Newsticker
Tacheles Rechtsprechungsticker KW 38/2024
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung ( SGB II )
1.1 BSG, Urt. v. 11.09.2024 - B 4 AS 12/23 R -
Kann die Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts aus § 2 Absatz 2 Nummer 3 FreizügG/EU 2004 als nicht niedergelassener Erbringer von Dienstleistungen einem "gewöhnlichen Aufenthalt" im Bundesgebiet im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II entgegenstehen?
Polnische Mutter und 2- Jähriger Sohn haben Anspruch auf Bürgergeld/Sozialgeld
BSG spricht polnischer Mutter Bürgergeld zu - Für Bürgergeld keine lückenlose Behördenmeldung nötig
Kein Leistungsausschluss vom Bürgergeld aufgrund der Rückausnahme des § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II
Die polnische Staatsbürgerin kann sich auf die Rückausnahme eines fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts berufen, wonach sie bereits mehr als fünf Jahre ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte.
Wie der Senat inzwischen entschieden hat, setzt § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II keine durchgehende behördliche Meldung voraus (Urteil vom 20. September 2023 - B 4 AS 8/22 R -).
Es ist gerade nicht ausschlaggebend, ob die Klägerin sich auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit oder die Dienstleistungsfreiheit berufen konnte.
Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt setzt nicht zwingend einen rechtmäßigen Aufenthalt voraus, so dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen bestimmten Aufenthaltsrechten und dabei in Anspruch genommenen Grundfreiheiten und der Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, besteht.
Der zweijährige Sohn der polnischen Mutter hat einen Anspruch auf Sozialgeld gegen das Jobcenter, weil er als Nichterwerbsfähiger mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebte.
Die Regelung über den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II findet auf ihn keine Anwendung, weil er weder selbst erwerbsfähig noch Familienangehöriger einer von Leistungen ausgeschlossenen Person war.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2024/2024_09_11_B_04_AS_12_23_R.html
1.2 BSG, Urt. v. 11.09.2024 - B 4 AS 6/23 R -
Grundsicherung für Arbeitsuchende - kommunales Jobcenter- endgültige Festsetzung - vorläufige Bewilligung - Nullfestsetzung - vorrangiger Erstattungsanspruch gegen Sozialhilfeträger - Zurechnung - Kenntnis
Bundessozialgericht klärt Erstattung von ALG II - Leistungen
Bürgergeldbezieher müssen zu Unrecht erhaltene Leistungen eines von einer Kommune betriebenen Jobcenters zurückzahlen.
Sie können nicht auf die Verantwortlichkeit des kommunalen Sozialhilfeträgers verweisen.
Denn nur weil die sogenannte Optionskommune das Jobcenter in eigener Regie führt, ist nicht davon auszugehen, dass die Behörde bei ihrer Erstattungsforderung Kenntnis davon hat, dass die Sozialhilfe sonst für die Grundsicherung eingesprungen wäre.
Die neue BSG-Präsidentin und Vorsitzende des 4. Senats, Christine Fuchsloch, erklärte auf ihrer ersten BSG-Sitzung, dass das Jobcenter das Geld zurückfordern durfte.
Denn das in kommunaler Verantwortung betriebene Jobcenter und der kommunale Sozialhilfeträger seien bei Erstattungsforderungen getrennt anzusehen.
Ein Anspruch darauf, dass das Jobcenter die Erstattung der Leistung vorrangig von der Sozialhilfe hätte einfordern sollen, bestehe nicht.
Es sei aber der Betrag hinsichtlich des mittlerweile verstorbenen Ehemannes um die geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge um etwa ein Viertel zu reduzieren.
Diese könnten nicht mehr zurückgefordert werden. Weil die Ehefrau familienversichert war, fielen bei ihr keine Versicherungsbeiträge an.
Quelle: www.evangelisch.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
2.1 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 31.01.2024 - L 4 AS 628/22 -
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Ein Anspruch auf eine Wohnungserstausstattung liegt nur vor, wenn ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt ist.
2. Werden dem Kläger Einrichtungsgegenstände ohne eine ernsthafte Rückgabeverpflichtung auf unbestimmte Zeit zur Nutzung überlassen, liegt insoweit kein ungedeckter Bedarf vor.
2.2 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 31.07.2024 - L 4 AS 518/20 -
Kindergeld als Einkommen der kindergeldberechtigten Person
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Leitet die Kindergeldberechtigte das an sie gezahlte Kindergeld für ein volljähriges und nicht in ihrem Haushalt lebendes Kind nicht so an das Kind weiter, dass es von den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln separiert wird und von dem Kind zur Deckung seiner Bedarfe eingesetzt werden kann (zB durch Überweisung auf dessen Konto), liegt kein nachweisliches Weiterleiten an das Kind iSv § 1 Abs 1 Nr 8 Alg II-V vor.
2. Ein Abfluss durch Barabhebungen der Kindergeldberechtigten und die behauptete, aber nicht belegte Verwendung für das Kind oder ein Verbrauch im Rahmen der allgemeinen Lebens- und Haushaltsführung genügt nicht.
Rechtstipp
Wann hat die Rechtsprechung eine Weiterleitung des Kindergeldes an das nicht im Haushalt des Leistungsberechtigten lebende volljährige Kind bejaht
Zum Bsp., wenn
1. Das Weiterleiten des Kindergeldes kann auch dadurch erfolgen, dass ein Teil des Gelds auf das Bankkonto des Kinds überwiesen und der andere Teil unmittelbar für die grundlegende soziokulturelle Existenzsicherung (zum Beispiel durch Zahlung der Stromabschläge an den Versorger) eingesetzt wird ( LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 16.11.2023 - L 4 AS 524/21 B - ).
2. Eine Weiterleitung des Kindergeldes an das nicht im Haushalt des Leistungsempfängers lebende Kind iS von § 1 Abs 1 Nr 8 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) ist auch dann gegeben, wenn der Leistungsberechtigte - im Einvernehmen mit dem Kind - mit dem auf seinem Konto eingegangenen Kindergeld regelmäßig die (das Kindergeld übersteigende) Miete für die eigene Wohnung des Kindes zahlt.
Dies gilt auch für sonstige Direktzahlungen des Leistungsberechtigten auf Verbindlichkeiten des Kindes, die dessen soziokultureller Existenzsicherung (einschließlich des Ausbildungsbedarfs) dienen, wie beispielsweise für Stromkosten oder Studiengebühren ( LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19.10.2016 - L 4 AS 22/15 - )
2.3 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 31.07.2024 - L 4 AS 138/24 -
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Die Regelungen zum vereinfachten Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie erfassen nicht nur erstmalige Bewilligungen, sondern auch Weiterbewilligungszeitraum, die während der in § 67 Abs 1 SGB II geregelten Geltungsdauer beginnen.
2. Ein rechtsmissbräuchliches Handeln setzt voraus, dass der Betreffende die nach § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II bestehende Rechtsposition ausschließlich in der Absicht nutzt, die eigenen Wohnverhältnisse zu Lasten der Allgemeinheit zu verbessern. Liegen nachvollziehbare Gründe für einen Umzug während der Pandemie vor, so liegt kein Rechtsmissbrauch vor und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse ist hinzunehmen.
Anmerkung Detlef Brock
1. Die Regelungen zum vereinfachten Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie erfassen nicht nur erstmalige Bewilligungen, sondern auch Weiterbewilligungszeiträume.
2. Die in den Regelungen zum vereinfachten Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie normierte Fiktion, dass die tatsächlichen Unterkunftskosten als angemessen gelten, findet grundsätzlich auch Anwendung, wenn der Leistungsberechtigte während der Pandemie umgezogen ist.
3. Eine Kürzung von monatlich 128,00 € bei den Kosten der Unterkunft wegen eines Umzugs in eine zu teure Wohnung während der Pandemie ist rechtswidrig, wenn die aufgrund des Schlaganfalls erforderlich gewordene Anmietung einer „bewohnbaren“ Wohnung in der Nähe des Arztes und des Krankenhauses erfolgte.
4. Ein Umzug in eine zu teure Wohnung während der Pandemie stellt auch kein sozialwidriges Verhalten im Sinne des § 34 SGB II dar, wenn der Umzug erforderlich war auf Grund der gesundheitlichen Einschränkungen bedingt durch einen Schlaganfall.
2.4 LSG NRW, Urt. v. 13.12.2023 - L 12 AS 1814/22 - beim BSG Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (B 7 AS 56/24 B)
SGB II: Kein zusätzlicher Inflationsausgleich für das Jahr 2022
1. Mit der Einmalzahlung und der deutlichen Steigerung des Regelsatzes ab dem 01.01.2023 hat der Gesetzgeber die durch die Pandemie und die Inflation entstandenen zusätzlichen Kosten angemessen schnell berücksichtigt.
Auch die deutliche Steigerung des Regelsatzes mit Einführung des Bürgergeldes ab dem 01.01.2023 auf 502 € monatlich für Alleinstehende dokumentiert die angesichts komplexer demokratischer Gesetzgebungsverfahren angemessen schnelle Reaktion des Gesetzgebers auf die Diskrepanz zwischen Preisentwicklung und Regelbedarfsanpassung (vgl. LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 11.10.2022, L 6 AS 87/22 B ER; LSG Niedersachsen Bremen Beschluss vom 24.08.2022, L 8 SO 56/22 B ER; LSG NRW Beschluss vom 31.01.2022, L 2 AS 330/22 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 18.10.2023, L 18 AS 279/23).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis Redakteur
Mit BSG Beschluss vom 05.07.2023 - B 4 AS 36/23 B hat das BSG keinen Grund gesehen, die Revision in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs u.a. für die Jahre 2020 bis 2021 zuzulassen.
Gleich zwei Sozialhilfe-Regelsatz-Klagen sind beim Bundessozialgericht anhängig
1. B 8 SO 4/24 R
Vorinstanz: Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 7 SO 1468/22, 17.11.2022: Waren die nach § 29 SGB XII bestimmten Regelsätze in der 1. Hälfte des Jahres 2022 verfassungskonform?
2. B 8 SO 5/24 R
Vorinstanz: Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 7 SO 296/23, 27.04.2023: Waren die nach § 29 SGB XII bestimmten Regelsätze in der 2. Hälfte des Jahres 2022 verfassungskonform?
2.5 LSG München, Urteil v. 09.04.2024 – L 7 AS 76/23 - BSG, Beschluss vom 19.08.2024 – B 4 AS 48/24 B -
Die Beschwerde des Beklagten ( Jobcenter ) gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. April 2024 wird als unzulässig verworfen
LSG Bayern: Jobcenter müssen Bürgergeld - Empfängern Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für Zahnbehandlungen zahlen bei unterlassener Beratung
Orientierungssatz Detlef Brock
Das Jobcenter muss Kosten der Zahnbehandlung der Bürgergeld - Empfängerin in Höhe von ca. 1500,00 Euro als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II übernehmen.
Kosten von Krankenbehandlungen oder wie hier Zahnbehandlungen, die ein Empfänger von Bürgergeld aufgrund seiner privaten Krankenversicherung mit Selbstbeteiligung selbst zu bezahlen hat, können als Härtefallmehrbedarf vorübergehend vom Jobcenter zu übernehmen sein bei unterlassener Beratung und Hilfestellung durch das Jobcenter ( Orientierungssatz Detlef Brock )
Jobcenter sind gemäß § 14 SGB I verpflichtet gegenüber Leistungsempfängern zu beraten und Hilfestellung zu geben.
Solange es an einer solchen Beratung durch das Jobcenter fehlt und ein Wechsel in den Basistarif der privaten Krankenversicherung darum noch unterblieben ist, bilden die wegen eines fortbestehenden Selbstbehalts in der privaten Krankenversicherung ungedeckten Kosten der medizinischen Versorgung einen besonderen Bedarf im Sinn des § 21 Abs. 6 SGB II – Härtefallmehrbedarf ( vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 8/14 R - ).
Quelle: www.gesetze-bayern.de
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )
3.1 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 25.07.2024 - L 2 AL 18/23 -
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Der Erwerb der beschleunigten Grundqualifikation gem § 4 Abs 2 BKrFQG aF (jetzt: § 2 Abs 2 BKrFQG) stellt keinen Abschluss in einem Ausbildungsberuf mit einer festgelegten Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren dar und kann deshalb nicht mit einer Prämie gem § 131a Abs 3 SGB III aF (jetzt: § 87a Abs 1 SGB III) gefördert werden.
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
4.1 SG Aachen, Urt. v. 14.06.2024 - S 19 SO 112/23 -
Schwerbehinderte hat Anspruch auf sogenannte Fahrrad - Karre zwecks Teilhabe
Eine 36 - jährige Schwerbehinderte kann Anspruch auf eine Reha-Karre, einen sogenannten Fahrrad-Anhänger für behinderte erwachsene Menschen haben, wenn sie aufgrund ihrer Behinderung von der Freizeitgestaltung mit ihrer Mutter ausgeschlossen ist, um Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen.
PM des SG Aachen v. 23.08.2024:https://www.datev-magazin.de/nachrichten-steuern-recht/recht/selbstbestimmte-freizeit-mit-reha-karre-130782
4.2 LSG Bayern, Urt. v. 13.07.2023 - L 8 SO 12/23 -
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtssuchenden - als Teil der Bezeichnung des Klägers - genannt wird.
Dazu gehört die Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtssuchenden. Die Anschrift "postlagernd" genügt grundsätzlich nicht.
2. Die Angabe kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn besondere, dem Gericht mitgeteilte Gründe dies rechtfertigen.
4.3 LSG Hamburg, Urteil v. 24.07.2024 - L 4 SO 29/23 D -
Sozialhilfe: Ohne Einkünfte keine Absetzung von Versicherungsbeiträgen – kein Verstoß gegen das Verfassungsrecht
1. Kosten für eine Privathaftpflicht-, eine Hausrat - und eine Haushaltsglasversicherung sind bei Nicht - Vorhandensein von Einkommen - nicht absetzbar nach ( § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII ).
2. Eine gesonderte Übernahme von Kosten für eine Privathaftpflicht-, Hausrat - oder Haushaltsglasversicherung ist gesetzlich nicht vorgesehen.
3. Die Sozialhilfeempfängerin muss die Beiträge aus der Regelleistung bestreiten.
4. Auch kann dem Gesetzgeber nicht vorgeworfen werden, mit dieser Systematik gegen Verfassungsrecht zu verstoßen.
Veröffentlicht auf www.landesrecht-hamburg.de
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 Sozialgericht Speyer – Beschluss vom 03.09.2024 – Az.: S 15 AY 24/24 ER
Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistung nach §3 AsylbLG
Orientierungshilfe Redakteur
Zur Verfassungswidrigkeit des § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG und die Notwendigkeit, in diesen Fällen die Leistungssätze von § 3a Abs. 1 Nr. 1 und § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG anzuwenden.
Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/09/09/sozialgericht-speyer-beschluss-vom-03-09-2024-az-s-15-ay-24-24-er/
5.2 Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 27.08.2024 – Az.: S 27 AY 165/21
Normen: § 2 AsylbLG, § 1a Abs. 3 AsylbLG – Schlagworte: Beschaffung von Nationalpass, Ukraine, Luhansk, Mitwirkung, Geburtsurkunde, Sozialgericht
weiter bei RA Sven, Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/09/09/sozialgericht-hildesheim-urteil-vom-27-08-2024-az-s-27-ay-165-21/
5.3 Sozialgericht Heilbronn – Gerichtsbescheid vom 03.09.2024 – Az.: S 11 SO 421/23
Normen: § 32 Abs.1 SGB X, § 32 Abs. 2 SGB X – Schlagworte: Nebenbestimmung, Befristung eines Leistungszeitraumes, Ermessensnichtgebrauch
weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/09/09/sozialgericht-heilbronn-gerichtsbescheid-vom-03-09-2024-az-s-11-so-421-23/
Rechtstipp: vgl. dazu
Die Befristung eines Grundlagenbescheids auf Hilfe zur Pflege ist nicht zulässig ( vgl. LSG Bayern, Urteil vom 28. April 2017 - L 8 SO 206/15 - )
5.4 SG München, Beschluss v. 29.08.2024 - S 42 AY 63/24 ER -
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
Wenn sämtliche Bedarfe eines Leistungsberechtigten mittels Bezahlkarte gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG gedeckt werden, fehlt es an einem Anordnungsgrund für den Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG.
Rechtstipp:
A.A.: SG Hamburg, Beschluss vom 18.07.2024 - S 7 AY 410/24 ER -
Hinweis
München: Bezahlkarte darf vorerst bleiben
Nun entschied das SG München in zwei Verfahren, den Behörden stehe es zu, Leistungen nur mittels Bezahlkarte zu gewähren, bis eine endgültige gerichtliche Erklärung erfolgt sei (Beschluss vom 29.08.2024 - S 42 AY/63/24, Beschluss vom 04.09.2024 – S 52 AY 65/24 ER).
Den Behörden stehe aktuell ein Ermessen zu, in welcher Form sie die Leistungen gewähren wollten – wählten sie dazu stets die Bezahlkarte, so sei das nicht "offensichtlich rechtswidrig", so das Gericht.
6. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Kinderzuschlag, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
6.1 Die Rechtsbehelfsbelehrung der JobCenter nach dem 01.01.2024 - Ein Beitrag von RA Kay Füßlein, Berlin
Das Thema gab es schon mal: Die Rechtsbehelfsbelehrung der JobCenter nach dem 01.01.2018
und es ist seit einer Rechtsänderung zum 01.01.2024 wieder neu aufgeflammt.
Hintergrund ist, dass bis zum 01.01.2024 Widersprüche die mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches versendet wurden, qualifiziert signiert werden mussten.
In der Praxis sieht da so aus, dass man auf die beA-Karte eine sog. Fernsignatur auflädt und diese dann in einen Hardwareleser steckt und dann seine PIN eingibt.
Der Hardwareleser hat aber manchmal schlechte Tage (Kabelbruch?) und die Fernsignatur ist auch nicht gerade das schnellste. Wenn man unterwegs arbeiten möchte, geht das dann auch nicht ohne weiteres (man muss noch mehr Hardware rumschleppen)
Irgendwann hat der Gesetzgeber auch erkannt, dass es ein wenig widersinnig ist, dass Widersprüche bei Behörden einer qualifizieren Signatur bedürften, andere Kommunikation- mit Gerichten zB- nicht. Und er änderte das Gesetz.
Seit eben jenen 01.01. ist also auch die „einfache Signatur“ möglich (= Namensnennung am Ende des Schreibens).
Leider leider leider verweisen die meisten Belehrung – spurtreu wie immer- auf eben jene qualifizierte Signatur.
Und da dies eine sog. Fall der Überbelehrung ist, dürften damit auch die Belehrung falsch sein und es gilt dann eine Frist zur Erhebung eines Widerspruches von einem Jahr.
Quelle: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=1263
6.2 Keine Berufsausbildungsbeihilfe im Elternhaushalt
Wohnen außerhalb des elterlichen Haushalts erfordert, dass der Auszubildende in einer eigenen, von der elterlichen Wohnung räumlich abgegrenzten Wohnung lebt und darin einen eigenen Haushalt führt.
Hinweis Redakteur:
Entscheidung wurde von mir veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 37/2024
3.1 LSG NRW, Urt. v. 20.07.20224 - L 20 AL 196/22 -
Kein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe besteht beim zusammenleben mit der Mutter in einer Wohngemeinschaft ( Orientierungssatz Verein Tacheles e. V. )
1. "Wohnen“ außerhalb des elterlichen Haushalts“ i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III bedeutet, dass der Auszubildende in einer eigenen, von der elterlichen Wohnung abgegrenzten Wohnung lebt und darin einen eigenen Haushalt führt.
2. Es bedarf also nicht nur der Führung eines eigenen Haushalts in dem Sinne, dass der Auszubildende – wirtschaftlich – für die Bedürfnisse des täglichen Lebens (u.a. Nahrung und Kleidung) selbst aufkommt.
Erforderlich ist darüber hinaus ein – räumlich – getrenntes Wohnen in einer eigenen, abgegrenzten Wohnung, an dem es hier fehlt.
3. Aus dem grundsätzlichen Leistungsausschluss von Personen, die während ihrer beruflichen Ausbildung im Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils untergebracht sind, von der Berufsausbildungsbeihilfe ergibt sich keine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots ( BSG B 11a AL 39/06 R).
4. Die Unterbringung in der Wohnung der Eltern bzw. eines Elternteils reicht auch bei Mietzahlungen ( Untermietvertrag ) nicht aus, um die kumulativ erforderliche Voraussetzung des Wohnens in einer eigenen, von der elterlichen Wohnung abgegrenzten Wohnung zu erfüllen.
Rechtstipp ebenso
Die räumliche Komponente, also das Wohnen außerhalb des elterlichen Haushalts, verlangt, dass der Auszubildende in einer von der elterlichen Wohnung abgegrenzten Wohnung wohnt.
Denn von einem „Wohnen außerhalb des elterlichen Haushalts“ kann nach dem natürlichen Sprachverständnis nicht ausgegangen werden, wenn Auszubildende und Eltern eine Wohnung teilen (so auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.03.2016 – L 6 AS 73/13 Rn. 29, zu § 13 Abs. 2 Nr.1 BAföG).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
7. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
7.1 SG Kiel, Urteil vom 28.06.2024 - S 33 AS 157/22 - anhängig beim SH LSG - L 6 AS 76/24 -
Bürgergeld für Kinder bei unerlaubter Ortsabwesenheit ihrer Eltern
Kinder unter 15 Jahren haben auch dann einen Anspruch auf Bürgergeld, wenn ihre Eltern unerlaubt ortsabwesend sind und deswegen kein Bürgergeld erhalten ( RA Helge Hildebrandt, Kiel )
Nach § 7a Abs. 4 a SGB II bzw. der ab dem 01.07.2023 geltenden Nachfolgeregelung des § 7b SGB II erhalten „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ kein ALG II bzw. jetzt Bürgergeld, wenn sie sich ohne Zustimmung des Jobcenters außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deswegen nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Fahren Eltern also etwa mit ihren Kindern ohne Zustimmung des Jobcenters in den Urlaub oder bleiben länger im Urlaub als die Zustimmung zeitlich reicht, entfällt der Leistungsanspruch für die Tage ihrer unerlaubten Ortsabwesenheit.
Die Kinder unter 15 Jahren behalten demgegenüber ihrer Leistungsanspruch, weil sie keine Leistungsberechtigten im erwerbsfähigen Alter sind und Schüler ab ihrem 15. Geburtstag behalten ebenfalls ihren Anspruch auf Bürgergeld, weil sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen müssen (vgl. § 7b Abs. 3 Satz 3 SGB II, wobei ein fehlender Antrag nicht zum Leistungsausschluss führt).
Im vom Sozialgericht Kiel entschiedenen Fall war eine alleinerziehende Mutter mit ihrem einzigen Kind über den Zeitraum der erteilten Zustimmung zur Ortsabwesenheit hinaus in ihrem Herkunftsland geblieben.
Das Jobcenter Kiel hob deswegen die Leistungsbewilligung für die Tage der unerlaubten Ortsabwesenheit sowohl für die Mutter als auch für deren damals vierjährigen Sohn auf.
Zur Begründung verwies das Jobcenter Kiel darauf, der Sohn selbst habe keinen eigenen Leistungsanspruch nach dem SGB II, weil er noch nicht 15 Jahre alt sei (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Er könne deswegen nur als Mitglied einer sog. Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter Leistungen erhalten (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II, § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Da aber die Mutter von Leistungen ausgeschlossen sei, entfalle auch für deren Sohn der Leistungsanspruch, der sich allein aus der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter ergebe.
Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Kiel:
Durch die unerlaubte Ortsabwesenheit der Mutter entfiel nicht deren Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach, sondern nur deren Anspruch auf Auszahlungen der Leistungen für die Tage ihrer unerlaubten Ortsabwesenheit, so dass die Bedarfsgemeinschaft mit dem Sohn nicht aufgehoben wurde und dieser seinen Leistungsanspruch behielt.
(SG Kiel, Urteil vom 28.06.2024, S 33 AS 157/22, Rechtsfrage anhängig beim SH LSG, L 6 AS 76/24)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 8/2024
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt : https://sozialberatung-kiel.de/2024/09/13/burgergeld-fur-kinder-bei-unerlaubter-ortsabwesenheit-ihrer-eltern/
Anmerkung Redakteur:
Durch den Wegfall des Bürgergeldes für die Mutter waren auch die anteiligen Kosten der Unterkunft für die Mutter weg gefallen.
Der Sohn konnte nicht aus seinem Sozialgeld die vollen Unterkunftskosten tragen.
Das Gericht sprach dem unter 15-jährigen Sohn die vollen Mietkosten zu aufgrund der Rechtsprechung des BSG zu den Mietkosten.
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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock