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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 29/2025
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe ( SGB XII ) und zur Grundsicherung nach dem SGB II
1.1 BSG, Urteil vom 27.02.2025 - B 8 SO 10/23 R -
Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - stationäre Einrichtung – Besuchsbeihilfen
1.1 BSG zu Menschen mit Behinderung: Sozialhilfeträger muss Heimfahrten bezahlen
Anspruch eines stationär untergebrachten Leistungsberechtigten auf Besuchsbeihilfen
Dazu Detlef Brock
1. Zum Anspruch behinderter Menschen auf soziale Teilhabe auch die Teilhabe am Familienleben.
2. Lebt ein erwachsener behinderter Mensch in einem Wohnheim, kann ihm die Kostenübernahme für notwendige regelmäßige Heimfahrten zu seinen Eltern zustehen.
3. Die Erforderlichkeit der Besuchsbeihilfen und deren Häufigkeit bestimmt sich anhand des konkreten eingliederungshilferechtlichen Bedarfs, insbesondere den medizinischen Erfordernissen und den örtlichen Verhältnissen.
4. Die erforderliche Besuchsbeihilfe ist sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen, ab 2020 geltenden Recht, eine eigenständige Leistung der Eingliederungshilfe, für die der Landkreis aufkommen muss.
5. Die Anzahl der Heimfahrten hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.
Volltext jetzt auf www.sozialgerichtsbarkeit.de
1.2 BSG, Urteil vom 16.07.2025 - B 7 AS 19/24 R -
Grundsicherung für Arbeitsuchende - vorläufige Bewilligung - prognostizierbares Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit - Aufhebung - Einkommen aus abhängigem Beschäftigungsverhältnis
BSG: Vorläufige Bewilligungsentscheidungen nach § 41a SGB II können - nicht - mit Wirkung für die Vergangenheit zu Ungunsten des Klägers/Leistungsbeziehers vom Jobcenter aufgehoben werden
Dazu Detlef Brock
1. Bei einer vorläufigen Leistungsbewilligung nach § 41a SGB II beurteilt sich die Rechtmäßigkeit einer geänderten Leistungsbewilligung ausschließlich nach den für die abschließende Entscheidung nach vorangegangener vorläufiger Bewilligung maßgebenden Vorschriften des § 41a Abs 3 und 5 SGB II.
2. Für eine Anwendung der §§ 45, 48 SGB X ist - zumindest zu Ungunsten des Leistungsberechtigten - nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts und damit mit Wirkung für die Vergangenheit insofern kein Raum ( vgl. dazu LSG BW, Az: L 12 AS 2018/23 - Revision anhängig BSG - B 4 AS 22/24 R - ).
Orientierungshilfe von Detlef Brock
1. Als speziellere Regelung für den Ausgleich zu Unrecht erhaltenen Arbeitslosengelds II ist sowohl in den Fällen anfänglicher Rechtswidrigkeit als auch der nachteiligen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen die abschließende Feststellung des Leistungsanspruchs nach Maßgabe des § 41a Absatz 3 SGB II vorrangig.
2. Der Wortlaut des § 41a SGB II ist im Hinblick auf die Aufhebung zu Ungunsten der Leistungen beziehenden Person mit Wirkung für die Vergangenheit insoweit offen, aber § 41a SGB II ist geschaffen worden, um den Widerstreit zwischen einer möglichst zügigen Entscheidung über existenzsichernde Sozialleistungen einerseits und der Notwendigkeit vollständiger Sachverhaltsermittlung andererseits zugunsten einer nur vorläufigen Leistungsbewilligung als “Zwischenregelung“ aufzulösen.
3. § 41a Absatz 3 SGB II sieht daher im Grundsatz deren Ersetzung durch eine abschließende Entscheidung nach Ablauf des Bewilligungszeitraums vor, ohne dass der vorläufigen Entscheidung Bindungswirkung für die abschließende Entscheidung zukäme oder der Leistungsempfänger auf ihren Inhalt vertrauen kann.
4. An einer abschließenden Feststellung, die nach ständiger Rechtsprechung der zuständigen Senate des Bundessozialgerichts selbst im Fall ihrer Fiktion nach § 41a Absatz 5 Satz 1 SGB II einer Korrektur über die §§ 44 ff SGB X zugänglich wäre, mangelt es im vorliegenden Fall.
5. Eine abweichende Beurteilung zu dem zuvor dargelegten Regelungskonzept rechtfertigt auch nicht § 67 Absatz 4 Satz 2 SGB II.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2025/2025_07_16_B_07_AS_19_24_R.html
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II-Bürgergeld
2.1 LSG Hamburg, Urt. v. 14.11.2024 - L 4 AS 198/24 WA P -
Erstattungspflicht des Grundsicherungsträgers für die Kosten der Aufnahme der im Frauenhaus aufgrund einer Gefährdungssituation Zuflucht Findenden
Bürgergeld: Erstattungsfähig sind im Grundsatz alle Kosten, die innerhalb oder außerhalb des Frauenhauses anfallen, wenn der kommunale Träger sie dem Gesetz entsprechend, d.h. unter rechtmäßiger Anwendung der Vorschriften des SGB II, geleistet hat (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.5.2024 – L 13 AS 312/21 - ).
Dazu Detlef Brock
1. Für die Kosten der Unterkunft ist - eine Vergütungsvereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II erforderlich. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/1410, S. 27) bezieht sich die Kostenerstattungspflicht auf die Leistungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Dies sind neben den kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II und den besonderen Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II (Erstausstattung für die Wohnung, Bekleidung etc.), § 27 Abs. 3 SGB II (Zuschuss zu den Unterkunftskosten für Auszubildende) und § 28 SGB II (Bildung und Teilhabe) vor allem Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II.
2. Daraus folgt, dass auch die Unterkunftskosten auf der Grundlage einer wirksamen Vergütungsvereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II gewährt worden sein müssen.
Orientierungssatz LSG Hamburg Juris
1. Sucht eine Person im Frauenhaus Zuflucht, so ist gemäß § 36a SGB II der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus zu erstatten.
2. Auslöser des Handelns der betreffenden Person muss eine Gefährdungssituation sein.
3. Die Unterkunftskosten müssen auf der Grundlage einer wirksamen Vergütungsvereinbarung nach § 17 Abs. 2 gewährt worden sein.
4. Die aufnehmende Kommune wird von sämtlichen Kosten freigestellt, für welche die Herkunftskommune zuständig gewesen wäre, wenn der gewöhnliche Aufenthalt dort nicht durch die Flucht ins Frauenhaus beendet worden wäre.
2.2 LSG NRW, Beschluss vom 08.07.2025 - L 21 AS 537/25 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Bürgergeld Anspruch besteht auch bei geringem Wasserverbrauch des Hilfebedürftigem aufgrund Verdacht des Jobcenters auf Nicht- Nutzung der Mietwohnung durch den Leistungsempfänger, wenn dieser einen – sparsamen Umgang – glaubhaft machen kann
Dazu Detlef Brock
1. Vorläufige Gewährung von Bürgergeld im Eilverfahren, denn der Antragsteller konnte an Hand einer eidesstattlichen Versicherung und Vorlage seiner Kontoauszüge seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft machen.
2. Die örtliche Zuständigkeit eines Jobcenters nach § 36 Abs. 1 SGB II ist - keine materielle Anspruchsvoraussetzung ( vgl. BSG, Urteil vom 23.5.2012 – B 14 AS 133/11 R - ).
3. Das Jobcenter vermutet, dass der Antragsteller sich nicht in seiner Wohnung aufhält, sondern in einem anderem Zuständigkeitsbereich des Jobcenters, Der Antragsteller ist dem aber entgegen getreten und hat seine Aussagen vor dem Gericht glaubhaft gemacht, zum Beispiel durch Vorlage seiner Kontoauszüge - und durch eine eidesstattliche Versicherung. Er hat glaubhaft gemacht, dass er der Zeugin seine EC-Karte überlässt, so dass sie diese auch während seiner Abwesenheit nutzen kann, um Einkäufe für ihren bevorstehenden Besuch in X. zu besorgen. Da sie nach den schlüssigen Erläuterungen des Antragstellers auch sein Auto leihweise nutzen darf, erklärt dies die Tankabbuchungen im Raum W..
4. Für das Gericht ist die - dauernde Nutzung der Wohnung - bei einem Wasserverbrauch von 4 qm sehr zweifelhaft - Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherungund Antragsteller erklärt sparsamen Wasserumgang trotz Duschen seiner Freundin in der Wohnung.
5. Zur Glaubhaftmachung kommt u.a. die Versicherung an Eides Statt nach § 202 SGG i.V.m. § 294 ZPO in Betracht. Den Beweiswert hat das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG zu ermitteln.
Praxistipp zum Bürgergeld
Leistungsbezieher sind nicht verpflichtet, sich dauerhaft in ihrer Wohnung aufzuhalten bzw. nächtigen, so entschieden vom LSG BB, Beschluss v. 17.06.2024 – L 20 AS 364/24 B ER - ).
2.3 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 24.04.2025 - L 5 AS 588/21 -
Bürgergeld: Rückforderung des Jobcenters in Höhe von ca. 4300 € rechtens, denn die grob fahrlässige Unkenntnis seiner Partnerin muss sich der Kläger im Rahmen der Vertretungsregeln zurechnen lassen (§ 13 Abs. 1 SGB X), weil der Kläger wusste und billigte, dass die Zeugin für ihn gegenüber dem Jobcenter auftrat und die Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft verwaltete.
Dazu Detlef Brock
1. Wer es duldet, dass ein Dritter für ihn Leistungen nach dem SGB II beantragt, muss sich dessen Verhalten nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht zurechnen lassen ( vgl. BSG, Urt. v. 08.12.2020 - B 4 AS 46/20 R -).
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Zur Zurechnung eines Vertreterverschuldens innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft (hier: nichteheliche Lebensgemeinschaft)
2. Die Nachholung einer entsprechenden Anhörung ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz möglich.
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum SGB II/ Bürgergeld
3.1 SG Karlsruhe, Beschluss vom 12.07.2025 - S 12 AS 1569/25 ER -
Zu einem Einzelfall, in dem Menschen Bürgergeld begehren, erfolgreich eine einstweilige Anordnung des Sozialgerichts gegenüber dem Jobcenter erwirken und ob dessen auch fortgesetzten exekutiven Ungehorsams eigens das Landessozialgericht anrufen, welches es dann aber rechtswidrig unterlässt, ihren Vollstreckungsantrag zuständigkeitshalber an das hierfür zuständige Amtsgericht zu verweisen.
Kurzfassung Detlef Brock
1. Exekutiv ungehorsames Jobcenter erfüllt nicht - seine Verpflichtung zur Zahlung einer bezifferten Geldforderung aus einer einstweiligen Anordnung
2. Bürgergeldempfänger und Vollstreckungsgläubiger begehren die Zwangsvollstreckung in Höhe von 26.222 € aus einer vom Jobcenter und Vollstreckungsschuldner nicht ausgeführten einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts Karlsruhe.
Dazu Detlef Brock
1. Für die Zwangsvollstreckung von bezifferten Geldforderungen aus einstweiligen Anordnungen der Sozialgerichte sind die Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte nach § 198 Abs 1 SGG in Verbindung mit §§ 764, 828 Abs 2 ZPO zuständig.
2. Eine Zuständigkeit der Sozialgerichte für die Zwangsvollstreckung aus einstweiligen Anordnungen nach § 201 SGG besteht nicht, wenn die Verpflichtung auf Leistung einer bezifferten Geldsumme lautet.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Falls ein gegenüber dem Gesetz und der Rechtsprechung exekutiv ungehorsames Jobcenter seine Verpflichtung zur Zahlung einer bezifferten Geldforderung aus einer einstweiligen Anordnung eines Sozialgerichts nicht erfüllt, muss der hiervon betroffene Bürgergeldempfänger zur Zwangsvollstreckung das Amtsgericht anrufen, in dessen Bezirk der Hauptsitz des Jobcenters liegt.
2. Im Falle seiner Unzuständigkeit für einen bei ihm eingegangenen Antrag auf Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung muss das angerufene Landessozialgericht einen förmlichen Verweisungsbeschluss fassen.
3. Einen rechtsförmlichen richterlichen Verweisungsbeschluss im Sinne des § 17a Abs. 1 Satz 3 GVG vermag ein formloses Anschreiben der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Senats eines Landessozialgerichts nicht zu ersetzen.
4. Das grundrechtsgleiche Verfahrensrecht der Beteiligten auf eine Entscheidung über die Verweisung des Vollstreckungsantrags durch die gesetzlichen Richter des Landessozialgerichts steht wegen der außerordentlichen Eilbedürftigkeit des vorliegenden Vollstreckungsantrags im vorliegenden Einzelfall von Verfassungs wegen ausnahmsweise hinter dem Anspruch auf einen effektiven und zeitnahen Rechtsschutz der Vollstreckungsgläubiger aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs.1 EMRK zurück.
5. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind nicht dafür da, sich nur miteinander und gegenseitig zu befassen; sie wurden eingerichtet, um den sie anrufenden Personen einen effektiven und schnellen Rechtsschutz zu gewährleisten.
Tenor:
1. Wegen der Zwangsvollstreckung gegen das Jobcenter Baden-Baden aus der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.06.2025 zum Eilrechtschutzverfahren S 12 AS 1596/25 ER ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unzulässig.
2. Der Antrag auf gerichtliche Vollstreckung der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.06.2025 zum Eilrechtschutzverfahren S 12 AS 1596/25 ER wird an das zuständige Amtsgericht Baden-Baden verwiesen.
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )
4.1 LSG Berlin-Br., Urteil v. 08.05.2025 - L 14 AL 72/23 -
Dazu Detlef Brock
Guinesischer Staatsangehöriger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die betriebliche Ausbildung, denn er gehört - nicht - zum förderfähigen Personenkreis.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Ein rechtmäßiger Aufenthalt – als Voraussetzung für die Bewilligung von Berufsausbildungsförderung für Asylbewerber nach früherem Recht – war zu erwarten, wenn eine positive Perspektive für einen rechtmäßigen Verbleib in der Bundesrepublik festgestellt werden konnte.
2. Auf die Erwartung, nach Abschluss des Asylverfahrens eine Duldung zu erhalten, kommt es nicht an, da der für die Auslegung herangezogene Begriff der „Bleibeperspektive“ im Rechtssinne und nicht im Wortsinne zu verstehen ist.
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 15.04.2025 - L 8 SO 29/21 -
Dazu Detlef Brock
1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei Leistungen der Eingliederungshilfe seit dem 1. Januar 2020 um eine "neue" Leistung ( vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2024 - B 8 SO 14/22 R - ).
2. Im Einzelfall wirkt sich dieses Verständnis von den übergangsrechtlichen Herausforderungen für die behinderten Menschen besonders nachteilig aus.
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei Leistungen der Eingliederungshilfe seit dem 1. Januar 2020 um eine "neue" Leistung. Enthalten die streitgegenständlichen Bescheide allein Regelungen zur bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Rechtslage, ist die Klage demnach unzulässig (Bezug auf BSG, Urteil vom 28. Januar 2021 - B 8 SO 9/19 R - juris Rn 19; Urteil vom 18. Dezember 2024 - B 8 SO 14/22 R [Terminsbericht]).
2. Im Einzelfall wirkt sich dieses Verständnis von den übergangsrechtlichen Herausforderungen für die behinderten Menschen besonders nachteilig aus, da Anträge auf begehrte Leistungen der nun "neuen" Eingliederungshilfe" (hier: ein Elektrorollstuhl als Leistung zur Sozialen Teilhabe) erst geraume Zeit später verbeschieden werden können, obwohl bereits mehrere Jahre aufgrund erfolgloser Rechtsbehelfsverfahren verstrichen sind.
5.2 SG Lüneburg, Urt. v. 10.06.2025 - S 38 SO 96/23 -
Angststörung; Erwachsenendreirad; Soziale Teilhabe; Therapiedreirad
Dazu Detlef Brock
1. Der behinderte Mensch soll und darf nicht in die Rolle eines Bittstellers gedrängt werden, vgl. auch Art 19 UN-BRK.
Leitsatz
1. Ein Anspruch auf ein Erwachsenendreirad besteht dann, wenn hierdurch das Teilhabeziel der Sozialen Teilhabe verwirklicht wird.
2. Ein Erwachsenendreirad deckt nicht allein die Mobilität ab, sondern kann auch der eigenständigen und selbstbestimmten Lebensführung im Rahmen des Teilhabeziels Soziale Teilhabe dienen.
Quelle: https://voris.wolterskluwer-online.de/
6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
6.1 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 29.04.2025 - L 8 AY 8/25 B ER
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Werden Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG bis auf Weiteres gewährt, so handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt. Um in der Folgezeit eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG zu verfügen, ist dieser Dauerverwaltungsakt nach § 9 Abs 4 Nr 1 AsylbLG iVm §§ 44 ff. SGB X aufzuheben oder zurückzunehmen. Da Widerspruch und Klage gegen die Aufhebung bzw. Rücknahme des Dauerverwaltungsakts keine aufschiebende Wirkung entfalten, genügt es bei einer Folgeleistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht, den Rechtsschutz nur über die reine Anfechtungsklage zu verfolgen, da nach Aufhebung des angegriffenen Kürzungsbescheids zwar die Anspruchseinschränkung beseitigt werden kann. Gleichwohl ist der Antragsteller aber ex nunc auf eine Leistungsbewilligung angewiesen, da die vormalige dauerhafte Leistungsbewilligung (noch) nicht wiederauflebt.
2. Wer über eine Duldung iSv von § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG verfügt, gehört nicht zum Personenkreis, der von der Leistungseinschränkung von § 1a Abs 4 Satz 2 AsylbLG erfasst wird.
3. Wenn ein den Vertrauensschutz ausschließender Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht vorliegt, handelt es sich bei der Rücknahme der Bewilligungsentscheidung um eine Ermessensentscheidung.
6.2 LSG Hamburg, Beschluss v. 17.09.2024 - L 4 AY 11/24 B ER -
Sozialgerichtliches Verfahren - einstweiliger Rechtsschutz - Regelungsanordnung - fehlender Anordnungsgrund - Asylbewerberleistungen - Grundleistungen - Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung - Leistungserbringung durch eine Bezahlkarte - kein wesentlicher Nachteil – Verfassungsrecht
Dazu Detlef Brock
1. LSG Hamburg hebt Vorinstanz zur Bezahlkarte auf ( S 7 AY 410/24 ER - Die Festlegung einer Obergrenze für Bargeldabhebungen ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles bei Ausgabe einer Bezahlkarte (hier: Orientierung an einem empfehlenden Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 20.6.2024) ist ermessensfehlerhaft.)
Leitsatz LSG Hamburg Juris
1. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung in § 3 Abs 2 AsylbLG vermag der Senat nicht zu erkennen, dass vorliegend bei Gewährung des Bedarfs in Form einer Bezahlkarte ein so wesentlicher Nachteil droht, der den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordert. Verfassungsrechtlich ist es grundsätzlich zulässig, das Existenzminimum durch Geld- aber auch durch Sach- oder Dienstleistungen zu gewähren (vgl BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2).
2. Auch im konkreten Fall der knapp zweijährigen Antragstellerin zu 3. sind in ihrer Person liegende Gründe, ausnahmsweise vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes auszugehen, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Schließlich dauert die Leistungserbringung per Bezahlkarte auch noch nicht so lange an, dass damit verbundene Erschwernisse unzumutbar erscheinen.
Praxistipp ebenso
SG München, Beschluss vom 29.8.2024 – S 42 AY 63/24 ER - Wenn sämtliche Bedarfe eines Leistungsberechtigten mittels Bezahlkarte gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG gedeckt werden, fehlt es an einem Anordnungsgrund für den Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG.
6.3 Sozialgericht Gießen – Beschluss vom 08.07.2025 – Az.: S 30 AY 47/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG, § 44 SGB X – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Überprüfungsverfahren, Europarecht, Land Hessen, Regierungspräsidium Gießen, Sozialgericht Gießen
Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG
Dazu Detlef Brock
1. Verpflichtung im Eilverfahren dem Antragsteller ab Eingang des Antrages im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu bewilligen.
2. § 1 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG verletzt die europarechtlichen Regelungen über Mindeststandards der Versorgung während des Asylverfahrens aus Art. 17 bis 20 der Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (EURL 2013/33), weil Art. 20 Abs. 5 Satz 1 RL 2013/33/EU ausdrücklich verlangt, dass Entscheidungen über die Einschränkung oder den Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten Leistungen (Art. 2 Buchstabe g RL 2013/33/EU) unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu treffen sind.
Quelle: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/07/ ... -47-25-er/
6.4 Sozialgericht Speyer – Beschluss vom 09.07.2025 – Az.: S 16 AY 76/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Land Rheinland-Pfalz, Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Sozialgericht Speyer
Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG verfassungswidrig?
Dazu Detlef Brock
1. Es ist mehr als zweifelhaft, ob die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Normen des AsylbLG mit den Vorgaben des GG und des Unionsrecht in Einklang stehen. Beides ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten.
2. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers sowie eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens müssen als offen angesehen werden, auch wenn die Kammer an dieser Stelle seine erheblichen Zweifel an der Vereinbarkeit der entscheidungserheblichen Norm mit dem Verfassungs- und Europarecht zum Ausdruck bringt. Hinsichtlich der Frage der Verfassungswidrigkeit der genannten Norm sei insoweit statt vieler auf die ausführlichen und instruktiven Ausführungen der 15. Kammer des Sozialgerichts Speyer in dem Beschluss vom 20.02.2025, S 15 AY 5/25 ER (siehe ASR 2025, S. 76 ff., beck-online) verwiesen.
Quelle: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/07/ ... -76-25-er/
6. 5 Sozialgericht Speyer – Beschluss vom 08.07.2025 – Az. S 16 AY 47/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Gemeindeverwaltung Limburgerhof, Sozialgericht Speyer
Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG verfassungswidrig?
Dazu Detlef Brock
1. Begründung siehe SG Speyer – Beschluss vom 09.07.2025 – Az.: S 16 AY 76/25 ER
Quelle: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/07/ ... -47-25-er/
6.6 SG Freiburg, Urt. v. 17.03.2025 - S 7 AY 32555/24 -
Dazu Detlef Brock
AsylbLG: 1. Beziehern von Asylbewerberleistungen ist es ebenso wenig zuzumuten wie Leistungsbeziehern nach dem SGB II oder SGB XII, Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung als Schulden auflaufen zu lassen oder aber diese Beiträge – unter Unterschreitung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums – durch Zweckentfremdung der Grundleistungen zu begleichen.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Unterliegt ein Bezieher von Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG aufgrund einer früheren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung der obligatorischen Anschlussversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V und kann er nicht nach § 188 Abs. 4 Satz 2 SGB V aus dieser Versicherung austreten, sind die monatlichen Beiträge zur obligatorischen Anschlussversicherung im Rahmen der Berechnung der Asylbewerberleistungen gesondert als Bedarf zu berücksichtigen, da sie nicht bereits von §§ 3, 3a AsylbLG erfasst sind.
2. Die Berücksichtigung der Beiträge erfolgt bei Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG, bei denen Erwerbseinkommen nach § 7 Abs. 3 AsylbLG auf den Bedarf angerechnet wird, in der Form, dass die Beiträge vom anzurechnenden Erwerbseinkommen abgesetzt werden. Reicht das anzurechnende Erwerbseinkommen dafür nicht aus oder erzielt der Leistungsbezieher gar kein anrechenbares Erwerbseinkommen, sind die Beiträge (bzw. deren ungedeckter Teil) durch ergänzende Geldleistungen nach § 6 AsylbLG zu decken. Hierbei handelt es sich wegen der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes auch bei fehlender Beitragsentrichtung nach § 16 Abs. 3a Satz 3, Satz 5 SGB V nicht um Leistungen zur Sicherung der Gesundheit, sondern um Leistungen, die zur Sicherung des Lebensunterhalts unerlässlich sind.
3. Trotz des Fehlens einer entsprechenden Parallelvorschrift zu § 26 SGB II bzw. §§ 32, 32a SGB XII im Recht der Asylbewerberleistungen ist es Beziehern von Asylbewerberleistungen ebenso wenig zuzumuten wie Leistungsbeziehern nach dem SGB II oder SGB XII, Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung als Schulden auflaufen zu lassen oder aber diese Beiträge – unter Unterschreitung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums – durch Zweckentfremdung der Grundleistungen zu begleichen.
4. Das dem Leistungsträger grundsätzlich nach § 6 AsylbLG eingeräumte Ermessen bei der Erbringung von ergänzenden Leistungen ist in der Regel zumindest dann „auf Null“ reduziert, wenn dem Leistungsbezieher eine dauerhafte Bleibeperspektive offensteht bzw. das Ende seines Aufenthalts in der Bundesrepublik nicht bevorsteht oder abzusehen ist.
Bemerkung
Nicht rechtskräftig, Berufung anhängig beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Az. L 7 AY 1616/25
6.7 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 02.07.2025 – Az.: L 8 AY 22/25 B ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG, § 193 SGG – Schlagworte: Kostenentscheidung, Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Aufhebungsermessen, Landkreis Gifhorn, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG
Dazu Detlef Brock
1. Die Behörde hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu erstatten, weil der Einstellungsbescheid aus 02/2025 nicht rechtmäßig ist.
2. Es erscheint dem Gericht zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG vorgelegen haben.
3. So ist bei der Auslegung des in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG erst auf Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss; BT-Drs. 20/13413) in das Gesetz aufgenommenen Tatbestandsmerkmals, dass für die von dem Leistungsausschluss betroffene Person „nach der Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich“ sein muss, in Rechtsprechung und Literatur dessen Bedeutung noch weitgehend ungeklärt (vgl. etwa SG Hamburg, Beschluss vom 11.4.2025 – S 28 AY 188/25 ER – ).
Quelle: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/07/ ... 2-25-b-er/
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Beispiel für Quellenangabe zum Rechtsprechungsticker: Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2025 - Autor: Detlef Brock
Beispiel für Quellenangabe zum Newsletter: Quelle: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 - Autor Harald Thomé
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock