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Hintergrundinfo zum Sachverständigenratsgutachen zum Kombilohn

Linksfraktion: Hintergrundinformation zum
Sachverständigenratsgutachen zum Kombilohn

Katrin Mohr, Ingo Schäfer, Manuela Wischmann, ReferentInnen für Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Wer die Stütze kürzt, hat die Löhne im Visier!
Am 8. September hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) unter Führung von Bert Rürup sein Sondergutachten zur Reform des Arbeitslosengeldes II und der Einführung eines zielgerichteten Kombilohnmodells vorgelegt.
Er lieferte eine Steilvorlage für die im Herbst geplante Generalrevision von Hartz IV und die Neuordnung des Niedriglohnsektors. Gefordert wird, das Arbeitslosengeld II pauschal um 30 Prozent zu kürzen und den vollen Regelsatz nur noch zu gewähren, wenn gleichzeitig ein „Midijob“ oder eine Arbeitsgelegenheit aufgenommen wird. Das verfassungsmäßig garantierte Existenzminimum mutiert so als „Kombilohn“ zum staatlich finanzierten Instrument der Lohndrückerei und Ausweitung des Niedriglohnsektors.
Um den Anreiz zu erhöhen, einer Tätigkeit von mehr als 15 Wochenstunden nachzugehen, sollen die Hinzuverdienstmöglich-keiten auf dem ersten Arbeitsmarkt neu geregelt werden.
Die ersten 200 Euro sollen demnach voll auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden. Bei einem Einkommen von 200 bis 800 Euro sollen dagegen von jedem Euro nur 50 Cent, statt bisher 20 Cent, behalten werden dürfen. Hintergrund ist die Annahme, viele Hartz IV Beziehende
würden sich mit der Grundsicherung und einer geringfügigen Beschäftigung einrichten und sich gar nicht mehr um umfangreichere Beschäftigungsmöglichkeiten bemühen.

Hilfebedürftige, die keinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt finden, sollen nach den Vorstellungen des Sachverständigenrates den bisherigen Regelsatz nur dann erhalten, wenn sie eine gemeinnützige Arbeit (Arbeitsgelegenheit) annehmen. Die heute hierfür gezahlte
Mehraufwandsentschädigung von einem Euro in der Stunde würde auf eine Pauschale von 40 Euro begrenzt. Damit wären die heutigen 1-Euro-Jobs hinfällig. Selbst das soziokulturelle Existenzminimum müssten sich die Erwerbslosen im Dienst an der Gemeinschaft erst erarbeiten – ein Prinzip das unter dem Stichwort „Workfare“ (eine Zusammenziehung aus welfare und work) in den letzten Jahren vor allem in den angelsächsischen Ländern Karriere
gemacht hat.

Die Stoßrichtung des Gutachtens ist offensichtlich: Eine weitere Ausweitung des Niedriglohnsektors. Dieser ist zwar – wie der SVR selbst feststellt – seit Mitte der 1990er
Jahre stark gewachsen. Mittlerweile arbeitet ein Sechstel aller Vollzeitbeschäftigten zu Niedriglöhnen. Das geht dem Rat der so genannten Wirtschaftsweisen aber noch nicht weit
genug. Der Billiglohnsektor muss nach seinen Vorstellungen weiter ausgebaut und intern differenziert werden, da ein Großteil der Arbeitsplätze von qualifizierten Arbeitskräften
eingenommen wird und für gering Qualifizierte nichts übrig bleibt. Den Hebel zur Ausweitung des Niedriglohnsektors stellt dabei das verfassungsmäßig garantierte soziokulturelle Existenzminimum dar. Durch die Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 Prozent soll der Druck auf Erwerbslose erhöht werden, jede noch so niedrig bezahlte Arbeit anzunehmen. Flankiert wird dieser Ansatz durch den Zwang für den Bezug des ungekürzten Regelsatzes 30 Stunden gemeinnützig arbeiten zu müssen. Von diesem doppelten
Arbeitszwang erwartet sich der Sachverständigenrat ein Absinken des gesamten Lohnniveaus, wodurch seines Erachtens knapp 350.000 neue Niedriglohnjobs entstehen würden – frei nach dem neoliberalen Credo: wenn die Löhne nur tief genug sinken, entstehen auch ausreichend Arbeitsplätze.

Strukturelle Massenerwerbslosigkeit wird vom SVR als Problem mangelnder Motivation auf Seiten der Erwerbslosen und als Folge zu hoher Löhne gesehen. Keine Rede ist dagegen von der Schwäche der Binnennachfrage, dem wirtschaftlichen Struktur- und Technologiewandel sowie der Produktivkraftentwicklung, die massenhaft Arbeitskräfte freisetzt. Folgerichtig werden Leistungskürzungen und Repressionen gefordert, statt makroökonomisch fundierte
Konzepte zur Schaffung von mehr Existenz sichernden Arbeitsplätzen vorzulegen. Finanziert werden soll die Bereitstellung billiger Arbeitskräfte durch die BezieherInnen von niedrigen Einkommen und Transferleistungen selbst. Für die Subventionierung des Kombilohnmodells sollen die Kürzung des Regelsatzes sowie die volle Anrechnung der ersten 200 Euro des Hinzuverdienstes genutzt werden.
Bereits mit den Hartz-Gesetzen sollte die Arbeitslosigkeit durch mehr Druck auf Erwerbslose und Ausweitung des Niedriglohnsektors halbiert werden. Es hat sich gezeigt, wie tragfähig solche Versprechen sind. Die im Sachverständigenratsgutachten anvisierten zusätzlichen
350.000 Arbeitsplätze sind wenig wahrscheinlich, die zunehmende Armut durch sinkende Löhne und Leistungskürzungen hingegen umso mehr. Gleichzeitig bleibt völlig schleierhaft, wie die notwendigen Arbeitsgelegenheiten (1-2 Mio.) für den geplanten Workfare-Ansatz geschaffen werden sollten, gibt es doch bereits heute massive Probleme mit der Verdrängung regulärer Beschäftigung durch 1-Euro-Jobs.
Die Regierungsfraktionen haben unterschiedlich auf das Gutachten reagiert: Die SPD und Müntefering lehnen Leistungskürzungen ab, erwägen aber Einschränkungen bei den
Hinzuverdienstmöglichkeiten, da sie die sich immer stärker ausbreitenden Minijobs zurückdrängen wollen. Die Union – insbesondere Generalsekretär Pofalla – und nun auch der
IWF haben sich hinter das Kombilohnkonzept des SVR gestellt. Die Debatte ist eröffnet und wird sich voraussichtlich durch den gesamten Herbst (mit Schwerpunkt im November/Dezember) ziehen. Das SVR-Gutachten ist dabei ein wichtiger Legitimationsbeschaffer und Stichwortgeber für Kräfte, die weitere Leistungskürzungen und die Ausweitung des Niedriglohnsektors wollen. Diesen Vorstößen müssen wir uns mit allen Kräften entgegen setzen.

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