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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 36/2022

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem (SGB II )

1.1 BSG, Urteil vom 9. März 2022 (B 7/14 AS 91/20.R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Auch eine in Deutschland mit gewöhnlichem Aufenthalt lebende Arbeitnehmerin, die einem Mitgliedsstaat der EU angehört, kann sich während der Elternzeit nach § 15 BEEG auf ein Aufenthaltsrecht als eine freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmerin berufen (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) und ist deshalb nicht entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgenommen.

Diese Person bleibt während des Erziehungsurlaubs eine Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrechts.

Bei nach dem BEEG anspruchsberechtigten Personen hat sichergestellt zu sein, dass die Rechte, die arbeitnehmerseitig bereits bei Antritt des Elternurlaubs erworben waren, bis zum Ende dieser besonderen Phase bestehen bleiben. Diese Klientel muss sich im Anschluss an die Elternzeit im Hinblick auf diese Rechte in derselben Situation befinden wie vor dem Elternurlaub.

Der unionsrechtliche Arbeitnehmerstatus bleibt nicht nur während der gesetzlichen Mutterschutzfristen oder eines Mindestzeitraums des Elternurlaubs von vier Monaten erhalten. Wenn nationale Regelungen über diesen Mindeststandard in einem bedeutenden Maße hinausgehen (wie dies z. B. über § 15 BEEG vollzogen wurde), dann führt dies nicht zum sofortigen Verlust des europarechtlich statuierten Schutzes der sich in Elternurlaub befindenden Person während dieser Phase. Jede andere Entscheidung würde dazu führen, dass ausländische Arbeitnehmerinnen davon abgehalten werden würden, das ihnen zustehende Recht auf Elternzeit gemäß § 15 BEEG voll in Anspruch zu nehmen.

 

1.2 Bundessozialgericht, Urteil vom 9. März 2022 (B 7/14 AS 31/21.R):

Die Rechtsgrundlage für die Geltendmachung des Anspruchs auf die Bewilligung einer Weiterbildungsprämie gemäß § 131a Abs. 3 SGB III dem Jobcenter gegenüber geht im Fall eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) aus § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit den §§ 81 ff. SGB III hervor.

Dies gilt gerade dann, wenn der SGB II-Träger dieser bedürftigen Person einen Bildungsgutschein (§ 81 Abs. 4 SGB III) für die Teilnahme an einer Berufsbildung zum staatlich anerkannten Erzieher ausstellte und der erwerbsfähige Leistungsberechtigte hier sämtliche Prüfungen bestand.

An dieser Stelle ist die aus § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III hervorgehende Sonderregelung zur beruflichen Weiterbildung analog anzuwenden.

Von dieser Norm ist auch das Bestehen der Zwischenprüfung bei einer nach § 81 SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung, die einen Berufsabschluss aufgrund einer schulischen Berufsbildung vermittelt, mit umfasst.

Eine Beschränkung einzig auf die betriebliche Berufsbildung folgt in diesem Sachzusammenhang aus den §§ 81 ff. SGB III nicht.

Maßgebliche Bedeutung hat hier die Teilnahme an vorgeschriebenen (Zwischen-) Prüfungen.

Die Eröffnung des Zugangs zur Prämie bei einer Weiterbildung bei schulischer Berufsbildung fügt sich in das umfassende gesetzgeberische Regelungskonzept entsprechend den §§ 81 Abs. 2, 131a Abs. 3 Nr. 2 und 180 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. SGB III ein.

 

1.3 BSG, Urt. v. 18.05.2022 - B 7/14 AS 1/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bedarfe für Unterkunft und Heizung - Betriebsstrom - Gastherme

Gastherme kann Mehrbedarf für Hartz-IV-Bezieher begründen


Eine Gastherme in einem Hartz-IV-Haushalt kann den Anspruch auf einen Mehrbedarf für Warmwasser begründen. Voraussetzung für den Erhalt der gesetzlichen Pauschale ist, dass die Gastherme nicht nur als Heizung dient, sondern auch zur dezentralen Warmwasserversorgung verwendet wird ( www.evangelisch.de )

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171934

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2.1 LSG NRW, Urt. v. 30.06.2022 - L 7 AS 1681/21

Nicht ausreichend ist die nur gelegentliche Nutzung einer Unterkunft

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.


Ohne Nutzung der Wohnung können – selbst bei zivilrechtlicher Zahlungsverpflichtung – keine Unterkunftsbedarfe nach § 22 SGB II beansprucht und ausgezahlt werden.

Die Nutzung als Abstellkammer oder Projektwohnung – wie hier geschehen – ist nach alledem nicht ausreichend, um einen Bedarf nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II an Unterkunfts- und Heizbedarfen auszulösen.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171863

 

 

2.2 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.07.2022 - L 13 AS 1162/22

Höhere Regelleistung aufgrund Pandemie und Inflation abgelehnt - Hartz IV Sätze trotz Inflation weiter verfassungsgemäß

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.


1. Mit der Einmalzahlung i.H.v. 200,- € hat der Gesetzgeber nicht die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen abgewartet (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12), sondern die durch die Pandemie und die Inflation entstandenen zusätzlichen Kosten bei den SGB II-Leistungen berücksichtigt. Ein Anspruch des Klägers auf weitere Leistungen besteht nicht.

2. Er hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfs i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171868

 

Hinweis Redakteur zum SGB XII: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 24.08.2022 - L 8 SO 56/22 B ER

Keine Erhöhung existenzsichernder Leistungen zum Inflationsausgleich durch gerichtliche Anordnung.

1. Das Gericht kann wegen der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) im Rahmen der Grundsicherungsleistungen einen über den normierten Betrag hinausgehenden Regelsatz (vgl. Anlage zu § 28 SGB XII) zum Ausgleich des seit Anfang des Jahres 2022 inflationsbedingt eingetretenen Kaufkraftverlustes weder im Wege einer verfassungskonformen Auslegung noch durch eine abweichende Festsetzung des Regelsatzes (§ 27a Abs 4 S 1 Nr 2 SGB XII analog) zusprechen.

2. Eine Aussetzung und Vorlage des Verfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 GG kommt im vorläufigen Rechtschutzverfahren grundsätzlich nicht in Betracht. Die gegenwärtige Regelsatzhöhe ist aber in Anbetracht der erfolgten und angekündigten ("Drittes Entlastungspaket") Entlastungsmaßnahmen des Gesetzgebers auch nicht evident unzureichend, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern.

 

 

2.3 LSG Hessen, Urt. v. 24.08.2022 - L 6 AS 97/20 - Revision zugfelassen

Durch den Verkauf der Fondsanteile erzielten Kapitalerträge sind Vermögen nach § 12 SGB II und kein Einkommen.

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.


1. Es handele sich insoweit nur um eine bloße Vermögensumschichtung von Fondsanteilen in Geldbeträge, so dass die Erlöse aus dem Verkauf dem Vermögensfreibetrag unterfielen und deshalb nicht anzurechnen seien.

2. Grundsätzlich sei es so, dass im Bewilligungszeitraum erzielte Erlöse aus der Veräußerung von Gegenständen, die bereits vor Antragstellung zum Sach- und Rechtsbestand des Betroffenen gehörten, mangels wertmäßigen Zuwachses in der Regel kein zu berücksichtigendes Einkommen darstellten.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171930

 

 

3. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

3.1 Sozialgericht Hildesheim – Beschluss vom 31.08.2022 – Az.: S 27 AY 4018/22 ER

Normen: §§ 3, 3a AsylbLG, § 2 AsylbLG – Schlagworte: „Fehlende Ausreise nach Italien“, Corona, nicht rechtsmissbräuchliches Verlängern des Aufenthaltes, Sozialgericht Hildesheim

weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2022/09/02/sozialgericht-hildesheim-beschluss-vom-31-08-2022-az-s-27-ay-4018-22-er/

 

 

4. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

 

4.1 BVerfG, Beschluss vom 30.05.2022 - 1 BvR 1012/20

Orientierungshilfe RA Volker Gerloff


PKH-Ablehnung verfassungswidrig, wenn Anforderungen an Erfolgsaussichten überspannt werden; insb., wenn sich hinreichende Erfolgsaussicht aufdrängt.

SG Chemnitz hatte Ansicht contra legem vertreten, ohne das irgendwie zu begründen.

Quelle: RA Volker Gerloff auf Twitter: https://twitter.com/GerloffVolker?ref_s ... r%5Eauthor


Hinweis Redakteur:

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) durch Versagung von PKH in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren ( www.openjur.de

Quelle: https://openjur.de/u/2448810.html

 

 

4.2 Strom und Gas dürfen nicht teurer werden, wenn Verträge mit Preisgarantie abgeschlossen wurden.

Die Energiekrise und die außergewöhnliche Situation auf dem Markt sind für die Energieversorger kein rechtmäßiger Grund, um Preisgarantien außer Kraft zu setzen. Das entschied das Düsseldorfer Landgericht und folgte damit einem entsprechenden Antrag der Verbraucherzentrale NRW. Preiserhöhungen während der Garantiezeit sind damit unzulässig. Wie sollen sich Kunden und Kundinnen jetzt verhalten.

Weiter: https://www.wolfsburger-nachrichten.de/politik/article236295003/strom-gas-energie-preiserhoehung-verboten-gericht.html

 

 

4.3 Die Stadt Essen hat neue Mietobergrenzen für Sozialhaushalte ab dem 01. September 2022 festgelegt. Sie haben jetzt bei der Neuanmietung einer Wohnung mehr Spielraum.

Weiter: https://www.radioessen.de/artikel/essen-erhoeht-mietobergrenzen-fuer-hartz-iv-empfaenger-1411258.html

 

4.4 Dieselbe Angelegenheit» bei mehreren Klagen verschiedener Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft

Praxishinweis

Das LSG Nordrhein-Westfalen unterstreicht in der berichteten Entscheidung seine – zu kritisierende – Auffassung, dass trotz unterschiedlicher gerichtlicher Verfahren dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit vorliegen kann (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.10.2021 - L 2 AS 819/21 B, BeckRS 2021, 42296). Richtiger Auffassung nach liegen, soweit es sich um mehrere Verfahren handelt, bis zu einer etwaigen Verbindung grundsätzlich verschiedene Angelegenheiten vor (vgl. Toussaint in Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. § 15 RVG Rn. 32; Enders in Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, RVG § 15 Rn. 142; KG, Beschluss vom 13.01.2009 - 5 W 207/07, BeckRS 2009, 9030).

 

Weiter: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/dieselbe-angelegenheit-bei-mehreren-klagen-verschiedener-mitglieder-einer-bedarfsgemeinschaft?bifo=port

 

4.5 Kosten für Leistungssport als Teilhabeleistung, ein Beitrag von Annika Zwarg ist Rechtsanwältin in Sozietät Bietmann

Leistungssport kann teuer sein, insbesondere, wenn man Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bezieht. Doch kann man diese Kosten als Leistungen zur Teilhabe am Leben geltend machen?

weiter: https://in-gl.de/2022/08/29/kosten-fuer-leistungssport-als-teilhabeleistung/

 

Hinweis Redakteur:

LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 02.02.2022 - L 2 AS 261/19 - Revision zugelassen

Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben

Leitsatz


1. Nach § 28 Abs 7 Satz 2 SGB II in der bis zum 31. Juli 2019 gültigen Fassung können Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben für Aufwendungen erbracht werden, die im Zusammenhang mit der Teilnahme an Aktivitäten nach Satz 1 Nr 1-3 entstehen. Ein solcher Zusammenhang besteht nur bei Aufwendungen, die bei wertender Betrachtung der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft zuzuordnen sind.

2. Ein solcher innerer Zusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn Kosten im Rahmen einer als Leistungssport ausgeübten sportlichen Betätigung anfallen.Deshalb kann zB die Berücksichtigung von Übernachtungskosten bei der Teilnahme an Jugendmeisterschaften auf Bundesebene ausscheiden.

https://www.landesrecht.sachsen-anhalt. ... E220024891

 

 

5. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

5.1 SG Dortmund, Beschluss v. 12.08.2022 - S 31 AS 51/22

Leitsätze


Die Bemessung der Regelsätze für 2021 und für 2022 entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171962

 

Hinweis Redakteur: vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.07.2022 - L 13 AS 1162/22, zum SGBXII:  LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 24.08.2022 - L 8 SO 56/22 B ER

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock




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