei Neueinstellungen wird gänzlich
abgeschafft, die Aufsichtsräte der Unternehmen werden verkleinert mit der Option, »paritätisch besetzte Aufsichtsräte abzulehnen«. In den ersten fünf
Jahren nach der Gründung eines Unternehmens ist gar keine betriebliche Mitbestimmung vorgesehen, Betriebsräte gibt es nur noch in Firmen ab 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Erst ab einer Betriebsgröße von mehr als 500 Angestellten wird der Betriebsrat für seine Arbeit freigestellt.
Werden all diese »Leitsätze« irgendwann Gesetz - bei dem Ansehen, das die Gewerkschaften derzeit genießen, ist man geneigt, ein paar Euro darauf zu verwetten -, würden Tarifverträge obsolet, und die betriebliche Mitbestimmung würde zur Ausnahme. Die Gewerkschaften hätten in Zukunft etwa so viel Einfluss wie die Mitglieder eines Angelvereins bei Streitfragen imTennisclub.
Bewahren Sie also, falls sich eine aufrechte Gewerkschafterin in Ihrem Freundeskreis oder Ihrer Familie findet, sicherheitshalber ein paar Kappen und Trillerpfeifen des DGB auf. Vielleicht gilt es zu beweisen: Die Gewerkschaft gibt es noch!
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Goodbye, DGB!
Nach dem Sozialabbau ist vor dem Sozialabbau.
Im »Masterplan Deutschland«
der CDU geht es vor allem den Gewerkschaften an den Kragen.
von regina stötzel
Verlöre eine wackere Gewerkschafterin in naher Zukunft das Bewusstsein, etwa weil ihr in Anbetracht von »Hartz IV« ganz anders wird, und wachte nicht so schnell wieder auf, sagen wir, erst im Jahr 2010, so müsste man der stark
Geschwächten, wollte man sie nicht gleich zu Grabe tragen, die Wahrheit über den Zustand und die Befugnisse der ehemaligen Interessenvertretung der Lohnabhängigen vorenthalten.
Das, wovon Michael Rogowski (BDI) träumt (siehe Seite 6), würde ihr auf der Stelle den Garaus machen. Denn auf die Gewerkschaften kommen harte Jahre zu, und Angela Merkel (CDU) soll die Maggie Thatcher abgeben nach dem
Regierungswechsel.
Doch blicken wir zunächst in die Vergangenheit. Welcher Politiker sagte im Sommer des Jahres 2001, wer nicht arbeite, der solle auch keine Sozialhilfe bekommen? War es Edmund Stoiber? Nein! Etwa Roland Koch? Falsch! Die
richtige Antwort lautet: Rudolf Scharping (SPD), damals stellvertretender Parteivorsitzender und Verteidigungsminister. Zwar führte er die Aussage des
Bundeskanzlers aus dem Frühjahr desselben Jahres, es gebe kein Recht auf Faulheit, nur konsequent fort. Dennoch erntete Scharping Widerspruch aus den eigenen Reihen. Franz Müntefering etwa, zu jener Zeit Generalsekretär der
Partei, sagte nach anfänglicher Zustimmung, der Staat müsse auch künftig einen Mindeststandard für seine Bürger sichern, also das Existenzminimum gewährleisten.
Seither hat sich die Regierung bemüht, kraftvolle Aussagen wie die Scharpings weitgehend für sich zu behalten. Meinte sie auch das Gleiche, sprach sie doch lieber von einer neuen »Mischung« oder »Balance« zwischen »Fördern« und »Fordern«.
Anders die Kollegen aus der Union: »Wer nicht arbeitet, obwohl ihm ein Angebot unterbreitet wurde (.), braucht offensichtlich keine Unterstützung«, heißt es in einem Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von Anfang
2002. »Bei der Ablehnung eines Beschäftigungsangebots sind Sanktionen vorgesehen, bis hin zur vollständigen Streichung des Sozialhilfe-Regelsatzes. Bei fortgesetzter Weigerung wird die Sozialhilfe noch stärker gekürzt«, sagte Roland Koch (CDU) im vergangenen Sommer, und das klang so, als müsste der Sozialhilfeempfänger, der nicht spurt, unter
gewissen Umständen sogar draufzahlen. »Wer arbeitsfähig ist, aber dennoch nicht arbeitet, der soll statt Geldleistungen Sachleistungen erhalten«, forderte Edmund Stoiber (CSU) wenig später, und könnte dabei das
Chipkartensystem für Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Kopf gehabt haben.
»Wer nicht arbeiten will, bekommt auch nicht die volle Sozialhilfe«, zitierte der stern Angela Merkel, vergleichsweise milde, in der vergangenen Woche. Denn immer wenn etwas bevorsteht, darf es nicht mehr so grausam
klingen. Also eher nach SPD oder großer Koalition oder eben »Hartz IV«, wonach man sich schon fragt: Ja, kann es denn noch schlimmer kommen?
Es wird schlimmer kommen. Denn nach dem Sozialabbau ist vor dem Sozialabbau.
Und die nächste Regierung ist immer die schlimmste.
Zukunftsweisend ist zweifelsohne der »Masterplan Deutschland - zehn Leitsätze für Aufbruch und Wachstum«, den Kurt Lauk (CDU) auf dem Wirtschaftstag seiner Partei in der vorigen Woche der Presse präsentierte.
Darin steht zum Beispiel schwarz auf weiß: »Reduzierte Transferleistungen für erwerbsfähige, aber arbeitsunwillige Sozialhilfeempfänger um 25 Prozent. Bei andauernder Arbeitsverweigerung ist die Hilfe ganz zu streichen.« Das
Merzsche Steuermodell wird noch ein bisschen ausgebaut: »Das Ziel für 2010 sind Sätze von zehn, 20 und höchstens 30 Prozent.« Ganz abgeschafft wird die
Gewerbesteuer. Aus den neuen Bundesländern soll eine »Modellregion Wachstum« werden, es drängt sich jedoch die Assoziation eines »Wilden Ostens« auf, wenn man liest: »Mindestens zehnjährige Aufhebung bundesrechtlicher Regelungen in Arbeits-, Tarif-, Bau-, Genehmigungs- und
Umweltrecht.« Stattdessen gilt dann wohl das Recht des Stärkeren.
Andere Punkte bleiben unschön, überraschen jedoch nicht. Das Rentenalter soll auf 67 Jahre, die Wochenarbeitszeit
»flexibel« auf »mindestens 40 Stunden« angehoben, Studiengebühren sollen eingeführt werden (denn »auch
Meisterbrief und Kindergarten kosten Geld«). Die Option auf den Ausbau der Atomkraft ist ausdrücklich erwähnt neben Wettbewerb hier, Innovation da, viel Deutschland und ein bisschen Europa. »Deutschland« werde mithilfe des
Masterplans zum »Kompetenzzentrum« in der »Mitte Europas« und Europa wiederum bis zum Jahr 2010 der »Wirtschaftsraum Nummer eins in der Welt«.
Achtung: Die »Kopfpauschale«, also der vom Einkommen unabhängige Einheitspreis für eine notdürftige gesundheitliche Versorgung (Zahnersatz, Krankengeld und Freizeitunfälle sind ausgenommen, Zuzahlungen müssen
geleistet werden) heißt ab sofort »Gesundheitsprämie« und lässt vergeblich darauf hoffen, dass man etwas ausgezahlt bekommt.
Als Zuckerbrötchen für die kleinen Leute dienen eine verbesserte Kinderbetreuung, ein so genanntes Familiensplitting sowie eine freundliche Empfehlung an die ganz oben: »Die Auswüchse bei Gehältern und Stock-Options
der Unternehmensführung sollten beendet werden.«
Offensichtlich geht aus dem Masterplan hervor, dass sich die CDU vor allem zum Ziel gesetzt hat, die Gewerkschaften und mit ihnen das Arbeitsrecht klein zu kriegen. In den Worten des frisch gebackenen Bundespräsidenten Horst Köhler klingt das alles noch total harmonisch: »Arbeitnehmer und
Arbeitgeber, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft - wir sitzen alle in einem Boot«, sagte er bei seinem Amtsantritt. Der Masterplan spricht Tacheles: »Das Tarifkartell auf Kosten der Arbeitslosen muss endlich
beseitigt werden. Komplizenschaft von Politik und Tarifpartnern beenden.«
Kurz: »Gewerkschaftsfunktionäre entmachten.« Die dummen Lohnabhängigen und Arbeitslosen sollen endlich einsehen, dass der Klassenfeind nur ihr Bestes will, die Gewerkschaften aber die Ursache allen Übels sind.
»Abweichungen vom Flächentarifvertrag bei qualifizierter
Belegschaftsmehrheit - ohne Gewerkschaftsveto« sieht der Wirtschaftsrat der CDU vor und baut darauf, dass die Erwerbstätigen einiges aufgeben, um ihren Job zu behalten. Der Kündigungsschutz bei Neueinstellungen wird gänzlich
abgeschafft, die Aufsichtsräte der Unternehmen werden verkleinert mit der Option, »paritätisch besetzte Aufsichtsräte abzulehnen«. In den ersten fünf
Jahren nach der Gründung eines Unternehmens ist gar keine betriebliche Mitbestimmung vorgesehen, Betriebsräte gibt es nur noch in Firmen ab 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Erst ab einer Betriebsgröße von mehr als 500 Angestellten wird der Betriebsrat für seine Arbeit freigestellt.
Werden all diese »Leitsätze« irgendwann Gesetz - bei dem Ansehen, das die Gewerkschaften derzeit genießen, ist man geneigt, ein paar Euro darauf zu verwetten -, würden Tarifverträge obsolet, und die betriebliche Mitbestimmung würde zur Ausnahme. Die Gewerkschaften hätten in Zukunft etwa so viel Einfluss wie die Mitglieder eines Angelvereins bei Streitfragen imTennisclub.
Bewahren Sie also, falls sich eine aufrechte Gewerkschafterin in Ihrem Freundeskreis oder Ihrer Familie findet, sicherheitshalber ein paar Kappen und Trillerpfeifen des DGB auf. Vielleicht gilt es zu beweisen: Die Gewerkschaft gibt es noch!