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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 17/2019

Tacheles Rechtsprechungsticker KW 17/2019

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung ( SGB II )

1. 1 BSG, Urt. v. 28.11.2018- B 4 AS 43/17 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen - Beschränkung der Minderjährigenhaftung - Anwendbarkeit des § 1629a BGB bei Rückforderung von Grundsicherungsleistungen - Eintritt der Volljährigkeit während des Klageverfahrens - maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage - Anfechtungsklage

Orientierungssatz ( Redakteur )

1. Die Beschränkung der Minderjährigenhaftung gemäß § 1629a BGB findet im SGB II entsprechende Anwendung. Sie ist bereits im Erkenntnisverfahren über eine Anfechtungsklage gegen einen Erstattungsbescheid zu berücksichtigen:

2. Dies gilt auch, wenn die Volljährigkeit erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids, während des laufenden Klageverfahrens eintritt.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=205853&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2. 1 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.03.2019 - L 13 AS 234/17

Arbeitslosengeld II - Rechtmäßigkeit der endgültigen Festsetzung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens - Erstattungsforderung nach § 328 Abs. 3 SGB III als Insolvenzforderung - fehlende Befugnis zum Erlass eines Erstattungsbescheides - Vollstreckungsverbot

Leitsatz ( Juris )

1. Der Rechtmäßigkeit einer endgültigen Leistungsfestsetzung nach § 40 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 3 Satz 1 u. Satz 2, 1. Halbs. SGB III steht nicht entgegen, dass über das Vermögen des Leistungsempfängers ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die aus der endgültigen Leistungsfestsetzung resultierenden Erstattungsansprüche Insolvenzforderungen i. S. v. § 38 InsO sind.

2. Der Bescheid über die endgültige Leistungsfestsetzung ist auch während des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Leistungsempfänger zu erlassen. Dem steht nicht entgegen, dass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unterliegen regelmäßig nicht der Pfändung und Zwangsvollstreckung und werden daher nach § 36 InsO nicht Teil der Insolvenzmasse.

3. Der Leistungsträger ist jedoch nicht berechtigt, während des Insolvenzverfahrens einen Erstattungsanspruch nach § 40 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbs. SGB III durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Die Vorschriften der §§ 87, 174 ff. InsO enthalten nicht nur ein Vollstreckungsverbot, sondern hindern einen Insolvenzgläubiger schon daran, sich außerhalb des Insolvenzverfahrens einen Titel wegen einer Insolvenzforderung zu verschaffen.

Quelle: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=B0AC53F1DB3DD3BFA908732127419E8C.jp28?doc.id=JURE190004852&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint





3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3. 1 Sozialgericht Berlin, Beschluss v. 07.12.2018 - S 150 AS 9734/18 ER - rechtskräftig

Pflegekind - Leistungsausschluss - Familienangehörige - Freizügigkeitsrecht

Orientierungssatz ( Redakteur )

Estnische Pflegekinder haben zusammen mit ihrer estnischen Mutter Anspruch auf ALG II.

Leitsatz ( Juris )

Pflegekinder sind jedenfalls dann als „sonstige“ Familienangehörige iSv § 11 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU i.V.m. § 36 Abs. 2 S. 1 AufthG anzusehen, wenn zwischen ihnen und der Pflegemutter / dem Pflegevater / den Pflegeeltern ein intensiv gelebtes Pflegekindschaftsverhältnis besteht.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=205913&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





3. 2 Sozialgericht Berlin, Urt. v. 20.02.2019 - S 142 AS 74/17 - rechtskräftig

Kostenerstattungsanspruch - Rechtsanwaltsgebühren

Orientierungssatz ( Redakteur )

1. In Fällen – wie dem vorliegenden – ohne die Inanspruchnahme von Beratungshilfe (mit der gesetzlichen Folge des Forderungsübergangs) steht einer wirksamen Aufrechnung durch den Leistungsträger entgegen, dass es sich bei dem Kostenerstattungsanspruch ursprünglich um einen Freistellungsanspruch handelt, so dass keine Aufrechnungslage mangels Gleichartigkeit der Forderungen besteht (so auf der Grundlage der eindeutigen höchstrichterlichen Zivilrechtsprechung [BGH v. 28.1.2016 – VII ZR 266/14, RdNr. 26 mwN] einhellige Meinung, vgl. etwa vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 31.5.2018 – L 29 AS 1928/17; LSG Berlin-Brandenburg v. 13.10.2016 – L 31 AS 1774/16; LSG Sachsen-Anhalt v. 15.3.2018 – L 2 AS 496/17; LSG Rheinland-Pfalz v. 6.5.2015 – L 6 AS 288/13; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 05/17, § 63 RdNr. 114a).

2. Der Kostenerstattungsanspruch kann folglich als Freistellungsanspruch gegenüber der Gebührenforderung der Bevollmächtigten ohne die Gefahr einer Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung durch das Jobcenter geltend gemacht werden. Es liegt sodann in der Hand der Leistungsberechtigten und deren Bevollmächtigter, ob es dabei bleibt; nehmen diese indes aus freien Stücken – wie im vorliegenden Fall – eine Abtretung vor und schaffen damit erst die Aufrechnungslage, so sind sie nicht schutzbedürftig, weil sie diese Situation selbst und eigenverantwortlich herbeigeführt haben.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=205943&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



Hinweis: S. a. Dazu Leitsatz ( Juris )

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren, Erstattung von Vorverfahrenskosten, Freistellungsanspruch, Umwandlung in Zahlungsanspruch, gewillkürter Forderungsübergang auf den Bevollmächtigten, wirksame Aufrechnung, Gleichartigkeit zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung

Leitsatz ( Juris )

1. Ein als Freistellungsanspruch entstandener Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB 10 wandelt sich durch Abtretung an den Bevollmächtigten, der der Gläubiger der Verbindlichkeit war, auf die sich der Freistellungsanspruch richtete, war, in einen Zahlungsanspruch um (Anschluss an BGH v. 22.1.1954 – I ZR 34/53).

2. Die für eine wirksame Aufrechnung erforderliche Gleichartigkeit der Forderungen muss zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vorliegen.

3. Nach Umwandlung eines Kostenerstattungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch aufgrund gewillkürten Forderungsübergangs besteht eine Aufrechnungslage mit gleichartigen Forderungen.

4. Den Ausschluss der Aufrechnung rechtfertigende Billigkeitsgründe bestehen bei einem gewillkürten Übergang des Kostenerstattungsanspruchs auf den Bevollmächtigten nicht.



4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

4. 1 Sozialgericht Kassel, Urt. v. 26.07.2018 - S 11 SO 160/16 - rechtskräftig

Orientierungssatz ( Redakteur )

Kostenübernahme für schulische Assistenzleistungen (Gebärdendolmetscher) am Nachmittag für den nahezu gehörlosen Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=205914&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5. 1 Arbeitshilfe: „Jetzt Rechtsansprüche zur Erhöhung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durchsetzen!"

Der Paritätische hat eine neue Arbeitshilfe veröffentlicht: „Jetzt Rechtsansprüche zur Erhöhung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durchsetzen!“

weiter: http://infothek.paritaet.org/pid/fachinfos.nsf/0/04a18746973efb02c12583d9003feaed/$FILE/broschuer_A4%20asylbewerberleistungsgesetz-2019_FINAL.pdf



5. 2 Jobcenter Kreis Rendsburg-Eckernförde: Urteilsumsetzung erst nach Vollstreckung, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

Von Leistungsberechtigten nach dem SGB II werden – gelegentlich unter knappster Fristsetzung und Androhung der vollständigen Leistungseinstellung – Mitwirkungshandlungen verlangt. Die Jobcenter hingegen lassen sich – was ihre „Mitwirkungspflichten“ anbelangt – gern sehr lange Zeit. So lange, dass selbst aus Urteilen, die nach eigenem Rechtsmittelverzicht ergangen sind, vollstreckt werden muss, um die Jobcenter zu einem Tätigwerden zu bewegen. So geschehen jüngst beim Jobcenter Rendsburg-Eckernförde.

weiter: https://sozialberatung-kiel.de/2019/04/18/jobcenter-kreis-rendsburg-eckernfoerde-urteilsumsetzung-erst-nach-vollstreckung/



Wir wünschen allen Lesern frohe Ostern!



Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Broc

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