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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 04/2022

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II ) und zum Asylrecht und AsylbL

1.1 Bundessozialgericht, Urteil vom 5. August 2021 (B 4 AS 26/20 R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Bejahung der Beanspruchbarkeit von Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II) während der Beurlaubung eines Straftäters vom Maßregelvollzug nach § 64 StGB in der Form des von der Entzugsklinik genehmigten Probewohnens im selbst angemieteten Wohnraum außerhalb der Einrichtung.

Die Tatsache, dass entsprechend § 30 Abs. 1 MRVG NRW das Land die notwendigen Kosten des Maßregelvollzugs zu tragen hat, soweit weder Sozialleistungsträger noch die Patientinnen und Patienten selbst diese Aufwendungen übernehmen (können), steht der Bejahung einer Hilfebedürftigkeit gemäß den §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 9 Abs. 1 SGB II nicht entgegen, sofern der notwendige Lebensunterhalt bei Personen, die im Rahmen des Maßregelvollzugs zur Resozialisierung an einem Probewohnen teilnehmen, nicht vollständig gesichert ist.

Die aus § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB II hervorgehende Ausschlussnorm gelangt hier nicht zur Anwendung.

Mit Beginn des Probewohnens im Individualwohnraum gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 MRVG NRW im Rahmen der unbefristeten Beurlaubung als eine Form der Lockerung des Vollzugs befindet sich ein Antragsteller nicht mehr in einer Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB II.

Auch während dieser Phase besteht weiterhin ein Sonderrechtsverhältnis, d. h. der Maßregelvollzug dauert nach wie vor an. Es erfolgt hier aber kein Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung in einer Einrichtung gemäß § 7 Abs. 4 SGB II, was für eine Heranziehung dieser Norm unabdingbar ist. An dieser Stelle darf auf den sozialhilferechtlichen Einrichtungsbegriff des § 13 SGB XII zurückgegriffen werden, weil an den Einrichtungsbegriff des § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB II die gleichen Anforderungen zu stellen sind, nämlich ein Bestehen eines in einer besonderen Organisationsform zusammengefassten Bestands von personellen und sachlichen Mitteln, die zu einem besonderen Zweck und unter der Verantwortung eines Trägers vorgehalten werden, sowie die Bindung an ein spezielles Gebäude.

Bei einer dezentralen Unterbringung wird diese Anforderung erfüllt, wenn die jeweilige Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers in der Weise zugeordnet ist, dass diese Form der Unterbringung als ein Teil des Einrichtungsganzen aufgefasst zu werden hat. Dies liegt bei einem Probewohnen in einer antragstellerseitig auf dem freien Wohnungsmarkt selbst angemieteten Wohnung allerdings nicht vor. Aspekte wie die weiterhin bestehende Verbindung des Antragstellers zur Strafvollstreckungsbehörde aufgrund der noch ausstehenden förmlichen Entlassung aus dem Maßregelvollzug sowie ob und in welchem Umfang dieser Straftäter weiterhin in der freien Gestaltung seiner Lebensführung eingeschränkt ist, sind hier ohne Bedeutung.

 

1.2 Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2021 (B 7 AY 1/20 R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Analogieleistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG umfassen im Fall eines russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Volkszugehörigkeit, der über eine Aufenthaltsgestattung verfügt sowie dem ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen "G", "BL", "H" und "RF" zuerkannt wurden, ebenfalls Leistungen der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Eine Einschränkung des Inhalts, dass die Gewährung einer entsprechenden
Leistungen von vornherein ausgeschlossen ist, geht aus § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht hervor.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG können nicht nur Leistungen erbracht werden, die mit denen der §§ 3, 4, 6 und 7 AsylbLG vergleichbar sind. Das Selbstverständnis des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG besteht darin, dass die dort geregelte, entsprechende Anwendung von Leistungen der Sozialhilfe im Grundsatz sämtliche Vorschriften des SGB XII erfasst, die Leistungsansprüche von im Inland lebenden, hilfeberechtigten Personen regeln.

Ausländischen Personen können gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in Verbindung mit § 72 SGB XII Leistungen der Blindenhilfe gewährt werden, "soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist". Auch bei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG anspruchsberechtigten Personen können blindheitsbedingte Mehraufwendungen bestehen. Die Blindenhilfe verfolgt das Ziel, laufende blindheitsspezifische Bedürfnisse zu befriedigen, damit sich diese sehbehinderten Menschen mit ihrer zunehmend visualisierten Umgebung vertraut machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt pflegen und am kulturellen Leben teilnehmen können.

Die §§ 9 Abs. 1 AsylbLG und 23 Abs. 2 SGB XII stehen dem nicht entgegen. Hieraus ergibt sich im Hinblick auf Analogieleistungen allerdings nur, dass diese Hilfen nicht als Sozialhilfe vom Sozialhilfeträger, sondern als Leistungen nach dem AsylbLG vom zuständigen öffentlichen Träger zu gewähren sind.

Einzig der nicht abschließend gesicherte Status eines Asylbewerbers oder einer lediglich gemäß § 60a AufenthG geduldeten Person macht in keiner Weise eine Entscheidung rechtmäßig, einen geltend gemachten Anspruch auf Blindenhilfe (§ 72 SGB XII) abzulehnen.

Die von der Versorgungsbehörde auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 Nr. 3 SchwbAwV getroffene Statusentscheidung der Erblindung eines Antragstellers, der mit Verweis auf § 72 Abs. 5 SGB XII ein inhaltsgleicher Blindheitsbegriff zugrunde liegt, ist für den Anspruch auf Blindenhilfe bindend.

 

1.3 Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2021 (B 7 AY 4/20 R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel



Begibt sich eine äthiopische Staatsangehörige nach der Ablehnung ihres Asylgesuchs in ein von einer Kirchengemeinde ihr angebotenes, sog. offenes Kirchenasyl, dann führt dies nicht zu einer rechtsmissbräuchlichen Verlängerung des Aufenthalts im Bundesgebiet im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG.

Die Zentrale Ausländerbehörde erhielt vom zuständigen Geistlichen hiervon Bescheid, d. h. hatte umfassend Kenntnis von den Aufenthaltsverhältnissen. Rechtsmissbrauch i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG setzt die Praktizierung eines unredlichen, von der Rechtsordnung entschieden missbilligten Verhaltens, das als unentschuldbar im Sinne von Sozialwidrigkeit aufzufassen ist, voraus.

Die staatliche Gewalt sieht sich durch einen von ihr respektierten Aufenthalt im "offenen Kirchenasyl" weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert, eine Überstellung einer nichtdeutschen Person in ihren Herkunftsstaat durchzuführen. Durch einen Aufenthalt in dieser Form entzieht sich eine nichtdeutsche Person weder dieser Überstellung noch vereitelt sie damit diesen Vorgang.

Verzichtet die staatliche Gewalt als Folge einer politischen Grundentscheidung aus Respekt vor der Arbeit der Kirchen auf die Durchsetzung der Überstellung bei einem Aufenthalt im Kirchenasyl, dann stellt die Wahrnehmung eines solchen Angebots kein unredliches, sozial widriges Verhalten der jeweiligen nichtdeutschen Person dar. Es kann hier eine Parallele zur Duldung eines ausreisepflichtigen Ausländers im Bundesgebiet (§ 60a AufenthG), wo die staatliche Gewalt ebenfalls bewusst keine Überstellungsmaßnahmen einleitet, vertreten werden.

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2.1 Sächsisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 13.01.2022 - L 10 AS 557/21, L 10 AS 558/21

Orientierungshilfe (Rechtsanwalt Johannes Christian Heemann, 01099 Dresden):


Beabsichtigt die Behörde, einen Widerspruch wegen fehlender Vollmacht als unzulässig zu verwerfen, so muß sie den Bevollmächtigten unter angemessener Fristsetzung darüber in Kenntnis setzen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.06.2020 – L 2 AS 401/19).

Fehlt es hieran, so ist der Widerspruchsbescheid, der den Widerspruch als unzulässig verwirft, wegen Verletzung des Fairnessgebotes rechtswidrig.

Für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides fehlt es indes an einem Rechtsschutzbedürfnis (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.03.2021 - L 12 AS 50/20).

Die Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides ist bei der Kostenentscheidung nach § 193 SGG unter Veranlassungsgesichtspunkten zu Lasten der Behörde angemessen zu berücksichtigen.

 

 

2.2 LSG Hessen, Urt. v. 12.11.2021 - L 6 AS 401/19

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Nichtberücksichtigung fiktiven Einkommens - Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen - bestandskräftige Ablehnung eines Unterhaltsvorschusses

Für die Anrechnung des fiktiven Einkommens ( hier abgelehnter Unterhaltsvorschuss ) fehlt es an einer tragfähigen Rechtsgrundlage (Redakteur von Tacheles e. V. ).


Orientierungssatz Redakteur von Tacheles e. V.


1. Die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II kann für den Unterhaltsvorschuss keine Anwendung finden, da § 1 Abs. 3 UVG bei mangelnder Mitwirkung nur zur Ablehnung, nicht aber zur Versagung berechtige.

2. Im vorliegenden Fall habe das Jugendamt Unterhaltsvorschussleistungen nach § 1 Abs. 3 UVG abgelehnt. Diese Ablehnung könne nicht mit einer Versagung oder Entziehung nach § 66 SGB I gleichgesetzt werden.

3. Der Unterhaltsvorschuss ist nicht an den Vorschriften der Einkommensanrechnung zu messen, wenn er nicht zufließt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – L 9 AS 3208/12 ER-B .

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170112

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3.1 Sozialgericht Freiburg, Beschluss vom 13. Januar 2022 (S 9 AS 84/22 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Auch ein dauerhaft in einem Zelt lebender obdachloser Mensch kann entsprechend § 19 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II beim Jobcenter einen Anspruch auf Anerkennung eines Bedarfs für Heizung für den Betrieb eines Camping-Gasheizstrahlers geltend machen, damit dieser erwerbsfähige Leistungsberechtigte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) gerade während der Wintermonate dieses Zelt warm halten kann.

Dies gilt auch dann, wenn diesem draußen lebenden Antragsteller sonst keine nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anerkennungsfähigen Kosten der Unterkunft entstehen.

Ein Zelt kann ebenfalls als eine Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufgefasst werden, weil auch diese besondere Wohnform geeignet ist, einen Menschen vor den Unbilden der Witterung zu schützen und ihm eine gewisse Privatsphäre zu gewährleisten.

 

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V. : entgegen LSG Rheinland- Pfalz, Beschluss v. 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER ( eine Unterkunft muss über eigene Hygienevorrichtungen wie Bad u. Toilette verfügen )

 

 

3.2 Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 4. November 2021 (S 114 AS 6315/21 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Zur Bejahung der Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II durch das Jobcenter zur Anmietung einer ca. 63 qm umfassenden Zwei-Zimmer-Neubauwohnung mit einer "Kaltmiete" von monatlich ca. EUR 500,- und Nebenkosten in einer Höhe von ca. EUR 210,- im Fall einer schwangeren Bezieherin von Alg II.

Ein Umzug von der bisherigen Eineinhalb-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 40 qm (monatliche "Kaltmiete": ca. EUR 425,-) in eine etwas mehr als 20 qm größere und ca. 20 v. H. teurere Zwei-Zimmer-Wohnung hat gerade lebenslagenbedingt als notwendig im Sinne des § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II aufgefasst zu werden.

Ein weiterer Rechtfertigungsgrund besteht hier darin, wenn eine Trennung vom bisherigen Partner und damit die Lösung eines Bedrohungsproblems durch den Bezug einer neuen Wohnung erforderlich ist.

Die Kosten für die neue Wohnung sind angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wenn die Kosten, die für diese Unterkunft entstehen, den abstrakt angemessenen Aufwendungen für einen (zukünftigen) Zwei-Personen-Haushalt entsprechen. Verwaltungsvorschriften zur Konkretisierung der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind nicht anwendbar, wenn in keiner Weise feststeht, dass zu den vom SGB II-Träger hier vertretenen Werten angemessener Wohnraum tatsächlich zur Verfügung steht und insbesondere in ausreichender Zahl auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten wird.

Mangels eines in rechtlich zulässiger Weise bestimmbaren Angemessenheitswerts sind die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft dem Bedarf für die neue Wohnung zugrunde zu legen, begrenzt durch die Tabellenwerte gemäß dem WoGG zuzüglich eines Zuschlags von zehn Prozent.

 

3.3 SG Berlin, Urt. vom 07.01.2022 – S 121 AS 11607/18

Ermessensausübung bei der Beantragung einer Rente - dazu RA Kay Füßlein


Erwerbsfähige erhalten Leistungen nach dem SGB II, erwerbsunfähige Leistungen nach dem SGB XII (oder Sozialgeld).

Um festzustellen, zu welchem sozialen Sicherungssystem man zugeordnet wird, hat bei Leistungsempfänger der Gesetzgeber in § 44a SGB II ein recht komplexes System geschaffen.

In der Praxis ist zu beobachten, dass JobCenter recht schnell Leistungsempfänger auffordern, eine Erwerbsunfähigkeitsrente wegen § 44 a SGB II zu beantragen.

Häufig unterlaufen hierbei Fehler, weil in etwa die Krankheiten nicht so gravierend sind oder schlicht gar kein Anspruch auf eine Rente besteht.

Im vorliegenden Fall hat das JobCenter ohne weitere Ermittlungen meinen Mandanten aufgefordert, eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen.

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg.

Einmal stellt das Gericht fest, dass der Widerspruch nicht verfristet war, da kein Hinweis darauf erfolgt war, dass auch ein elektronischer Widerspruch möglich ist.

Sodann führt das Gericht aus, dass individuelle Ermessenserwägungen (konkreter Gesundheitszustand, überhaupt die Möglichkeit eine Rente zu erhalten) zu prüfen sind.

 

Quelle: RA Kay Füßlein: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=597

 

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V. : ebenso SG Berlin, 25.10.2018 - S 121 AS 10417/18 ER     ( RA Kay Füßlein )

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

4.1 LSG Hamburg, Urt. v. 15.12.2021 - L 2 AL 23/21

Rechtmäßigkeit einer Sperrzeitfeststellung

Orientierungssatz Redakteur von Tacheles e. V.


Auch wenn sich der Arbeitslose in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen erfolgreich mit selbst verfassten Bewerbungsschreiben auf angebotene Arbeitsstellen beworben hat, rechtfertigt es nicht, eine Teilnahme an der angebotenen Maßnahme zu verweigern.

 

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/JURE220021166

 

 

4.2 LSG Hamburg, Urt. v. 24.11.2021 - L 2 AL 30/21

Arbeitslosengeldanspruch - Anspruch auf Arbeitslosengeld einer Aufnahmeleiterin - Dauerbeschäftigungsverhältnis

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.


Zum Anspruch auf Arbeitslosengeld einer Aufnahmeleiterin, die nicht in einem Dauerbeschäftigungsverhältnis zu einer Rundfunkanstalt steht ( hier bejahend, (vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03. Juni 2021 – L 14 AL 91/17 ).

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/JURE220021167

 

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5.1 LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 11.08.2021 - L 9 SO 30/18 - Revision zugelassen

Leitsatz


Wird eine leistungsberechtigte Person, die sich zuletzt im Ausland aufgehalten hat, in einer stationären Einrichtung aufgenommen, hat der vorläufig leistende Sozialhilfeträger gegen den deutschen Sozialhilfeträger, in dessen Bereich die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat, auch dann einen Erstattungsanspruch, wenn die leistungsberechtigte Person zwischenzeitlich im Ausland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben sollte.

Quelle: https://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/jportal/portal/t/s9c/page/bsshoprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=2697&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE220020965&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint

 

 

6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

6.1 LSG Sachsen, Urteil vom 11. Mai 2021 (L 8 AY 9/18):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


§1a AsylbLG ("Anspruchseinschränkung") ist einerseits als eine Sanktionsnorm aufzufassen und in Berücksichtigung des Grundsatzes der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) restriktiv auszulegen, soll aber andererseits eine nach § 1 Abs. 1 AsylbLG anspruchsberechtigte Person mittelbar dazu veranlassen, ihrer Ausreisepflicht nachzukommen. Es besteht grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse an einer baldigen Beendigung des Aufenthalts von im Bundesgebiet von öffentlichen Mitteln lebenden, vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern.

Die Erfüllung der einem Ausländer hier obliegenden Pflichten - seiner Mitwirkungs- und seiner Initiativpflicht, nämlich rechtzeitig die erforderlichen Schritte einzuleiten, um das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen - hat diese Person jeweils umfassend zu belegen und nachzuweisen, widrigenfalls spricht vieles dafür, das Bestehen eines Ausreisehindernisses wäre verschuldet oder zumutbaren Anforderungen nicht entsprochen worden.

Kommt ein Ausländer seiner Pflicht zur Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht nach, dann hat er das Abschiebungshindernis zu vertreten im Sinne des § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG. Diese Person hat sich erforderlichenfalls in die Vertretung seines Herkunftsstaates zu begeben und dort die von ihm zur Ausreise unabdingbar benötigten Papiere zu beantragen (§ 48 Abs. 3 AufenthG).

Die Aufenthaltsbehörde darf hier aber keine Handlungen vorgeben, die von vornherein als aussichtslos oder als ohne Einfluss auf die Möglichkeit der Ausreise einzuschätzen sind. Verlangt allerdings die zuständige Behörde des Heimatstaates zum Zwecke der Ausstellung der erforderlichen Reisedokumente vom vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Erklärung, dass bei ihm die Bereitschaft besteht, freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen, dann ist dieser Person die Abgabe einer solchen Erklärung grundsätzlich zuzumuten.

Nur ein gültiger Pass oder Passersatz gewährleisten auch die Verpflichtung zur Wiederaufnahme eines Ausländers durch den jeweiligen Ausstellerstaat. Beabsichtigt die für die Durchführung des AsylbLG zuständige Behörde die Aussprache einer Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG, dann ist stets die vorherige Anhörung der von dieser Sanktion betroffenen Person erforderlich (§ 28 LVwVfG). In diesem Rahmen ist amtlicherseits die von der nach § 1 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigten Person verlangte Mitwirkungshandlung inhaltlich hinreichend bestimmt zu bezeichnen. Es hat exakte Kenntnis darüber zu bestehen, welcher Obliegenheit zur Abwendung einer Anspruchseinschränkung in angemessener Frist zu entsprechen ist.

Die Anwendung des § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG setzt zum einen ein dem Ausländer hier vorwerfbares Verhalten sowie andererseits die Ursächlichkeit zwischen diesem Verhalten und der Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen voraus. Hiervon ist allerdings nicht auszugehen, wenn die Abschiebung zumindest maßgeblich auch an der unzureichenden Kooperationsbereitschaft der Botschaft des Herkunftsstaates scheiterte, z. B. weil sich die Korrespondenz mit dieser Auslandsvertretung als äußerst schwierig erweist und diese Botschaft wichtige Schreiben nicht beantwortet, was ein Vorantreiben aufenthaltsbeendender Maßnahmen unmöglich macht. Entsprechendes ist einem Ausländer nicht anzulasten, auch wenn er sich nicht erkennbar um seine Ausreise aus dem Bundesgebiet bemüht hat und seiner Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkam.

 

 

6.2 Sozialgericht Stade, Beschluss vom 26. August 2021 (S 5 AY 5/21 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Auch wenn die Rechtsfolge des § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG in Verbindung mit § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG darin besteht, dass eine Absenkung des Anspruchs auf Leistungen nach dem AsylbLG auf das physische Existenzminimum zu erfolgen hat, wenn ein Ausländer seine Mitwirkung an der Passbeschaffung bei der für ihn zuständigen Botschaft nicht ausreichend glaubhaft machen kann, muss angezweifelt werden, ob eine derart weitreichende Sanktion als verfassungsgemäß aufgefasst werden kann. Auch wenn die Verfassung nicht die Gewährung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen gebietet, ist im Bundesgebiet nur geduldet lebenden Ausländern in dieser Situation neben dem physischen ebenfalls das soziokulturelle Existenzminimum zu gewährleisten.

 

 

7. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 Vorläufige und endgültige Bewilligung von Grundsicherung in Coronazeiten – Selbstständige besonders aufgepasst! Ein Beitrag von Rechtsanwältin Dörte Lorenz

weiter auf www.anwalt.de: https://www.anwalt.de/rechtstipps/vorlaeufige-und-endgueltige-bewilligung-von-grundsicherung-in-coronazeiten-selbststaendige-besonders-aufgepasst-196647.html

 

 

Hinweis Redakteur von Tacheles e. V.:

 

LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.09.2021 - L 18 AS 884/21

Corona - Beihilfe - selbständige Tätigkeit - Einkommen - Anrechnung - Betriebsausgaben

1. Selbstständige tätige Hartz IV Empfängerin hat höheren Hartz IV Anspruch, denn die Corona Beihilfe ist nicht als Einnahme aus selbständiger Tätigkeit zu bewerten ( Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V. ).

2. Die Corona-Beihilfe ist keine Betriebseinnahme. Die Soforthilfe bezweckte die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und die Überbrückung von Liquiditätsengpässen, nicht aber die Kosten des privaten Lebensunterhalts (vgl zum Ganzen auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 26. Januar 2021- L 8 AS 748/20 B ER - Leitsatz Tacheles e. V. ).

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210018732


Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V. : ebenso SG Hamburg, Beschluss v. 19.10.2020 - S 13 AS 2583/20 ER u. SG Leipzig, Beschluss vom 27.5.2020 - S 24 AS 817/20 ER

 

 

7.2 News von RA Volker Gerloff

1. Angemessenheitskriterien d Berliner JobCenter für Wohnungsmieten gelten nicht, wenn dafür tatsächlich keine Wohnungen zu finden sind - vor allem nicht, wenn schnell Wohnung gebraucht wird (schwanger + Trennung vom Partner)

SG Berlin 4.11.21, S 114 AS 6315/21 ER

RA d ASt'in: Kay Füßlein  - siehe Beitrag 3.2 im Ticker

 

2. Zelt eines Obdachlosen kann Unterkunft iSd § 22 SGB II sein = Kosten für Gas-Heizstrahler sind dann "Kosten der Unterkunft und Heizung"

SG Freiburg vom 13.1.22 - S 9 AS 84/22 ER siehe Beitrag 3.1 im Ticker

 

 

7.3 Verlust der langfristigen Aufenthaltsberechtigung als Drittstaatsangehöriger

Ein Drittstaatsangehöriger verliert seine Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten auch dann nicht, wenn er während eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten nur wenige Tage im Unionsgebiet anwesend ist.

Ist diese Rechtsstellung einmal erlangt, ist es nicht erforderlich, den gewöhnlichen Aufenthalt oder den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Unionsgebiet zu haben.

weiter bei Pressemitteilung des EuGH Nr. 10/22 v. 20.01.2022: https://www.juris.de/jportal/portal/t/2lx/page/homerl.psml;jsessionid=F33EDCC080D44DE81AB79E7A4EBC669C.jp21?nid=jnachr-JUNA220104507&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fservices%2Fnews%2Fnews-detail.jsp

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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