Newsticker
Tacheles Rechtsprechungsticker KW 18.2025
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem SGB II- Bürgergeld und zur Sozialhilfe ( SGB XII )
1.1 BSG, Urt. v. 21.11.2024 - B 8 SO 23/22 R -
Sozialhilfe - Einmalzahlung - COVID-19-Pandemie - Hilfe zu Pflege - stationäre Pflege - Barbetrag - Bekleidungspauschale
Sozialhilfe: Auch Pflegeheimbewohner hatten einen Anspruch auf die Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie nach § 144 SGB XII in Höhe von 150 Euro für das erste Halbjahr 2021.
Orientierungssatz Detlef Brock
1. Dem Kläger wurden mit dem Barbetrag und der Bekleidungspauschale für den Monat Mai 2021 auch Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) bewilligt und gezahlt. Die Einmalzahlung knüpft akzessorisch an den bestandskräftig festgestellten Anspruch auf die Sozialhilfe an.
2. Wenn der Träger dem Hilfeempfänger entgegen der materiellen Rechtslage tatsächlich einen Barbetrag bewilligt und auszahlt, gebietet es die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verwaltungsvereinfachung, für die Gewährung der Einmalzahlung keine erneute Bedarfsberechnung durchzuführen, sondern ausschließlich darauf abzustellen, dass ein Barbetrag gewährt wird.
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II/ Bürgergeld
2.1 LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 19.03.2025 - L 2 AS 511/21 -
Zur Auskunftspflicht des Vermieters
Bürgergeld: Jobcenter überschreitet Grenzen der Auskunftsverpflichtung des Vermieters -
Gericht begrenzt Auskunftspflicht der Vermieter gegenüber Jobcentern
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Die Auskunftspflicht des Vermieters nach § 60 Abs 1, Abs 2 Satz 1 1. Fall SGB II gegenüber dem Leistungsträger über Betriebsguthaben seiner Mieter, die im SGB II Leistungsbezug stehen oder solche Leistungen beantragt haben, erstreckt sich nur auf die Auskunftserteilung selbst.
2. Sie umfasst nicht die Vorlage von Beweisunterlagen.
3. Keinesfalls kann die vollständige Betriebs- und Heizkostenabrechnung inklusive aller Anlagen, die auch Daten über das Verbrauchsverhalten der Leistungsbezieher, die Anzahl der Nutzer usw. ausweist, herausverlangt werden.
Hinweis: Urteil aufgearbeitet von Detlef Brock hier: https://www.gegen-hartz.de/news/buergergeld-jobcenter-ueberschreitet-grenzen-der-auskunftsverpflichtung-des-vermieters-gericht-ruegt
2.2 LSG NRW, Beschluss vom 16.04.2025 - L 7 AS 751/24 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Bürgergeld - Familie muss 3520 € erstatten wegen Grober Fahrlässigkeit
Dazu Detlef Brock – Orientierungssatz
1. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor und führt zur Rückzahlung von rechtswidrigen Bürgergeld - Leistungen, wenn eine Familie mit Leistungsbezug nach dem SGB II monatliche Mietkosten für 2 Wohnungen erhält.
2. Grobe Fahrlässigkeit ist dann zu bejahen, wenn sich die Rechtswidrigkeit ohne weitere Nachforschungen aus dem Bescheid selbst ergeben hat oder anhand der Umstände und ganz naheliegender Überlegungen auffallen musste, dass der Bescheid fehlerhaft ist, was hier der Fall war.
Hinweis zum Vertrauensschutz bei Aufhebungsbescheiden nach dem Bürgergeld
Jobcenter argumentieren immer wieder, die Leistungsbeziehende Person hätte die Rechtswidrigkeit erkennen können (oder müssen), weshalb kein Vertrauensschutz im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X bestehe.
Vertrauensschutz bei Aufhebungsbescheiden hat sich aber am Empfängerhorizont der Leistungsbeziehenden Person nach dem Bürgergeld zu orientieren ( so ausdrücklich das LSG BB Az. L 3 AS 772/23 ).
2.3 LSG NRW, Beschlüsse vom 02.04.2025 – L 2 AS 1358/24 B, L 2 AS 1621/24 B und L 2 AS 1643/24 B
LSG NRW: Regelbedarfsbemessung beim Bürgergeld verfassungsgemäß
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat Klagen einer Bürgergeld-Empfängerin wegen mangelnder Berücksichtigung der Inflation bei der Berechnung der Regelsätze für die Jahre 2023 und 2024 abgewiesen.
Auch die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt, wie das Gericht am Montag in Essen mit Verweis auf drei Beschlüsse erklärte.
https://www.evangelisch.de/inhalte/242257/28-04-2025/gericht-weist-beschwerden-gegen-buergergeld-regelsaetze-ab und hier: https://www.justiz.nrw/mitteilung/2025-04-29-0
2.4 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.06.2023 - L 18 AS 512/23 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Bürgergeld: Mietschuldenübernahme in Höhe von 9680 € im Eilverfahren bei unangemessenen Kosten der Unterkunft während der Karenzzeit
Dazu Detlef Brock - Orientierungssatz
1. Das Jobcenter muss auch Mietschulden – während der laufenden Karenzzeit – bei unangemessenen Kosten der Wohnung übernehmen, denn ansonsten würde die mit der Karenzzeit verbundene gesetzgeberische Zielsetzung konterkariert.
2. Schuldet das Jobcenter für einen letztlich nicht absehbaren Zeitraum auch weiterhin Leistungen für unangemessene Kosten der Unterkunft und Heizung, so kann es dem Hilfebedürftigen nicht entgegenhalten, die Schuldenübernahme (unangemessener) Kosten für Unterkunft und Heizung sei nicht geeignet, die Unterkunft iS von § 22 Abs 8 SGB 2 zu sichern.
3. m Falle der Nichtübernahme der Miet – Schulden und der zu befürchtenden fristlosen Kündigung der Wohnung innerhalb der noch laufenden Karenzzeit (vgl § 22 Abs 1 S 2 und 3 SGB 2) und des sich anschließenden Sechs-Monats-Zeitraums (vgl § 22 Abs 1 S 7 SGB 2) würde die mit der Karenzzeit verbundene gesetzgeberische Zielsetzung konterkariert.
4. Auch das BSG hat in seinem Urteil vom 17.6.2010 – B 14 AS 58/09 R – zumindest angedeutet, dass eine Schuldenübernahme auch bei unangemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung in Betracht kommen kann, solange keine Pflicht zur Kostensenkung besteht.
2.5 LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.02.2025 - L 3 AS 3680/21 –
Bürgergeld - Hammer: Jobcenter müssen Folgekosten als – Unterkunftsbedarfe - übernehmen
Dazu Detlef Brock - Orientierungssatz
1. Jobcenter müssen bei Beziehern von Bürgergeld die Folgekosten wie Mahngebühren, Rückläufergebühren und die im Zusammenhang mit einer Räumungsklage bei zu Unrecht nicht erfolgter Leistungsgewährung von Kosten der Unterkunft übernehmen als Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II.
2. Alle Kosten, die ein Hilfebedürftiger für seine Wohnung tragen muss, sind übernahmefähige Unterkunftskosten.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
(Folge-)Kosten, die auf einer zu Unrecht nicht erfolgten Leistungsgewährung von Kosten der Unterkunft beruhen, können ihrerseits Kosten der Unterkunft darstellen.
Anmerkung Detlef Brock
Auch Kosten, welche infolge eines Besuchs eines Inkasso-Beauftragten entstanden waren wegen der Nichtzahlung des monatlichen Gasabschlags, sind als Folgekosten übernahmefähig nach § 22 Abs. 1 SGB 2 ( hier in diesem Fall 90 € ).
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
keine Entscheidungen
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
4.1 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.04.2025 - L 8 SO 3/25 B ER -
Orientierungssatz Detlef Brock
Besondere Anforderungen an den Anordnungsgrund im Eilrechtsschutz im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. An einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X sind besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen.
2. Soll ein bestandskräftiger Bescheid in einem solchen Verfahren zurückgenommen werden, ist es den Antragstellern regelmäßig zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungs- und ggf in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten. Wegen der besonders strengen Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist es erforderlich, dass massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. Januar 2010 - L 5 AS 415/09 B ER - juris Rn. 33; Sächsisches LSG, Beschluss vom 25. Februar 2020 - L 8 AS 1422/19 B ER - juris Rn. 32).
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 SG Hamburg, Beschluss v. 15.04.2025 - S 28 AY 188/25 ER -
Orientierungssatz Detlef Brock
- Einschränkungen der Asylbewerberleistungen auf Überbrückungsleistungen („Bett, Brot und Seife“) sind nur zulässig, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im konkreten Einzelfall festgestellt hat, dass eine Ausreise in den nächsten zwei Wochen rechtlich und tatsächlich möglich ist.
Leitsatz SG Hamburg
- Maßstab der Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG ist, ob eine Ausreise im konkreten Einzelfall innerhalb der nächsten zwei Wochen rechtlich und tatsächlich möglich ist.
- Bei der Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit der Ausreise im konkreten Einzelfall handelt es sich um eine unselbständige, behördliche Verfahrenshandlung i.S. des § 56a Sat 1 SGG, die im Rahmen der Überprüfung der Sachentscheidung über den AsylbLG-Anspruch zu würdigen ist.
6. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld und anderen Gesetzesbüchern
6.1 Kein bloßer Hinweis: Befangenheitsantrag wegen Vergleichsdruck des Richters möglich
Eine Überlastung des Gerichts ist kein Grund für Richterinnen und Richter, wiederholt auf einen Vergleich zu drängen, stellt das BVerfG klar. So ein Verhalten könne sogar einen Befangenheitsantrag rechtfertigen.
BVerfG , Urteil vom 03.03.2025 – 1 BvR 750/23, 1 BvR 763/23: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bverfg-1bvr75023-1bvr76323-befangenheitsantrag-vergleichsdruck
6.2 SG München, Urteil v. 27.03.2025 – S 32 EG 12/24 FG -
SG München: Anspruch auf Bayerisches Familiengeld neben dem österreichischem einkommensunabhängigem Kinderbetreuungsgeld
Leitsätze www.gesetze-bayern.de
- Ein Vergleich des Bayerischen Familiengeldes mit dem einkommensunabhängigem (pauschalen) österreichischen Kinderbetreuungsgeld muss anhand der Berechnungsgrundlage und Leistungshöhe (1.), der Voraussetzungen für die Gewährung (2.), der Bezugsdauer (3.) sowie dem Sinn und Zweck (4.) der jeweiligen Leistung geführt werden.
- Es besteht ein Anspruch auf Bayerisches Familiengeld neben dem österreichischem einkommensunabhängigem Kinderbetreuungsgeld.
- Österreichisches einkommensunabhängiges Kinderbetreuungsgeld dient ebenso wie das österreichische einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (vgl. hierzu Entscheidung des LSG Bayern, L 9 EG 15/21 FG und SG München, S 20 EG 15/19 FG) der Existenzsicherung. Die Prioritätsregeln nach Art. 10 VO (EG) Nr. 883/2004 sind nicht anwendbar.
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Beispiel für Quellenangabe zum Rechtsprechungsticker: Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2025 - Autor: Detlef Brock
Beispiel für Quellenangabe zum Newsletter: Quelle: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 - Autor Harald Thomé
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock