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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 10/2025

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem SGB II- Bürgergeld

1.1 BSG, Urt. v. 11.09.2024 - B 4 AS 12/23 R -

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht oder bei Aufenthalt zur Arbeitsuche - Unionsbürger - Rückausnahme - fünfjähriger gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet - Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

Kann die Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts aus § 2 Absatz 2 Nummer 3 FreizügG/EU 2004 als nicht niedergelassener Erbringer von Dienstleistungen einem "gewöhnlichen Aufenthalt" im Bundesgebiet im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II entgegenstehen?

Polnische Mutter und 2- Jähriger Sohn haben Anspruch auf Bürgergeld/Sozialgeld

 

Leitsatz Detlef Brock

1. Jobcenter dürfen EU-Bürger nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland nicht vom Bürgergeld ausschließen.

2. Für den Anspruch auf diese Sozialleistung ist es nicht zwingend erforderlich, dass der rechtmäßige Aufenthalt bei den Behörden lückenlos gemeldet war.

3. Damit bekräftigt das Bundessozialgericht erneut seine bisherige Rechtsprechung ( vgl. BSG vom 20.9.2023 - B 4 AS 8/22 R - )

 

Orientierungssatz Detlef Brock

  1. § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II setzt nur einen ununterbrochenen gewöhnlichen Aufenthalt von fünf Jahren ab erstmaliger behördlicher Anmeldung im Bundesgebiet voraus. Lediglich unwesentliche Unterbrechungen des Aufenthalts - zum Beispiel ein kurzer Heimatbesuch - sind unschädlich; ansonsten beginnt die Frist wieder neu zu laufen (BSG vom 29.3.2022 - B 4 AS 2/21 R -; ebenso BSG vom 20.9.2023 - B 4 AS 8/22 R - ).

    Beachtlich sind dabei nur Zeiten eines gewöhnlichen Aufenthalts, die nach einer Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde liegen.

  2. Der Anwendung des § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II steht nicht entgegen, dass die Klägerin seit dem Zeitpunkt ihrer für den Beginn der Fünfjahresfrist maßgeblichen Anmeldung nicht durchweg im Inland gemeldet war.

Der Senat hat inzwischen entschieden, dass eine ununterbrochene Meldung nicht erforderlich ist, wenn seit der ersten Anmeldung stets ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben war (BSG vom 20.9.2023 - B 4 AS 8/22 R - ).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

 

2.1 LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10.02.2025 - L 10 AS 230/20 - Revision zugelassen

Bürgergeld: Keine Absetzung von Schulgeld beim BAföG


Leitsatz


1. Die Zahlung von Schulgeld ist keine notwendig mit der Einkommenserzielung verbundene Ausgabe, wenn eine grundsätzliche Möglichkeit zur Ausbildung - ohne Schulgeld -  besteht.

 

Praxistipp a. Auffassung

LSG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2019 - L 4 AS 155/19 B ER -

Vom BAföG ist das Schulgeld als notwendige Ausgabe abzusetzen, wenn es keine vernünftige kostenfreie Alternative zur gewählten Ausbildung gibt.

 

 

2.2 LSG Hessen, Urteil vom 22.01.2025 - L 6 AS 74/22 -

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de


1. Die Bildung des Vergleichsraums auf das Zuständigkeitsgebiet des zuständigen Trägers beschränken, ist nicht zu beanstanden.

2. Die Einbeziehung von Wohnungen mit einem Ausstattungs-Substandard in die Datensätze steht der Annahme eines schlüssigen Konzepts nur dann entgegen, wenn dies in einem statistisch relevanten Maß erfolgt und deshalb die Mietobergrenzen verzerrend ermittelt werden (vgl. in Anschluss an: BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R –, Rn. 36, juris).

3. Die Fortschreibung des Konzepts durch Rückgriff auf den Hessischen Verbraucherpreisindexes für Wohnungsmieten nicht zu beanstanden. Die Fortschreibung des Konzepts nach knapp mehr zwei Jahre erfüllt daher auch (noch) diese Anforderung.



2.3 LSG Hessen, Urteil vom 22.01.2025 - L 6 AS 73/22 -


Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de


1. Die Bildung des Vergleichsraum auf das Zuständigkeitsgebiet des zuständigen Trägers beschränken, ist nicht zu beanstanden.

2. Die Einbeziehung von Wohnungen mit einem Ausstattungs-Substandard in die Datensätze steht der Annahme eines schlüssigen Konzepts nur dann entgegen, wenn dies in einem statistisch relevanten Maß erfolgt und deshalb die Mietobergrenzen verzerrend ermittelt werden (vgl. in Anschluss an: BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R –, Rn. 36, juris).

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

3.1 SG Darmstadt, Gerichtsbescheid v. 03.03.2025 - S 32 AS 615/22 -


Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Ausgangspunkt der Auslegung einer Klage ist, was der Kläger mit der Klage erreichen will.

2. Erklärt ein Sachbearbeit per E-Mail "andernfalls muss ein ablehnender Bescheid ergehen", liegt hierin einerseits noch keine Regelung und deshalb kein Verwaltungsakt, andererseits auch keine Zusicherung.

 

 

3.2 SG Potsdam, Beschluss v. 17.01.2025 - S 33 AS 894/24 ER - bestätigt durch LSG BB, Beschluss v. 06.02.2025 - L 9 AS 83/25 B ER -

Bürgergeld: Kein Leistungsausschluss bei Verstoß gegen die Wohnsitzregelung aus § 12a Aufenthaltsgesetzes

Ukrainischer Staatsbürger hat auch bei Verstoß gegen Wohnsitzregelung Anspruch auf Bürgergeld, denn § 36 Abs. 2 S. 1 SGB II greift in diesem Fall nicht.

Weiter: https://www.gegen-hartz.de/urteile/buergergeld-anspruch-trotz-verstoss-gegen-die-wohnsitzauflage

 

Praxistipp

SG Neuruppin, Beschluss vom 19.04.2024 – S 17 AS 224/24 ER -

Dazu RA Volker Gerloff:

SG Neuruppin (nicht rechtskräftig): Verstoß gegen Wohnsitzauflage darf nicht von Bürgergeld  ausschließen

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

4.1 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19.12.2024 - L 2 AL 3/23 - Revision zugelassen

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Für die Gewährung der erfolgsbezogenen Abschlussprämie nach § 131a Abs 3 Nr 2 SGB III aF (jetzt: § 87a Abs 1 Nr 2 SGB III) reicht es aus, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen der nach § 81 SGB III geförderten Weiterbildung und der erfolgreich bestandenen Abschlussprüfung gewahrt ist.

2. Dieser besteht auch bei einer erfolgreichen, zum nächstmöglichen Termin durchgeführten zweiten Wiederholungsprüfung innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Weiterbildung, selbst wenn der Arbeitnehmer inzwischen eine Beschäftigung aufgenommen hat.

 

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

 

5.1 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.02.2025 - L 7 SO 3615/24 B -

Sozialhilfe: Kein Eilrechtsschutz wegen fehlender Mitwirkung trotz nur 5 Grad Zimmertemperatur in der Obdachlosenunterkunft

Die Hilfebedürftige wollte im Eilrechtsschutz höhere Heizstromkosten für Heizlüfter zugesprochen bekommen

Das Rechtschutzbedürfnis war deswegen zu verneinen, weil die Antragstellerin ihr Begehren zumutbar auch ohne die Einschaltung des SG hätte erreichen können.

Denn die Antragstellerin hatte sich bereits in der Vergangenheit hinsichtlich der Heizstromkosten an den Antragsgegner gewandt und war von diesem wiederholt, etwa mit zwei E-Mails vom 25. April 2024, darauf hingewiesen worden, dass sie diesbezüglich entsprechende Nachweise (Stromabrechnungen, Quittungen) vorlegen solle. Dies ist jedoch nicht erfolgt, auch nicht im Rahmen des neuerlichen Antrags vom 20. November 2024.

Die Antragstellerin hätte mithin durch Einreichung entsprechender Nachweise zu ihren laufenden und insbesondere vergangenen Heizkosten frühzeitig und vor Winterbeginn eine ihr günstige Entscheidung des Antragsgegners ermöglichen können, ohne dass von einem Erfordernis gerichtlichen Eilrechtsschutzes auszugehen gewesen wäre.

Praxistipp

Heizstromkosten für Heizlüfter z. Bsp. im Bad sind Übernahmefähige Heizkosten beim Bürgergeld/Sozialhilfe ( BSG, Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R - ).

 

 

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

 

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