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SG Do 5.4.05: Zum Selbstbehalt bei verheirateten Stiefkinderfällen

SG DO Beschluss - 05.04.2005 - S 22 AS 22/05 ER

Sozialgericht Dortmund

Beschluss (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Dortmund S 22 AS 22/05 ER

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 3. - 6. vorläufig, vorbehaltlich einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, für die Zeit vom 28.2.2005 bis 30.4.2005
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen, und zwar für die Antragsteller zu 3.
und 4. in Höhe von jeweils 102,53 EUR monatlich, für die Antragstellerin zu 5. in Höhe von 73,75 EUR monatlich
und für die Antragstellerin zu 6. in Höhe von 63,33 EUR monatlich. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen. Die
Antragsgegnerin hat den Antragstellern zu 3. - 6. die Hälfte von deren erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:
I.
Die Antragsteller zu 1. und 2. sind verheiratet und wohnen mit den Antragstellern zu 3. - 6. zusammen. Die
Antragsteller zu 3. - 6. sind die aus früheren Beziehungen der Antragstellerin zu 2. stammenden Kinder, die am
28.08.1987, am 09.03.1989, am 04.09.1992 bzw. am 06.04.1994 geboren wurden. Bis Ende 2004 bezogen die Antragsteller zu 3. - 6. vom Träger der Sozialhilfe laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.

Mit einem an die Antragstellerin zu 2. "auch in der Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter" der Antragsteller zu 3. - 6. gerichteten Bescheid vom 27./28.01.2005 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem
Sozialgesetzbuch, Zweites Buch, (SGB II) ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Antragsteller zu 1. - 6. eine
Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 SGB II bildeten, bei der das Einkommen des Antragstellers zu 1. bedarfsmindernd für die gesamte Bedarfsgemeinschaft einzusetzen sei und zur Bedarfsdeckung auch ausreiche.

Hiergegen legte die Antragstellerin zu 2. am 08.02.2005 Widerspruch ein. Sie machte geltend, dass das SGB II "in
großen Teilen" gegen das Grundgesetz verstoße, und wies darauf hin, dass ihre Kinder auf die Leistungen nach
dem SGB II angewiesen seien. Am 24.2.2005 erhob auch der Antragsteller zu 1. Widerspruch gegen den
Ablehnungsbescheid.

Am 28.2.2005 hat der Antragsteller zu 1. den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, dem sich
die Antragstellerin zu 2. am 09.03.2005 "angeschlossen" hat. Unter Bezug auf die Entscheidungen des
Sozialgerichts Aurich vom 08.02.2005, AZ.: S 25 AS 2/05 ER, und des Sozialgerichts Schleswig vom 02.03.2005, AZ.: S 1 AS 51/05 ER, tragen sie vor, dass das Einkommen des Antragstellers zu 1. nicht umfassend auch zugunsten seiner Stiefkinder in Ansatz gebracht werden könne. Sein Einkommen reiche auch nicht aus, den Bedarf eines 6-Personen-Haushalts zu bestreiten.

Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern zu 2. - 6. laufende
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Monate ab Januar 2005 unter Berücksichtigung eines einzusetzenden Einkommens des Antragstellers zu 1. in Höhe von monatlich 695,03 EUR zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie lehnt die Berechnungsweise, welche die Antragsteller in Anlehnung an die zitierten sozialgerichtlichen
Entscheidungen vertreten haben, ab. Hierdurch werde der Bedarf des verdienenden Familienmitglieds praktisch
doppelt berücksichtigt. Es sei auch noch zu prüfen, ob die erhebliche Freilassung von Einkommensanteilen angesichts der uneingeschränkten Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Ehegatten statthaft sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.
Obwohl die Antragsteller zu 1. und 2. den Antrag nicht ausdrücklich - zumindest auch - im Namen der Antragsteller
zu 3. - 6. gestellt haben, hat die Kammer keine Bedenken, letztere ebenfalls als Antragsteller anzusehen.
Ausweislich des Antrags geht es ja gerade vorrangig um die Deckung ihres Bedarfs. Da auch die Mitglieder von
Bedarfsgemeinschaften eigene, selbständige Ansprüche haben, sind nur sie insoweit aktivlegitimiert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 38 SGB II, der die Vertretung der Bedarfsgemeinschaft durch eine gesetzlich vermutete Bevollmächtigung bestimmt und damit an der Anspruchsinhaberschaft des jeweiligen vertretenen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft eben nichts ändert. Bei verständiger Würdigung ist deshalb anzunehmen, dass
(auch) die juristische Konstruktion gewählt werden sollte, welche dem tatsächlichen Begehren am besten entspricht, also die der Vertretung der Antragsteller zu 3. - 6 ...

Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsteller zu 1. und 2. nur als Vertreter der
Antragsteller zu 3. - 6., und nicht auch im eigenen Namen handeln wollten.

Dagegen spricht bzgl. der Antragstellerin zu 2., dass nicht nur für ihre Kinder, sondern ausdrücklich auch für sie
Leistungen beantragt werden. Und dass der Antragsteller zu 1. den Antrag auch im eigenen Namen gestellt hat, ergibt sich insbesondere aus seiner Klarstellung, dass die von ihm bestellten Prozessbevollmächtigten nur ihn vertreten.

Der Antrag der Antragsteller zu 3. - 6. hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen war der
Antrag abzulehnen.

Nach der vorliegend maßgeblichen Vorschrift des § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierfür muss der
Antragsteller glaubhaft machen, dass ihm ein bestimmter Anspruch (Anordnungsanspruch) zusteht. Außerdem muss ein Anordnungsgrund vorliegen. Das heißt, es muss ein besonderes Dringlichkeitsinteresse an einer vorläufigen Regelung bestehen, welches über das allgemeine Interesse an einem baldigen Verfahrensabschluss hinausgeht. Eine einstweilige Anordnung kann also nur ergehen, wenn ein wirksamer Rechtsschutz in der Hauptsache nicht zu erreichen ist und dies für den Antragsteller zu unzumutbaren Folgen führen würde.

Soweit die Antragsteller die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für einen Zeitraum vor dem Tag der
Antragstellung bei Gericht begehren, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Es widerspräche dem Wesen des vorläufigen Rechtsschutzes, die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen für vergangene Zeiträume auszusprechen. Da es insoweit nicht mehr um die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage geht, sind die Antragsteller diesbezüglich auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.
Soweit die Antragsteller Ansprüche über den Monat hinaus begehren, in dem die gerichtliche Entscheidung im
Eilverfahren ergeht, liegt ebenfalls kein Anordnungsgrund vor. Da die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ebenso wie die der Sozialhilfe nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) grundsätzlich keine rentengleiche Dauerleistung darstellen und lediglich der Behebung einer aktuellen Notlage dienen, ist das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf die Zeit bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung zu begrenzen, so die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NW) zur vergleichbaren Problematik bei Verfahren nach dem BSHG, z. B. Beschlüsse vom 21.12.1984, AZ.: 8 B 2301/84, und vom 18.06.2002, AZ.: 16 B 834/02.

Für den danach verbleibenden Zeitraum vom Eingang des Eilantrags bei Gericht am 28.02.2005 bis zum
30.04.2005 ist ein Anordnungsgrund und darüber hinaus auch ein Anordnungsanspruch der Antragsteller zu 3.- 6. in dem tenorierten Umfang glaubhaft gemacht. Den Antragstellern zu 1. und 2. steht dagegen kein Anspruch zu.

Die Antragsteller zu 3. - 6. sind leistungsberechtigt im Sinne des § 7 SGB II. Denn entgegen der Ansicht der
Antragsgegnerin liegt bei ihnen - was allein näherer Ausführungen bedarf - auch Hilfebedürftigkeit vor.
Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist u.a. hilfebedürftig, wer seinen eigenen Lebensunterhalt und den der mit ihm in
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, z. B. nicht
aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von
anderen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ist nach Maßgabe des Absatzes 2 neben dem eigenen auch das Einkommen und das Vermögen bestimmter anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu
berücksichtigen.

Die Antragsteller zu 3. - 6. können ihren Lebensunterhalt in diesem Sinn nicht in vollem Umfang sichern:

Der diesbezügliche Bedarf der 17 bzw. 16 Jahre alten Antragsteller zu 3. und 4. ist jeweils mit 399,86 EUR in
Ansatz zu bringen. Er setzt sich zusammen aus einem der Regelleistung nach §§ 19, 20 Abs. 3 SGB II entsprechenden Betrag von 276,- EUR und 123,86 EUR für den auf jeden Antragsteller entfallenden Anteil an den Kosten für Unterkunft und Heizung (vgl. §§ 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), welche sich nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten auf insgesamt 743,15 EUR belaufen und nach Kopfzahl auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verteilen sind, vgl. Brühl, in Münder, Sozialgesetzbuch II, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Lehr- und Praxiskommentar, 1. Auflage, 2004, § 22 Rdnr. 22, unter Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur entsprechenden Problematik nach dem BSHG.

Dieser Bedarf wird durch das für sie jeweils in Höhe von 154 EUR gewährte Kindergeld, das nach § 11 Abs. 1 Satz
3 SGB II als bedarfsmindernd anzurechnen ist, nur teilweise gedeckt, so dass ein offener Bedarf von jeweils 399,86
EUR - 154,- EUR = 245,86 EUR verbleibt. Ein Kinderzuschlag kann nach den Feststellungen der Antragsgegnerin für keines der vier Kinder beansprucht werden.

Für die 12 bzw. 10 Jahre alten Antragsteller zu 5. und 6. errechnet sich gemäß §§ 28, 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II
ein Bedarf von jeweils 207,- EUR + 123,86 EUR = 330,86 EUR, der bei der Antragstellerin zu 5. durch 154,- EUR
Kindergeld und bei der Antragstellerin zu 6. durch Kindergeld in Höhe von 179,- EUR teilweise befriedigt wird und in Höhe von 176,86 EUR bzw. 151,86 EUR nicht durch eigene Mittel gedeckt werden kann.

Es ist glaubhaft, dass der Lebensunterhalt der Antragsteller zu 3. - 6. auch nicht ausreichend aus dem Einkommen des Antragstellers zu 1. sichergestellt wird.

Wohl zu Recht ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass die Antragsteller zu 3. - 6. mit den beiden
anderen Antragstellern in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 SGB II leben. Dass der berufstätige Antragsteller zu
1. seinen Lebensunterhalt aus seinem Einkommen zweifelsfrei selbst bestreiten kann und deshalb selbst nicht tatsächlich hilfebedürftig ist, steht seiner Mitgliedschaft in der Bedarfsgemeinschaft jedenfalls nicht entgegen. Wie bereits erwähnt, fingiert § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II eine Hilfedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II auch
schon für den Fall, dass der Betreffende nur den Bedarf der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht sichern kann.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin muss der Antragsteller zu 1. sein Einkommen jedoch nicht umfassend
zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragsteller zu 3. - 6. einsetzen.

§ 9 Abs. 2 SGB II regelt einen umfassenden Einsatz des Einkommens und Vermögens zugunsten anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nur für zwei Fallkonstellationen: nämlich - zum einen - im Verhältnis der in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Partner zueinander (vgl. Satz 1 der Vorschrift) und - zum anderen - im Verhältnis der Eltern oder eines Elternteils zu den mit ihnen zusammenlebenden minderjährigen unverheirateten Kindern (vgl. Satz 2). Um einen derartigen Sachverhalt geht es vorliegend jedoch nicht. Denn der Antragsteller zu 1. gehört als Stiefvater weder zum Personenkreis der Eltern noch der Elternteile im Sinne der Vorschrift, die entsprechend dem herkömmlichen sozialhilferechtlichen Sprachgebrauch, vgl. z. B. Roscher,Bundessozialhilfegesetz, Lehr- und Praxiskommentar, 5. Auflage, 1998, § 11 Rdnr. 8, und abweichend von § 56 SGB I nicht auch Stiefeltern(teile) mit einschließt, vgl. Brühl, Sozialgesetzbuch II, a.a.O., § 9, Rdnr. 27.

Ein umfassender Einsatz des Einkommens zugunsten der Antragsteller zu 3. - 6. kommt auch nicht unter dem von
der Antragsgegnerin angesprochenen Gesichtspunkt der ehelichen Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers zu 1.
gegenüber der Antragstellerin zu 2. in Betracht. Gemäß § 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) umfasst der Familienunterhalt, zu dem der erwerbstätige Ehegatte die notwendigen Barmittel beisteuern muss, insoweit nämlich ausdrücklich nur den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder.

Stiefkinder, selbst wenn sie mit im Haushalt leben, gehören grundsätzlich nicht zur Familie im Sinne dieser Vorschrift. Im Übrigen und vor allem beinhaltet der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II aus dem eigenen Einkommen und Vermögen zu sichernde Lebensunterhalt des Partners, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit §§ 19 ff SGB II ergibt, nicht auch eine Sicherstellung von Unterhalt an unterhaltsberechtigte Dritte.

Die Antragsgegnerin kann für ihre Rechtsauffassung auch nichts aus Satz 3 des § 9 Abs. 2 SGB II herleiten,
wonach jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig gilt, wenn in der
Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt werden kann. Mit dieser
Vorschrift soll lediglich die Verteilung des Einkommensüberschusses in den Fallkonstellationen der Sätze 1 und 2 geregelt werden. Hätte der Gesetzgeber damit stattdessen eine Verteilung der Gesamtmittel der
Bedarfsgemeinschaft auf deren Gesamtbedarf normieren wollen, wäre nicht verständlich, weshalb er unmittelbar
zuvor mit den Sätzen 1 und 2 eine strenge Anrechnung lediglich bei Partnern und bei Eltern gegenüber ihren
Kindern vorgesehen hat, vgl. Brühl, a.a.O. § 9, Rdnr. 32.
Die vorliegend entscheidende Frage, ob und inwieweit das Einkommen eines erwerbstätigen Mitglieds einer
Bedarfsgemeinschaft zugunsten der mit ihm zusammenlebenden minderjährigen unverheirateten Kinder seines Ehepartners zu berücksichtigen ist, ist also nicht gesondert geregelt. Es muss deshalb auf die Vorschrift des § 9 Abs. 5 SGB II zurückgegriffen werden, die den Einsatz von Einkommen /Vermögen bei einer Haushaltsgemeinschaft betrifft und - da der allgemeinere Begriff der Haushaltsgemeinschaft auch den Sonderfall der Bedarfsgemeinschaft umfasst - auch zwanglos Anwendung finden kann. Danach wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die mit Verwandten oder Verschwägerten (zu letzteren zählt nach § 1590 BGB auch der Stiefvater)in Hausgemeinschaft leben, von diesen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Mit der Systematik der Absätze 2 und 5 des § 9 SGB II hat der Gesetzgeber offensichtlich im Wesentlichen an den Grundsätzen festhalten wollen, wie sie in §§ 11 Abs. 1 Satz 2, 16 des Bundessozialhilfegesetzes geregelt waren. Für die von der Antragsgegnerin angenommene uneingeschränkte
finanzielle Einstandspflicht eines jeden Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft für alle anderen Mitglieder gibt es auch
nach neuem Recht keine Grundlage.

Bei der Vermutung nach § 9 Abs. 5 SGB II sind gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V) die um die Absetzbeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II bereinigten Einnahmen in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Satzes der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie darüber hinausgehend 50 Prozent der diesen Freibetrag
übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten. § 11 Abs. 1 und 3 SGB II gilt entsprechend.

Die Vermutung kommt allerdings erst zum Tragen, nachdem die Beträge in Abzug gebracht worden sind, die der
Verwandte/Verschwägerte aus seinem Einkommen/Vermögen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II zugunsten anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einsetzen muss. Im Übrigen kann die Vermutung widerlegt werden, wobei der Hilfesuchende die Beweislast trägt. Vorliegend kann die Vermutung schon deshalb nicht als widerlegt angesehen werden, weil die Antragsteller die von ihnen vorgenommene Berechnung an sich in Anlehnung an die von ihnen zitierten Gerichtsentscheidungen durchaus auf § 9 Abs. 5 SGB II stützen wollen. Sie haben nur die einzelnen Berechnungsschritte nicht konsequent vorgenommen und zu Unrecht das bereinigte Einkommen des Antragstellers zu 1. auch in Bezug auf die Antragstellerin zu 2. und ihn selbst nur in Höhe des den Freibetrag nach § 1 Abs. 2 Alg II-V übersteigenden Teilbetrags in Ansatz gebracht.

Für die Berechnung der Leistungsansprüche der Antragsteller zu 3. - 6. ergibt sich nach alledem folgendes:
Auszugehen ist von einem nach § 11 Abs. 2 SGB II bereinigten Einkommen des Antragstellers zu 1. in Höhe von
2205,34 EUR. Die von der Antragsgegnerin im Einzelnen dargelegte Berechnung dieses Betrags ist von den
Antragstellern nicht angegriffen worden. Bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen
Überprüfung durch das Gericht begegnet sie auch keinen Bedenken.

Von diesem bereinigten Einkommen sind zunächst die Beträge abzuziehen, die der Antragsteller zu 1. nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin zu 2. einzusetzen hat, nämlich 311,- EUR entsprechend der Regelleistung im Sinne des §§ 19, 20 Abs. 3 SGB II sowie 123,86 EUR für den auf sie entfallenden Anteil an den Kosten für Unterkunft und Heizung. Infolgedessen steht der Antragstellerin zu 2. kein
eigener Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu, weil ihr Bedarf aus dem Einkommen des Antragstellers zu 1.
gedeckt ist.

Der danach verbleibende Betrag von 1770,48 EUR (=2205,34 EUR - 311,- EUR - 123,86 EUR) verringert sich in
Anwendung des § 1 Abs. 2 Alg II-V um einen Freibetrag in Höhe von 1292,17 EUR (= 2 x 345,- EUR + 123,86 EUR
+ (1770,48 EUR - 2 x 345,- EUR - 123,86 EUR) x 50 %), so dass sich ein zugunsten der Antragsteller zu 3. - 6.
einsetzbares Einkommen des Antragstellers zu 1. in Höhe von 478,31 EUR ergibt.

Dieses ist in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II im Verhältnis des ungedeckten Bedarfs der
Antragsteller zu 3. - 6. in Höhe von insgesamt 820,44 EUR (= 2 x 245,86 EUR + 176,86 EUR + 151,86 EUR) aufzuteilen, so dass auf die Antragsteller zu 3. und 4. jeweils 478,31 EUR x (245,86: 820,44 = 0,2996684) = 143,33 EUR, auf die Antragstellerin zu 5. 478,31 EUR x (176,86: 820,44 = 0,2155672) = 103,11 EUR und auf die Antragstellerin zu 6. 478,31 EUR x (151,86: 820,44 = 0,1850958) = 88,53 EUR entfallen.

Danach bleibt bei den Antragstellern zu 3. und 4. ein durch Leistungen nach dem SGB II zu deckender Bedarf in
Höhe von jeweils 102,53 EUR (= 399,86 EUR - 154,- EUR - 143,33 EUR), bei der Antragstellerin zu 5. in Höhe von
73,75 EUR (= 330,86 EUR - 154,- EUR - 103,11 EUR) und bei der Antragstellerin zu 6. in Höhe von 63,33 EUR
(=330,86 EUR - 179,- EUR - 88,53 EUR).

Der Anordnungsgrund ergibt sich insoweit aus der Natur des Anspruchs, bei dem es um die Sicherstellung anderweitig nicht gedeckten notwendigen Lebensunterhalts geht. Die Auffassung des OVG NW, das in ständiger Rechtsprechung bei sozialhilferechtlichen Eilverfahren einen Anordnungsgrund verneint, soweit mehr als 80 % des regelsatzbemessenen Bedarfs in Streit stehen, betrifft nur erwachsene Antragsteller, vgl. z.B. Beschluss vom 18.6.2002, AZ.: 16 B 834/02, und kann deshalb auf die minderjährigen Antragsteller zu 3. - 6. keine (entsprechende) Anwendung finden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

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