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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 08/2025

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

1.1 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.11.2024 - L 37 SF 124/23 EK AS – Revision zugelassen

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. §§ 198 ff. GVG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV)

2. Soweit es im Rahmen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auf die Bedeutung des zum Gegenstand einer Entschädigungsklage gemachten Verfahrens und damit das Interesse eines Entschädigungsklägers an diesem ankommt, ist in Verfahren, die Kostenfragen betreffende oder vorbereitende Nebenentscheidungen zum Gegenstand haben, klar zwischen den Interessen der Beteiligten und denen ihrer Rechtsanwälte zu unterscheiden (Anschluss an BSG, Urteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - Rn. 41, 43).

3. Kostenfragen betreffenden Verfahren kommt im Regelfall nur eine untergeordnete Bedeutung zu (Anschluss an BSG, Urteil vom 11.06.2024 - B 10 ÜG 4/23 R - Rn. 21).

4. Wurde im Ausgangsverfahren um die Kosten eines Widerspruchsverfahrens gestritten, das von einem Rechtsanwalt im Namen einer nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen verfügende und durch einen Berufsbetreuer vertretene Person geführt wurde, ohne dass Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz auch nur beantragt worden war, kann die Bedeutung des Klageverfahrens für den Kläger nicht damit begründet werden, dass er eine Honorarforderung seines Rechtsanwalts in Höhe von mehreren Hundert Euro befürchten musste. Der Kläger muss sich vielmehr das Versäumnis seines Betreuers und/oder Bevollmächtigten, nicht um Beratungshilfe nachzusuchen, zurechnen lassen, sodass sein Interesse nicht schützenswert ist.

5. Fallen für die vorprozessuale Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs beim späteren Beklagten für einen Kläger Rechtsanwaltskosten an, sind diese mangels Notwendigkeit regelmäßig nicht als Vermögensschaden im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu entschädigen (Fortführung von LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 17.02.2021 - L 37 SF 55/20 EK AS - Rn. 40 f., vom 09.06.2021 - L 37 SF 271/19 EK AS - Rn. 62f. und vom 24.08.2023 - L 37 SF 196/20 EK AS - Rn. 53; Abgrenzung zu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07.08.2024 - L 38 SF 282/23 EK SB -). Das allein aus kostenrechtlichen Interessen eines Klägers geführte vorprozessuale Verfahren ist nicht einem sozial- oder verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren vergleichbar, sondern der erstmaligen Antragstellung bei einer Behörde oder der erstmaligen Anzeige eines Schadens bei einer Versicherung, wofür es regelmäßig nicht der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bedarf. Insbesondere besteht keine Notwendigkeit für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Falle der Vertretung einer um eine Entschädigung nachsuchenden Person durch einen Berufsbetreuer.

 

1.2 LSG BW, Urt. v. 24.09.2024 - L 13 AS 1449/22 – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Bürgergeld: 100% Totalsanktion des Jobcenters aufgrund fehlender Mitwirkung

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Bei fehlender Mitwirkung des Leistungsbeziehers darf und kann das Jobcenter das Bürgergeld ganz versagen für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ( § 66 SGB I ).

2. Auch das Vorbringen des Antragstellers, er habe bis zum 31. Dezember 2020 Leistungen erhalten, genügt insoweit nicht, weswegen vorliegend nicht aus Gründen der Prozessökonomie auf die Durchführung eines vorgehenden Verwaltungsverfahrens zur Klärung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen verzichtet werden kann (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 78/08 R -).

 

 

1.3 LSG Hessen, Beschluss v. 11.02.2025 - L 6 AS 503/24 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Keine vorläufige Gewährung von Bürgergeld im einstweiligen Rechtsschutz bei Fehlen eines Anordnungsgrundes

Bürgergeld: Zum Fehlen eines Anordnungsgrundes bei existenzsichernden Leistungen, wenn der Antragsteller bei der Klärung des Sachverhalts nicht ausreichend mitwirkt und eine Vielzahl von Bareinzahlungen auf sein Konto vorgenommen hat.

 

 

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

2.1 keine

 

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

3.1 keine

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

4.1 LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.2024 - L 2 SO 3243/23 -

Eingliederungshilfe: Leistungen der Eingliederungshilfe werden seit dem 01.01.2020 nur noch auf Antrag erbracht

 

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Denn die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem 2. Teil des SGB IX werden auf Grundlage des Art. 26 Abs. 4 Nr. 1 des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 seit dem 01.01.2020 nach dem neu eingeführten § 108 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nämlich (nur noch) auf Antrag erbracht.

2. Die Leistungen werden frühestens ab dem Ersten des Monats der Antragstellung erbracht, wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorlagen (§ 108 Abs. 1 Satz 2 SGB IX).

3. Eine Leistungsgewährung für Zeiträume vor der Antragstellung kommt daher grundsätzlich nicht mehr in Betracht

4. Es ist für den Senat auch nicht ersichtlich, dass das nun geltende Antragserfordernis eine nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung oder nach dem Grundgesetz (GG) unzulässige Hürde schaffen würde (so auch Bayerisches LSG Beschluss vom 25.01.2023 - L 8 SO 343/22 B ER -).

 

Praxistipp

LSG München, Beschluss v. 25.01.2023 – L 8 SO 343/22 B ER -

Sozialhilfe: Kosten für eine Eignungsuntersuchung zum Führen eines Kfz

Kosten für eine behinderungsbedingt angeordnete Untersuchung der Eignung zum Führen eines Kfz können im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Sozialen Teilhabe zu übernehmen sein. Voraussetzung ist dabei auch eine vorherige Antragstellung.

 

 

4.2 SG Nürnberg, Endurteil v. 16.12.2024 – S 22 SO 140/22 – www.gesetze-bayern.de

Rückforderung darlehensweiser gewährter Sozialhilfe gegenüber Erben rechtswidrig

Orientierungssatz Detlef Brock

Ist dem Erblasser Sozialhilfe nur darlehensweise gewährt worden, scheidet ein Kostenersatz durch Erben aus.

1. Zu Lebzeiten des Leistungsempfängers ist Rechtsgrundlage für die Rückforderung eines durch Verwaltungsakt gewährten Darlehens nach § 91 SGB XII der Darlehensbescheid selbst (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 28. April 2022 – L 4 SO 57/20 –), so dass nach Eintritt der Fälligkeit die Rückzahlung – als Kehrseite der Bewilligung – beim Leistungsempfänger ebenfalls im Wege des Erlasses eines Verwaltungsaktes zurückgefordert werden kann (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.10.2012 – L 23 SO 106/10 -).

2. Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn ein zu Lebzeiten nach § 91 SGB XII gewährtes Darlehen erst nach dem Ableben des Leistungsempfängers von den Rechtsnachfolgern bzw. Erben zurückgefordert werden soll.

3. Nach BSG - Rechtsprechung gilt: Ist dem Erblasser Sozialhilfe nur darlehensweise gewährt worden, scheidet ein Kostenersatz durch Erben aus

Somit kann aus dem Erlass eines Darlehensbewilligungsbescheides nicht später gegenüber den Rechtsnachfolgern die Schlussfolgerung gezogen werden, dass auch die Rückforderung per Verwaltungsakt möglich ist.

Zusätzlich ist § 102 SGB XII, wonach der Erbe einer leistungsberechtigten Person zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet ist, nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf Darlehensschulden nicht anwendbar (BSG, Urteil vom 11. September 2020 – B 8 SO 3/19 R - ).

4. Damit kann die darlehensweise gewährte Sozialleistung vom Sozialhilfeträger - nicht nochmals oder wahlweise durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden.

Der Sozialhilfeträger wird sich wie jeder andere Gläubiger der Erblasserin auch in die Liste der Nachlassgläubiger einreihen müssen, um auf dem Zivilrechtsweg die Rückzahlung des Darlehens oder zumindest einer entsprechenden Quote aus der Erbmasse zu erreichen.

 

 

4.3 LSG NRW, Urteil vom 18.11.2024 - L 20 SO 20/24 – Nichtzulassungsbeschwerde anhängig BSG - B 8 SO 2/25 B -

Sozialhilfe: Kein Grabstein vom Sozialamt bei Missachtung eines Bestattungswunsches auf einem Rasengrab

1. Die erforderlichen Kosten einer Bestattung werden durch den Sozialhilfeträger übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen (§ 74 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch).

2. Bürgergeldempfänger haben keinen Anspruch auf die Übernahme der Bestattungskosten durch das Sozialamt, wenn die Art der Beerdigung dem vorab geäußerten Wunsch des Verstorbenen widerspricht.

3. Bei der Beurteilung der Kosten sind auch die Wünsche der Verstorbenen zu berücksichtigen.

4. Wichen dies von denjenigen der Bestattungspflichtigen ab, seien die Wünsche der Verstorbenen vorrangig, erklärten die Richter. Demzufolge habe die Bestattung im Reihengrab mit Grabstein dem geäußerten Wunsch der Mutter der Klägerin widersprochen, in einem Rasengrab bestattet zu werden.

5. Im Übrigen gehöre ein mehr als zehn Monate nach dem Begräbnis in Auftrag gegebener Grabstein nicht mehr zu einer ersten Grabausstattung, für die Leistungen nach § 74 SGB XII möglich seien.


Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Die Klägerin hat Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG eingelegt (B 8 SO 2/25 B).

Quelle: LSG NRW

 

4.4 LSG NRW, Urt. v. 28.10.2024 - L 20 SO 362/22 - Revision beim BSG anhängig - B 8 SO 1/25 R

Sozialhilfe: Kein Anspruchsübergang auf ambulanten Pflegedienst nach Tod des Pflegebedürftigen gem § 19 Abs 6 SGB XII auch in Wohngemeinschaften

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Ambulante Dienste sind keine Einrichtungen iS des § 19 Abs 6 SGB 12

Denn eine (analoge) Anwendung von § 19 Abs. 6 SGB XII komme auch nicht bei ambulanten Pflegediensten in Betracht, die im Wesentlichen Leistungsempfänger nach dem SGB XII rund um die Uhr in Wohngemeinschaften betreuten.

2. Scheide somit eine Sonderrechtsnachfolge aus, fielen Schulden gegenüber dem Pflegedienst als Nachlassverbindlichkeiten in die Erbmasse ( vgl. BSG, Urteil vom 13.07.2010 – B 8 SO 13/09 R -).

3. Die unterschiedliche Behandlung von Einrichtungen, die Pflegeleistungen anbieten im Vergleich zu ambulanten Diensten verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG.

Der Pflegedienst akzeptierte das Urteil aber nicht und ist gegen das Urteil in Revision gegangen (Az. beim BSG: B 8 SO 1/25 R).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Praxistipp: Anderer Auffassung-Revision zum BSG anhängig

LSG NRW, Urt. v. 19.09.2024 - L 9 SO 16/22 - Revision anhängig beim BSG - B 8 SO 13/24 R -

Sozialhilfe: § 19 Abs. 6 SGB XII erfasst auch ambulante Leistungen des Pflegedienstes

 

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Ambulante Dienste sind Einrichtungen iS des § 19 Abs 6 SGB 12

2. Bei der anbieterverantworteten bewohnten Wohngemeinschaft handelt es sich um eine Einrichtung iSv § 19 Abs. 6 SGB XII.

3. Der Einrichtungsbegriff in § 19 Abs. 6 SGB XII ist so auszulegen, dass solche anbieterverantworteten Wohngemeinschaften erfasst werden, in denen – wie hier – rund um die Uhr Betreuungsleistungen erbracht werden.

 

5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

 

5.1 Landessozialgericht Baden-Württemberg – Beschluss vom 11.02.2025 – Az.: L 7 AY 180/25 ER-B

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistungen nach § 3 AsylbLG,

Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/02/16/landessozialgericht-baden-wuerttemberg-beschluss-vom-11-02-2025-az-l-7-ay-180-25-er-b/

 

5.2 Sozialgericht Kassel – Urteil vom 28.01.2025 – Az.: S 12 SO 59/23

Normen: § 88 Abs. 1 SGG – Schlagworte: Antrag auf Kostenfestsetzung, Untätigkeitsklage, Sozialgericht Kassel

Untätigkeitsklage wegen der Bescheidung eines Kostenfestsetzungsantrags bejahend

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Die Behörde ist grundsätzlich verpflichtet, Anträge zu bescheiden, die Abweisung der Untätigkeitsklage als unzulässig wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses - sollte die absolute Ausnahme darstellen.

2. Für ein Bescheidungsinteresse spricht, dass gerade Streit zwischen den Beteiligten über Vorfragen der Kostenfestsetzungsentscheidung besteht, konkret, ob hier ein oder zwei Widerspruchsverfahren erfolgreich geführt worden sind.

 

Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/02/16/sozialgericht-kassel-urteil-vom-28-01-2025-az-s-12-so-59-23/

 

 

5.3 LSG NRW, Urt. v. 27.11.2023 - L 20 AY 18/21 - BSG Beschwerde ablehnend - BSG, Beschluss vom 3.Dezember 2024 - B 8 AY 1/24 B

Asylbewerberleistungsgesetz: Keine Übernahme der laufenden Kosten für eine vom Kläger selbst angemieteten Wohnung aufgrund der fehlenden Mietzahlungen - bei Stromsperre kein Anspruch auf Übernahme des Mehrbedarfs für Warmwasserkosten

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Der Leistungsträger habe nur solche Kosten zu übernehmen, die dem Hilfebedürftigen tatsächlich entstanden seien und für deren Deckung ein Bedarf bestehe. Es lasse sich hier aber nicht mit der gebotenen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der Kläger aufgrund der Vereinbarungen im schriftlichen Mietvertrag einer ernsthaften Mietzinsforderung seitens der Zeugin ausgesetzt gewesen sei oder beide sich zumindest faktisch über die Mietzahlungen einig gewesen seien.

2. Auch lasse sich nicht feststellen, dass dem Kläger Leistungen in Form eines Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwasserbereitung zustehe, weil in diesen Monaten der Stromanschluss, über den die Wohnung mit Warmwasser versorgt worden sei, gesperrt gewesen sei.


3. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine privat angemietete Wohnung kommt nur bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall in Betracht (vgl. zu alledem den Beschluss des erkennenden Senats vom 02.04.2020 – L 20 AY 27/20 B ER - ).

 

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

 

5.4 SG Heilbronn, Beschluss v. 17.02.2025 - S 15 AY 181/25 ER -

Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG in Regelbedarfsstufe 1 statt 2 für alleinstehende Leistungsberechtigte in einer Gemeinschaftsunterkunft; keine Anwendung von § 28 Absatz 5 SGB 12 im AsylbLG; keine Eilbedürftigkeit bei einer monatlichen Bedarfsunterdeckung von 10 Prozent

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.) Es spricht viel dafür, dass § 3a Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b Asylbewerberleistungsgesetz und § 3a Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe b Asylbewerberleistungsgesetz, soweit für eine in einer Gemeinschaftsunterkunft lebende alleinstehende erwachsene Person ein Bedarf lediglich in Höhe der Bedarfsstufe 2 anerkannt wird, mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar ist.

2.) Die Bestandsschutzregelung des § 28 Absatz 5 SGB 12 ist im AsylbLG nicht anwendbar.

3.) Eine monatliche Bedarfsunterdeckung von 10 Prozent begründet keine Notlage, welche eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert. Es fehlt an einem Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit.


Praxistipp

a. Auffassung zum Anordnungsgrund bei Eilverfahren: LSG NSB, Beschl. v. 29.06.2023 - L 8 AY 18/23 B ER -; SG Heilbronn – Beschluss vom 23.01.2025 – Az.: S 16 AY 121/25 ER -

"Wegen der sich aus der Entscheidung des BVerfG zu der Sonderbedarfsstufe 2 für Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften nach § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG (BVerfG v. 19.10.2022 - 1 BvL 3/21 - juris Rn 74 ff.) ergebenden Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Parallelvorschrift § 3a Abs 1 Nr 2 lit b AsylbLG bzw. § 3a Abs 2 Nr 2 lit b AsylbLG und der damit ganz überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind in Eilverfahren insoweit keine hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) zu stellen (Aufgabe von LSG Niedersachsen-Bremen v 09.07.2020 - L 8 AY 52/20 B ER - "

 

Oder Sozialgericht Altenburg – Beschluss am 13.01.2025 – Az.: S 21 AY 1326/24 ER

"Allein der Umstand, dass Grundleistungen der sozialen Sicherung betroffen sind, genügt zwar nicht, um generell einen im Hauptsacheverfahren nicht mehr korrigierbaren, irreparablen Nachteil anzunehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.09.2017 – 1 BvR 1719/17, Rn. 8; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.08.2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B, Rn. 8).

Angesichts der dargestellten klar überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 – Az. 1 BvL 3/21 – sind nach Auffassung der Kammer jedoch keine hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit zu stellen (ebenso: LSG Niedersachsen, Beschl. v. 29.06.2023 – L 8 AY 18/23 B ER, Rn. 10).

Schon vor dem Hintergrund, dass die hier streitige monatliche Differenz von 47 Euro (bzw. ab 1/2025 von 44 Euro) etwa 11 % des Regelbedarfs ausmacht, ist angesichts der Betroffenheit des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums eine Eilbedürftigkeit zu begründen (vgl. z. B. SG Stuttgart, Beschl. v. 15.05.2024 – S 9 AY 1438/24 E, Rn. 21, Hessisches LSG, Beschl. v. 20.12.2022 – L 4 AY 28/22 B ER, Rn. 40)."


Weitere Infos zum Thema und Entscheidungen bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/02/ ... 121-25-er/


Rechtstipp

BSG, Urteil v. 16.09.2024 - B 8 AY 1/22 R -

Das Verfahren wird ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu folgender Frage eingeholt:

Sind § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b Asylbewerberleistungsgesetz und § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b Asylbewerberleistungsgesetz jeweils in der Fassung des Art 1 Nr 5 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13. August 2019 (BGBl I 1290), soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Bedarf lediglich in Höhe der Bedarfsstufe 2 anerkannt wird, mit Art 1 Abs 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art 20 Abs 1 Grundgesetz vereinbar?


Hinweis Redakteur zu Punkt 2 – nämlich anderer Auffassung zur Bestandsschutzregelung in § 28a Abs. 5 SGB XII

SG Marburg, Beschluss v. 14.02.2025 - S 16 AY 11/24 ER

Die Regelung des § 28a Absatz 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ist unmittelbar auf die Berechnung der Geldbeträge in § 3a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anwendbar.

 

Dazu der Rechtsanwalt Sven Adam:

Die Bestandsschutzregelung in § 28a Abs. 5 SGB XII ist auf die Berechnung der Eurobeträge in § 3a AsylbLG unmittelbar anwendbar. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 3a Abs. 4 AsylbLG und aus dem Willen des Gesetzgebers.

  • 3a Abs. 4 AsylbLG lautet:

 

„Die Geldbeträge nach den Absätzen 1 und 2 werden jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung nach § 40 Satz 1 Nummer 1 des Zwölfen Buches Sozialgesetzbuch fortgeschrieben.“

In der Gesetzesbegründung heißt es [Hervorhebungen durch uns]: https://anwaltskanzlei-adam.de/minusrunde-im-asylblg-ab-01-01-2025/

 

5.5 SG Trier, Beschluss vom 20.02.2025 - S 3 AY 4/25 ER -

Dazu RA Sven Adam, Göttingen

Auch das Sozialgericht Trier hat mit Beschluss vom 20.02.2025 zu dem Az.: S 3 AY 4/25 ER die Stadt Trier vorläufig verpflichtet, Grundleistungen nach dem AsylbLG zu gewähren:

Zusammenfassung der Entscheidung:

1. In den bisherigen Bescheiden des BAMF ist keine konkludente Feststellung enthalten, dass die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist. Die Feststellung durch das BAMF ist aber erforderliches Tatbestandsmerkmal.

2. § 1 Abs. 4 AsylbLG ist voraussichtlich europarechtswidrig.

3. Die Zweifel an der Europarechtskonformität von § 1 Abs. 4 AsylbLG müssen im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zur Gewährung effektiven vorläufigen Rechtsschutzes zu Gunsten des Antragstellers ausfallen und zu einer vorläufigen Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin führen.


Aktuelle Infos zu dem Komplex immer hier: https://anwaltskanzlei-adam.de/leistungsausschluss-nach-%C2%A7-1-abs-4-asylblg/

 

Praxistipp 1

Indes haben die Sozialgerichte Landshut, Darmstadt und Karlsruhe aufgrund der voraussichtlichen Europarechtswidrigkeit der Regelung in § 1 Abs. 4 AsylbLG die jeweils zuständigen Behörden vorläufig zur Zahlung von Grundleistungen verpflichtet (Sozialgericht Landshut, Beschluss vom 18.12.2024, Az.: S 11 AY 19/24 ER; Sozialgericht Darmstadt, Beschluss vom 04.02.2025, Az.: S 16 AY 2/25 ER; Sozialgericht Karlsruhe, Beschluss vom 19.02.2025, Az.: S 12 AY 424/25 ER).

Quelle: RA Sven Adam

 

Praxistipp 2

ebenso SG Trier, Beschluss vom vom 21.02.2025 – Az.: S 3 AY 3/25 ER

 

Orientierungssatz Detlef Brock

  1. Verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 1 Abs. 4 AsylbLG.
  1. Die Regelung verstößt gegen das durch Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleistete menschenwürdige Existenzminimum.

Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/02/22/sozialgericht-trier-beschluss-vom-21-02-2025-az-s-3-ay-3-25-er/

 

 

6. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld und anderen Gesetzesbüchern

6.1 War der Regelsatz für ALG II - Empfänger im ganzem Jahr 2022 verfassungswidrig?

Diese Frage wird nun das Bundessozialgericht demnächst beantworten müssen, das zuständige Aktenzeichen lautet - B 7 AS 30/24 R - .

„In dem Verfahren LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.11.2024 - L 2 AS 3642/22 - Revision zugelassen zum BSG - B 7 AS 30/24 R - gibt das Landessozialgericht bekannt, dass es nicht die Auffassung des Klägers teilt, wonach der Regelsatz in 2022 unzureichend war.

Hierzu muss ich sagen, dass diese Info falsch war.

Zu der 2. Regelsatzklage vor dem BSG lautet die richtige Vorinstanz:

LSG NRW, Urt. v. 13.12.2023 - L 12 AS 1814/22 - Kein zusätzlicher Inflationsausgleich für das Jahr 2022 für Leistungsempfänger nach dem SGB II.

 

6.2 Pressemitteilung LSG NRW zu Az.  L 20 SO 362/22  : Ein Pflegedienst, der Intensivpflege in Wohngemeinschaften erbringt, wird nicht Inhaber eines Anspruchs auf Hilfe zur Pflege, wenn die Pflegebedürftige verstirbt.

Das LSG hat die Berufung der (neuen) Klägerin zurückgewiesen.

#Sie könne zu Lebzeiten bestehende Ansprüche der verstorbenen Pflegebedürftigen auf Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII nicht selbst geltend machen. Da solche Ansprüche höchstpersönlicher Natur seien, bedürfe es für ihre Geltendmachung als Rechtsnachfolger einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.

Einzig in Betracht komme ein gesetzlicher Anspruchsübergang nach § 19 Abs. 6 SGB XII. Danach stehe der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld, soweit die Leistung erbracht worden ist, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

Der Pflegedienst habe an die Pflegebedürftige jedoch - keine „Leistungen für Einrichtungen“ erbracht.

Der Gesetzgeber unterscheide bei der Begriffsbestimmung zwischen Leistungen außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen) und Leistungen in teilstationären oder stationären Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen). Ambulante Dienste seien mithin gerade keine Einrichtungen i.S. dieser Definition. § 19 Abs. 6 SGB XII könne aufgrund seiner eindeutigen Grenzen auch nicht analog auf Anbieter von Pflegeleistungen wie die Klägerin Anwendung finden. Die unterschiedliche Behandlung verstoße schließlich nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Klägerin hat Revision beim BSG eingelegt (B 8 SO 1/25 R).

Quelle: https://www.lsg.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen_des_Jahres_2025/Aktuelle_Pressemitteilungen/Ein-Pflegedienst_-der-Intensivpflege-in-Wohngemeinschaften-erbringt_-wird-nicht-Inhaber-eines-Anspruchs-auf-Hilfe-zur-Pflege_-wenn-die-Pflegebeduerftige-verstirbt_/index.php

 

Hinweis siehe dazu Punkt 4.4 bei Entscheidungen der LSG zum SGB XII:

4.4 LSG NRW, Urt. v. 28.10.2024 - L 20 SO 362/22 - Revision beim BSG anhängig - B 8 SO 1/25 R

Sozialhilfe: Kein Anspruchsübergang auf ambulanten Pflegedienst nach Tod des Pflegebedürftigen gem § 19 Abs 6 SGB XII auch in Wohngemeinschaften

 

6.3 Informationen zum AsylbLG / aktuelle Probleme - aufgearbeitet von RA Sven Adam 

1. „Minusrunde“ im AsylbLG ab 01.01.2025 (Update 21.02.2025)

2. Weiterhin Regelbedarfskürzungen bei Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG für Alleinstehende und Alleinerziehende in den Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen (Update 20.02.2025)

3. Energiekostenabzug bei Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG für Alleinstehende und Alleinerziehende in den Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen

4. Bezahlkarte (Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG und Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG)

5. Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG

6. Leistungskürzungen nach § 1a AsylbLG (insbesondere die Absätze 3 und 4 AsylbLG)

7. Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG (Update 20.02.2025)

8. Obligatorische Anschlussversicherung bei Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG

 

Update 20.02.2025: Das Bundessozialgericht hat mit Vorlagebeschluss vom 26.09.2024 zu dem Az. B 8 AY 1/22 R die Frage, ob die Regelbedarfsstufe 2 für Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften verfassungsgemäß ist, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es die Regelung für verfassungswidrig hält.

Weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/weiterhin-regelbedarfskuerzungen-bei-grundleistungen-nach-den-%c2%a7%c2%a7-3-3a-asylblg-fuer-alleinstehende-und-alleinerziehende-in-den-gemeinschaftsunterkuenften-und-erstaufnahmeeinrichtungen/

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

 

 

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