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Kurzkritik: Neue Sozialleistung Alg II als SGB II
Ab dem 1.7.2004 soll die bisherige Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammen gelegt werden. Als neue "Grundsicherung" für bedürftige Erwerbsfähige zwischen 15 und 65 Jahren entsteht ein Arbeitslosengeld II, kurz Alg II mit Kostenzuständigkeit der JobCenter beim Arbeitsamt. Ca. 80% der bisherigen Sozialhilfeempfänger werden dieser neuen Sozialleistung vermutlich zugeordnet sein, die bisherige Sozialhilfe (HLU) wird entweder abgeschafft oder nur noch untergeordnete Bedeutung haben. Alg II soll zur zukünftigen Existenzsicherung von ca. 4,3 Mio. Menschen werden. Jeweils ungefähr die Hälfte entfällt auf ehemalige Sozialhilfebezieher und Bezieher der weg gefallenen Arbeitslosenhilfe. Von letzteren fallen vorab ca. 1 Million Menschen völlig aus dem Leistungsbezug.
Die mit dem Gesetzentwurf SGB II dargestellte neue Grundsicherung für Arbeitslose AlgII kollidiert in wesentlichen Teilen mit dem Sozialstaatsprinzip. So weit dieses neue System, das nicht einmal im Regelfall vor Armut schützt, weitere Ansprüche an das unterste Netz der Sozialhilfe ausschließt, begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, wie sie auch von Uwe Berlit, Richter am BVerwG in 'info also, Heft 5/03' ausgeführt werden. Insbesondere eine weitgehende Pauschalierung mit einer undifferenzierten und unbestimmten Bemessung unzulänglicher Pauschalensätze, die auch Bedarfe pauschaliert, die nicht sinnvoll pauschaliert werden können, führt zu regelmäßiger Unterdeckung. Grundsätzlich bedenklich ist auch ein neues Gesetz mit alten, unzulänglichen Regelsätzen - neuer Wein in alten Schläuchen.
Angeboten wird eine "Existenzsicherung" AlgII, die
- sich nicht mehr am menschenwürdigen Leben ausrichtet
– die wesentlichen Prinzipien der Bedarfsdeckung und der Einzelfallgerechtigkeit beseitigt
– das Sozialhilfeniveau, am stärksten bei Kindern, unterläuft
– weitergehende Sozialhilfeleistungen weitgehendst ausschließt
– jetzt generell nachrangig gegenüber Unterhalt von Verwandten 1. Grades ist.
– das Verbot der Familienhaftung (der bei Sanktionen und fehlendem Leistungsanspruch des "Ernährers" schutzlosen Angehörigen) unterläuft
– die Beratungspflicht gegenüber Familienangehörigen wesentlich reduziert
– keine privaten Versicherungsbeiträge wie Haftpflicht, Hausrat... mehr anerkennt
– Mietrückstände nur bei konkreter Aussicht auf eine Beschäftigung übernimmt
– die Zumutbarkeitsgrenzen in Richtung Arbeit ohne Lohn zu ungeregelten Vertragsbedingungen beseitigt und mit dem verfassungsrechtlichen Verbot der Zwangsarbeit kollidiert (s. hierzu auch Berlit) alle bisherigen Grundsätze gemeinnütziger Arbeit ( Eignung, Neigung, Hilfecharakter,
– Zusätzlichkeit, Vertragsgestaltung, Verhältnismäßigkeit ) auflöst
– Regelleistungen ohne die seit 10 Jahren zurück gestellte Neubemessung der Regelsätze auf 297 Euro mit dauerhafter Deckelung durch die Rentenentwicklung festschreibt und hierbei keine Abweichungen bei Besonderheiten d. Einzelfalls mehr zu lässt
– den erhöhten Aufwand von Arbeitssuchenden nicht anerkennt
– für nicht erwerbsfähige Angehörige (i.d.R. Kinder) ein nachrangiges Sozialgeld gewährt; bis zu 14 Jahren 60% d. R-Lstg., ab 15 J. 80% d. R.-Lstg. und die Bedarfe von Kindern, auch mit der Pauschalierung, weitgehend unter Sozialhilfeniveau drückt
– Mehrbedarfe, analog neuem SGB XII (Sozialhilfe neu), aber ohne Anerkennung abweichender Bedarfe, festlegt
– Kosten der Unterkunft und Heizung oberhalb der Angemessenheitsgrenzen "in der Regel längstens für 6 Monate" schützt
- Wohnungsbeschaffungskosten, Kautionen u. Umzugskosten auf Kann-Leistungen reduziert
- einmalige Leistungen unzulänglich und generell mit 16% pauschaliert, kein Härtefälle anerkennt und bei höheren Bedarfen mit Darlehen finanziert, die mit 50% der Monatspauschale zurückgefordert werden (Bedarfsdeckung auf Pump !)
- den harten Übergang von AlgI auf AlgII mit degressiven Zuschlägen abfedert
- eine tückische Pauschalierung auch der Unterkunfts- und Heizkosten vorbereitet und hierzu Rechtsverordnungen einfordert
- Freibeträge bei Erwerbstätigkeit vorsieht m. max. 163 Euro b. Alleinstehenden (55% RL) , 178 Euro bei 2-Pers.-HH (60% RL) , 208 Euro bei 3-Pers.-HH (70% RL) ...., die jedoch erst bei höheren Nebeneinkommen voll zur Wirkung kommen. Ansonsten kommt es zu einer Verschlechterung der bisherigen SGBIII-Regelung.
- einen besonderen Kindergeldzuschlag von 140 Euro bei einkommensschwachen Familien vorsieht, die sonst in AlgII-Ansprüche rutschen würden
- ein Einstiegsgeld bei Arbeitsaufnahme für 6-24 Monate vorsieht, über das jedoch alleine der Fallmanager entscheidet
- Kürzungen bei Weigerungen (auch bei Prämienarbeit und unzureichenden Eigenbe- mühungen) jeweils in 30%-Schritten bei gleichzeitigem Wegfall der Übergangs- zuschläge starr und unabhängig von Verhaltensänderungen für jeweils 3 Monate festlegt
- bei Jugendlichen (15-25 J.) und Kürzungstatbeständen den kompletten AlgII-Anspruch ohne Ermessensspielraum sofort f. 3 Monate versagen
- keine aufschiebende Wirkung von Widersprüchen und Klagen mehr kennt (jeder Strafzettel räumt dies ein)
- Schutz- und Mitwirkungsrechte von Hilfeempfänger weitgehend aushebelt und sie sofort vollziehbaren Eingliederungsvereinbarungen mit Kontrahierungszwang und Selbstunterwerfung zwingt, die im Zivilrecht sittenwidrig wären (s. hierzu auch Berlit)
- Rechtsansprüche für besondere Personenkreise wie z.B. Wohnungslose, Angehörige von Häftlingen, Mitwirkungsverweigerern usw. weitgehend offen lässt.
Festzustellen ist, dass mit dem SGB II nicht nur die bisherige Arbeitslosenhilfe, sondern auch die bisherige Sozialhilfe für die überwältigende Mehrheit der bisherigen Bezieher abgeschafft wird: Die Grundsätze der Menschenwürde und der unmittelbaren Bedarfsdeckung im Einzelfall, die Prinzipien der Hilfe zur Arbeit, der einzelfallbezogenen Kürzungssystematik als Hilfenorm, das Verbot der Familienhaftung und wesentliche Mitwirkungs- und Schutzrechte der Hilfeempfänger wird es bei der Umsetzung dieses Entwurfs nicht mehr geben.
Übrig bleibt eine neue "Grundsicherung" für Arbeitslose, die nicht einmal mehr im Regelfall vor Armut schützt, entgegen allen Versprechungen sogar noch unter Sozialhilfeniveau liegt und dann generell Ansprüche an das letzte Netz der Sozialhilfe (der echten und bewährten Existenzsicherung) verwehrt. Rechte der Hilfeempfänger werden auf Sklavenrechte reduziert - das Recht, jedwede Arbeit mit oder ohne Lohn annehmen zu dürfen
Man sehe es mir nach: hier entsteht der Eindruck, dass das "Lumpenproletariat" für alles gefügig gemacht werden soll. Es entsteht neue Armut unter Verkennung der Tatsache, dass nichts so teuer wie Armut ist.
29.9.03 Frieder Claus
Die mit dem Gesetzentwurf SGB II dargestellte neue Grundsicherung für Arbeitslose AlgII kollidiert in wesentlichen Teilen mit dem Sozialstaatsprinzip. So weit dieses neue System, das nicht einmal im Regelfall vor Armut schützt, weitere Ansprüche an das unterste Netz der Sozialhilfe ausschließt, begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, wie sie auch von Uwe Berlit, Richter am BVerwG in 'info also, Heft 5/03' ausgeführt werden. Insbesondere eine weitgehende Pauschalierung mit einer undifferenzierten und unbestimmten Bemessung unzulänglicher Pauschalensätze, die auch Bedarfe pauschaliert, die nicht sinnvoll pauschaliert werden können, führt zu regelmäßiger Unterdeckung. Grundsätzlich bedenklich ist auch ein neues Gesetz mit alten, unzulänglichen Regelsätzen - neuer Wein in alten Schläuchen.
Angeboten wird eine "Existenzsicherung" AlgII, die
- sich nicht mehr am menschenwürdigen Leben ausrichtet
– die wesentlichen Prinzipien der Bedarfsdeckung und der Einzelfallgerechtigkeit beseitigt
– das Sozialhilfeniveau, am stärksten bei Kindern, unterläuft
– weitergehende Sozialhilfeleistungen weitgehendst ausschließt
– jetzt generell nachrangig gegenüber Unterhalt von Verwandten 1. Grades ist.
– das Verbot der Familienhaftung (der bei Sanktionen und fehlendem Leistungsanspruch des "Ernährers" schutzlosen Angehörigen) unterläuft
– die Beratungspflicht gegenüber Familienangehörigen wesentlich reduziert
– keine privaten Versicherungsbeiträge wie Haftpflicht, Hausrat... mehr anerkennt
– Mietrückstände nur bei konkreter Aussicht auf eine Beschäftigung übernimmt
– die Zumutbarkeitsgrenzen in Richtung Arbeit ohne Lohn zu ungeregelten Vertragsbedingungen beseitigt und mit dem verfassungsrechtlichen Verbot der Zwangsarbeit kollidiert (s. hierzu auch Berlit) alle bisherigen Grundsätze gemeinnütziger Arbeit ( Eignung, Neigung, Hilfecharakter,
– Zusätzlichkeit, Vertragsgestaltung, Verhältnismäßigkeit ) auflöst
– Regelleistungen ohne die seit 10 Jahren zurück gestellte Neubemessung der Regelsätze auf 297 Euro mit dauerhafter Deckelung durch die Rentenentwicklung festschreibt und hierbei keine Abweichungen bei Besonderheiten d. Einzelfalls mehr zu lässt
– den erhöhten Aufwand von Arbeitssuchenden nicht anerkennt
– für nicht erwerbsfähige Angehörige (i.d.R. Kinder) ein nachrangiges Sozialgeld gewährt; bis zu 14 Jahren 60% d. R-Lstg., ab 15 J. 80% d. R.-Lstg. und die Bedarfe von Kindern, auch mit der Pauschalierung, weitgehend unter Sozialhilfeniveau drückt
– Mehrbedarfe, analog neuem SGB XII (Sozialhilfe neu), aber ohne Anerkennung abweichender Bedarfe, festlegt
– Kosten der Unterkunft und Heizung oberhalb der Angemessenheitsgrenzen "in der Regel längstens für 6 Monate" schützt
- Wohnungsbeschaffungskosten, Kautionen u. Umzugskosten auf Kann-Leistungen reduziert
- einmalige Leistungen unzulänglich und generell mit 16% pauschaliert, kein Härtefälle anerkennt und bei höheren Bedarfen mit Darlehen finanziert, die mit 50% der Monatspauschale zurückgefordert werden (Bedarfsdeckung auf Pump !)
- den harten Übergang von AlgI auf AlgII mit degressiven Zuschlägen abfedert
- eine tückische Pauschalierung auch der Unterkunfts- und Heizkosten vorbereitet und hierzu Rechtsverordnungen einfordert
- Freibeträge bei Erwerbstätigkeit vorsieht m. max. 163 Euro b. Alleinstehenden (55% RL) , 178 Euro bei 2-Pers.-HH (60% RL) , 208 Euro bei 3-Pers.-HH (70% RL) ...., die jedoch erst bei höheren Nebeneinkommen voll zur Wirkung kommen. Ansonsten kommt es zu einer Verschlechterung der bisherigen SGBIII-Regelung.
- einen besonderen Kindergeldzuschlag von 140 Euro bei einkommensschwachen Familien vorsieht, die sonst in AlgII-Ansprüche rutschen würden
- ein Einstiegsgeld bei Arbeitsaufnahme für 6-24 Monate vorsieht, über das jedoch alleine der Fallmanager entscheidet
- Kürzungen bei Weigerungen (auch bei Prämienarbeit und unzureichenden Eigenbe- mühungen) jeweils in 30%-Schritten bei gleichzeitigem Wegfall der Übergangs- zuschläge starr und unabhängig von Verhaltensänderungen für jeweils 3 Monate festlegt
- bei Jugendlichen (15-25 J.) und Kürzungstatbeständen den kompletten AlgII-Anspruch ohne Ermessensspielraum sofort f. 3 Monate versagen
- keine aufschiebende Wirkung von Widersprüchen und Klagen mehr kennt (jeder Strafzettel räumt dies ein)
- Schutz- und Mitwirkungsrechte von Hilfeempfänger weitgehend aushebelt und sie sofort vollziehbaren Eingliederungsvereinbarungen mit Kontrahierungszwang und Selbstunterwerfung zwingt, die im Zivilrecht sittenwidrig wären (s. hierzu auch Berlit)
- Rechtsansprüche für besondere Personenkreise wie z.B. Wohnungslose, Angehörige von Häftlingen, Mitwirkungsverweigerern usw. weitgehend offen lässt.
Festzustellen ist, dass mit dem SGB II nicht nur die bisherige Arbeitslosenhilfe, sondern auch die bisherige Sozialhilfe für die überwältigende Mehrheit der bisherigen Bezieher abgeschafft wird: Die Grundsätze der Menschenwürde und der unmittelbaren Bedarfsdeckung im Einzelfall, die Prinzipien der Hilfe zur Arbeit, der einzelfallbezogenen Kürzungssystematik als Hilfenorm, das Verbot der Familienhaftung und wesentliche Mitwirkungs- und Schutzrechte der Hilfeempfänger wird es bei der Umsetzung dieses Entwurfs nicht mehr geben.
Übrig bleibt eine neue "Grundsicherung" für Arbeitslose, die nicht einmal mehr im Regelfall vor Armut schützt, entgegen allen Versprechungen sogar noch unter Sozialhilfeniveau liegt und dann generell Ansprüche an das letzte Netz der Sozialhilfe (der echten und bewährten Existenzsicherung) verwehrt. Rechte der Hilfeempfänger werden auf Sklavenrechte reduziert - das Recht, jedwede Arbeit mit oder ohne Lohn annehmen zu dürfen
Man sehe es mir nach: hier entsteht der Eindruck, dass das "Lumpenproletariat" für alles gefügig gemacht werden soll. Es entsteht neue Armut unter Verkennung der Tatsache, dass nichts so teuer wie Armut ist.
29.9.03 Frieder Claus