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LSG Schleswig 25.Mai 05: Im SGB II gilt die KOstesenkung aus dem BSHG nicht

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Az.: L 6 B 52/05 AS ER Az.: S 2 AS 52/05 ER Sozialgericht Schleswig
Beschluss
In dem Verfahren

- Antragstellerin und Beschwerdegegnerin - gegen

jobcenter.kiel Arbeitsgemeinschaft für Arbeit und Integration,
Adolf-Westphal-Straße 2, 24143 Kiel,
Gz.: WSst.
- Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin -

hat der 6. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts am 25. Mai 2005 durch

den Präsidenten des Landessozialgericht Dr. Stoll, den Richter am Landessozialgericht Hengelhaupt und die Richterin am Landessozialgericht Brandt

beschlossen:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 9. März 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten der Antragstellerin im Beschwerdever¬fahren.

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G r ü n d e
I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin im We¬ge einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten ist, der An¬tragstellerin weitere Unterkunftskosten zu zahlen.

Die seit 1996 geschiedene Antragstellerin ist Mieterin einer 1918 bezugsfertig gewordenen 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohn¬fläche von 49 qm in Kiel, welche sie seit dem Auszug ihrer Tochter im Jahre 2004 alleine bewohnt. Die Warmmiete beläuft sich auf 418,07 € monatlich, der Heizkostenanteil beträgt 48,07 €.

Bis zum 31. Dezember 2004 bezog die Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Seit 1998 hat der Sozialhilfeträger Unterkunftskosten nur noch in Höhe der im Bereich der Landeshauptstadt Kiel geltenden Miet¬obergrenze„für einen 2-Personen-Haushalt gewährt. Diese betrug im Jahre 2004 für eine bis 1976 fertig gestellte Wohnung mit Bad und-Zentralheizung 327,00 €.Wegen dieser Leistungskürzung sind nach Angaben der Antragstellerin noch Widerspruchsverfah¬ren bei der Stadt Kiel anhängig. Eine weitere Herabsetzung nach dem Auszug ihrer Tochter ist nicht erfolgt. Eine förmliche Auf¬forderung zur Senkung ihrer Unterkunftskosten ist nicht ergan¬gen.

Mit Bescheid vom 30. November 2004 bewilligte die Antragsgegne¬rin der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 719,78 E. Diese Leistung setzt sich zusammen aus der Regelleis¬tung in Höhe von 345,00 E, Unterkunftskosten in Höhe von 326,71 E und Heizkosten in Höhe von 48,07 e.

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Mit ihrem deswegen am 28. Dezember 2004 erhobenen Widerspruch begehrte die Antragstellerin unter anderem die Gewährung der ihr tatsächlich entstehenden Unterkunftskosten. Zur Begründung führte sie aus: Wegen der gekürzten Unterkunftskosten habe. sie ihre Wohnung inzwischen selbst gekündigt. Damit habe sie die ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Kostensenkung bereits wahrgenommen. Mehr könne sie nicht tun. Über den Widerspruchs-bescheid ist noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 18. Februar 2005 begehrte die Antragstelle¬rin bei dem Sozialgericht Schleswig einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung wiederholte sie ihr Vorbringen aus dem Wider¬spruchsverfahren und führte ergänzend aus: Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, dass der Sozialhilfeträger die Leistung für Unterkunftskosten seit dem Jahre 1998 gekürzt ha¬be. Eine Rechtsnachfolge für Altfälle habe der Gesetzgeber nicht geregelt. Die Antragsgegnerin habe deshalb ohne Beachtung des vorherigen Sozialhilfebezugs nach dem SGB II zu entschei¬den. Im Übrigen sei die Entscheidung des Sozialhilfeträgers auch rechtswidrig gewesen, da sie niemals aufgefordert worden sei, ihre Mietkosten zu senken.

Die Antragstellerin hat unter anderem beantragt (sinngemäß),

die Antragsgegnerin im Wegen der einstweiligen Anord¬nung zu verpflichten, ihre Unterkunftskosten in voller Höhe zu berücksichtigen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

Sie hat den öffentlich-rechtlichen Vertrag nach §§ 53 ff. SGB X über die Gründung und Ausgestaltung einer Arbeitsgemeinschaft für den Bereich der Landeshauptstadt Kiel nach § 44b SGB II nebst Anlage 1 zu dessen § 3 Abs. 3 zu den Akten gereicht und

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vorgetragen: Die für den Bereich der Landeshauptstadt Kiel ört¬lich zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Bundesagentur für Arbeit und die Landeshauptstadt Kiel, hätten gemäß § 44b SGB II die Arbeitsgemeinschaft Jobcenter Kiel errichtet. Die Antragsgegnerin habe für die nach § 22 Abs. 1 SGB II zu erbringenden Leistungen für Unterkunft und Heizung die bisher im Bereich der Landeshauptstadt Kiel geltenden Regelhöchstbeträge für in der Sozialhilfe anzuerkennende Mieten (Mietobergrenzen) in Anlage 1 Ziff. II zu § 3 Abs. 3 des Vertrages über die Gründung und Ausgestaltung einer Arbeitsge¬meinschaft nach § 44b SGB II übernommen. Nach der darin enthal¬tenen Tabelle betrage die Mietobergrenze für einen 1-Personen-Haushalt bei einem vor 1976 bezugsfertig gewordenen Wohnraum 273,00 € brutto/kalt. Demgegenüber seien mit Bescheid vom 30. November 2004 Unterkunftskosten in Höhe von 326,71 € brut¬to/kalt zuzüglich der vollen Heizkosten in Höhe von 48,07 € berücksichtigt worden. Dies entspreche der Leistung, die zuvor auch der Sozialhilfeträger gewährt habe. Ihre Höhe sei darauf zurückzuführen, dass seinerzeit noch die Tochter der Antrag¬stellerin bei dieser gewohnt habe. Die geltende Mietobergrenze für Alleinstehende betrage hingegen 273,00 € und werde um 53,71 € überschritten. Die Antragstellerin werde mithin besser gestellt, als sie beanspruchen könne. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, welcher für eine Übergangszeit die Übernahme unangemes¬sener Unterkunftskosten erlaube, könne keine Anwendung finden. Der Antragstellerin sei bereits während des Bezuges von Leis¬tungen nach dem BSHG Gelegenheit zur Senkung der Unterkunfts¬kosten gegeben worden. Sie habe seit 1998 genügend Zeit gehabt, angemessenen Wohnraum zu finden oder die Kosten auf andere Wei¬se zu senken.

Mit Beschluss vom 9. März 2005 hat das Sozialgericht - neben weiteren Entscheidungen (Beschlusstenor zu 1. und zu 3.) - die Antragsgegnerin verpflichtet, über die bisher anerkannten Miet¬kosten in Höhe von 326,71 € weitere 43,29 € monatlich bis ein-schließlich Juni 2005 zu gewähren (Beschlusstenor zu 2.). In

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den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragsgeg¬nerin habe bis einschließlich Juni 2005 die tatsächlichen Un¬terkunftskosten in Höhe von 418,07 € zu tragen. Rechtsgrundlage dafür sei § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Die Antragsgegnerin habe die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft, auch soweit sie den angemessenen Bedarf überstiegen, so lange zu berück¬sichtigen, wie der Antragstellerin nicht möglich oder nicht zu-zumuten sei, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel je-doch längstens für 6 Monate. Aus den beigezogenen Verwaltungs¬akten sei nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin der An¬tragstellerin eine kostengünstigere und zugleich angemessene und zumutbare Wohnung nachgewiesen habe. Die Antragstellerin sei auch nicht bereits seit 1998 verpflichtet, sich eine kos¬tengünstigere Unterkunft zu suchen. Vielmehr habe bis zum Aus¬zug ihrer Tochter im Jahre 2004 noch ein größerer Wohnraumbe¬darf bestanden. Wenn sie danach aufgefordert worden sei, sich eine günstigere Unterkunft zu suchen, so laufe nach In-Kraft-Treten des § 22 Abs. l OGB II ab dem 1. Januar 2005 eine Frist von maximal 6 Monaten, in welcher die Antragsgegnerin die tat¬sächlichen Unterkunftskosten zu berücksichtigen habe. Da die Antragstellerin ihren Angaben zufolge ihre Wohnung bereits ge¬kündigt habe, habe sie die erforderlichen Schritte zur Senkung der Unterkunftskosten eingeleitet. Zu einem sofortigen Auszug mit In-Kraft-Treten des SGB II sei sie nicht verpflichtet gewe¬sen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ih¬rer am 21. März 2005 eingelegten Beschwerde, welcher das Sozi¬algericht nicht abgeholfen hat. Sie trägt vor: Es treffe nicht zu, dass die Antragstellerin bei Auszug ihrer Tochter im Jahre 2004 aufgefordert worden sei, sich eine günstigere Wohnung zu
suchen. Vielmehr sei trotz des Auszugs weiterhin die Mietober-grenze für einen 2-Personen-Haushalt berücksichtigt worden.. Die Initiative, die Wohnung zu kündigen und sich günstigeren Wohn¬raum zu suchen, gehe allein von der Antragstellerin aus. Im Üb-

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rigen werde die Auffassung des Sozialgerichts nicht geteilt, dass bei Einleitung des Verfahrens zur Senkung der Unterkunfts¬kosten nach § 22 Abs. 1 SGB II wieder die tatsächlichen Unter¬kunftskosten für maximal 6 Monate zu berücksichtigen seien. Al¬lenfalls seien die bisher berücksichtigten Aufwendungen für ei¬nen 2-Personen-Haushalt weiter zu zahlen. In.§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei im Gegensatz zu § 22 Abs:.l Satz 1 SGB II nicht von den tatsächlichen Unterkunftskosten die Rede. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Antragstellerin, die sich schon bis-her geweigert habe, ihre Unterkunftskosten zu senken, für einen befristeten Zeitraum noch einmal die vollen Unterkunftskosten erhalten könne.

Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 9. März 2005 zu ändern und den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Unterkunftskosten in voller Höhe zu berücksichtigen, abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Sie habe sich zu keinem Zeitpunkt geweigert, die Unterkunftskosten zu senken. Durch die Wohnungskündigung habe sie im Gegenteil alles ihr Mögliche hierzu getan. In § 22 SGB II fehle es an einem Bezug auf die zuvor gezahlte Sozial¬hilfe. Der Gesetzgeber habe also offensichtlich keine unterschiedliche Behandlung ehemaliger Sozialhilfeempfänger vorgese¬hen. Allein schon deshalb seien die Unterkunftskosten in voller Höhe anzuerkennen.

Die die Antragstellerin betreffenden Verwaltungsakten der An¬tragsgegnerin sowie die Gerichtsakten haben dem Senat vorgele-

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gen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172 ff., Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Der Senat hat nur noch darüber zu befinden, ob das Sozialge¬richt die Antragsgegnerin im Rahmen des einstweiligen Rechts¬schutzes zu Recht verpflichtet hat, der Antragstellerin über die mit Bescheid vom 30. November 2004 bewilligten Leistungen hinaus bis zum 30. Juni 2005 weitere 43,29 € monatlich zu ge¬währen (Beschlusstenor zu 2.). Allein gegen diesen Teil der erstinstanzlichen Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Ihre Verpflichtung zur zusätzlichen Finanzie¬rung der Besuchsfahrten der Tochter der Antragstellerin (Be¬schlusstenor zu 1.) hat sie hingegen nicht angegriffen. Die An¬tragstellerin ihrerseits hat keine Beschwerde dagegen erhoben, dass ein Mehrbedarf für krankheitsbedingte kostenaufwendige Er¬nährung (Beschlusstenor zu 3.) nicht anerkannt worden ist.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Beschluss des Sozi¬algerichts hält der rechtlichen Überprüfung stand. Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2.Satz 2, Abs. 3 SGG liegen vor. Nach diesen Vorschriften sind - auch schon vor Klagerhebung - einst¬weilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend. Erforderlich für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind danach sowohl ein Anordnungsanspruch im Sinne der hinreichenden Wahrschein¬lichkeit eines in der Sache bestehenden materiellen Rechts

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(§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920, 916 ZPO), als auch ein Anordnungsgrund im Sinne der besonderen Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Das bedeutet, dass die Beweisführung, die einem Antragsteller hinsichtlich der von ihm behaupteten entschei¬dungserheblichen Umstände grundsätzlich obliegt, vorerst nur einen geringeren Grad an Sicherheit vermitteln muss, als dies in einem Klageverfahren erforderlich wäre. Andererseits darf gerade wegen dieses summarischen Charakters des einstweiligen Anordnungsverfahrens die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Dieser Grundsatz hat besondere Be¬deutung im Rahmen grundsicherungsrechtlicher Regelungsanordnun¬gen zu Lasten der Behörde. Denn da hierdurch einstweilig zuge¬sprochene Leistungen in aller Regel verbraucht werden und des-halb nach einer etwaigen Aufhebung der Anordnung oder gegentei¬ligen Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr erfolg-reich zurückgefordert werden können, werden durch die Eilent¬scheidung faktisch vollendete Tatsachen geschaffen. Aus diesem Grunde ist die Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines materiel¬len Anspruchs auf die begehrte Leistung nur dann hinreichend, wenn sie hoch ist.

Bei Beachtung dieser Maßstäbe ist die von der Antragsgegnerin angefochtene einstweilige Anordnung des Sozialgerichts zu Recht ergangen.

a) Der streitgegenständliche Anordnungsanspruch der Antragstel¬lerin ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II haben Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und\das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3)

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und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig vor. Insbesondere ist die Antragstellerin hilfebedürftig i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 9 Abs. 1 SGB II. Danach ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt und seine Eingliede¬rung in Arbeit nicht ausreichend aus. eigenen Kräften und Mitteln sichern kann. Ein gesicherter Lebensunterhalt im Sinne dieser Definition setzt sich grundsätzlich zusammen aus der Re¬gelleistung gemäß § 20 SGB II, etwaigen Mehrbedarfen gemäß § 21 SGB II und dem tatsächlichen Bedarf für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Letzteres trifft nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB I.I allerdings uneingeschränkt und auf Dauer nur auf (ab-strakt) angemessenen Unterkunftsbedarf zu. Die tatsächlichen Aufwendungen der Antragstellerin für ihre aktuelle Wohnung übersteigen indes bei summarischer Prüfung den angemessenen Um-fang. Nach übereinstimmenden Angaben beider Beteiligten bewohnt sie eine 49 qm große 2-Zimmer-Wohnung in Kiel, für die sie.eine Warmmiete in Höhe von 418,07 € monatlich zu entrichten hat. Ab¬züglich des zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitigen Heizkostenanteils in Höhe von 48,.07 € monatlich ergeben sich mithin Unterkunftskosten in Höhe von 370,00 €. Grundsicherungs¬rechtlich angemessen sind hingegen lediglich die von der An¬tragsgegnerin als Anlage 1 Ziffer II zu § 3 Abs. 3 Buchstabe b des Vertrages über die Gründung und Ausgestaltung einer Ar¬beitsgemeinschaft für den Bereich der Landeshauptstadt Kiel nach § 44b SGB II übernommenen Regel-Höchstsätze für in der So¬zialhilfe anzuerkennende Mieten (Mietobergrenzen). Danach ist für die seit dem Auszug ihrer Tochter im Jahre 2004 allein ste¬hende Antragstellerin eine Wohnungsgröße von 25-45 qm und eine Kaltmiete in Höhe von 273,00 € monatlich (bei einer bis 1976 fertiggestellten Wohnung mit Bad und Zentralheizung) bzw. 311,00 e monatlich (bei einer ab 1976 fertiggestellten Wohnung mit Bad und Zentralheizung) anzuerkennen.

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Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin Leistungen für die tatsächlichen Unterkunftskosten jedoch bis einschließlich 30. Juni 2005 auch zu gewähren, soweit sie (abstrakt) unange¬messen sind. Das folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Danach sind die Aufwendungen für die Unterkunft, auch soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungs¬wechsel, durch Vermieten oder auf sonstige Weise die Aufwendun¬gen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Vorschrift verpflichtet mithin den Träger der Grundsiche¬rung für Arbeitsuchende, unangemessen hohe Unterkunftskosten in voller Höhe-als Bedarfso lange anzuerkennen, als es dem Hilfe-bedürftigen "nicht möglich oder nicht zuzumuten ist", die Auf¬wendungen für die Unterkunft zu senken. Hintergrund dieser Re¬gelung ist, dass ein Hilfebedürftiger - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich Anspruch auf die Deckung seines gesamten Unter¬kunftsbedarfs hat und deshalb auf die Senkung seiner Unter¬kunftskosten nur verwiesen werden darf, soweit ihm diese im Be¬darfszeitraum objektiv und sub0jektiv abverlangt werden kann. Nur wenn beides der Fall ist, besteht - auch für eine Über¬gangszeit - kein Anspruch auf Übernahme des unangemessenen Teils der Unterkunftsaufwendungen. Diese Systematik erfordert eine zweigeteilte Prüfung:

Vorrangig kommt es darauf an, ob der Hilfebedürftige die fakti¬sche Möglichkeit zur sofortigen Senkung seiner Unterkunftskos¬ten hat. Ist das nicht der Fall, stellt also die vom Hilfebe¬dürftigen bewohnte Unterkunft die in dem maßgeblichen räumli¬chen Umkreis und Bedarfszeitraum einzig verfügbare und auf dem örtlichen Wohnungsmarkt zugängliche dar, so sind schon deshalb die Aufwendungen für diese Wohnung aus grundsicherungsrechtli¬cher Sicht (konkret) angemessen und deshalb vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für eine Übergangszeit zu übernehmen. Feststellungen, die diese Schlussfolgerung oder aber ihr Gegenteil rechtfertigen könnten, sind in den Verwaltungs-

und Gerichtsakten nicht enthalten. Weder hat die Antragsgegne¬rin der Antragsgegnerin eine anzumietende Unterkunft zu ange¬messenem Mietzins benannt, noch hat sie vermerkt, dass eine solche nicht verfügbar ist.

Weiterer Sachaufklärung insoweit bedarf es jedoch gleichwohl nicht. Denn auch soweit dem Hilfesuchenden eine sofort verfüg-bare kostenangemessenen Unterkunftsalternative nachgewiesen werden kann, ist der Träger der Grundsicherung für Arbeitsu¬chende gleichwohl zur vorübergehenden Übernahme der vollen Un¬terkunftskosten verpflichtet, wenn im Einzelfall besondere Um-stände hinzutreten, die eine Verweisung des Hilfebedürftigen auf die verfügbare Unterkunftsalternative für die Übergangszeit als unzumutbar erscheinen lassen. Das ist - in Fortsetzung der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. BVerwGE 101,194 m. w. N.) immer dann anzunehmen, wenn der Hilfebedürftige bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit die aus grundsicherungsrechtlicher Sicht zu teure Wohnung bereits bewohnt. In einem solchen.Fall soll er nicht gezwungen werden, sofort seine bisherige Wohnung auf-zugeben. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Hilfebe¬dürftige ein schutzwürdiges Interesse daran hat, von einer un vorhergesehenen, abrupten Änderung seiner gefestigten Wohnsitu¬ation und von einem Verlust seines bisherigen sozialen Umfelds jedenfalls für eine Übergangszeit verschont zu bleiben. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Antragstellerin hat die Woh¬nung bei Eintritt ihrer Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II be¬reits langjährig bewohnt. Sie konnte sie offensichtlich auch bis zum 31. Dezember 2004 aus den ihr gewährten Sozialhilfe¬leistungen tragen. Bei dieser Sachlage war sie nicht gehalten, die Wohnung mit Wirkung vom 1. Januar 2005 aufzugeben.

Die Auffassung der Antragsgegnerin, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II finde auf den Fall der Antragsgegnerin keine Anwendung, weil diese bereits im Rahmen des Bezugs von Hilfe zum Lebensunter-halt seit 1998 Gelegenheit gehabt habe, ihre Unterkunftskosten zu senken, wird vom Senat nach - in Verfahren einstweiligen

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Rechtsschutzes lediglich gebotener - summarischer Überprüfung nicht geteilt. Nicht nur § 22 SGB II, sondern die Grundsiche¬rung für Arbeitsuchende insgesamt sind erst zum 1. Januar 2005 eingeführt worden. Eine (Übergangs-)Bestimmung des Inhalts, dass dem Hilfebedürftigen auch unangemessene Unterkunftskosten im Rahmen eines vorherigen Leistungssystems (hier: der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz) vorzuhal¬ten sein sollen, ist nicht vorgesehen. Schon deshalb kann die Vorschrift nach allgemeinen Grundsätzen nur solche Versäumnisse erfassen, die erstmals nach ihrem Geltungsbeginn entstanden sind. Die von der Antragsgegnerin befürwortete gegenteilige Handhabung unterliegt darüber hinaus erheblichen Bedenken im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz), weil sie ehemalige Bezieher von Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III und ehemalige Bezieher von Hilfe zum Lebensun¬terhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz ohne sachlich zu rechtfertigenden Grundunterschiedlich betreffen würde. Da die Höhe der Arbeitslosenhilfe rechtlich nicht von der Angemessen¬heit der Unterkunftskosten des Anspruchsinhabers abhängig war, könnte dessen'Vorverhalten im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II keine leistungsbegrenzenden Wirkungen entfalten. Diese wären von vornherein ausschließlich auf den Personenkreis be¬schränkt, der bis zum 31. Dezember 2004 Hilfe zum'Lebensunter¬halt erhalten hat. Eine solche Regelungsabsicht des Gesetzge¬bers vermag der Senat weder dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, noch den hierzu vorliegenden Gesetzesmaterialien (BT¬Drucks. 15/1516, S. 57 zu § 22) zu entnehmen. Hinzuweisen ist im übrigen darauf, dass - ungeachtet ihres Vorbringens, die Vorschrift sei nicht einschlägig - 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zumindest zum Teil auch von der Antragsgegnerin angewendet wor¬den ist. Denn diese hat der Antragstellerin nicht nur die für angemessen gehaltenen Unterkunftskosten in Höhe von 273,00 €, sondern Unterkunftskosten in Höhe von 326,71 € zugestanden. Rechtsgrundlage für die Bewilligung der Differenz kann aber nicht der auf angemessene Unterkunftskosten beschränkte § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, sondern allein § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II

gewesen sein.

Der Senat sieht schließlich im Rahmen summarischer Prüfung auch als richtig an, dass das Sozialgericht seiner Entscheidung die nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgesehene sechsmonatige Regel¬höchstfrist zugrundegelegt hat.

Rechnerische Unrichtigkeiten werden von der Antragsgegnerin nicht behauptet und sind auch.nicht ersichtlich. Die vom Sozi¬algericht angeordnete einstweilige Zahlung von 43,29 € monat¬lich entspricht der Differenz zwischen der der Antragstellerin tatsächlich entstehenden Wohnungskaltmiete in Höhe von 370,00 € monatlich und den von der Antragsgegnerin gewährten Unter¬kunftskosten in Höhe von 326,71 € monatlich.

b)Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ohne Erlass der einstweiligen Anordnung würden ihr we¬sentliche Nachteile drohen, weil sie nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um ihren seit 1. Januar 2005 beste¬henden Lebensunterhalt zu sichern.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. Stoll Brandt Hengelhaupt

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