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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 16/2020

1. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialhilfe

1.1 Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 12.02.2020 - AZ: 1 BvR 1246/19


EU-Bürger müssen sich gegen Sozialhilfeausschluss wehren können

In Deutschland lebende und arbeitsuchende EU-Bürger müssen sich laut Bundesverfassungsgericht gegen den gesetzlichen Ausschluss von Sozialhilfeleistungen vor Gericht effektiv wehren können. Inwieweit das entsprechende Gesetz verfassungswidrig sei, lasse sich wegen der schwierigen Rechtsfragen nicht einfach beantworten, erklärten die Karlsruher Richter in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Daher müssten die damit befassten Sozialgerichte den Betroffenen Prozesskostenhilfe gewähren.

weiter: https://www.migazin.de/2020/04/16/bundesverfassungsgericht-eu-buerger-muessen-sich-gegen-sozialhilfeausschluss-wehren-koennen/

Zum Volltext der Entscheidung: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rk20200212_1bvr124619.html





2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2. 1 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.03.2020 - L 15 AS 96/19

Leitsatz ( Juris )

§ 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung ist seinem Wortlaut nach ausdrücklich auf selbst bewohntes Wohneigentum im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II beschränkt.

Eine entsprechende oder analoge Auslegung der Norm dahingehend, dass auch Instandhaltungs- und Reparaturkosten für andere Unterkunftsformen, hier zum Beispiel für ein Segelboot, erfasst sind, kommt in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts der Norm nicht in Betracht.

Die Anschaffung eines Boots- Diesel- Ofens für ein Segelboot stellt bei einem bisher mit einem Petroleum- Ofen beheizten Segelboot keine Aufwendung für die Instandhaltung und Reparatur, sondern eine erheblich wertsteigernde Neuanschaffung dar.

Quelle: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=4955026757A404C77361EA1DA615C4FC.jp19?doc.id=JURE200004523&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint



Kommentar dazu: Diese Entscheidung ist inhaltlich und systematisch nicht nachvollziehbar. In § 22 Abs. 1 SGB  II geht es um "Bedarfe für Unterkunft und Heizung", also alle Kosten von Unterkünften, in denen Hartz IV-Beziehende Menschen wohnen können, nicht nur Miete und Wohneigentum. Der § 22 Abs. 2 SGB II stellt inhaltlich und systematisch auf diese Vorschrift ab und erweitert sie um notwerndige Instandhaltungen bei Eigentum, selbstverständlich ist das auf vergleichbare Formen des Wohnen auch anzuwenden. Eine solche kleinkarrierte Form der Rechtsprechung ist nicht nachvollziehbar, § 2 Abs. 2 SGB I spricht von zwingender weiter Auslegung  der sozialen Rechte, diese Vorschrift scheint das LSG in seiner Entscheidung vergessen zu haben. Haraöld Thomé / Tacheles e.V.      



2. 2 Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 04.02.2020 - L 2 AS 3963/19 ER-B

Zur Frage, inwieweit regelmäßige Besuchsfahrten zur im Pflegeheim befindlichen Mutter als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II anerkannt werden können.

Fahrtosten für die Besuche des Sohnes bei der erkrankten Mutter im Klinikum muss das Jobcenter übernehmen.


Orientierungshilfe ( Redakteur )

1. Zur Wahrnehmung der Besuche bei seiner Mutter im Klinikum zwei Mal pro Woche bis zur Höhe des günstigsten Tickets des Öffentlichen Personennahverkehr waren dem Antragsteller die Fahrtkosten durch das JobCenter zu genehmigen.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=211178&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





2. 3 LSG Hessen, Beschluss v. 17.03.2020 - L 6 AS 143/20 ER

Leitsatz ( Juris )

Auch nach den mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (BGBI. I S. 1824; im Folgenden: Rechtsvereinfachungsgesetz) bewirkten Änderungen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II), konkret von § 39 Nr. 1 SGB II, sind Versagensbescheide nach § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – weiterhin – nicht von Gesetzes wegen sofort vollziehbar.

Allerdings erreicht der Betroffene im Falle der Versagung sein vorläufiges Rechtsschutzziel noch nicht, wenn diese nicht vollzogen werden kann: Auch wenn sich der Antragsgegner wegen der aufschiebenden Wirkung vorläufig nicht auf die Versagung berufen darf, steht damit nämlich noch nicht fest, dass dem Antragsteller – und sei es auch nur vorläufig – Leistungen zu gewähren sind. Für eine isolierte Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Versagensbescheid fehlt es daher am Rechtsschutzbedürfnis.

Quelle: https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE200000542





 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3. 1 SG Düsseldorf, Beschluss v. 14.04.2020 – S 25 AS 1118/20 ER


Jobcenter muss obdachlosem EU-Bürger Hartz IV zahlen


Vielen obdachlosen Ausländern stehen in Deutschland keine Sozialleistungen zu. Nun stellt das Sozialgericht Düsseldorf in einem Beschluss fest: In der Coronakrise hat der Staat das Überleben zu sichern.

weiter hier: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/coronakrise-jobcenter-muss-obdachlosem-eu-buerger-hartz-iv-zahlen-a-7a7e8808-4a13-4607-a0b1-5b7c4e5afee6

Hier zum Volltext: https://harald-thome.de/fa/redakteur/Harald_2020/EU_Buerger_SG_DRS_v._14.04.202014042020.pdf



Hinweis:

Für Tacheles-Sozialrechtsreferent Thomé hat der Beschluss damit bundesweite Bedeutung. Erstmals seien in der Coronakrise so klar von einem Gericht auch grundsätzlich nicht berechtigten EU-Bürgern Leistungen zuerkannt worden, die "natürlich auch die Pflichtversicherung in der Krankenkasse" und damit den "Anspruch auf vollständige medizinische Versorgung" beinhalten. "Das Sozialgericht hat damit die überfällige Gewährleistungspflicht des Staates für ein menschenwürdiges Existenzminimum und somit dem Überleben in dieser Corona-Pandemie klargestellt", sagt Thomé. "Für diese Menschen ist der Düsseldorfer Beschluss ein Meilenstein."
Inhaltlich hat das Gericht nicht über einen SGB II oder SGB XII - Anspruch entschieden, da aber aller Sozialleistungsträger ihre Nichtzuständigkeit erklärt haben, hat das SGB Düsseldorf mit Verweis auf § 43 Abs. 1 SGB I entschieden, dass zumindest zunächst das  Jobcenter als erstangegangener Träger zuständig ist. 





3. 2 Sozialgericht Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 26. März 2020 (S 21 AS 194/19):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Zur Begründetheit einer entsprechend § 88 SGG erhobenen Untätigkeitsverpflichtungsklage.

Wenn die Dreimonatsfrist nach § 88 Abs. 2 SGG zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits verstrichen war, und der beklagte SGB II-Träger keinen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung des form- und fristgerecht erhobenen Widerspruchs vorträgt, dann ist das verklagte Jobcenter antragsgemäß zu verpflichten, diesen Widerspruch zu bescheiden, widrigenfalls kann ein Zwangsgeld verhängt werden.





3. 3 SG Braunschweig, Beschluss vom 25.03.2020 - S 28 AS 72/20 ER

Zur Weitergewährung von Nachhilfeeinzelförderung im Rahmen des Leistungsrechts nach dem SGB II, hier bejahend.


Orientierungshilfe ( Redakteur )

Dieses ergibt sich schon daraus, dass die Antragstellerin schon gleich zu Beginn des Schuljahres bereits im November 2019 von der 4. Jahrgangsstufe in die 3. Jahrgangsstufe zurückwechseln musste, weil sie den Leistungsanforderungen in der 4. Klasse zumindest noch nicht gewachsen war.

Quelle: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=4955026757A404C77361EA1DA615C4FC.jp19?doc.id=JURE200004525&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint





4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )


4. 1 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.03.2020 - L 7 AL 81/19

Leitsatz ( Juris )

1) Der zuständige Rehabilitationsträger nach § 14 SGB IX bestimmt sich bei mehreren Anträgen bei unterschiedlichen Trägern nach dem zeitlich ersten Antrag.

2) Eine Autismustherapie in einem Autismus-Therapie-Zentrum ist während einer Berufsausbildung in einem Berufsausbildungswerk keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Quelle: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=2545C68489F2B509CD9766BFC840A10C.jp27?doc.id=JURE200004929&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint





5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5. 1 Bayerisches Landessozialgericht, Urt. v. 14.02.2019 - L 8 SO 118/16

Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen, wenn eine verwertbare fondsgebundene Rentenversicherung vorhanden ist

Orientierungshilfe ( Redakteur )

Zur Frage, ob im Rahmen des SGB XII auch bei Leistungen nach dem 6. Kapitel ein strengerer Maßstab beim Vermögenseinsatz anzulegen ist (vergleiche BSG, Urteil vom 20.08.2011, B 8 SO 19/10 R, RdNr. 24), hier verneinend für den Verlust von rund 12 % aus einer priv. Rentenversicherung.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=211222&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

SG Frankfurt, Beschluss v. 26.03.2020 - S 16 AS 373/20 ER

Keine Kostenübernahme für Corona-Test und erhöhter Ernährungskosten durch Jobcenter


Nach Auffassung des Sozialgerichts ist das Jobcenter nicht der zuständige Leistungsträger, sondern die gesetzliche Krankenversicherung, deren Versicherungsschutz ihm als Bezieher von Grundsicherungsleistungen zukommt. Im Übrigen habe der Antragsteller selbst mitgeteilt, dass er nach den Angaben des Gesundheitsamtes nicht zu einer Risikogruppe gehöre. Daher sei der Test für ihn nicht notwendig. Er habe keinen Anspruch darauf, besser gestellt zu werden als der Personenkreis gesetzlich Krankenversicherter.

Das Sozialgericht hat auch das weitere Begehren des Antragstellers abgelehnt, das auf die Verpflichtung des Jobcenters zur vorläufigen Gewährung eines Mehrbedarfs in Höhe von 100 Euro für Ernährungskosten, die durch die Corona-Krise erhöht seien, gerichtet war. Der Antragsteller könne den Erwerb von Lebensmitteln aus dem Regelbedarf bestreiten, und zwar auch in der derzeitigen Krisensituation. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs liegen nicht vor. Der Antragsteller habe nur behauptet, dass er es als Hartz IV-Empfänger zunehmend schwerer habe, sich zu ernähren. Es bestünden jedoch bei Verbrauchsgütern und Lebensmitteln keine Versorgungsengpässe. Dies gelte auch für solche Waren und Lebensmittel, deren Erwerb Bezieher von Grundsicherungsleistungen aus dem Regelbedarf bestreiten müssen.

Der Beschluss ist nicht rechtskräftig.

juris-Redaktion
Quelle: Pressemitteilung des SG Frankfurt Nr. 2/2020 v. 15.04.2020: https://sozialgerichtsbarkeit.hessen.de/sites/sozialgerichtsbarkeit.hessen.de/files/PM%2002%20Kosten%20Corona-Test%20%28002%29_0.pdf



Hinweis Redakteur: keine zufriedenstellende Entscheidung, genau wie hier: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=211163&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



besser natürlich so: https://tacheles-sozialhilfe.de/tickerarchiv/tacheles---vorschläge-zum-umgang-mit-der-corona-krise-für-einkommensschwache-haushalte.html



Bleiben Sie alle schön gesund!





Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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