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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 17/2025

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem SGB II- Bürgergeld und zur Sozialhilfe ( SGB XII )

 

1.1 BSG, Urt. v. 21.11.2024 - B 8 SO 5/23 R

Sozialhilfe - Auskunftsverlangen - unterhaltspflichtiger Angehöriger - Überschreitung - Jahreseinkommensgrenze - Einkommen – Vermögen

 

BSG zum Elternunterhalt: Erwachsene Kinder nur eingeschränkt auskunftspflichtig

Gestuftes Auskunftsverfahren nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz ( BSG – Pressemitteilung )

1. Nach der Umgestaltung der Regelung zum Übergang von Unterhaltsansprüchen von Eltern gegenüber ihren erwachsenen Kindern auch wegen Kosten für das Pflegeheim durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz ist das vorgeschaltete Auskunftsverfahren gestuft und zunächst nur auf Angaben zum Einkommen beschränkt.

2. Ein möglicher Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihre erwachsenen Kinder geht auch für die Kosten der Hilfe zur Pflege seit 1. Januar 2020 erst dann auf den Sozialhilfeträger über, wenn das Einkommen des Kindes einen Jahresbetrag von 100 000 Euro übersteigt. Dabei wird gesetzlich vermutet, dass diese Einkommensgrenze nicht überschritten wird; diese Vermutung kann wiederlegt werden.

3. Liegen hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, darf der Sozialhilfeträger weiter ermitteln, ob die Grenze tatsächlich überschritten ist. Dies ist dann der Fall, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für entsprechende Einkommensverhältnisse der Kinder spricht.

4. Verlangt er dabei Auskunft von dem erwachsenen Kind, hat sich diese Auskunft auf das Einkommen zu beschränken.

5. Erst wenn dann sicher feststeht, dass dieses die 100 000 Euro- Grenze überschreitet, also ein Übergang des Unterhaltsanspruchs in Betracht kommt, darf er auch Auskunft über das Vermögen des unterhaltspflichtigen Angehörigen verlangen. Dieses gestufte Vorgehen ist unter Berücksichtigung von Systematik und Entstehungsgeschichte der Regelung geboten.

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II/ Bürgergeld

 

 

2.1 LSG Sachsen, Beschluss v. 07.04.2025 - L 7 AS 33/25 B ER -

Bürgergeld: Trotz Gehaltsverzichts hat ein Alleingesellschafter und Geschäftsführer der UG kein Anspruch auf ALG 2

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

Ein Verzicht eines alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers einer Unternehmergesellschaft auf seine Vergütung ist für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unbeachtlich, wenn die Gesellschaft aufgrund eines Kontoguthabens ihre laufenden Betriebsausgaben weiterhin decken kann (Abgrenzung von LSG Hamburg v. 27.01.2022 - L 4 AS 23/20 – juris).

 

Praxistipp

LSG NRW, Beschluss v. 05.12.2024 - L 12 AS 1047/24 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Kein Bürgergeld für Alleingesellschafter und Geschäftsführer der GmbH bei zumutbarer Selbsthilfe

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Der nicht ausgeschüttete Gewinn einer GmbH kann dem Alleingesellschafter und Geschäftsführer nicht gem § 11 SGB II als Einkommen zugerechnet werden, wenn das Stammkapital nicht gesichert ist ( so auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.05.2023 – L 2 AS 128/23 B ER -).

2. Ein Alleingesellschafter und Geschäftsführer ist aber nicht hilfebedürftig im Sinne des Bürgergeldes, wenn er die Möglichkeit hat, sich ein Geschäftsführergehalt auszuzahlen und damit seine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden wird.

 

 

2.2 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 25.02.2025 - L 5 AS 68/24 -

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Die (bereits in einem Eingliederungsverwaltungsakt im Einzelnen gereglte) konkrete Zuweisung zu einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 16 SGB II iVm § 45 SGB III bemisst sich in ihrem Wert nach § 144 Abs 1 Satz 1 SGG.

 

 

2.3 LSG NRW, Beschluss v. 20.03.2025 - L 7 AS 44/25 B – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Bürgergeld: Jobcenter sind nicht verpflichtet Erst - Antragsunterlagen für Bürgergeld zu verschicken


Antragsteller meint, dass das Jobcenter verpflichtet ist, ihm Antragsunterlagen für seinen Erstantrag auf Bürgergeld an seine Hausadresse zu schicken. Dies ergebe sich auch aus dem richterrechtlichen Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ( §§ 14 und 15 SGB 1 ).

Dazu Detlef Brock - Orientierungssatz

1. Ein Jobcenter ist nicht verpflichtet, Antragsunterlagen auf ALG 2 an die Hausadresse eines Antragstellers zu verschicken. Denn eine solche Übersendung stellt allenfalls eine besondere Dienstleistung eines Leistungsträgers dar.

2. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheidet aus, weil keine entsprechende Beratungs- oder Auskunftspflichtverletzung des Jobcenters ersichtlich oder vorgetragen ist ( §§ 14u.15 SGB I ).

3. Eine solche läge insbesondere nicht in der – vom Antragsteller monierten – Unterlassung einer Übersendung von Antragsunterlagen an die häusliche Anschrift des Klägers, denn eine solche Übersendung stellt allenfalls eine besondere Dienstleistung eines Leistungsträgers dar.

 

Hinweis zum rechtzeitigen Hinweis auf erforderlichen Folgeantrag durch das JobCenter

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Grundsicherungsträger/ Jobcenter verpflichtet ist, auf die Notwendigkeit von Folgeanträgen hinzuweisen (BSG, Urteile vom 18.01.2011 - B 4 AS 29/10 R und - B 4 AS 99/10 R - ).

Unterlässt er einen entsprechenden Hinweis, ist er ggf. auf Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verpflichtet, Leistungen auch vor der konkreten Antragstellung zu erbringen.

 

 

2.4  LSG NRW, Urteil v. 27.11.2024 - L 12 AS 116/23 - Revision zugelassen – www.sozialgerichtsbarkeit.de

 

Bürgergeld: Jobcenter muss 256 € für Reparatur von 2 Brillengläsern bezahlen

Dazu Detlef Brock – Orientierungssatz

  1. Kosten für die Reparatur der Brille können vom Jobcenter zu übernehmen sein, auch wenn dem Grunde nach ein vorrangiger Anspruch gegen die Krankenversicherung besteht, dieser jedoch tatsächlich nicht verwirklicht wurde.

  2. Verschuldensgesichtspunkte führen nicht zu einem Verlust des Anspruchs, wenn ein aktuell zu deckender Bedarf besteht.

  3. Steht einer Hilfesuchenden ein Anspruch gegen einen Dritten zu, wird dieser jedoch – aus welchen Gründen auch immer – nicht realisiert, kann er also zur Deckung des Bedarfs tatsächlich nicht eingesetzt werden, so fehlt es schlicht an - bereiten Mitteln - , die der Hilfebedürftigkeit entgegenstünden.

  4. Das Jobcenter ist verpflichtet, das medizinische Existenzminimum durch Übernahme der Kosten für die Reparatur der Brille für den Fall sicherzustellen, dass diese tatsächlich nicht von der Krankenversicherung übernommen werden.

  5. Der Anspruch ist aber der Höhe nach begrenzt auf das medizinisch Notwendige.

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

 

3.1 SG Lüneburg, Urteil vom 28. 01.2025 - S 19 AS 44/22 – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Einrichtung nach § 19 SGB VIII; Kosten der Unterkunft und Heizung; Vater-Mutter-Kind-Einrichtung

 

Bürgergeld: Mietübernahme als Sozialhilfe während des Aufenthalts in einer Mutter-Vater-Kind-Einrichtung

Dazu Detlef Brock - Orientierungssatz

1. Kosten für die Familienwohnung für eine Leistungsempfängerin nach dem Bürgergeld während des Aufenthalts in einer Einrichtung für Mütter/Väter und deren Kinder (§ 19 SGB VIII) trägt der Sozialhilfeträger nach §§ 67, 68 Abs. 1 SGB XII.

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

 

4.1 SG Landshut, Urteil vom 14.03.2025 - S 10 SO 58/23 - Berufung zugelassen

Sozialhilfe: Beitragsrückerstattung der Krankenkasse ist zu berücksichtigendes Einkommen

 

Dazu Detlef Brock - Orientierungssatz

1. Die Beitragsrückerstattung einer privaten Krankenversicherung ist Einkommen im sozialhilferechtlichen Sinn. Das entspricht der Rechtsprechung des BSG im Rahmen des SGB II.

2. Eine Beitragsrückerstattung in Form einer Gutschrift einer privaten Krankenversicherung ist als Einkommen auf den Leistungsanspruch bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung anzurechnen.

3. Die Gutschrift von 500 Euro ist als einmalige Einnahme im Folgemonat bedarfsmindernd anzurechnen.

4. Es handelt sich bei der Beitragsrückerstattung weder um eine nach Zweck und Inhalt bestimmte Leistung noch um eine Zuwendung im Sinne des Sozialhilferechts.

 

Hinweis

Die Berufung war zugelassen, denn die Frage war bereits beim BSG als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen B 8 SO 10/22 R anhängig und konnte in der Sache nur deshalb nicht entschieden werden, da die Klage aufgrund des Todes des dortigen Klägers zurückgenommen worden war.

Vor dem Hintergrund der Nichtzulassung der Revision in der Berufungsinstanz (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 13.10.2021 - L 4 SO 217/19 - ) ist anzunehmen, dass das BSG die grundsätzliche Bedeutung bereits selbst bejaht hatte, da es offensichtlich die Revision infolge einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen hat.

 

Hinweis Detlef Brock - Beitragsrückerstattung der privaten Krankenversicherung beim Bürgergeld

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( Urteil vom 20.02.2020 - B 14 AS 52/18 R - ) gilt, dass es sich bei einer Beitragsrückerstattung der privaten Krankenversicherung um eine anrechenbare einmalige Einnahme handelt, vergleichbar mit einer Steuererstattung.

Für Bezieher von Bürgergeld heißt das

Gemäß § 11 Abs. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gilt für die Berücksichtigung von Einkommen das sogenannte Zuflussprinzip.

Eine Einnahme wird danach in dem Monat zugerechnet, in dem sie zufließt. Eine Zweckbestimmung und der Rechtsgrund bleiben bei der Anwendung des Zuflussprinzips unbeachtlich.

Werden Beitragsrückerstattungen der privaten Krankenkasse ausgezahlt, sind diese nach dem Zuflussprinzip wie andere zufließende Einnahmen als leistungsminderndes Einkommen zu berücksichtigen.



5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

5.1 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 25.02.2025 - L 8 AY 20/24 B ER -

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Nicht in jedem Fall ist die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen nach § 1a Abs 4 AsylbLG bei Weiterwanderung zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Betracht zu ziehen.

2. So kann eine afghanische Großfamilie (Eltern und sieben minderjährige Kinder), die in Griechenland internationalen Schutz erhalten hat, gleichwohl aber nach Deutschland weitergereist ist und hier einen weiteren Asylantrag stellt, Anspruch auf Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG haben, wenn aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, dass ihr bei einer Rückkehr nach Griechenland soziale Verelendung und Obdachlosigkeit droht.

 

Praxistipp

LSG München, Beschluss v. 10.03.2025 – L 11 AY 58/24 B ER -

Leistungseinschränkung bei Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat

 

Leitsätze: www.gesetze-bayern.de

Leistungseinschränkung gemäß § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG im Einzelfall bei Schutzgewährung durch anderen Mitgliedstaat ist ohne Vorliegen weiterer ungeschriebener Tatbestandsmerkmale (hier. Zumutbarkeit der Rückkehr in den schutzgewährenden Mitgliedstaat) nicht verfassungswidrig und verstößt bei rechtsmissbräuchlicher Einreise mangels Antragstellereigenschaft wohl auch nicht gegen Unionsrecht. (Rn. 23 und 29)

  1. Die Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG ist rechtmäßig, wenn einem Leistungsberechtigten internationaler Schutz in einem anderen EU-Mitgliedstaat gewährt wurde und dieser fortbesteht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
  2. Die verfassungskonforme Auslegung des § 1a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG erfordert, dass ergänzend die weiteren in §§ 3, 3a und 6 AsylbLG vorgesehenen Leistungen zu gewähren sind, wenn dies nach der Bedarfssituation des Berechtigten im Einzelfall geboten ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
  3. Die Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG verstößt nicht gegen europäisches Recht, wenn das Leistungsniveau unter Berücksichtigung der Möglichkeit, besondere Bedarfe individuell auf gesonderten Antrag zu berücksichtigen, dem Art. 20 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie entspricht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

 

 

5.2 LSG NRW, Urteil v. 17.02.2025 - L 20 AY 18/19 - Revision zugelassen – www.sozialgerichtsbarkeit.de

§ 19 Abs. 6 SGB XII ist nicht über einen gesetzlichen Verweis im AsylbLG anwendbar

 

Orientierungssatz Detlef Brock

1. § 19 Abs. 6 SGB XII findet nur auf Leistungsansprüche nach dem SGB XII Anwendung, nicht aber auf solche nach § 4 Abs. 1 AsylbLG.

2. Eine analoge Anwendung scheidet aus, weil keine planwidrige Regelungslücke bestehe.

3. Der Gesetzgeber habe §§ 6a und 6b AsylbLG in das AsylbLG eingefügt, nachdem das Bundessozialgerichts im Urteil vom 30.10.2013 – B 7 AY 2/12 R eine entsprechende Anwendung des Nothelferanspruchs aus § 25 SGB XII im Anwendungsbereich des AsylbLG ausgeschlossen habe. Der Gesetzgeber hätte hierbei die Gelegenheit gehabt, auch eine § 19 Abs. 6 SGB XII entsprechende Vorschrift im AsylbLG einzuführen; er habe dies indes nicht getan.

Anhaltspunkte, dass es sich um ein Redaktionsversehen gehandelt habe, seien nicht erkennbar.

4. Die Gesetzesbegründung über eine Wiederherstellung der alten Rechtslage (BT-Drs. 18/2592 im H. 25) beziehe sich allein auf die vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts praktizierte analoge Anwendung von § 25 SGB XII im Rahmen des AsylbLG; eine darüber hinausgehende Zielsetzung lasse sie nicht erkennen.


 

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Beispiel für Quellenangabe zum Rechtsprechungsticker: Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2025 - Autor: Detlef Brock


Beispiel für Quellenangabe zum Newsletter: Quelle: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 - Autor Harald Thomé



Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

 



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