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Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetz Fördern-und-Fordern

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Stellungnahme der Bundesregierung

zum Gesetz Fördern-und-Fordern


Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. November 2002 beschlossen, auf Initiative des Freistaates Bayern den Entwurf eines Gesetzes zum Fördern und Fordern arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosenhilfebezieher (Fördern-und-Fordern-Gesetz) gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes in den Deutschen Bundestag einzubringen. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, Arbeitslosenhilfebezieher und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger schneller in Arbeit zu bringen. Dies soll durch Einzeländerungen im Dritten Buch Sozialgesetzbuch und im Bundessozialhilfegesetz erreicht werden.

Dafür soll im Bereich des SGB III eine Verpflichtung für die Arbeitsämter eingefügt werden, Eingliederungspläne mit den Arbeitslosen zu erstellen. Es soll ein Kombilohn für Arbeitslosengeld- und -hilfebezieher mit unterschiedlichen Zuschlagsbeträgen eingeführt werden. Die zumutbaren Pendelzeiten sollen verschärft werden. Weiterhin ist die Verankerung der gemeinnützigen Beschäftigung als zumutbare Beschäftigung, die Verfügbarkeit nicht ausschließt, vorgesehen.
Im Bereich des Bundessozialhilfegesetzes sollen u. a. ein „Einstiegsgeld“ in Form eines Lohnzuschusses gesetzlich verankert und die bestehende Sanktionsregelung durch eine Neuregelung der Beweislast und Änderungen im Verwaltungs(gerichts)verfahren ergänzt werden.

Die Bundesregierung teilt das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs, Arbeitslosenhilfebezieher und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger schneller in Arbeit zu bringen. Die Bundesregierung teilt auch die Intention des Gesetzentwurfs, dass die Entgeltersatz- und Hilfeleistungen Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zugkräftige Anreize zur Arbeitsaufnahme für die Betroffenen enthalten müssen. Hierbei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sowohl im bereits geltenden Arbeitsförderungsrecht als auch im Sozialhilferecht der Grundsatz des „Fördern und Fordern“ verwirklicht ist, denn es gibt kein Wahlrecht zwischen Arbeitsaufnahme und Leistungsbezug.

Gleichwohl ist der vorliegende Gesetzentwurf abzulehnen, da er lediglich an den bestehenden Systemen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ansetzt und damit bei Inkrafttreten das dauerhafte Nebeneinander von zwei Hilfesystemen für einen ähnlichen Personenkreis verfestigen würde. Der Gesetzentwurf greift daher zu kurz.

Die Bundesregierung wird als dritte Stufe der Umsetzung der Hartz-Vorschläge einen Gesetzentwurf zur Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vorlegen. Die Reform soll zum 1. Januar 2004 in Kraft treten.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung noch im Jahr 2003 auf der Grundlage der Vorschläge der Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ein Gesetz zur weiteren Modernisierung der Bundesanstalt für Arbeit und zur Vereinfachung des Leistungsrechts und der arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf den Weg bringen. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft werden, welche
strukturellen Veränderungen im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung erforderlich sind, um das vorrangige Ziel einer schnellen beruflichen Wiedereingliederung von Arbeitslosen noch stärker als bisher zu fördern.

Darüber hinaus enthält der Entwurf insbesondere bei den Änderungen im Bundessozialhilfegesetz inhaltliche Unschlüssigkeiten und Mängel und bildet einen unvollständigen Vorgriff auf die für diese Legislaturperiode von der Koalition vorgesehene umfassende BSHG-Reform.

Im Einzelnen ist Folgendes kritisch anzumerken:

— Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen JobAQTIV-Gesetz ist bereits das Instrument der Eingliederungsvereinbarung (* 6 Abs. 1 Satz 3 und § 35 Abs. 4 SGB III), von dem sich der im Gesetzentwurf vorgesehene Eingliederungsplan inhaltlich im Übrigen nicht unterscheidet, in das SGB III aufgenommen worden. Danach halten das Arbeitsamt und der Arbeitslose in der Eingliederungsvereinbarung die zu einer Eingliederung erforderlichen Leistungen und die eigenen Bemühungen des Arbeitslosen fest. Der Abschluss der Eingliederungsvereinbarung ist damit bereits im Sinne des vorliegenden Gesetzentwurfs verbindlich vorgeschrieben. Durch die Eingliederungsvereinbarung soll der Grundsatz des „Fördern und Fordern“ konkretisiert werden mit der Folge, dass die darin festgelegten individuellen arbeitsmarktlichen Schritte zur Eingliederung des Arbeitslosen für diesen verbindlich sind. Eine darüber hinausgehende im Gesetzentwurf vorgeschlagene gesetzliche Kodifizierung der Verbindlichkeit des Inhaltes der Eingliederungsvereinbarung ist damit entbehrlich.

— Hinsichtlich der Einführung eines Kombilohns ist festzustellen, dass die Bundesregierung mit der bundesweiten Ausdehnung des Mainzer Modells bereits ein flächendeckendes Instrument geschaffen hat, das Menschen mit relativ schlechten Arbeitsmarktchancen durch die Subventionierung von Lohnnebenkosten und die Zahlung von Kindergeldzuschlägen bei Arbeitsaufnahme Brücken in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Niedriglohnbereich baut. Zudem wird mit dem Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die geringfügige Beschäftigung im Sinne eines gleitenden und langsamen Anstiegs der Belastungen des Arbeitnehmers mit Sozialversicherungsbeiträgen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze neu geregelt. Daneben wird zusätzlich das Instrument der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer eingeführt, durch die bei Aufnahme einer neuen, geringer entlohnten Beschäftigung zeitlich befristet das neue Arbeitsentgelt aufgestockt wird, wenn durch diese Beschäftigungsaufnahme Arbeitslosigkeit beendet oder vermieden wird. Die Bundesregierung strebt an, auch im Rahmen der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wirksame Anreize zur Arbeitsaufnahme für die Betroffenen — auch im Bereich niedrigqualifizierter und -entlohnter Tätigkeiten — vorzusehen.

— Eine Verschärfung der zumutbaren Pendelzeiten führt —wie die Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt haben
— nicht zu einem Ausgleich der regionalen Arbeitsmärkte. Sinnvoll ist hingegen, unter bestimmten Voraussetzungen zur Aufnahme einer Beschäftigung einen Umzug anstelle einer Erweiterung des zumutbaren Pendelbereichs zu verlangen. Das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt stellt deshalb klar, dass Bezieher von Arbeitslosengeld grundsätzlich bereit sein müssen, eine Beschäftigung im gesamten Bundesgebiet anzunehmen. Bei der Prüfling der Zumutbarkeit einer Beschäftigung wird jedoch die persönliche Situation berücksichtigt. Arbeitslosen ohne familiäre Bindungen kann mehr zugemutet werden als Arbeitslosen mit Familie. Durch die Erstattung der Umzugskosten wird die eingeforderte Mobilität finanziell unterstützt.

— Bereits mit dem Job-AQTIV-Gesetz sind die Möglichkeiten für Bezieher von Arbeitslosengeld, ohne Auswirkungen auf den Leistungsanspruch unentgeltlich und im Interesse des Allgemeinwohls tätig zu sein, wesentlich erweitert worden: Eine ehrenamtliche Tätigkeit kann auch in einem Umfang von 15 und mehr Wochenstunden ausgeübt werden, ohne dass der Leistungsanspruch entfällt, wenn dadurch die berufliche Eingliederung nicht behindert wird (§ 118a SGB III).

Eine Regelung, die auch entgeltliche gemeinnützige Beschäftigungen während des Bezuges von Arbeitslosengeld privilegiert, ist mit dem Ziel der Arbeitslosenversicherung nicht vereinbar, mit Leistungen nur dann einzutreten, wenn Arbeitnehmer wegen des Verlustes ihres Arbeitsplatzes und des Fehlens einer geeigneten neuen Beschäftigung kein Arbeitsentgelt erzielen können. Darüber hinaus würde die Gefahr erhöht, dass gemeinnützige Tätigkeiten, die derzeit in regulären Beschäftigungsverhältnissen ausgeübt werden, durch die Mitarbeit arbeitsloser Leistungsempfänger verdrängt werden.

— Die Zielsetzung der vorgeschlagenen Änderungen im BSHG entspricht nach Auffassung der Bundesregierung zum Teil der auf Grund des heutigen BSHG bereits angewandten Praxis. Zum Teil sind die Regelungen als isoliert im BSHG vorgenommene Änderungen nicht ziel-führend. Dies gilt z. B. für die Öffnung einiger Instrumente des SGB III für Sozialhilfeempfänger im Rahmen von § l8Abs. 1BSHG.

Bereits im bestehenden Sozialhilferecht gibt es kein Wahlrecht zwischen Arbeitsaufnahme und Sozialhilfebezug. Wer sich weigert, zumutbare, konkret angebotene Arbeit anzunehmen oder gemeinnützigen Maßnahmen nachzukommen, hat keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Zumutbar ist nach dem BSHG eine jede Tätigkeit, zu der ein Hilfeempfänger geistig oder körperlich in der Lage ist, soweit nicht ein wichtiger Grund entgegensteht, wie z. B. die Erziehung eines Kindes bis vor dessen vollendetem 3. Lebensjahr. Im Übrigen entspricht auch die heutige sozialhilferechtliche Praxis bereits der Forderung nach dem Nachweis verstärkter Eigenbemühungen um einen Arbeitsplatz durch den Leistungsempfänger. Die Sozialämter verlangen daher in der Regel neben der Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt mindestens drei, in der Regel zehn eigenständige Bewerbungen und in Einzelfällen sogar bis zu 15 bis 20 bundesweite Stellengesuche über den Zeitraum eines Quartals. Sowohl umfassende Beratung der Hilfesuchenden als auch der Abschluss von Hilfevereinbarungen sind bereits nach dem derzeitigen Sozialhilferecht vorgesehen. Insofern ist für die Bundesregierung die Notwendigkeit der im Gesetzentwurf vorgesehenen Neuregelung der §§ 1 bis 3, 8, 17 und 18 BSHG nicht nachvollziehbar.

— Die vorgeschlagene Regelung zum „Einstiegsgeld“ in § 18 Abs. 5 ist in sich unverständlich und verwechselt die an sich beabsichtigte Regelung eines Lohnzuschusses mit einer Freibetragsregelung. Außerdem beruht das als Vorbild dienende, in Baden-Württemberg und Hessen durchgeführte „Einstiegsgeld“ auf der Experimentierklausel des § 18 Abs. 5 BSHG (Lohnzuschuss an erwerbstätige Hilfeempfänger) und somit auf geltendem Sozialhilferecht. Mit der vorgeschlagenen Änderung wird die jetzige Offenheit von § 18 Abs. 5 durch die ausschließliche Beschränkung auf ein „Einstiegsgeld“ begrenzt.

— Die im Gesetzentwurf vorgesehene Neufassung der Sanktionsregelung des § 25 Abs. 1 BSHG führt zum einen nicht zu einer Änderung der bestehenden Praxis, da bereits heute der fehlende Nachweis von Eigenbemühungen Sanktionen nach sich ziehen kann. Zum anderen werden bestehende Umsetzungsschwierigkeiten, wie z. B. bei größeren Bedarfsgemeinschaften, nicht angegangen. Das Ziel, die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen Sanktionen im Rahmen von § 25 Abs. 1 BSHG aufzuheben, greift ins Leere, denn Sozialhilfebescheide stellen keinen Dauerverwaltungsakt dar. Soweit der Antragsteller mit der auf Grund der Sanktion festgestellten Leistungshöhe nicht einverstanden ist und hiergegen rechtlich vorgeht, ist ohnehin nur die Verpflichtungsklage das anzuwendende Rechtsmittel. Diese hat aber ohnehin keine aufschiebende Wirkung.

Die weiteren Änderungsvorschläge, wonach erforderlichenfalls die Hilfe weiter zu kürzen ist und „der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt erst dann wieder entsteht“, wenn der Hilfesuchende seinen Verpflichtungen nachkommt, bringen gegenüber dem geltenden Recht im Ergebnis nichts Neues.

— Ebenfalls problematisch ist die in Artikel 3 des Gesetzentwurfs vorgesehene Änderung, bei mindestens 15-jähriger Erwerbstätigkeit vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit einen erhöhten Vermögensfreibetrag zu gewähren. Eine solche Regelung würde die Fürsorgeleistung Hilfe zum Lebensunterhalt aber in die unzulässige Nähe einer Lohnersatzleistung rücken und zugleich zu erheblichen, aber nicht gerechtfertigten Mehrbelastungen der Kommunen führen.

Der Gesetzentwurf ist daher abzulehnen.

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