Newsticker

Jahresarchiv

Jahresarchive

Tacheles Rechtsprechungsticker KW 21/2024

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB 3 )

 

1.1 BSG, Urt. v. 14.12.2023 - B 11 AL 2/23 R

Arbeitslosenversicherung - berufliche Weiterbildung - Weiterbildungsprämie - beschäftigte Arbeitnehmerin

1. Ist die Gewährung einer Weiterbildungsprämie nach § 131a Absatz 3 Nummer 2 SGB III auch bei einer nach § 82 SGB III geförderten Weiterbildung möglich?

2. Ist die Gewährung einer Weiterbildungsprämie nach § 131a Absatz 3 Nummer 2 SGB III auch im Fall einer Verkürzung der Ausbildungsdauer auf ein Jahr wegen vorhandener Qualifikationen möglich?

BSG: Ein Anspruch auf eine Weiterbildungsprämie besteht nur beim Abschluss einer Weiterbildung, die aufgrund des § 81 SGB III gefördert worden ist. ( Tacheles e. V. )

 

Orientierungssatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Die Absolvierung einer - wie im Fall der Klägerin - gemäß § 82 SGB III geförderten Weiterbildung löst hingegen keinen Anspruch auf eine solche Prämie aus.

2. Das Tatbestandsmerkmal der “nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung“ in § 131a Absatz 3 SGB III alter Fassung (jetzt § 87a Absatz 1 SGB III) bezieht sich auf alle materiellen Fördervoraussetzungen des § 81 SGB III und nicht nur auf das Bildungsgutscheinverfahren. Eine analoge Anwendung des § 131a Absatz 3 SGB III alter Fassung auf nach Maßgabe von § 82 SGB III geförderte Weiterbildungen ist nicht möglich.

3. Dass eine auf der Grundlage von § 82 SGB III geförderte Weiterbildung keinen Anspruch auf eine Weiterbildungsprämie auslöst, begründet keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG).

Volltext: www.sozialgerichtsbarkeit.de

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

2.1 LSG BB, Urt. v. 20.03.2024 - L 18 AS 1178/23 – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Bürgergeld: Ist rechtswidrig gezahltes bzw überzahltes Arbeitsentgelt aufgrund einer Kündigungsschutzklage anrechenbares Einkommen?

Leitsätze Verein Tacheles e. V.


1. Entsteht eine Verpflichtung zur Rückzahlung einer laufenden Einnahme erst nach dem Monat des Zuflusses ( hier Arbeitsentgelt aufgrund einer Kündigungsschutzklage ) , bleibt es für den Zuflussmonat bei der Berücksichtigung als Einkommen ( Anlehnung an BSG, Urt. v. 23.08.2011 - B 14 AS 165/10 R ).

 

Rechtstipp Tacheles e. V.

  1. LSG BW, Urt. v. 21.03.2012 - L 2 AS 5392/11 - Zugeflossenes Kindergeld, welches als Einkommen auf die Bewilligung von SGB II-Leistungen angerechnet wurde, bleibt auch dann Einkommen, wenn die Bewilligung des Kindergeldes rückwirkend aufgehoben wird (vergleiche BSG vom 23.8.2011 – B 14 AS 165/10 R).

    2. SG Landshut, Endurteil v. 30.04.2021 – S 16 AS 387/19 - Keine Rückforderung von SGB II-Leistungen nach irrtümlicher Zahlung von steuerrechtlichem Kindergeld

 

2.2 LSG NRW, Urt. v. 21.02.2024 - L 12 AS 1422/22 – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Corona-Soforthilfe ist keine Betriebseinnahme

Dazu der Verein Tacheles e. V.


1. Die Corona-Soforthilfe ist keine Betriebseinnahme i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 Alg II-VO.

2. Die Soforthilfe bezweckte die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und die Überbrückung von Liquiditätsengpässen, nicht aber die Sicherung der Kosten des privaten Lebensunterhalts (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.09.2021, L 18 AS 884/21; Sächsisches LSG Beschluss vom 26.01.2021, L 8 AS 748/20 B ER; SG Berlin Urteil vom 04.07.2022, S 123 AS 8864/20 ).

3. Die Corona-Soforthilfe wurde gerade zu dem Zweck gewährt, Verbindlichkeiten aus dem erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand zu decken (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.09.2021, L 18 AS 884/21 ).

 

Rechtstipp Verein Tacheles e. V. : vgl. dazu SG Detmold, Urt. v. 17.01.2023 - S 35 AS 1024/21 u. S 35 AS 1022/21, SG Hamburg, Beschluss v. 19.10.2020 – S 13 AS 2583/20 ER

 

2.3 LSG Hessen, Urt. v. 06.03.2024 - L 6 AS 302/22

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

Ein offensichtlich absurdes Begehren - Berechnung des Farbbedarfs nach Kubikmetern und nicht nach zu streichenden Quadratmetern einer Wohnung - kann zur Bestimmung des Werts des Berufungsbegehrens nach einem abweisenden Grundurteil bei unbezifferter Klageforderung nicht herangezogen werden.

 

2.4 LSG NRW, Beschluss v. 17.04.2024 - L 2 AS 39/24 B – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Regelbedarf in Höhe von mindestens 725,00 Euro monatlich zzgl. Stromkosten

LSG NRW: Die derzeitige Regelbedarfshöhe der Regelbedarfsstufe 1 ist nicht evident unzureichend. Eine Veranlassung zur Vorlage an das BVerfG besteht nicht.

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.

1. Die zum 01.01.2023 erfolgte Regelbedarfserhöhung der Regelbedarfsstufe 1 zur Gewährleistung des Existenzminimums ist nicht evident unzureichend.

2. Sie beruht auch auf einem schlüssigen Berechnungsverfahren (so auch Landessozialgericht -LSG- Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.12.2023 – L 5 AS 356/23 B ER) und ist zur Gewährleistung des Existenzminimums als ausreichend anzusehen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.10.2023 – L 18 AS 279/23.

3. Auch unter Berücksichtigung der Inflationsrate und des damit einhergehenden Kaufkraftverlustes führt diese Erhöhung nicht zu evident unzureichenden Leistungen, weil der Gesetzgeber mit dieser Regelsatzerhöhung auf die Preisentwicklung der regelbedarfsrelevanten Positionen reagiert und den Regelsatz um insgesamt 11,75 % von 449,00 Euro auf 502,00 Euro angehoben hat (vgl. BT-Drucks 20/3873, S. 3).

4. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Anpassungsmechanismus nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben an die Regelleistungsbemessung genügt (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 11.10.2022 – L 6 AS 87/22 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 01.06.2023 – L 4 SO 41/23 B ER ).

5. Das verfassungsrechtliche Kurzgutachten von Prof. Dr. Lenze betrifft, wie der Vorlagebeschluss des SG Karlsruhe, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze für 2021 bzw. 2022. Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der ab dem 01.01.2023 geltenden Regelsätze, die – wie oben ausgeführt – mit einem geänderten Verfahren zur Fortschreibung ermittelt worden sind, haben beide Ausführungen deshalb nur begrenzte Aussagekraft. Die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der für 2021 und 2022 geltenden Regelsätze hat der Senat zudem bereits bestätigt (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 31.03.2022 – L 2 AS 330/22 B ER). Allein die Anhängigkeit einer Rechtsfrage beim BVerfG lässt im Übrigen noch keinen Schluss auf die Erfolgsaussichten eines Verfahrens zu.

 

2.5 LSG BB, Urt. v. 24.04.2024 - L 34 AS 824/23 - Revision zugelassen

LSG Berlin-Brandenburg : Anrechnung von Übergangsgeld als Einkommen ( § 11 SGB II in der bis Mitte 2023 geltenden Fassung )

1. Übergangsgeld der Rentenversicherung ist keine einmalige Einnahme und somit nicht auf 6 Monate aufzuteilen ( Alte Rechtslage ).

2. Das Übergangsgeld stellt keine Nachzahlung im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II dar ( vgl. zur Krankengeldzahlungen auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.09.2022 - L 5 AS 1449/19 ).

Dazu Urteilsbesprechung von RA Kay Füßlein, Berlin:


Die Berücksichtigung von Übergangsgeld als Einnahme


Der Kläger hatte nach einer Maßnahme der Rentenversicherung noch einen Anspruch auf Übergangsgeld. Die Monate zogen dahin und der Kläger verschuldete sich bei Freunden und Familie. Als gar nichts mehr ging, suchte er Mitte Dezember das JobCenter auf und stelle den Leistungsantrag. Dann kam plötzlich eine nicht unerhebliche Summe von der Rentenversicherung: das lange erwartete Übergangsgeld.

Dieses wurde jedoch vom JobCenter als sog. einmalige Einnahme betrachtet und auf die folgenden Monate aufgeteilt; damit minderte sich der Auszahlungsbetrag des ALG II erheblich.

Der Widerspruch und die Klage vor dem Sozialgericht hatten keinen Erfolg: die Auszahlung des Übergangsgeldes sei eine Nachzahlung gewesen und als solche auf sechs Monate zu verteilen.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hob dieses Urteil jedoch auf und entschied, dass die Zahlung des Übergangsgeldes eine Nachzahlung einer laufenden Einnahme ist, so dass diese nur in einem Monat zu berücksichtigen ist und nicht auf sechs Monate zu verteilen ist.

Die Entscheidung erging noch auf Grundlage von § 11 SGB II in der bis Mitte 2023 geltenden Fassung; mittlerweile ist das Gesetz geändert worden.

Weiter bei RA Kay Füßlein: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=1236

 

Hinweis Tacheles e. V. :

Eine einmalige Einnahme wird ab dem 1. Juli wie laufende Einnahmen nur noch in dem Monat als Einkommen angerechnet, in dem sie zufließt. Auch wenn sie höher ist als der Bedarf, wird sie nicht mehr auf sechs Monate aufgeteilt, sondern gehört im Folgemonat zum Vermögen.

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB 2 )

3.1 SG Neuruppin, Beschluss vom 19.04.2024 – S 17 AS 224/24 ER

 

Dazu RA Volker Gerloff: SG Neuruppin (nicht rechtskräftig): Verstoß gegen Wohnsitzauflage darf nicht von Bürgergeld ausschließen

weiter: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-07-2024.pdf

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB 3 )

4.1 LSG BW, Urt. v. 09.02.2024 - L 8 AL 3362/22 – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Leitsätze

Die Regelung des § 421d Abs. 1 SGB III findet keine analoge Anwendung auf Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich nach dem 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 421d Abs. 1 SGB III auf Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat, verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

 

Hinweis Tacheles e. V. :

1. Für Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat, verlängert sich die Anspruchsdauer einmalig um drei Monate.

2. Diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Sein Anspruch auf Alg hat sich – erst am 07.01.2021 auf einen Tag gemindert (§ 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III).

3. Eine analoge Anwendung des § 421d Abs. 1 SGB III kommt nicht in Betracht (ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER –, dazu auch im Folgenden; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.01.2022 – L 18 AL 45/21 – ).

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5.1 LSG BW, Urt. v. 18.04.2024 - L 7 SO 1331/23 u. L 7 SO 1332/23

Leitsätze Verein Tacheles e. V.

1. Zur Berücksichtigung von an die Eltern gezahltem Kindergeld für einen volljährigen Schwerbehinderten mit Grundsicherungsbezug, welcher in einer Diakonie lebt, als Einkommen.

2. Zur Berücksichtigung von Naturalzuwendungen ( Zuwendungen für Bekleidung u. Ernährung ) der Eltern als Einkommen.

3. Der Anwendungsbereich des § 27a Abs 4 S 1 Nr 1 SGB 12 ist nur eröffnet, wenn die anderweitige Bedarfsdeckung ebenfalls durch Leistungen nach dem SGB 12 erfolgt (vgl BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 17/09 R ).

 

Urteilsbesprechung vom Verein Tacheles e. V. :

Sozialhilfe: § 27a Abs. 4 SGB XII ( abweichende Festsetzung des Regelbedarfs ) - besondere Wohnform nach § 42a Abs. 5 Satz 4 SGB XII - § 30 Abs. 5 SGB XII ( Mehrbedarf Ernährung ) - § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ( Kindergeldanrechnung ) - Anrechnung von Naturalleistungen als Einkommen

1. Dürfen einem Volljährigen "Autisten mit Bezug von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB 12", welcher in einer besonderen Wohnform und nicht bei seinen Eltern lebt, die Zuwendungen (für Kleidung und Lebensmittel - 250,00 Euro monatlich) seiner Eltern als Einkommen angerechnet werden?

2. Hat der Schwerbehinderte einen Anspruch auf Übernahme weiterer Kosten der Unterkunft, wenn er seine Eltern besucht?

3. Wem ist das Kindergeld anzurechnen bei einem schwerbehinderten, vollj. Autisten, welcher außerhalb des Haushalts seiner Eltern lebt?

4. Können Naturalleistungen der Eltern können als Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen sein?


Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.

1. Keine abweichende - niedrigere - Festsetzung des Regelbedarfs aufgrund der Zuwendungen der Eltern.

2. Der Anwendungsbereich von § 27a Abs. 4 SGB XII ist nach der Rechtsprechung des BSG nur eröffnet, wenn die anderweitige Bedarfsdeckung ebenfalls durch Leistungen nach dem SGB XII erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R - ). Eine Berücksichtigung als Einkommen scheidet dann nämlich schon deshalb aus, weil nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen nach dem SGB XII von dem Einkommensbegriff ausdrücklich ausgenommen sind.

3. Der Anwendungsbereich von § 27a Abs. 4 SGB XII (bzw. der vorherigen Regelung in § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F.) ist deshalb zur Vermeidung von Doppelleistungen nur dann eröffnet, wenn es bei der Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt - etwa als Teil der Eingliederungshilfeleistung - zu Überschneidungen mit den durch den Regelsatz nach § 27a SGB XII pauschal abgegoltenen tatsächlichen Bedarfen kommt. Denn einer solchen Überschneidung kann nicht im Rahmen der Einkommensberücksichtigung, sondern allein durch eine Minderung des Bedarfs nach § 27a Abs. 4 SGB XII begegnet werden, soweit die Voraussetzungen dieser Vorschrift für eine Absenkung des Regelsatzes vorliegen. In anderen Fällen, in denen die Leistung nicht (institutionell) als Sozialhilfe erbracht wird, ist im Rahmen der normativen Abgrenzung eine Berücksichtigung als Einkommen im Sinne von § 82 SGB XII zu prüfen; Einkommen mindert also im Sinne der gesetzlichen Regelung nicht bereits den Bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R -; Gutzler in jurisPK-SGB XII, Stand 19. Februar 2021, § 27a Rdnr. 92; a.A. Falterbaum in Hauck/Noftz, § 27a SGB XII Rdnr. 64).

4. Reine Besuchszeiten begründen keinen grundsicherungsrechtlichen Unterkunftsbedarf bei den Eltern.

5. Allergien gegen Kuhmilch, Hühnerei und Banane bedingen keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII.

6. Das für den Kläger gezahlte Kindergeld ist kein Einkommen des Klägers, sondern Einkommen des Vaters.

7. Das Kindergeld ist auch nicht gem. § 82 Abs. 1 Satz 4 SGB XII in der ab dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung dem Kläger als Einkommen zuzurechnen. Danach ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird. Die Zurechnungsregel gilt bereits nach dem Wortlaut nicht für volljährige oder außerhalb der Haushaltsgemeinschaft lebende Kinder; es bleibt damit Einkommen des Berechtigten.

8. § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist damit im Wege der teleologischen Reduktion als Zurechnungsregel zu verstehen, die nur dann Anwendung findet, wenn das minderjährige Kind und der Kindergeldberechtigte eine Einstandsgemeinschaft bilden, vergleichbar § 11 Abs.1 Satz 3 SGB II, wo die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft allerdings ausdrücklich erwähnt ist.

9. Als eigenes Einkommen wird dem Kind das Kindergeld in dem Fall nur angerechnet, soweit es ihm vom bezugsberechtigten Elternteil durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt tatsächlich und zeitnah weitergegeben wird (Senatsurteil vom 23. November 2006 - L 7 SO 2073/06 - juris) und ohne die Weiterleitung die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes durch Verwaltungsakt zugunsten des Kindes unter den Voraussetzungen des § 74 Einkommenssteuergesetz (EStG) vorliegen würden (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 23/06 R ).

10. Naturalleistungen der Eltern können als Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen sein, wenn sie Geldwert haben und zum Zweck des Unterhalts gewährt werden . Die von den Eltern des Klägers erbrachten Naturalleistungen sind jedoch als Einkommen zu berücksichtigen, wenn sie nicht aus eigenem Einkommen des Klägers bestritten werden und darüber hinaus eindeutig abgrenzbar in Geld oder Geldeswert erfolgen (BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b SO 5/06 R).

11. Als Einkommen zu berücksichtigen sind Naturalleistungen deshalb nur insoweit, als sie den Bedarf des Klägers in der jeweiligen Abteilung decken. Denn durch die Naturalleistung kann nur dieser konkrete Bedarf gedeckt werden, eine Übertragung auf den Bedarf in anderen Abteilungen ist - anders als bei Geldleistungen - nicht möglich. Als Einkommen des Klägers sind deshalb lediglich die Zuwendungen der Eltern in Höhe von monatlich 33,27 Euro zu berücksichtigen.

 

6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

 

6.1 Sozialgericht Magdeburg – Beschluss vom 07.05.2024 – Az.: S 31 AY 5/24 ER

Normen: § 1a Abs. 3 AsylbLG, § 86b Abs. 1 S. 1 SGG – Schlagworte: Leistungskürzung, Mitwirkungspflicht, Aufhebung eines Dauerverwaltungsaktes, Sozialgericht Magdeburg

RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/05/09/sozialgericht-magdeburg-beschluss-vom-07-05-2024-az-s-31-ay-5-24-er/

 

6.2 Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 15.05.2024 – Az.: S 11 AY 1472/24 ER

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistung nach §3 AsylbLG, Leistung nach §3a AsylbLG, Sozialgericht Stuttgart

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.


1. Gewährung von Leistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1.

weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/05/17/sozialgericht-stuttgart-beschluss-vom-15-05-2024-az-s-11-ay-1472-24-er/

 

6.3 Hessisches Landessozialgericht – Beschluss vom 13.05.2024 – Az.: L 4 AY 1/24 B

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 44 SGB X – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistung nach § 3 AsylbLG, Leistung nach §3a AsylbLG, Prozesskostenhilfe, Überprüfungsantrag

Keine niedrigere Regelbedarfsstufe bei alleinstehenden Leistungsberechtigten in einer Gemeinschaftsunterkunft - Gewährung auch mittels Überprüfungsantrag möglich - Gewährung Prozesskostenhilfe ( Tacheles e. V. )

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.

1. Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, denn die Behörde ist bei der Berechnung der Leistungskürzung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG von einer mit hinreichender Gewissheit verfassungswidrig bestimmten Sonderbedarfsstufe ausgegangen.

2. Die Beschränkung der Fortgeltungsgeltungsanordnung unter Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 durch das Bundesverfassungsgericht auf nicht bestandskräftige Bescheide (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 – ) steht den Erfolgsaussichten der Klage auf Änderung der Bescheide nach § 44 SGB X nicht entgegen, denn diese Begrenzung im Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts betrifft wiederum nur die Parallelvorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG.

3. Unabhängig davon bestehen hinreichende Erfolgsaussichten am Maßstab von § 44 SGB X bereits deshalb, weil schon vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach weit verbreiteter Ansicht eine verfassungskonforme Auslegung von § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG notwendig und möglich gewesen ist (zum damaligen Meinungsstand vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2021 – L 4 AY 3/21 B ER ).

RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/05/17/hessisches-landessozialgericht-beschluss-vom-13-05-2024-az-l-4-ay-1-24-b/

 

 

7. Fragen zum Bürgergeld, Sozialhilfe und anderen Gesetzesbüchern – Urheberrechtsschutz – Zitieren nur mit Verweis auf Tacheles e. V. Gestattet!

7.1 Bürgergeld: Schädlingsbefall durch Bettwanzen - Sofa als Zuschussleistung v. JC - § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II -

 1. Können Bürgergeldempfänger einen Zuschuss vom Jobcenter i. S. einer Wohnungserstausstattung für Ihre Wohnung bekommen?

2. Müssen ältere ( hier 9 Jahre ) Pauschalen des JC für die Wohnungserstausstattung angepasst werden?

Hierzu hat der Verein beim Bürgergeld recherchiert und auf folgendes neues Urteil gestoßen:

 

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Rechtsgrundlage des Anspruchs ist § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II. Bei Schädlingsbefall der Wohnung - hier Bettwanzen - müssen Jobcenter eine Wohnungserstausstattung als - Zuschuss - gewähren.

2. Zwar geht es vorliegend nicht um die erstmalige Anschaffung eines Sofas (denn ein solches war ja in der Wohnung der Kläger vorhanden gewesen), dennoch handelt es sich um einen Fall der Erstausstattung und nicht um eine Ersatzbeschaffung, deren Kosten aus dem Regelbedarf zu tragen wären.

3. Eine „Wohnungserstausstattung“ kann auch bei der Notwendigkeit einer erneuten Beschaffung von bereits vorhanden gewesenen Einrichtungsgegenständen in Betracht kommen (vgl. BSG, Urteil ).

4. Der Schädlingsbefall ist ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Rechtsprechung des BSG, der sich von einem Verschleiß von Möbelstücken durch den üblichen Gebrauch grundlegend unterscheidet.

4. Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 5 SGB II können Erstausstattungsleistungen in Form von Pauschalbeträgen erbracht werden. § 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II bestimmt, dass für die Bemessung der Pauschalbeträge geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen sind. Die Festsetzung der Höhe der Pauschalen unterliegt der richterlichen Kontrolle.

5. Aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung müssen die Pauschalen für die Wohnungserstausstattung angepasst werden!

 

Hinweis Tacheles e. V. :

1. vgl. zum SGB XII: LSG NSB, Beschluss v. 17.03.2020 - L 8 SO 7/20 B ER - Zur Anspruchsgrundlage für die Übernahme einer Schädlingsbekämpfung ( Bettwanzenbefall ) - Tacheles Rechtsprechungsticker KW 08/2024

2. zum SGB II: SG Reutlingen, Beschluß vom 13.11.2019 - S 4 AS 2464/19 ER - Kosten für die Schädlingsbekämpfung in einer Wohnung stellen Kosten der Unterkunft dar.

 

8. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

 

8.1 Newsletter von RA Volker Gerloff – 07/2024

SG Heilbronn: vermeintliche Täuschung über Geburtsdatum steht nicht gegen Analogleistungsbezug

weiter: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-07-2024.pdf

 

Wichtiger Hinweis: Nicht veröffentlichte Urteile ( gekennzeichnet durch n. v. ), Anmerkungen bzw. Urteilsbesprechungen von Rechtsanwälten, welche wir von Gerichten, Rechtsanwälten oder Privatkunden erhalten, dürfen zitiert werden, aber nur mit Quellhinweis Verein Tacheles, alles andere stellt eine Urheberrechtsverletzung dar. Danke!

Für Urteile, die der Verein Tacheles von Rechtsanwälten veröffentlicht, haben wir eine Erlaubnis.

Im Umkehrschluss heißt das, das, wenn Urteile von einer Homepage eines Rechtsanwalts stammen, ist ein Link zu dieser Homepage zu setzen oder als Quelle der Verein Tacheles bekannt zu geben, die Nichtnennung der Quelle stellt einen Urheberrechtsverstoß dar, diesbezüglich gab es schon Beschwerden von Rechtsanwälten. Bitte berücksichtigen Sie das ab sofort. Danke!

 

Auch die Hinweise, Leitsätze und Rechtstipps im Ticker sind mit der Quelle: Hinweis von Tacheles zu kennzeichnen, alles Andere stellt eine Urheberrechtsverletzung dar.

Die Veröffentlichung unterliegt der Creative-Commons-Lizenz CC–BY-SA 3.0 Lizenz.

Jede Verwendung von urheberrechtlich geschützten Werken im Internet, die ohne Zustimmung des Urhebers bzw. Rechteinhabers erfolgt, ist eine Urheberrechtsverletzung. Zitate aus dem Ticker erfordern immer eine Quellenangabe!

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Zurück