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Stellungnahme von Tacheles zum Bedarfsermittlungsdienst v. 15.05.2000
Stellungnahme zum Bedarfsermittlungsdienst
von Tacheles e.V. zum Antrag der CDU vom 08.05.2000 / Drs. Nr. 6430 / 2000
Tacheles hält die Einrichtung eines Bedarfsermittlungsdienst für völlig verfehlt und rechtswidrig. Mit der Einführung dieses Kontrollinstruments wird de facto allen Sozialhilfe-berechtigten unterstellt, dass sie Sozialleistungsbetrüger seien. Das Leben in und mit der Sozialhilfe wird erheblich verschärft, eine unnötige Polarisierung gegen Sozialleistungsbezieher auf Stammtisch-Niveau wird die Folge sein.
Das bestehende Wuppertaler Kontrollsystem wird in seiner jetzigen Form für mehr als ausreichend angesehen, um damit effektiv tatsächlichen Sozialleistungsmissbrauch aufzudecken, vielmehr könnte man auch dagegen schon einige grundlegende Bedenken anmelden.
Unseres Erachtens besteht daher keinerlei Bedarf, flächendeckende „Bedarfsermittlungsdienste“ in Wuppertal einzurichten.
Das Argument, durch den Bedarfsermittlungsdienst könnten tatsächliche und bisher verborgen gebliebene Bedarfe aufgespürt werden könnten, wird für einen leicht durchschaubaren Vorwand gehalten. Selbst die gut qualifizierten Fachkräfte im Sozialamt kommen ihren Aufklärungs-, Informations- und Beratungspflichten nur unzureichend nach. Wenn diese Aufgabe der Bedarfsermittlungsdienst übernehmen sollte, müsste dieser damit gegen seinen eigenen Dienstauftrag - Kosten zu sparen - handeln.
„Bedarfsfeststellungen“ sollen, wenn nötig, von den mit dem Fall vertrauten Sachbearbeitern durchgeführt werden, da diese die persönlichen Umstände und Situation „ihrer“ Hilfesuchenden kennen und daher eine effektivere Beratung und Prüfung durchführen können.
Wenn es den Antragstellern zum Bedarfsermittlungsdienst darum geht, dass „wirklich bedürftige“ Sozialhilfeanspruchsberechtigte eine „bedarfsgerechte Hilfegewährung mit Ausweitung des Aufklärungs- und Beratungsangebotes“ erfahren (so der CDU – Antrag vom 19.07.1998 / Drs. Nr. 1139/98) und über ihre tatsächlichen Bedarfe umfassend aufgeklärt werden, wird es von Seiten von Tacheles für sinnvoller und notwendiger erachtet, die in unserem Haushaltsantrag vom 12.10.1999 und 16.02.2000 beantragten Stellen zu bewilligen.
1. Hausbesuche gehören nicht zu den Aufgaben der Sozialhilfegewährung
Der Antragsbegründung der CDU-Fraktion ist zu entnehmen: (Seite 2, 1. Absatz): „Zu den Aufgaben der Sozialhilfe gehört die Durchführung von Hausbesuchen“.
Wie die CDU – Fraktion zu dieser Aussage kommt und auf welchen rechtlichen Hintergrund sie diese Aussage stützt, ist nicht nachvollziehbar. Zentrale und wichtigste Aufgabe der Sozialhilfe ist und bleibt die Sicherstellung eines Lebens, „das der Würde des Menschen entspricht“ ( § 1 Abs. 2 BSHG).
Eine Rechtsgrundlage für die Einführung von flächendeckenden „Bedarfsermittlungs-diensten“ mit dem Ziel, vorrangig Hausbesuche durchzuführen, gibt es nicht. Das vorgebliche Sparen von Haushaltsmitteln und die damit verbundene pauschale Verdächtigung aller Sozialhilfeempfänger als mögliche Leistungsbetrüger ermächtigt dazu ebenfalls nicht.
2. Kollision mit dem Grundgesetz
Nach Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz ist die Wohnung eines jeden Bürgers „unverletzlich“. In dieses Grundrecht darf lediglich durch richterliche Anordnung zur Abwehr dringender Gefahren bzw. bei Gefahr im Verzug eingegriffen werden.
Ein Bedarfsfestellungsdienst, der vorrangig das Ziel hat, in die grundgesetzlich geschützte Unverletzbarkeit der Wohnung einzugreifen, entbehrt daher jeder Rechtsgrundlage.
So ist auch in den entsprechenden Gesetzestexten (BSHG, SGB I, SGB X, VwGO, VwVfG) an keiner Stelle ein Hinweis zu finden, aus dem sich auch nur im entferntesten die rechtliche Legitimität eines Bedarfsstellungsdienstes mit dem Ziel, vorrangig Hausbesuche durchzuführen, ableiten lässt.
Die materielle Mitwirkungspflicht des Sozialhilfeberechtigten schließt sehr viele Punkte ein, so die Angabe von Tatsachen bzw. Beweismitteln, die Zustimmung zur Auskunftserteilung bzw. Urkundenvorlage durch Dritte (§ 60 Abs. 1 SGB I), persönliches Erscheinen (§ 61 SGB I), ärztliche und psychologische Untersuchungen (§ 62 SGB I), Verpflichtung zur Mitwirkung an Heilbehandlung (§ 63 SGB I) und berufsfördernden Maßnahmen (§ 64 SGB I), sowie eine Arbeit zu suchen und aufzunehmen (§ 18 BSHG), aber nicht eine Einwilligung zu Hausbesuchen zu geben.
Die verfahrensrechtliche Mitwirkungslast umfasst nur die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln (§ 21 Abs. 2, S. 1 SGB X). Eine weitergehende Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, besteht nur, soweit sie durch eine Rechtsvorschrift vorgesehen ist (§ 21 Abs. 2, S. 2 SGB X). Eine solche gibt es aber im Zusammenhang mit Hausbesuchen nicht.
3. Kollision mit dem Datenschutz
Es bestehen erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken gegen einen Bedarfsfeststellungsdienst.
Grundsätzlich sind Sozialdaten, womit jede Preisgabe von Informationen über Lebensumstände einer Person gemeint sind, zunächst beim Betroffenen selbst zu erheben (§ 67a Abs. 2 Satz 1 SGB X). Eine Erhebung von Sozialdaten durch das Sozialamt ist nur zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung der Aufgabe des Sozialamtes erforderlich ist (§ 67 Abs. 1 SGB X). Die Kenntnis der personenbezogenen Daten ist dann erforderlich, wenn es dem Sozialamt ansonsten nicht möglich ist, den Sozialhilfeanspruch festzustellen. Danach ist das Sammeln von personenbezogenen Daten – sozusagen auf Vorrat - zu unbestimmten oder noch nicht bestimmten Zwecken unzulässig (Giese/Krahmer SGB I RZ 5 zu § 35 m.w.N.).
Die Behörde ist nach § 20 Abs. 1 SGB X verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und Art und Umfang der Ermittlungen festzulegen (Untersuchungsgrundsatz und Amtsermittlungsprinzip). Dabei sind aber nach § 37 Satz 3 SGB I vorrangig die Datenschutzregeln nach des § 20 SGB X (Untersuchungsgrundsatz) anzuwenden. Dies bedeutet, dass das Amtermittlungsprinzip seine Grenzen dort findet, wo die oben genannten Datenschutzregeln anzuwenden sind.
Auch die in § 21 Abs. 1 S. 2 SGB X getroffene Ermächtigung zur Inaugenscheinnahme durch Sozialleistungsbehörden umfasst gewiss nicht die Erlaubnis zum Hausbesuch.
Der Untersuchungsgrundsatz bedeutet auch nicht, dass jede Behauptung in Form einer Beantragung eines Hilfesuchenden bezweifelt werden müsste und erst dann als richtig zugrunde gelegt werden könnte, wenn sie bewiesen ist.
So stellt der Baden-Württembergische Landesdateschutzbeauftragte in seinem 18. Landesdatenschutzbericht von 1997 (S. 62 – 64) dar: „Die Sozialämter dürfen daher Sozialhilfedetektive nur einsetzen, wenn im konkreten Einzelfall bereits tatsächliche Anhaltspunkte für Leistungsmissbrauch vorliegen. Nachforschungen, die erst zur Verdachtsschöpfung führen sollen, sind also unzulässig“.
Auch in der einschlägigen Literatur besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass Hausbesuche nicht ohne Grund generell durchgeführt werden dürfen, sondern nur dann, wenn sie „konkret erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sind“, so Trenk-Hinterberger in Giese/ Krahmer SGB X, RZ 12 zu § 20).
4. Keine Rechtsgrundlage, aber das Recht des Stärkeren
Es bleibt festzuhalten, dass für die von der CDU-Fraktion genannten Aufgabenstellungen des Bedarfsfeststellungsdienstes es keine rechtlichen Grundlagen gibt. Dies könnte lediglich auf dem Prinzip des Rechts des Stärkeren, d.h. Leistungsverweigerung bei Ablehnung des Hausbesuches wegen fehlender Mitwirkung, basieren.
5. Unzulässige Schwellenerhöhung des Zugangs zur Sozialhilfe
Der Bedarfsermittlungsdienst würde die Zugangshürden zur Sozialhilfe erheblich erhöhen. Tacheles geht davon aus, dass eine Vielzahl von Menschen unter solchen Bedingungen davon abgehalten würde, überhaupt erst Sozialhilfeleistungen zu beantragen, z.B. ältere Menschen mit zu geringer Rente.
Viele würden weiterhin lieber von geringsten Geldern oder illegaler Beschäftigung leben, als einen Einfall von Sozialhilfeschnüfflern in die eigene Wohnung zu dulden.
Die Pflicht zur Duldung eines Hausbesuchs würde eine unzulässige Abweichung des einfach und schnell zu gestaltenden Zugangs zur Sozialhilfe bedeuten und daher auch gegen § 17 Abs. 1 u. 3 SGB I verstoßen.
6. Klima der Verunsicherung
Die Möglichkeit, dass Sozialleistungsbezieher ständig und immer mit einem Hausbesuch rechnen müssen, würde zu einer erheblichen Verunsicherung bei den Betroffenen führen. Die Betroffenen müssten z.B. immer damit rechnen, dass, wenn sie nur einmal einem andersgeschlechtlichen Besucher haben, dieser von den Sozialhilfedetektiven unrichtig als möglicher Lebenspartner angesehen wird und daher aufgrunddessen sofort die Leistungen verweigert werden können.
7. Polarisierung
Die Einführung von flächendeckenden Bedarfsermittlungsdiensten würde mit Sicherheit zu einer erheblichen Anspannung und Verschärfung des Klimas zwischen Hilfesuchenden und Sachbearbeiter führen. Die Betroffenen würden sich nun vollständig von der Sozialverwaltung kontrolliert und überwacht fühlen.
Tacheles könnte an dieser Stelle auch nicht mehr erklärend und vermittelnd auf verärgerte Leistungsberechtigte einwirken.
Dies ist sicherlich für beide Seiten, Sachbearbeiter wie Leistungsbezieher, nicht wünschenswert.
8. Gericht und Datenschutzbeauftragter
Es kann im übrigen davon ausgegangen werden, dass das zuständige Düsseldorfer Verwaltungsgericht sowie der Landesdatenschutzbeauftragte eine solche rechts- und verfassungswidrige Truppe nicht mittragen würde.
Fazit
Aus der Vielzahl der genannten Gründe ist der CDU-Antrag zur Einrichtung eines Bedarfsermittlungsdienstes abzulehnen. Er ist rechtswidrig und geht in die völlig falsche Richtung. Wenn es um Wege aus der Sozialhilfe geht, wären verstärkte Beratung und Information und die Sicherstellung eines tatsächlich menschenwürdigen Existenzminimums in und mit der Sozialhilfe gefragt, aber nicht immer verfeinerte Kontrollmechanismen, die das Ziel haben, den Ärmsten der Armen auch noch das letzte zu nehmen.
Wenn es um Haushaltskonsolidierung geht, würde Tacheles empfehlen, entsprechend mehr Steuer- und Betriebsprüfer einzusetzen. Dies würde tatsächlich zu einer deutlichen Verbesserung des städtischen Haushaltes führen.
Wuppertal, den 15.05.2000
Harald Thome
TACHELES e.V.
von Tacheles e.V. zum Antrag der CDU vom 08.05.2000 / Drs. Nr. 6430 / 2000
Tacheles hält die Einrichtung eines Bedarfsermittlungsdienst für völlig verfehlt und rechtswidrig. Mit der Einführung dieses Kontrollinstruments wird de facto allen Sozialhilfe-berechtigten unterstellt, dass sie Sozialleistungsbetrüger seien. Das Leben in und mit der Sozialhilfe wird erheblich verschärft, eine unnötige Polarisierung gegen Sozialleistungsbezieher auf Stammtisch-Niveau wird die Folge sein.
Das bestehende Wuppertaler Kontrollsystem wird in seiner jetzigen Form für mehr als ausreichend angesehen, um damit effektiv tatsächlichen Sozialleistungsmissbrauch aufzudecken, vielmehr könnte man auch dagegen schon einige grundlegende Bedenken anmelden.
Unseres Erachtens besteht daher keinerlei Bedarf, flächendeckende „Bedarfsermittlungsdienste“ in Wuppertal einzurichten.
Das Argument, durch den Bedarfsermittlungsdienst könnten tatsächliche und bisher verborgen gebliebene Bedarfe aufgespürt werden könnten, wird für einen leicht durchschaubaren Vorwand gehalten. Selbst die gut qualifizierten Fachkräfte im Sozialamt kommen ihren Aufklärungs-, Informations- und Beratungspflichten nur unzureichend nach. Wenn diese Aufgabe der Bedarfsermittlungsdienst übernehmen sollte, müsste dieser damit gegen seinen eigenen Dienstauftrag - Kosten zu sparen - handeln.
„Bedarfsfeststellungen“ sollen, wenn nötig, von den mit dem Fall vertrauten Sachbearbeitern durchgeführt werden, da diese die persönlichen Umstände und Situation „ihrer“ Hilfesuchenden kennen und daher eine effektivere Beratung und Prüfung durchführen können.
Wenn es den Antragstellern zum Bedarfsermittlungsdienst darum geht, dass „wirklich bedürftige“ Sozialhilfeanspruchsberechtigte eine „bedarfsgerechte Hilfegewährung mit Ausweitung des Aufklärungs- und Beratungsangebotes“ erfahren (so der CDU – Antrag vom 19.07.1998 / Drs. Nr. 1139/98) und über ihre tatsächlichen Bedarfe umfassend aufgeklärt werden, wird es von Seiten von Tacheles für sinnvoller und notwendiger erachtet, die in unserem Haushaltsantrag vom 12.10.1999 und 16.02.2000 beantragten Stellen zu bewilligen.
1. Hausbesuche gehören nicht zu den Aufgaben der Sozialhilfegewährung
Der Antragsbegründung der CDU-Fraktion ist zu entnehmen: (Seite 2, 1. Absatz): „Zu den Aufgaben der Sozialhilfe gehört die Durchführung von Hausbesuchen“.
Wie die CDU – Fraktion zu dieser Aussage kommt und auf welchen rechtlichen Hintergrund sie diese Aussage stützt, ist nicht nachvollziehbar. Zentrale und wichtigste Aufgabe der Sozialhilfe ist und bleibt die Sicherstellung eines Lebens, „das der Würde des Menschen entspricht“ ( § 1 Abs. 2 BSHG).
Eine Rechtsgrundlage für die Einführung von flächendeckenden „Bedarfsermittlungs-diensten“ mit dem Ziel, vorrangig Hausbesuche durchzuführen, gibt es nicht. Das vorgebliche Sparen von Haushaltsmitteln und die damit verbundene pauschale Verdächtigung aller Sozialhilfeempfänger als mögliche Leistungsbetrüger ermächtigt dazu ebenfalls nicht.
2. Kollision mit dem Grundgesetz
Nach Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz ist die Wohnung eines jeden Bürgers „unverletzlich“. In dieses Grundrecht darf lediglich durch richterliche Anordnung zur Abwehr dringender Gefahren bzw. bei Gefahr im Verzug eingegriffen werden.
Ein Bedarfsfestellungsdienst, der vorrangig das Ziel hat, in die grundgesetzlich geschützte Unverletzbarkeit der Wohnung einzugreifen, entbehrt daher jeder Rechtsgrundlage.
So ist auch in den entsprechenden Gesetzestexten (BSHG, SGB I, SGB X, VwGO, VwVfG) an keiner Stelle ein Hinweis zu finden, aus dem sich auch nur im entferntesten die rechtliche Legitimität eines Bedarfsstellungsdienstes mit dem Ziel, vorrangig Hausbesuche durchzuführen, ableiten lässt.
Die materielle Mitwirkungspflicht des Sozialhilfeberechtigten schließt sehr viele Punkte ein, so die Angabe von Tatsachen bzw. Beweismitteln, die Zustimmung zur Auskunftserteilung bzw. Urkundenvorlage durch Dritte (§ 60 Abs. 1 SGB I), persönliches Erscheinen (§ 61 SGB I), ärztliche und psychologische Untersuchungen (§ 62 SGB I), Verpflichtung zur Mitwirkung an Heilbehandlung (§ 63 SGB I) und berufsfördernden Maßnahmen (§ 64 SGB I), sowie eine Arbeit zu suchen und aufzunehmen (§ 18 BSHG), aber nicht eine Einwilligung zu Hausbesuchen zu geben.
Die verfahrensrechtliche Mitwirkungslast umfasst nur die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln (§ 21 Abs. 2, S. 1 SGB X). Eine weitergehende Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, besteht nur, soweit sie durch eine Rechtsvorschrift vorgesehen ist (§ 21 Abs. 2, S. 2 SGB X). Eine solche gibt es aber im Zusammenhang mit Hausbesuchen nicht.
3. Kollision mit dem Datenschutz
Es bestehen erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken gegen einen Bedarfsfeststellungsdienst.
Grundsätzlich sind Sozialdaten, womit jede Preisgabe von Informationen über Lebensumstände einer Person gemeint sind, zunächst beim Betroffenen selbst zu erheben (§ 67a Abs. 2 Satz 1 SGB X). Eine Erhebung von Sozialdaten durch das Sozialamt ist nur zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung der Aufgabe des Sozialamtes erforderlich ist (§ 67 Abs. 1 SGB X). Die Kenntnis der personenbezogenen Daten ist dann erforderlich, wenn es dem Sozialamt ansonsten nicht möglich ist, den Sozialhilfeanspruch festzustellen. Danach ist das Sammeln von personenbezogenen Daten – sozusagen auf Vorrat - zu unbestimmten oder noch nicht bestimmten Zwecken unzulässig (Giese/Krahmer SGB I RZ 5 zu § 35 m.w.N.).
Die Behörde ist nach § 20 Abs. 1 SGB X verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und Art und Umfang der Ermittlungen festzulegen (Untersuchungsgrundsatz und Amtsermittlungsprinzip). Dabei sind aber nach § 37 Satz 3 SGB I vorrangig die Datenschutzregeln nach des § 20 SGB X (Untersuchungsgrundsatz) anzuwenden. Dies bedeutet, dass das Amtermittlungsprinzip seine Grenzen dort findet, wo die oben genannten Datenschutzregeln anzuwenden sind.
Auch die in § 21 Abs. 1 S. 2 SGB X getroffene Ermächtigung zur Inaugenscheinnahme durch Sozialleistungsbehörden umfasst gewiss nicht die Erlaubnis zum Hausbesuch.
Der Untersuchungsgrundsatz bedeutet auch nicht, dass jede Behauptung in Form einer Beantragung eines Hilfesuchenden bezweifelt werden müsste und erst dann als richtig zugrunde gelegt werden könnte, wenn sie bewiesen ist.
So stellt der Baden-Württembergische Landesdateschutzbeauftragte in seinem 18. Landesdatenschutzbericht von 1997 (S. 62 – 64) dar: „Die Sozialämter dürfen daher Sozialhilfedetektive nur einsetzen, wenn im konkreten Einzelfall bereits tatsächliche Anhaltspunkte für Leistungsmissbrauch vorliegen. Nachforschungen, die erst zur Verdachtsschöpfung führen sollen, sind also unzulässig“.
Auch in der einschlägigen Literatur besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass Hausbesuche nicht ohne Grund generell durchgeführt werden dürfen, sondern nur dann, wenn sie „konkret erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sind“, so Trenk-Hinterberger in Giese/ Krahmer SGB X, RZ 12 zu § 20).
4. Keine Rechtsgrundlage, aber das Recht des Stärkeren
Es bleibt festzuhalten, dass für die von der CDU-Fraktion genannten Aufgabenstellungen des Bedarfsfeststellungsdienstes es keine rechtlichen Grundlagen gibt. Dies könnte lediglich auf dem Prinzip des Rechts des Stärkeren, d.h. Leistungsverweigerung bei Ablehnung des Hausbesuches wegen fehlender Mitwirkung, basieren.
5. Unzulässige Schwellenerhöhung des Zugangs zur Sozialhilfe
Der Bedarfsermittlungsdienst würde die Zugangshürden zur Sozialhilfe erheblich erhöhen. Tacheles geht davon aus, dass eine Vielzahl von Menschen unter solchen Bedingungen davon abgehalten würde, überhaupt erst Sozialhilfeleistungen zu beantragen, z.B. ältere Menschen mit zu geringer Rente.
Viele würden weiterhin lieber von geringsten Geldern oder illegaler Beschäftigung leben, als einen Einfall von Sozialhilfeschnüfflern in die eigene Wohnung zu dulden.
Die Pflicht zur Duldung eines Hausbesuchs würde eine unzulässige Abweichung des einfach und schnell zu gestaltenden Zugangs zur Sozialhilfe bedeuten und daher auch gegen § 17 Abs. 1 u. 3 SGB I verstoßen.
6. Klima der Verunsicherung
Die Möglichkeit, dass Sozialleistungsbezieher ständig und immer mit einem Hausbesuch rechnen müssen, würde zu einer erheblichen Verunsicherung bei den Betroffenen führen. Die Betroffenen müssten z.B. immer damit rechnen, dass, wenn sie nur einmal einem andersgeschlechtlichen Besucher haben, dieser von den Sozialhilfedetektiven unrichtig als möglicher Lebenspartner angesehen wird und daher aufgrunddessen sofort die Leistungen verweigert werden können.
7. Polarisierung
Die Einführung von flächendeckenden Bedarfsermittlungsdiensten würde mit Sicherheit zu einer erheblichen Anspannung und Verschärfung des Klimas zwischen Hilfesuchenden und Sachbearbeiter führen. Die Betroffenen würden sich nun vollständig von der Sozialverwaltung kontrolliert und überwacht fühlen.
Tacheles könnte an dieser Stelle auch nicht mehr erklärend und vermittelnd auf verärgerte Leistungsberechtigte einwirken.
Dies ist sicherlich für beide Seiten, Sachbearbeiter wie Leistungsbezieher, nicht wünschenswert.
8. Gericht und Datenschutzbeauftragter
Es kann im übrigen davon ausgegangen werden, dass das zuständige Düsseldorfer Verwaltungsgericht sowie der Landesdatenschutzbeauftragte eine solche rechts- und verfassungswidrige Truppe nicht mittragen würde.
Fazit
Aus der Vielzahl der genannten Gründe ist der CDU-Antrag zur Einrichtung eines Bedarfsermittlungsdienstes abzulehnen. Er ist rechtswidrig und geht in die völlig falsche Richtung. Wenn es um Wege aus der Sozialhilfe geht, wären verstärkte Beratung und Information und die Sicherstellung eines tatsächlich menschenwürdigen Existenzminimums in und mit der Sozialhilfe gefragt, aber nicht immer verfeinerte Kontrollmechanismen, die das Ziel haben, den Ärmsten der Armen auch noch das letzte zu nehmen.
Wenn es um Haushaltskonsolidierung geht, würde Tacheles empfehlen, entsprechend mehr Steuer- und Betriebsprüfer einzusetzen. Dies würde tatsächlich zu einer deutlichen Verbesserung des städtischen Haushaltes führen.
Wuppertal, den 15.05.2000
Harald Thome
TACHELES e.V.