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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 31/2021

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

1.1 BSG, Urteil v. 21.07.2021 - B 14 AS 31/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Unterkunftskosten - Umgangsrecht enger Bezugspersonen

Leitsatz ( Redakteur von Tacheles e. V. )


Umgang mit früherem Pflegekind kann eine größere Wohnung rechtfertigen.

 

Orientierungshilfe (Redakteur von Tacheles e. V. )

1. Die Ausübung des Umgangsrechts mit dem früheren Pflegekind führt nicht zu seiner über das Kopfteilprinzip beachtlichen Mitnutzung der Wohnung.

2. Die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für minderjährige Kinder als Mitglieder einer temporären Bedarfsgemeinschaft geltenden Grundsätze, wonach ein eigener Wohnraumbedarf des Kindes nur bezogen auf dessen Lebensmittelpunkt anzuerkennen ist, der bei einem zeitweisen Aufenthalt des Kindes gerade nicht im Wohnraum des umgangsberechtigten Elternteils liegt, ist auf andere Umgangsrechte - wie hier das Umgangsrecht aus sozial-familiären Beziehungen nach § 1685 Abs 2 BGB - zu übertragen.

Quelle: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2021/2021_07_21_B_14_AS_31_20_R.html

 

Hinweis: Der Umgang mit einem behinderten früheren Pflegekind kann bei Hartz-IV-Beziehern einen Anspruch auf eine größere Wohnung begründen.

weiter: https://www.evangelisch.de/inhalte/1886 ... re-wohnung

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2.1 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.06.2021 - L 14 AS 563/21 B PKH

Arbeitslosengeld II - Beiträge - private Kranken- und Pflegeversicherung - Rückforderung - Erstattung - Direktzahlung

Leitsatz


Es ist fraglich, ob die von der Rechtsprechung zu § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III im Hinblick auf die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung entwickelte einschränkende Auslegung, wonach der Leistungsempfänger pflichtwidrig gehandelt haben muss, auch geboten ist, wenn es um die Erstattung von Zuschüssen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung geht.

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210011725

 

 

2.2 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 09.06.2021 - L 19 AS 229/21

Kostenentscheidung nach § 193 SGG - Kosten des Vorverfahren

Leitsatz


Die Kostenentscheidung des Gerichts nach § 193 SGG schließt die Kosten des Vorverfahrens nur ein, soweit der Streitgegenstand identisch ist. Kommt es im Vorverfahren zu einer teilweisen Erledigung oder Teilabhilfe, ist dies nicht der Fall.

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210012026

 

2.3 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.07.2021 - L 7 AS 26/20 B

Ein Prozessbevollmächtigter, der eine gegen das erklärte Interesse seines Auftraggebers gerichtete Klage einreicht, die zudem von Beginn an aussichtslos war, hat keinen Vergütungsanspruch nach dem RVG gegenüber seinem Auftraggeber und dementsprechend im Vergütungsfestsetzungsverfahren im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe auch nicht gegenüber der Staatskasse.

Quelle: https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE210012031&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

 

 

2.4 LSG Hamburg, Urteil vom 1. Oktober 2020 (L 4 AS 66/19):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Bei einem von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) geltend gemachten Bedarf an notwendigen Fahrkosten zur Wahrnehmung von Behandlungsterminen handelt es sich grundsätzlich um einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II.

Diese Aufwendungen entstehen bedingt durch das Bestehen einer Multimorbidität regelmäßig und nicht lediglich einmalig.

Antragstellerseitig müssen hier aber nicht nur die einzelnen Behandlungstermine, sondern auch die entstandenen Fahrkosten detailliert nachgewiesen werden, damit ein erheblich überdurchschnittlicher Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II dokumentiert ist.

Kosten für Fahrten zu (Fach-) Ärztinnen und Ärzten sowie Therapeutinnen und Therapeuten, zum Einkaufen oder zu Besuchen bei Verwandten stellen keinen grundsätzlich atypischen Bedarf im Sinne des § 73 Satz 1 SGB XII dar. Diese Kosten sind grundsätzlich vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II bzw. §§ 27 ff. SGB XII) erfasst.

Anmerkung Redakteur v. Tacheles e. V.

vgl. dazu Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 10.07.2019 - L 6 AS 565/17 - Revision anhängig beim BSG - B 4 AS 81/20 R ( Berücksichtigung von Fahrtkosten im Zusammenhang mit ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungen als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II, hier verneinend ) und Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 05.11.2020 - L 7 AS 83/17 ( Übernahme von Fahrtkosten zur ambulanten Psychotherapie als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II im Rahmen der Grundsicherungsleistungen ).

 

 

2.5 LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.6.2021 - L 3 AS 677/21

Leitsätze


1. Die Verfallfrist des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II findet auch auf Überprüfungsverfahren Anwendung, die einen endgültigen Bewilligungsbescheid betreffen, mit dem Grundsicherungsleistungen abweichend von einer vorläufigen Leistungsbewilligung in geringerer Höhe festgesetzt werden.

2. Ob eine "Erbringung von Sozialleistungen" i.S.d. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Streit steht, bestimmt sich danach, welche Sozialleistungen tatsächlich gewollt sind und ob die tatsächlich gewollten Sozialleistungen bereits erbracht sind.

3. Richtet sich das Begehren auf eine endgültige Bewilligung von Grundsicherungsleistungen in Höhe der vorläufigen Leistungsbewilligung, sind die tatsächlich gewollten Sozialleistungen durch die Auszahlung der vorläufig bewilligten Leistungen noch nicht "erbracht" worden i.S.d. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X, weil die vorläufigen Leistungen gegenüber den endgültigen Leistungen ein Aliud darstellen.

Quelle: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Sozialgerichte&Datum=2021&nr=35443&pos=4&anz=95

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3.1 SG Berlin, Urt. v. 06.07.2021 - S 179 AS 1083/19

Angemessenheit, Verfügbarkeit, Unterkunftskosten, Nachfragekonkurrenz, Leerstandsquote, Kostensenkung

Leitsatz


1. Für die Bestimmung, ob Wohnungen für Leistungsberechtigte zu den als angemessen erachteten Werten tatsächlich zur Verfügung stehen, ist ein Maß der Verfügbarkeit zu bestimmen. Leistungsberechtigte können in Orientierung an § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Regelbedarfsermittlungsgesetz auf Angemessenheitswerte verwiesen werden, zu denen 20 Prozent der im Streitzeitraum angebotenen Wohnungen in angemessener Größe angemietet werden konnten.

2. Die bisherigen Berechnungen des Landes Berlin zum Nachweis der Verfügbarkeit von Wohnraum sind ungeeignet. Von der in Bezug genommenen Leerstandsquote kann nicht auf die Anmietbarkeit von Wohnraum geschlossen werden. Der Vergleich allein mit dem Bedarf derjenigen Leistungsberechtigten, die im gleichen Zeitraum zur Kostensenkung neu aufgefordert wurden, ist zur Schätzung der Nachfragekonkurrenz nicht geeignet.

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210012172

 

 

3.2 Sozialgericht München, Gerichtsbescheid vom 14. Juli 2021 (S 13 AS 483/21):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Ein Umzug ist notwendig im Sinne des § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II, wenn für eine allein erziehende Mutter mit vier Kindern ein weiterer Verbleib in dem ihrem alkoholabhängigen Gatten gehörenden Haus unzumutbar ist, gerade wenn er sich nicht an das gerichtlich ihm gegenüber auferlegte Kontaktaufnahmeverbot hält, gewalttätig wurde und sie noch ein pflegebedürftiges Kind zu versorgen hat.

Bei einem Neubezug einer den Angemessenheitskriterien des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht entsprechenden Wohnung gelangt § 67 Abs. 3 SGB II hinsichtlich der Finanzierung von Kautionsaufwendungen als Wohnungsbeschaffungskosten (§ 22 Abs. 6 SGB II) nicht zur Anwendung. Diese Übergangsregelung bezieht sich einzig auf Fälle nach § 22 Abs. 1 SGB II.

§ 22 Abs. 6 Satz 1, 2. HS SGB II räumt einem Jobcenter auch bei einem Bezug einer unangemessen teuren Wohnung ein Ermessen ein, eine fällig werdende Mietkaution als Bedarf anzuerkennen. Ein SGB II-Träger hat hier sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“ der Leistungserbringung einen Ermessensspielraum erhalten.

Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind vom Jobcenter stets sämtliche maßgebenden Umstände des jeweiligen Einzelfalls umfassend zu berücksichtigen.

Es stellt einen rechtswidrigen Ermessensnichtgebrauch dar, wenn ein SGB II-Träger hier die Ablehnung der Gewährung einer Mietkaution einzig darauf stützt, die Kosten der Unterkunft wären unangemessen hoch, ohne die aktuelle Situation der Antragstellerin und ihrer Kinder sachgerecht zu würdigen.

 

 

3.3 SG Cottbus, 15.01.2021 – S 41 AS 68/17

Orientierungshilfe ( RA Dr. Jens-Torsten Lehmann )


wie gewonnen, so zerronnen: zur (un-)möglichen Anrechnung einer Erbschaft im laufenden SGB II-Leistungsbezug

Quelle: https://ra-jtlehmann.de/wp-content/uploads/2021/07/20210115-SG-S-41-AS-68-17.pdf

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

4.1 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 03.06.2021 - L 14 AL 201/16

Arbeitslosengeld - Anwartschaftszeit - Versicherungspflichtzeit - Versicherungszeit - Beschäftigungszeit - Grenzgänger - unechter - echter

Leitsatz


1. Unechter Grenzgänger kann auch sein, wer seinen Wohnort inner-halb eines inaktiven Zeitraums (z.B. aufgrund von Krankheit) bereits längere Zeit vor Beendigung seines rechtlich noch fortbestehenden Arbeitsverhältnisses in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und da-nach nicht mehr an seinen Beschäftigungsort zurückkehrt.

2. Im Hinblick auf das Erfordernis der Anwartschaftszeit genügt es nach Art. 67 VO (EWG) 1408/71 bzw. Art. 61 VO (EG) 883/2004, dass die betreffende Person in irgendeinem System der sozialen Sicherheit versichert war; eine Versicherungspflicht gerade in einem speziellen System der Arbeitslosenversicherung ist nicht erforderlich.

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210011724

 

 

4.2 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 03.06.2021 - L 14 AL 91/17

Arbeitslosengeld - unständige Beschäftigung - Dauerbeschäftigungsverhältnis - verkürzte Anwartschaftszeit - Rahmenfrist - Rundfunk - freie Mitarbeiter - Kameramann - Kamerafrau

Leitsatz


1. Unständige Beschäftigungen im Sinne des § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III liegen nicht vor, wenn sich die übernommenen Tätigkeiten vereinbarungsgemäß in regelmäßigen zeitlichen Abständen wiederholen.

2. Ein Beschäftigungslosigkeit i.S.v. § 138 Abs. 1 Satz 1 SGB III ausschließendes Dauerbeschäftigungsverhältnis liegt nicht vor, wenn weder der Arbeitgeber verpflichtet ist, der Beschäftigten regelmäßige Einsatzzeiten anzubieten, noch diese verpflichtet ist, ihr angebotene Dienste anzunehmen (Anschluss an BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 KR 16/13 R, – und BAG, Urteil vom 16. Mai 2012 – 5 AZR 268/11 –). Die Beschäftigte unterliegt dann an den Tagen zwischen ihren Einsätzen mangels Arbeitsverhältnis keiner Dienstbereitschaft und kann frei über ihre Arbeitskraft entscheiden.

3. § 7 Abs. 3 SGB IV betrifft ausschließlich das versicherungs- und beitragsrechtliche Beschäftigungsverhältnis, lässt indes keine Rückschlüsse auf das – ohnehin nur für das Arbeitsförderungsrecht relevante und dort nicht gesondert geregelte – leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis zu.

4. Zum Anspruch auf Arbeitslosengeld einer Kamerafrau, die nicht in einem Dauerbeschäftigungsverhältnis zu einer Rundfunkanstalt steht (hier bejaht).

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210012019

 

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5.1 Sozialgericht Köln, Urteil vom 16. Juni 2021 (S 10 SO 500/19):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Bei einem monatlich fällig werdenden Stromkostenabschlag in einer Höhe von EUR 67,- kann ein Sozialhilfeträger nicht damit argumentieren, wenn in einer von zwei Personen ständig bewohnten Wohnung auch mit Strom geheizt wird, dann könnte gemäß § 35 Abs. 1 und 4 SGB XII hier lediglich ein Heizkostenanteil in einer Höhe von monatlich EUR 7,04 als übernahmefähig anerkannt werden.

Es ist bei einer ca. 85 qm großen Wohnung realistisch, dass hier mindestens die Hälfte des Stromkostenabschlags – nach einer Bereinigung durch die Kosten der Warmwasserbereitung entsprechend § 30 Abs. 7 SGB XII – auf die gemäß § 35 Abs. 4 SGB XII anerkennungsfähigen Heizkosten entfällt.

 

 

5.2 LSG Hamburg, Urt. v. 12.11.2020 - L 4 SO 50/18

Anspruch des Gehörlosen auf Erstattung der Kosten eines Gebärdendolmetschers durch den Sozialversicherungsträger

Orientierungssatz


1. Dolmetscherkosten gehören bei einem Gehörlosen zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB 12.(Rn.52)

2. Sie werden vom Sozialhilfeträger nur dann übernommen, wenn sie aus besonderem Anlass erforderlich sind.(Rn.59)

3. Sind alle Teilnehmer eines Klassentreffens gehörlos, so sind sie auch ohne Einsatz eines Gebärdendolmetschers in der Lage, sich zu verständigen. Damit ist ein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger ausgeschlossen.(Rn.60)

4. Im Übrigen ist Voraussetzung einer Kostenerstattung die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers gemäß § 19 Abs. 3 SGB 12. Fällt bei mehreren Personen ein Bedarf an, der gemeinschaftlich gedeckt wird, so sind die hierfür entstehenden Aufwendungen nach Kopfteilen aufzuteilen.(Rn.61)

5. Bach § 88 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB 12 kann die Aufbringung der Mittel (hier: 26.- €.) vom Hilfebedürftigen auch dann verlangt werden, wenn dessen Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze liegt, soweit der Bedarf als geringfügig anzusehen ist.(Rn.67)

 

Quelle: https://www.hamburg.de/

 

 

6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

6.1 Bundesagentur für Arbeit muss über Sperrzeitbeginn belehren – LSG Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 23.06.2021 - L 11 AL 95/19

Das LSG Celle-Bremen hat entschieden, dass die Bundesagentur für Arbeit einem Arbeitslosen vor der Verhängung einer Sperrzeit eine vollständige Rechtsfolgenbelehrung erteilen muss.

Weiter: https://www.juris.de/jportal/portal/t/uvm/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210702795&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

6.2 Keine Rücküberstellung bei weitergereisten Asylsuchenden ohne Aussicht auf Unterbringung und Arbeit in Italien

Das OVG Münster hat entschieden, dass die Asylanträge eines in Italien anerkannten Schutzberechtigten aus Somalia und eines Asylsuchenden aus Mali, der zuvor in Italien einen Asylantrag gestellt hatte, nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen , weil die ernsthafte Gefahr besteht, dass sie im Falle ihrer Rücküberstellung dorthin ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht befriedigen können.

Weiter: https://www.juris.de/jportal/portal/t/hmq/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210702826&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

6.3 OVG Sachsen, Beschluss vom 20. Juli 2021 (3 C 73/20):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Wohngeld stellt ein Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar und ist vom Jobcenter im Zeitpunkt seines tatsächlichen Zuflusses bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

Die Tatsache, dass ein Leistungsempfänger mit einer Rückforderung des durch die Wohngeldstelle bewilligten Wohngelds konfrontiert wird, führt nicht dazu, dass der Leistungsbescheid des Jobcenters als rechtswidrig aufzufassen ist.

Sofern sich das Wohnungsamt mit seiner Erstattungsforderung durchsetzt, dann besteht für den betroffenen Leistungsbezieher ein ungedeckter Bedarf hinsichtlich der ihm entstehenden Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II), wenn auch mit Zeitverzug.

Bei der Wohngeldstelle würde sich über eine solche Rücknahmeentscheidung eine Art von Bereicherung vollziehen, weil die jeweilige Kommune für die Erbringung von Leistungen nach § 22 SGB II ebenfalls eine Zuständigkeit hat. Dieser Sozialleistungsträger würde sich bei einer Wohngelderstattung die von ihm eigentlich zu erbringende Sozialleistung, die anteilige Übernahme von Unterkunftskosten, ersparen.

Sowohl aus § 12a Satz 1 SGB II als auch aus § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2b) WoGG geht hervor, dass im Verhältnis zwischen dem SGB II-Träger und der Wohngeldstelle Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II stets nachrangig zum Wohngeld erbracht werden.

Entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WoGG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 1 WoGG ist ein Empfänger von Wohngeld für die Dauer dieses Verwaltungsverfahrens von der Bewilligung von Leistungen gemäß dem SGB II ausgeschlossen.

 

 

6.4 Arbeitshilfe: Übernahme der Passbeschaffungskosten im SGB II, XII und AsylbLG - von Claudius Voigt

Anders als Deutsche und Unionsbürger*innen, für die ein Personalausweis ausreicht, sind Drittstaatsangehörige in der Regel nach § 3 AufenthG verpflichtet, einen gültigen Pass zu besitzen, um sich im Bundesgebiet aufzuhalten. Immer wieder sind die Kosten der Passbeschaffung ein großes Problem in der Beratungspraxis, welches zu vielen Unsicherheiten führt. Die Kosten für die Fahrt zur Botschaft bzw. zum Konsulat und den Pass betragen oft mehrere hundert Euro – je nach Herkunftsstaat entstehen für mehrköpfige Familien sogar Gebühren im vierstelligen Bereich.

Wer kommt für diese Kosten auf? Müssen die Sozialämter bzw. Jobcenter die Kosten übernehmen und wenn ja, nach welchem Gesetz? Erfolgt die Leistung als Beihilfe oder dürfen Darlehen gewährt werden

Unsere Kollegin Verena Wörmann hat eine Arbeitshilfe erstellt, in der die Ansprüche und Rechtsgrundlagen für die Leistungssysteme SGB II, SGB XII und AsylbLG (Grundleistungen, Analogleistungen, § 1a AsylbLG) dargestellt werden. Die Arbeitshilfe gibt es hier:https://www.einwanderer.net/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/Passbeschaffung_Arbeitshilfe.pdf

 

 

 

7. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

7.1 SG Berlin U.v. 2.7.2021 - S 146 AY 163/20

Sozialgericht Berlin: „Rechnungen“ des LAF an Geflüchtete in Sammelunterkünften sind rechtswidrig

Gemeinsame Pressemitteilung Anwaltsbüro Volker Gerloff, Flüchtlingsrat Berlin, Moabit Hilft, Willkommen im Westend, Weltweit Berlin, Schöneberg Hilft, Zukunftswerkstatt Heinersdorf und Be an Angel.

Seit Jahren betreibt das Landesamt für Flüchtlinge (LAF) in Berlin eine Praxis, die nun durch ein Urteil des Sozialgerichts Berlin für rechtswidrig erklärt wurde.

Die als Flüchtling anerkannte Klägerin lebte mit ihrem Kind in einer Gemeinschaftsunterkunft des LAF, da sie keine eigene Wohnung finden konnte.

Obwohl das JobCenter ihren Lebensunterhalt einschließlich der Kosten für die Unterkunft vollständig übernahm, forderte das LAF von der Mutter monatlich 30 EUR per „Rechnung“ als Kosten der Unterkunft. Das LAF behauptet, durch die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft sei ein „privatrechtlicher Vertrag“ entstanden. Widersprüche gegen die „Rechnungen“ wurden als unzulässig abgewiesen, da die Betroffene nur vor einem Zivilgericht dagegen vorgehen könnte.

Nun hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 02.07.2021, zugestellt am 27.07.2021, festgestellt, dass die „Rechnungen“ des LAF Verwaltungsakte sind, weil das LAF als Behörde tätig wurde. Da jeder Verwaltungsakt eine Rechtsgrundlage braucht und es für „Rechnungen“ keine Rechtsgrundlage gibt, sind die „Rechnungen“ rechtswidrig.

Weiter: https://fluechtlingsrat-berlin.de/presseerklaerung/30-07-2021-sozialgericht-berlin-rechnungen-des-laf-an-gefluechtete-in-sammelunterkuenften-sind-rechtswidrig/

 

 

Dazu RA Volker Gerloff

Rechtsanwalt Volker Gerloff, der die Betroffene vor dem Sozialgericht vertreten hat,  sagt: „Alle Betroffenen können nun gegen die rechtswidrigen Rechnungen vorgehen und sich das Geld zurückholen! Es ist beschämend, dass der R2G-Senat so dreist gegen die Rechte von Geflüchteten agiert.“.

Hier zum Urteil im Volltext: SG Berlin U.v. 2.7.2021 - S 146 AY 163/20: https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/sg_urteil_rechnungen_laf_gu.pdf

 

 

 

7.2 Sozialgericht Nordhausen – Beschluss vom 12.06.2021 – Az.: S 15 AY 1701/20 ER

Normen: § 1a Abs. 4 AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG – Schlagworte: Keine Leistungskürzung bei nicht bestehendem internationalem Schutz in anderem Lad, Sozialgericht Nordhausen

weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2021/07/23/sozialgericht-nordhausen-beschluss-vom-12-06-2021-az-s-15-ay-1701-20-er/

 

 

7.3 Hessisches Landessozialgericht – Beschluss vom 26.07.2021 – Az.: L 4 AY 19/21 B ER

Normen: § 1a Abs. 3 AsylbLG, § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG – Schlagworte: Leistungskürzung, AsylbLG, aufschiebende Wirkung, Iran, Passbeschaffung

weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2021/07/28/hessisches-landessozialgericht-beschluss-vom-26-07-2021-az-l-4-ay-19-21-b-er/

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