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LSG NRW erkennt Anordnungsgrund bei Mietschulden ohne vorherige Räumungsklage an

"Kommentierung einer Entscheidung des 7. Senats des LSG NRW: Nachdem der 6. Senat des LSG NRW mit Beschluss vom 29.01.2015 in einem einstweiligen Rechtschutzverfahren den Antrag auf Bewilligung der Unterkunftskosten bereits vor Erhebung einer Räumungsklage erstmalig bejaht und seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben hatte, gibt auch der 7. Senat des LSG NRW erfreulicherweise seine bisherige Rechtsprechung auf und bejaht den Anordnungsgrund ohne die Erhebung einer Räumungsklage (zur genauen Begründung der Rechtsprechungsaufgabe vgl. Beschluss des 7. Senats vom 04. Mai 2015 Az.: L 7 AS 139/15), so dass nun mit den aktuellen Senatsentscheidungen von einer Änderung der Rechtsprechung des LSG NRW insoweit auszugehen sein dürfte. Zudem bestätigt der 7. Senat erneut den Anspruch von EU-Bürgern auf Leistungen nach SGB II im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. 

Kommentierung der Entscheidung des 7. Senats des LSG NRW vom 27.05 2005, Aktenzeichen: L 7 AS 415/15 B ER zu 3 Fragen:

  1. Leistungsgewährung (Regelbedarf) nach SGB II an Arbeitssuchende EU-Bürger
  2. Gewährung von Unterkunftskosten nach SGB II ohne vorheriger Räumungsklage
  3. notwendige Ermittlungspflicht des Sozialgerichts im Hinblick auf den Sachverhalt


In dieser für EU-Bürger aber auch für alle anderen Leistungsempfänger wichtigen Folgeentscheidung des LSG NRW, in der ich die Antragsteller vertreten habe, leistet der 7. Senat des LSG NRW einen wichtigen Beitrag zur Änderung der Rechtsprechung des LSG NRW als auch der Sozialgerichte betreffend die Frage zur Unterkunftskosten im Rahmen von einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

Sachverhalt

Im Streitfall sind die Antragsteller italienische Staatsbürger. Die Antragstellerin lebt seit April 2012 in der Bundesrepublik Deutschland und hat mindestens 16 Monate im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung gearbeitet. Ihr Sohn, der Antragsteller, lebt seit April 2014 in der Bundesrepublik Deutschland und ist 21 Jahre alt. Ab dem Monat März ging auch er einer geringfügigen Beschäftigung nach. Beide Antragsteller leben gemeinsam in einer Mietwohnung. Die Antragsteller bekamen bis zum 31. Dezember 2014 Leistungen seitens des Jobcenters Rhein-Kreis Neuss. Den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 05. November 2014 lehnte das Jobcenter Rhein-Kreis Neuss mit Bescheid vom Januar 2015 ab. Zur Begründung führte das Jobcenter Rhein-Kreis Neuss aus, dass ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hartz IV) nicht bestehe, weil die Antragsteller allein aus dem Zweck der Arbeitssuche sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Die Antragsteller konnten ihre Miete seit Januar 2015 nicht mehr zahlen.
Das Sozialgericht Düsseldorf hat was den Regelbedarf betraf, der Antragstellerin und betreffend die Unterkunftskosten dem Jobcenter Recht gegeben. Im Hinblick auf den Sohn gab das Sozialgericht dem Jobcenter Recht, allerdings aus rein formellen Gründen.

Entscheidung des LSG NRW betreffend die Unterkunftskosten

Der 7. Senat des Landessozialgerichtes hat im Rahmen der von mir eingelegten Beschwerde erfreulicherweise zu Gunsten der Antragstellerin entschieden und hat das Jobcenter verpflichtet, ihre Unterkunftskosten zu übernehmen. Diese Entscheidung ist deswegen wichtig, weil es bisher (mit Ausnahme des 6. Senats des LSG NRW) sowohl die Sozialgerichte als auch das LSG NRW im Rahmen eines Eilverfahrens es stets abgelehnt haben, die Kosten der Unterkunft ohne einer anhängigen Räumungsklage zu bewilligen. Nun liegen zwei rechtskräftige aktuelle Entscheidungen des Landessozialgerichts NRW vor, in denen Unterkunftskosten ohne Räumungsklage bewilligt werden. Nach dieser aktuellen Entscheidung dürfte davon auszugehen sein, dass die anderen Senate des LSG NRW und insbesondere die Kammern der Sozialgerichte den zutreffenden und zu begrüßenden Entscheidungen des 6. und 7. Senats des LSG NRW folgen werden – dies ist bereits zu beobachten.

Praxistipp

Für die Praxis ist es daher wichtig, dass der Antragsteller bzw. sein Anwalt den Eilantrag nicht nur wie bisher auf die Gewährung von Regelbedarfe beschränkt, sondern explizit den Antrag auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung stellt. Dies jedenfalls dann, wenn der Antragsteller mit zwei Monatsmieten in Rückstand und eine Kündigung voraussehbar ist; eine anhängige Räumungsklage ist nicht notwendig. Bereits in der Vergangenheit habe ich des Öfteren den Antrag auf Übernahme der Unterkunftskosten gestellt, in der Hoffnung, dass es zu einer Änderung der Rechtsprechung kommt - denn die Nachteile für die Antragsteller waren offensichtlich – insbesondere blieben sie auf die Kosten der Räumungsklage sitzen – da ja die Räumungsklagen oft begründet und ein Antrag auf Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten unbegründet waren; die Kosten von Jobcentern ersetzt zu verlangen, bedarf meistens der Erhebung einer weiteren Klage, die u.a. sowohl aus finanziellen als auch aus psychischen Gründen scheiterten. Freiwillige Zahlungen seitens der Jobcenter sind, soweit ersichtlich, nicht zu erwarten.

Entscheidung des LSG NRW betreffend die Regelleistung

Das Landessozialgericht NRW stellt zunächst fest, dass eine Entscheidung des europäischen Gerichtshofs für EU-Bürger bei denen, wie bei den Antragstellern, die Arbeitssuche zu bejahen ist, noch nicht ergangen ist. Dann kommt er unter Berücksichtigung des Schlussantrages des Generalanwalts Wathelet vom 26. März 2015 zu dem vor dem EuGH anhängigen Verfahren (BSG EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R; Az. EuGH C-67/14, Rechtssache Alimanovic)) zu dem Ergebnis, dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Ausschlusstatbestand (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II) - auf den sich das Jobcenter im Streitfall beruft - mit EU-Recht (Art. 24 der Richtlinie 2004/38) nicht vereinbar ist. Diese konkrete Stellungnahme ist neu, bisher wurde die Frage der Vereinbarkeit mit dem EU-Recht in der Regel offen gelassen.

Die Entscheidung des 7. Senats des LSG NRW ist auch deswegen lesenswert, weil hier insbesondere die drei Fallgruppen sehr schön dargestellt werden:

  1. EU-Bürger, der sich in einem anderen Mitgliedstaat begibt und sich dort weniger als drei Monate oder seit mehr als drei Monaten auffällt, ohne jedoch den Zweck der Arbeitssuche zu verfolgen (1. Fall)
  2. EU-Bürger, der sich zur Arbeitssuche in ein Mitgliedstaat begibt (2. Fall)
  3. EU-Bürger, der sich mehr als drei Monaten in einem Mitgliedstaat aufhält und dort eine Beschäftigung ausgeübt hat (3. Fall)




Praxistipp

Jedenfalls haben Anträge von EU-Bürgern, die sich mehr als drei Monaten in Deutschland aufhalten und hier auch mindestens einige Monate gearbeitet (und auch Steuern bezahlt) haben, im Rahmen des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz Erfolg. Dies sehen mittlerweile viele Sozialgerichte mit unterschiedlichen Begründungen im Ergebnis genauso (vgl. etwa von mir erstrittene Beschlusse des SG Düsseldorf: S 23 AS 1009/15 ER, S 23 AS 1162/15 ER). Das Wichtige in diesem Zusammenhang ist auch, darauf zu achten, gegen den ursprünglichen Bescheid zeitnah, jedenfalls fristgemäß Widerspruch einzulegen, andernfalls würde der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutzes wegen Rechtskraft des ursprünglichen Bescheids keinen Erfolg haben.

Entscheidung des LSG NRW betreffend die Ermittlungspflicht

In der Entscheidung stellt der 7. Senat des LSG NRW schließlich fest, dass das Sozialgericht Düsseldorf im Hinblick auf die Glaubhaftmachung (insbesondere wenn das Gericht diese für nicht ausreichend ansieht) verpflichtet ist, weitere Ermittlungen anzustellen, insbesondere wenn nach der Gesamtwürdigung des Sachverhalts viel für die Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache spricht .

Im Streitfall hatte das Sozialgericht den Antrag des Sohnes auf Leistungen nach SGB II sowie auf Prozesskostenhilfe deswegen abgelehnt, da der Sohn im Hinblick auf seine Mittellosigkeit keine eigene eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Die eidesstattliche Versicherung der Mutter bezüglich der Mittellosigkeit ihres Sohnes sowie der Umstand, dass auch das Jobcenter den Vortrag des Sohnes bezüglich seiner Mittellosigkeit zu keinem Zeitpunkt bestritten hat, berücksichtigte das Sozialgericht dagegen nicht. Das LSG NRW entschied, dass dies so nicht richtig ist. Das Sozialgericht hätte in einem solchen Fall, in dem aufgrund der Gesamtwürdigung des Sachverhalts viel für die Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache – nämlich die Mittellosigkeit spricht, selbst Ermittlungen anstellen müssen und versuchen müssen den Sachverhalt zu klären, indem er etwa den Sohn hätte auffordern können, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben oder Beweis durch Vernehmung von Zeugen zu erheben.

Praxistipp

Es ist darauf zu achten, dass vor den Sozialgerichten der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, wonach das Gericht von Amts wegen den Sachverhalt aufklären muss. Insbesondere wenn Tatsachen vom Gegner nicht bestritten werden und das Gericht dennoch von einem anderen Sachverhalt ausgeht, dann ist das Gericht verpflichtet, den Sachverhalt mit den Beteiligten zu klären und zu ermitteln. Sollte das Gericht diese Pflicht verletzen, ist zu empfehlen sich gegen die Entscheidung zu wehren.

Urteil zum download LSG NRW v. 27.05 2015 - L 7 AS 415/15 B ER 

Rechtsanwältin LL.M. Nilab Fayaz www.kanzlei-neuss.com 

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