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Professoren-Legende Rainer Roth - Schluss mit "TuWas"
Fr-Online, 3. März 08
(sonst berichtet die FR in der Regel nicht über Rainer und dessen Kampagnen, so z.B. die Stellungnahme von Rainer und Harald gegen die Clementsche Hetzschrift "Missbrauchs-report", an dieser Stelle wird bereitwillig und gerne berichtet ....)
Professoren-Legende Rainer Roth
Schluss mit "TuWas"
VON ANITA STRECKER
"Zur Erinnerung an vergangene Zeiten" steht auf dem Aushang über dem kleinen Tisch vor Raum 138 im Gebäude 2 der Fachhochschule. Ein einsamer "Leitfaden Sozialhilfe von A-Z" liegt noch darauf. "Einfach mitnehmen. Sonst müssen sie weggeworfen werden." Ein Mann in Abwicklung. So nennt er sich. Bis vorige Woche war die Nummer 138 sein Raum. Seit dieser ist Rainer Roth, Sozialwissenschaftler und Professor im Diplom-Studiengang Sozialarbeit, in Pension. Seine AG TuWas, bundesweit einmaliges Praxis-Projekt für Studierende, die zweimal pro Woche Beratungen zu ALG II, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter anbieten, "ein Abrissunternehmen".
Rainer Roth sagt es leichthin, doch die Pause nach dem Satz verrät Wehmut. Wie auch, wenn das, was aus tiefster Überzeugung als wichtig erachtet wird, zum Auslaufmodell verkommt: dass Theorie und Wissen über Sozialgesetzgebung in konkrete Lebenshilfe für Betroffene mündet.
"Reine Theorie war mir stets zuwider", sagt der groß gewachsene Mann mit den kurz rasierten Haaren, der sich in der Studentenbewegung der 60er politisierte, ein Linker ist und sich bis heute in sozialen Gruppen engagiert.
Gleich nach dem Studium in Köln und Frankfurt arbeitet er deshalb als Arbeiter bei Messer Griesheim und ist seit Anfang der 70er der Professoren-Exot, der neben der Lehre reale Sozialarbeit betreibt und im direkten Kontakt mit Betroffenen untersucht, "was unten rauskommt bei der Gesetzgebung". Sozialarbeit und Methodenlehre steht für ihn im direkten Zusammenhang mit Fragen wie Wovon leben arme Leute? Wie kommt man mit Arbeitslosengeld II über den Monat? Wie wachsen Kinder von Arbeitslosen auf?
Lehre trifft Lebenswirklichkeit
1974 bietet er das erste Sozialhilfe-Seminar an, im November 1976 erscheint der erste "Leitfaden der Sozialhilfe". Ein leicht verständlicher Ratgeber für Betroffene, um im Paragraphendschungel der Gesetzgebung zurecht - und zu Recht zu kommen.
Die Nachfrage ist bundesweit überwältigend, der Infobedarf selbst bei Richtern, Sozialarbeitern, Beratungsstellen groß. Bis 2002 erscheint er in 22. Neuauflage.Und immer mehr Menschen suchen Kontakt zu den Ratgebern an der Uni. 1981 richtet Roth mit Studierenden zwei Beratungsstellen an der Fachhochschule und in Bornheim ein.
Nicht nur Arbeitslose, Behinderte, Sozialhilfeempfänger - auch die Studierenden sind begeistert. Lehrstoff trifft auf Lebenswirklichkeit - das ist bis dato einzigartig in Deutschland. "Die Studierenden wollten unbedingt selbst beraten, haben sich in die Arbeit gestürzt, Fragen recherchiert und beantwortet." Bis zu 40 Studierende hat er früher pro Semester durch die AG TuWas geschleust. Generationenweise. Vorbei. Voriges Semester haben sich noch rund 20 Studierende beteiligt. Seit die Hochschule im internationalen Wettbewerb den Bachelor-Abschluss eingeführt hat, passen derlei praktische Arbeit, kritische Parteinahme nicht mehr ins Portfolio, sagt Roth.
Was bis dato nolens volens geduldet war, sei mit Bachelor voraussichtlich zum Auslaufen verdammt. Es sei denn es finde sich ein Dozent, der die Studierenden trotz drastisch abgespeckter Stundenzahl bei den Beratungen betreut. Wobei die ohnehin schwer unter Druck stehen: Lehrstoff pauken für Prüfungen, von denen eine die andere jagt. Punkte sammeln in Hochgeschwindigkeit. "Das Studium ist nur noch verlängerte Oberstufe." Eine Studentin habe sich mal beklagt, dass sie den Lehrstoff nur noch für Prüfungen paukt und danach gleich wieder vergisst, weil das nächste "Modul" ruft. "Die Studierenden lernen nur noch unter großem Druck zu arbeiten, sich zu unterwerfen und Anforderungen zu genügen."
Leitfaden wird weitergeführt
Wer nebenbei seinen Unterhalt verdienen muss, gar eine Familie durchbringen, habe keine Chance. "Absehbar wird es immer weniger Studierende aus unteren Schichten geben." Rainer Roth hält mit seiner Kritik nicht zurück. Er hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Auch wenn die AG TuWas bis auf Weiteres die Arbeit aufrecht erhält. Zwei Dozenten im Nebenamt werden die Beratungen weiter betreuen. Wenn 2010 der Diplom-Studiengang aber endgültig ausläuft, dürfte es auch damit vorbei sein, fürchtet Roth.
Den Leitfaden immerhin führen Harald Thomé und Frank Jäger von der bundesweiten Anlaufstelle für Arbeitslose "Tacheles" weiter. Und auch Roth wird sich weiter engagieren, zu Wort melden. Sein jüngstes Projekt ist die Gründung eines Schulfonds für Kinder armer Familien. Er packt ein paar Unterschriftenlisten zum Verteilen aus der Tasche. Draußen vor der Tür fällt ein letzter Blick auf den Aushang: Bitte mitnehmen. Wegwerfen wäre schade.
http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/frankfurt/?sid=cfcc7d1a9c4a94c18c1abac725dbf138&em_cnt=1297213
(sonst berichtet die FR in der Regel nicht über Rainer und dessen Kampagnen, so z.B. die Stellungnahme von Rainer und Harald gegen die Clementsche Hetzschrift "Missbrauchs-report", an dieser Stelle wird bereitwillig und gerne berichtet ....)
Professoren-Legende Rainer Roth
Schluss mit "TuWas"
VON ANITA STRECKER
"Zur Erinnerung an vergangene Zeiten" steht auf dem Aushang über dem kleinen Tisch vor Raum 138 im Gebäude 2 der Fachhochschule. Ein einsamer "Leitfaden Sozialhilfe von A-Z" liegt noch darauf. "Einfach mitnehmen. Sonst müssen sie weggeworfen werden." Ein Mann in Abwicklung. So nennt er sich. Bis vorige Woche war die Nummer 138 sein Raum. Seit dieser ist Rainer Roth, Sozialwissenschaftler und Professor im Diplom-Studiengang Sozialarbeit, in Pension. Seine AG TuWas, bundesweit einmaliges Praxis-Projekt für Studierende, die zweimal pro Woche Beratungen zu ALG II, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter anbieten, "ein Abrissunternehmen".
Rainer Roth sagt es leichthin, doch die Pause nach dem Satz verrät Wehmut. Wie auch, wenn das, was aus tiefster Überzeugung als wichtig erachtet wird, zum Auslaufmodell verkommt: dass Theorie und Wissen über Sozialgesetzgebung in konkrete Lebenshilfe für Betroffene mündet.
"Reine Theorie war mir stets zuwider", sagt der groß gewachsene Mann mit den kurz rasierten Haaren, der sich in der Studentenbewegung der 60er politisierte, ein Linker ist und sich bis heute in sozialen Gruppen engagiert.
Gleich nach dem Studium in Köln und Frankfurt arbeitet er deshalb als Arbeiter bei Messer Griesheim und ist seit Anfang der 70er der Professoren-Exot, der neben der Lehre reale Sozialarbeit betreibt und im direkten Kontakt mit Betroffenen untersucht, "was unten rauskommt bei der Gesetzgebung". Sozialarbeit und Methodenlehre steht für ihn im direkten Zusammenhang mit Fragen wie Wovon leben arme Leute? Wie kommt man mit Arbeitslosengeld II über den Monat? Wie wachsen Kinder von Arbeitslosen auf?
Lehre trifft Lebenswirklichkeit
1974 bietet er das erste Sozialhilfe-Seminar an, im November 1976 erscheint der erste "Leitfaden der Sozialhilfe". Ein leicht verständlicher Ratgeber für Betroffene, um im Paragraphendschungel der Gesetzgebung zurecht - und zu Recht zu kommen.
Die Nachfrage ist bundesweit überwältigend, der Infobedarf selbst bei Richtern, Sozialarbeitern, Beratungsstellen groß. Bis 2002 erscheint er in 22. Neuauflage.Und immer mehr Menschen suchen Kontakt zu den Ratgebern an der Uni. 1981 richtet Roth mit Studierenden zwei Beratungsstellen an der Fachhochschule und in Bornheim ein.
Nicht nur Arbeitslose, Behinderte, Sozialhilfeempfänger - auch die Studierenden sind begeistert. Lehrstoff trifft auf Lebenswirklichkeit - das ist bis dato einzigartig in Deutschland. "Die Studierenden wollten unbedingt selbst beraten, haben sich in die Arbeit gestürzt, Fragen recherchiert und beantwortet." Bis zu 40 Studierende hat er früher pro Semester durch die AG TuWas geschleust. Generationenweise. Vorbei. Voriges Semester haben sich noch rund 20 Studierende beteiligt. Seit die Hochschule im internationalen Wettbewerb den Bachelor-Abschluss eingeführt hat, passen derlei praktische Arbeit, kritische Parteinahme nicht mehr ins Portfolio, sagt Roth.
Was bis dato nolens volens geduldet war, sei mit Bachelor voraussichtlich zum Auslaufen verdammt. Es sei denn es finde sich ein Dozent, der die Studierenden trotz drastisch abgespeckter Stundenzahl bei den Beratungen betreut. Wobei die ohnehin schwer unter Druck stehen: Lehrstoff pauken für Prüfungen, von denen eine die andere jagt. Punkte sammeln in Hochgeschwindigkeit. "Das Studium ist nur noch verlängerte Oberstufe." Eine Studentin habe sich mal beklagt, dass sie den Lehrstoff nur noch für Prüfungen paukt und danach gleich wieder vergisst, weil das nächste "Modul" ruft. "Die Studierenden lernen nur noch unter großem Druck zu arbeiten, sich zu unterwerfen und Anforderungen zu genügen."
Leitfaden wird weitergeführt
Wer nebenbei seinen Unterhalt verdienen muss, gar eine Familie durchbringen, habe keine Chance. "Absehbar wird es immer weniger Studierende aus unteren Schichten geben." Rainer Roth hält mit seiner Kritik nicht zurück. Er hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Auch wenn die AG TuWas bis auf Weiteres die Arbeit aufrecht erhält. Zwei Dozenten im Nebenamt werden die Beratungen weiter betreuen. Wenn 2010 der Diplom-Studiengang aber endgültig ausläuft, dürfte es auch damit vorbei sein, fürchtet Roth.
Den Leitfaden immerhin führen Harald Thomé und Frank Jäger von der bundesweiten Anlaufstelle für Arbeitslose "Tacheles" weiter. Und auch Roth wird sich weiter engagieren, zu Wort melden. Sein jüngstes Projekt ist die Gründung eines Schulfonds für Kinder armer Familien. Er packt ein paar Unterschriftenlisten zum Verteilen aus der Tasche. Draußen vor der Tür fällt ein letzter Blick auf den Aushang: Bitte mitnehmen. Wegwerfen wäre schade.
http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/frankfurt/?sid=cfcc7d1a9c4a94c18c1abac725dbf138&em_cnt=1297213