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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 19/2022

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem (SGB II )

1.1 BSG, Urt. v. 11.11.2021 - B 14 AS 89/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Sozialgeldanspruch - Erwerbsminderungsrente - Sozialhilfe - Versicherungspauschale

Auch ein nichterwerbsfähiges Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, das Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII bezieht, kann grundsätzlich einen Anspruch auf Sozialgeld haben.

 

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.

Wer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII erhält und gleichzeitig einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II angehört, hat allein aufgrund unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen über die Berücksichtigung von Einkommen keinen Anspruch auf (ergänzendes) Sozialgeld.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170896

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2.1 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 05.04.2022 - L 3 AS 39/20 - Revision zugelassen

Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungen zu Bildung und Teilhabe - BUT - Schulausflug - Klassenfahrt - Zirkusprojekt

Zur Frage, ob die finanzielle Beteiligung von Schülern an Kosten für Projektunterricht an allgemeinbildenden Schulen, der nicht mit einem Verlassen des Schulgeländes verbunden ist, als Aufwendung nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II anzuerkennen ist ( Redakteur von Tacheles e. V. )

Leitsatz


Eine in dem Schulgebäude oder auf dem Schulgelände stattfindende Projektveranstaltung ist kein Schulausflug im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II.

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE220026637

 

2.2 Hessisches Landessozialgericht, Beschluss v. 21.02.2022 - L 6 AS 585/21 B ER

Familie mit behindertem Kind und schwer erkranktem Vater hat Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft während der Pandemie.

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.

1. SGB II-Leistungsbezieher müssen sich nicht in der Zeit der Pandemie auch noch um ihren Wohnraum sorgen, denn es gilt § 67 Abs. 3 SGB II.

2. Diese Vorschrift wird sogar bei sehr hohen Unterkunftskosten bzw. „Luxusmieten“ für anwendbar gehalten.

Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2022/03/08/hessisches-landessozialgericht-az-l-6-as-585-21-b-er/

 

Hinweis: jetzt auch auf www.sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht mit Leitsätzen

Leitsätze

1. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine vom Leistungsträger eingelegte Beschwerde gegen eine ihn verpflichtende Regelungsanordnung fehlt oder entfällt, wenn er durch einen (insofern) vorbehaltlosen Bewilligungsbescheid einen eigenständigen Rechtsgrund für die streitige Leistung schafft und also auch bei einem Erfolg im Beschwerdeverfahren zur Leistung verpflichtet bliebe.

2. § 67 Abs. 3 SGB II findet nicht nur auf Neu-, sondern auch auf Fortzahlungsanträge Anwendung. Zudem ist er mit Blick auf Wortlaut und Zweck der Regelung auch wegen der Aufwendungen für eine während des Leistungsbezugs neu angemietete Wohnung anwendbar, wenn ein Umzug während der durch die Corona-Pandemie geprägten Zeit und der dadurch eingeschränkten Möglichkeiten zur Suche und zur Besichtigung einer neuen Wohnung notwendig wird.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170935

 

2.3 LSG NRW, Beschluss v. 09.03.2022 - L 21 AS 87/22 B

Ausschluss von einstweiligem Rechtsschutz gegen eine Aufforderung der Behörde zur Mitwirkung ( Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V. ).

Orientierungssatz Redakteur von Tacheles e. V.


1. Fordert das JobCenter den Antragsteller in einem Schreiben zur Mitwirkung auf, stellt dies keinen Verwaltungsakt dar, welcher mit Widerspruch oder Klage angegriffen werden kann.

2. Erst die Versagung oder der Entzug der Leistung erfolgt durch Verwaltungsakt und kann mittels Widerspruch angefochten werden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.06.2015 - L 4 AS 242/15 B ER ).

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170890

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung ( SGB II )

3.1 Sozialgericht Magdeburg, Urteil vom 6. April 2022 (S 16 AS 2306/18):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Zur Verneinung des Bestehens eines schlüssigen Konzepts zur Konkretisierung der Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II), wenn das Jobcenter hier auch Daten berücksichtigt hat, die bereits älter als vier Jahre waren und deren Weiterentwicklung innerhalb dieses Zeitraums (insbesondere durch Mieterhöhungen sowie die Festsetzung von Neuvertragsmieten) gänzlich unberücksichtigt blieb.

Bei derartigen Gegebenheiten lässt sich keine Schlüssigkeit der vom SGB II-Träger in diesem Rahmen vertretenen Werte feststellen.

Dies gilt gerade auch dann, wenn die vom Jobcenter hier kreisweit erhobenen Daten überwiegend aus dem unteren Segment der dort festgesetzten Mieten stammt. Hier besteht die Gefahr, dass kein repräsentativer Querschnitt aller Mieten gebildet wird, was dazu führen kann, dass die Obergrenze für angemessene Unterkunftskosten amtlicherseits zu niedrig angesetzt wird. Diese „theoretische Untergrenze“ entspricht nicht den aktuell am Wohnungsmarkt feststellbaren Realitäten.

Quelle: RA Michael Loewy: https://www.anwaltskanzlei-loewy.de/urteile/grundsicherung-f%C3%BCr-arbeitssuchende-sgb-ii/

 

Leitsatz RA Michael Loewy

Das nachgebesserte Konzept des Landkreises Harz zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft genügt nicht den vom BSG aufgestellten Anforderungen an ein schlüssiges Konzept. Voraussetzung an ein schlüssiges Konzept ist, das die in das Konzept eingeflossenen Daten aktuell sind, d. h. im Regelfall nicht älter als 4 Jahre. Enthalten nun die zugrundeliegenden Daten eine Vielzahl von Daten, bei denen der Vierjahreszeitraum nicht überprüft werden kann, kann das Gericht die Schlüssigkeit der ermittelten Werte nicht feststellen.

 

3.2 Sozialgericht Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 26. April 2022 (S 32 AS 1236/20):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Vom Jobcenter sind die entsprechend § 22 SGB II anerkennungsfähigen Kosten für Unterkunft und Heizung stets unabhängig vom Alter und der Nutzungsintensität durch eine in der Wohnung lebende Person anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn eine gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigte Person die Unterkunft gemeinsam mit einem anderen Menschen nutzt.

Eine Abweichung von diesem Kopfteilprinzip kann nur dann erfolgen, wenn eine andere Aufteilung der unterkunftsbezogen entstehenden Kosten aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Mietvertrags bei objektiver Betrachtung angezeigt ist. Dies lässt sich z. B. vertreten, wenn mehrere Personen eine Wohnung gemeinsam nutzen, ohne eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II zu bilden, wie z. B. bei Wohngemeinschaften. Bei solchen Gegebenheiten hat in Abweichung vom Kopfteilprinzip stets der Anteil an den Unterkunftskosten maßgebende Bedeutung, der nach den internen Vereinbarungen, die unter diesen Bewohnern getroffen sind, auf jeweils einen Mitbewohner entfällt.

Ein über 25jähriger Sohn bildet zusammen mit seiner Mutter eine Bedarfsgemeinschaft, sofern er glaubhaft machen kann, dass er am Ort dieser Wohnung sowohl seinen Wohnsitz (§ 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I) als auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) wirksam begründet hat, d. h. der zusammen unterschriebene Mietvertrag in der Art und Weise umgesetzt wird wie es für eine Vermieter-Mieter-Beziehung stets kennzeichnend ist.

Diesem zentralen Aspekt steht nicht entgegen, wenn die für Unterkunft und Heizung entstehenden Kosten bislang vollständig von der Mutter abgedeckt wurden, gerade auch wenn der Sohn über keine ausreichenden Mittel zur Existenzsicherung verfügte.

Für die Anwendung des Kopfteilprinzips ist es hier ohne Bedeutung, wer für die Miete und die Nebenkosten aufzukommen hat und wer von diesen beiden Personen welchen Teil dieser Wohnung tatsächlich nutzt. Auch ein Bestehen lediglich einer Haushaltsgemeinschaft führt hier zu keiner anderen Einschätzung.

Quelle: RA Michael Loewy: https://www.anwaltskanzlei-loewy.de/urteile/grundsicherung-f%C3%BCr-arbeitssuchende-sgb-ii/

 

 

Leitsatz RA Michael Loewy

Innerhalb einer Bedarfs- und Haushaltsgemeinschaft ist die Aufteilung der Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung grundsätzlich nach Kopfteilen vorzunehmen. Dabei ist es ohne Belang, wer den Mietzins schuldet und wer welchen Teil der Wohnung tatsächlich nutzt. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn der Mietvertrag sowohl die Mutter des Leistungsberechtigten als auch diesen selbst als Hauptmieter aufweist und der Mietvertrag auch durch beide Personen unterschrieben wurde. Eine Aufteilung nach Kopfteilen ist auch vorzunehmen, wenn das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft nicht angenommen werden kann, weil es an einer Wirtschaftsgemeinschaft fehlt.

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

4.1 Bay LSG, Urt. v. 26.10.2021 - L 10 AL 109/20

Leitsätze


Hat ein Arbeitsloser bei der Agentur für Arbeit zum Zwecke der Genehmigung einer Ortsabwesenheit vorgesprochen und wird zwar ein Vermerk darüber gefertigt, dieser aber dem Arbeitslosen weder ausgehändigt noch von ihm unterschrieben und keine schriftliche Erklärung von ihm gefordert, fehlt es an einer typischen Beweisschwierigkeit für die Agentur für Arbeit in Bezug auf die genauen Daten der vom Arbeitslosen genannten Ortsabwesenheit. Nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel kann dann im Einzelfall eine Umkehr der (materiellen) Beweislast zulasten des Arbeitslosen im Rahmen der Aufhebung einer Bewilligungsentscheidung nicht gerechtfertigt sein.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170901

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5.1 LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 16.02.2022 - L 7 SO 151/22 ER-B

Leitsätze


Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kommt eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Erteilung einer Zusicherung hinsichtlich der Unterkunftskosten für eine erst noch anzumietende Wohnung nicht in Betracht, sondern allenfalls die Verpflichtung zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen Kosten einer Unterkunft.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170904

 

6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

6.1 SG Frankfurt, Urt. v. 30.04.2022 - S 30 AY 6/19

Leitsätze


1. Ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG kann von dem klagenden Krankenhaus gegenüber dem Leistungsträger nicht geltend gemacht werden, da es sich um höchstpersönliche nicht abtretbaren Ansprüche der behandelten Patientin handelt.
Daher scheidet auch ein Leistungsanspruch nach § 6 AsylbLG aus.

2. Ein Nothelferanspruch nach § 6a Asylbewerberleistungsgesetz scheidet vorliegend aus, da es sich nicht um einen medizinischen Eilfall handelte.
Im hiesigen Verfahren ist die Regelung § 197a SGG einschlägig. Die Klägerin zählt nicht zum kostenprivilierten Personenkreis des § 183 SGG. Sie macht keinen Nothelferanspruch aus § 6a AsylbLG geltend, der eine einer Sozialleistung vergleichbare Funktion besitzt. Vielmehr macht die den Leistungsanspruch der Patientin in eigenem Namen geltend. Sie gehört deshalb nicht zu dem in § 183 Satz 1 SGG genannten Personenkreis der Leistungsempfänger.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170941

 

 

7. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 Newsletter 08/2022 von RA Volker Gerloff

weiter: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-08-2022.pdf

 

7.2 SOZIALRECHT-JUSTAMENT Mai 2022 von Bernd Eckhardt

Thema der Mai-Ausgabe von SOZIALRECHT-JUSTAMENT ist nochmals die sogenannte »Angemessenheitsfiktion« bei den Unterkunftsbedarfen aufgrund der COVID-19-Sonderregelung in § 67 Abs. 3 SGB II (zuletzt in 09/2021). In einer aktuellen Entscheidung vom März 2022 hat ein Senat des LSG Schleswig-Holstein entschieden, dass die Sonderregelung nicht bei Neuanmietungen anzuwenden sei. Ein Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat schon einmal im Jahr 2021 diese Rechtsauffassung vertreten. Trotz einer überwiegend positiven Rechtsprechung (derzeit nach meinem Wissensstand auf Landesozialgerichtsebene »2 zu 5« und einmal »unentschieden«) ist Vorsicht geboten. Es sind regionale Besonderheiten zu berücksichtigen.

Eine Entscheidung, eine Wohnung anzumieten, deren Kosten oberhalb der sog. Mietobergrenzen liegen, ist nach Vertragsabschluss schwer revidierbar. Auch Beratungsstellen sollten hier vor dem Hintergrund der Rechtsprechung - und in Bayern landesweiten Weisungslage - beraten und auf mögliche Risiken hinweisen. Im Heft finden Sie eine Darstellung des Rechtsstands Mai 2022. Beachten Sie auch den Tipp zum Kinderzuschlag auf Seite 14.

Quelle: https://sozialrecht-justament.de/data/documents/SJ-5-2022.pdf

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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