Newsticker

Jahresarchiv

Jahresarchive

Tacheles Rechtsprechungsticker KW 40/2023

 

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II ) und zur Sozialhilfe ( SGB XII )

 1.1 BSG, Urt. v. 20.09.2023 - B 8 SO 19/22 R

Zur Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung als Voraussetzung für die Absetzung hierfür zu entrichtender Beiträge vom Einkommen des Leistungsberechtigten gemäß § 82 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 12

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Rente wegen voller Erwerbsminderung - Sterbegeldversicherung - Abschluss während des Leistungsbezugs – Angemessenheit

 

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Beiträge einer noch abzuschließenden Sterbegeldversicherung sind nur vom Einkommen abzusetzen, wenn nachvollziehbare Gründe gegeben sind, wie etwa die individuelle gesundheitliche Situation; allein die festgestellte dauerhafte volle Erwerbsminderung genügt hierfür jedoch nicht.

2. Es ist in einem solchen Fall erforderlich, dass der Leistungsberechtigte an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet, die wegen des damit im konkreten Fall einhergehenden Risikos einer reduzierten Überlebenswahrscheinlichkeit Anlass dazu gibt, Vorsorge für die Sicherstellung der Beerdigungskosten zu treffen ( Leitsatz Redakteur v. Tacheles e, V. )

 

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Für die Frage, ob eine Versicherung nach § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII Berücksichtigung findet, ist es unbeachtlich, ob diese bereits vor Leistungsbezug abgeschlossen wurde oder dies erst während des laufenden Leistungsbezugs der Fall ist.

2. Für Sterbegeldversicherungen gilt zwar, dass diese gegenüber anderen privaten (kapitalbildenden) Versicherungen privilegiert sind (vergleiche die heutige Entscheidung des Senats zum Aktenzeichen B 8 SO 22/22 R), jedoch ist zur Beurteilung der erforderlichen Angemessenheit bei nach Leistungsbeginn abgeschlossenen Sterbegeldversicherungen das Vorliegen eines in der individuellen Lebenssituation des Leistungsempfängers liegenden nachvollziehbaren Grundes zu prüfen.

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2023/2023_09_20_B_08_SO_19_22_R.html

 

 

1.2 BSG, Urt. v. 27.09.2023 - B 7 AS 10/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Widerspruchsverfahren - Rechtsbehelfsbelehrung - elektronische Form - fehlende Zugangseröffnung - Jahresfrist

Ein Leistungsträger hat über die Möglichkeit, einen Widerspruch in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 SGB I einzureichen, in der Rechtsmittelbelehrung zu beleheren.

 

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Jobcenter müssen über die Möglichkeit, Widerspruch auch in elektronischer Form einlegen zu können, belehren.

2. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die entgegen dem Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Widerspruchs hinweist, ist unrichtig i. S. des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG.


Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.


Eine Rechtsbehelfsbelehrung nach dem 1.1.2018 ist unrichtig erteilt, wenn sie keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Widerspruchseinlegung in elektronischer Form enthält, auch wenn die Behörde bei Bescheiderlass den Zugang zum elektronischen Rechtsverkehr tatsächlich noch gar nicht eröffnet hatte und nicht in das Adressverzeichnis des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) aufgenommen war.

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2023/2023_09_27_B_07_AS_10_22_R.html

 

 

Lesenswert: Die Rechtsbehelfsbelehrung der JobCenter nach dem 01.01.2018 - von RA Kay Füßlein, Berlin

weiter: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=929  und hier: Abermals die elektronische Erreichbarkeit der JobCenter

 

weiter: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=1009

 

 

1.3 BSG, Urt. v. 27.09.2023 - B 7 AS 13/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - temporäre Bedarfsgemeinschaft - Härtefallmehrbedarf - Pauschalierung

Zum Anspruch auf Mehrbedarf gemäß § 21 Absatz 6 SGB II wegen Bedarfen, die durch den regelmäßig wechselnden Aufenthalt eines minderjährigen Kindes getrennt lebender Eltern infolge seiner Zugehörigkeit zu zwei Bedarfsgemeinschaften entstehen.


BSG stärkt Bürgergeldanspruch für Kinder getrennt lebender Eltern

 

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Bezieht nur der Elternteil Bürgergeld, der die Kinder überwiegend betreut, ist das Sozialgeld für die Kinder diesem ungekürzt auszuzahlen. Das gilt auch, wenn sich die Kinder mehrere Tage pro Woche beim anderen Elternteil aufhalten.

2. Eine Anrechnung der Umgangstage bei dem anderen Elternteil ist aber möglich, wenn dieser ebenfalls Leistungen vom Jobcenter erhält.

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2023/2023_09_27_B_07_AS_13_22_R.html

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

2.1 LSG Hamburg, Urt. v. 08.06.2023 - L 4 AS 384/21

Versagung von Leistungen der Grundsicherung wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers

Orientierungssatz


1. Dem Antragsteller sind Leistungen der Grundsicherung nach § 7 SGB 2 zu versagen, wenn er die vom Leistungsträger zum Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit i. S. von § 9 SGB 2 erforderlichen Unterlagen nicht vorlegt.(Rn.6)

2. Voraussetzung hierzu ist eine vorherige Rechtsfolgebelehrung des Leistungsträgers. Kommt er danach seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB 1 nicht nach, so hat dies die Versagung der beantragten Grundsicherungsleistungen zur Folge.(Rn.14)

 

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/search

 

 

2.2 LSG Hamburg, Urt. v. 08.06.2023 - L 4 AS 22/20

Endgültige Entscheidung des Grundsicherungsträgers bei geklärtem Bedarf des Berechtigten nach vorläufiger Leistungsbewilligung

Orientierungssatz

Ist bei vorläufiger Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für den Leistungsträger erkennbar, dass der Grundsicherungsberechtigte seinen Bedarf ganz oder teilweise decken kann, so darf er sich nicht auf eine fortschreibende Änderung der vorläufigen Regelung beschränken. Vielmehr hat er gemäß § 328 SGB 3 i. V. m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a SGB 2 a. F. eine abschließende Entscheidung über das streitbefangene Leistungsbegehren zu treffen.(Rn.27)

 

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/JURE230051290

 

 

2.3 LSG Hamburg, Urt. v. 30.06.2023 - L 4 AS 232/22 D

Nachweis eines rechtswirksam gestellten Antrags auf Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung

Orientierungssatz


1. Nach § 37 Abs. 1 S. 1 SGB 2 werden Leistungen der Grundsicherung auf Antrag erbracht. Gemäß Abs. 2 S. 1 und 2 dieser Vorschrift werden Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Das Antragserfordernis gilt auch im Fortzahlungsfall. Die Beweislast für den Zeitpunkt der Antragstellung trägt der Antragsteller.(Rn.20)

2. Lässt sich eine Antragstellung auch unter Zeugenbeweis nicht feststellen, so geht dies zu Lasten desjenigen, der die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung geltend macht.(Rn.28)

 

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/search

 

 

 

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

 

3.1 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.07.2023 - L 8 AL 2142/22

Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes der Bundesagentur für Arbeit zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses so abgefasst ist, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat oder ohne Weiteres erkennen konnte.

Grobe fahrlässig e Verletzung der Mitteilungspflicht führt bei Arbeitslosen im Einzelfall zur Rückzahlung und Aufhebung von ALG 1, hier Tätigkeit mit regelmäßig 15 oder mehr Wochenstunden ( Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V. )

 

 

Orientierungssatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Die Verletzung von Mitteilungspflichten auf Grund Unkenntnis der Pflichten ist dann durch eigenes Verhalten grob fahrlässig verursacht, wenn der Adressat eines nachweislich übergebenen Hinweisblattes, hier das Merkblatt 1 für Arbeitslose, hätte er den Hinweis gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, dass er eine Mitteilungspflicht hat oder der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht ( Überschreitung der 15-Stunden-Grenze für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, welcher jedenfalls Beschäftigungslosigkeit voraussetzt ).

2. Soweit ein Empfänger von Arbeitslosengeld gleichwohl diesbezügliche Überlegungen anstellt und rechtsirrig davon ausgeht, dass er keiner Mitteilungspflicht unterliegt, geht ein solcher Rechtsirrtum zu seinen Lasten und lässt den Verschuldensvorwurf nicht entfallen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.02.2019 – L 4 AS 165/12). Etwas Anderes würde nur dann gelten, wenn der Rechtsirrtum unvermeidbar war. Dies kann jedoch vorliegend nicht festgestellt werden.

 

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/174394

 

4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

 

4.1 SG Regensburg, Urteil v. 25.04.2022 – S 6 SO 81/20

Titel:

Leistungen der Eingliederungshilfe, Eingliederungshilfeleistung, Betriebskostenpauschale, Widerspruchsbescheid, Weitere Betriebskosten, Deckung der Betriebskosten, Kfz-Haftpflichtversicherung, Wiederholende Verfügung, Klageabweisung, Zweitbescheid, Kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, Willenserklärungen, Kfz-Hilfe, Heizkostenpauschale, Kostenentscheidung, Betrieb des Kfz, KFZ-Steuer, Außergerichtliche Kosten, Erwerbsunfähigkeitsrente, Fahrtenbuch

Leitsatz:

Die im Rahmen der KFZ -Hilfe durch den Hilfeträger zu übernehmenden Betriebskosten eines KFZ sind auf die für den Betrieb notwendigen und angemessenen Kosten begrenzt. Die Angemessenheit der Kosten bemisst sich nach dem Zweck der Eingliederungshilfe und dem Schutz vor sozialer Ausgrenzung. Es ist auf die Lebensgewohnheiten abzustellen, die auch von der Bevölkerung in „bescheidenen Verhältnissen“ geteilt werden.

 

Quelle: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2022-N-51154?hl=true

 

 

4.2 SG Detmold, Gerichtsbescheid v. 13.09.2023 - S 35 SO 27/23

Gerichtsbescheid | Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Grundsicherung in besonderen Wohnformen – Aufhebung und Erstattung von Grundsicherungsleistungen – anfängliche und nachträgliche Rechtswidrigkeit – Anwendbarkeit der Übergangsregelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie | § 45, § 48 SGB X, § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, § 141 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB XII

 

 

Die Corona-Sonderregelung des § 141 Abs. 2 SGB XII gilt nur für die Dauer von sechs Monaten ( Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V. , a. A. Zum SGB 2: LSG NRW, 11.02.2022 - L 21 AS 66/22 B ER ).

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

§ 141 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII findet keine Anwendung, wenn der streitigen Leistungsbewilligung bereits ein sechsmonatiger Bewilligungszeitraum vorangegangen ist, der in den Anwendungsbereich der Norm fällt. Eine darüberhinausgehende Auslegung geht über die Grenzen des Wortlauts hinaus und stellt eine unzulässige Auslegung contra legem dar.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/174407

 

 

Hinweis: a. Auffassung vgl. zum SGB II zu § 67 Abs. 2 S. 1 SGB II: LSG NRW, 11.02.2022 - L 21 AS 66/22 B ER - zur Nichtberücksichtigung des Immobilienvermögens; SG Nordhausen, Urt. v. 22.03.2023 - S 13 AS 1534/21 - Die sechsmonatige Befristung der Fiktion der Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in § 67 Abs 3 S 1 SGB II läuft in dem durch § 67 Abs 1 und 5 SGB II iVm § 1 VZVV (juris: VZVV 2022) bestimmten Geltungszeitraum nicht ab; gleicher Auffassung wie oben: LSG NRW, Beschluss v. 28.06.2022 - L 9 SO 140/22 B ER - Die Corona-Sonderregelung des § 141 Abs. 2 SGB XII gilt nur für die Dauer von sechs Monaten. Wenn dieser Zeitraum abgelaufen ist, kommt der erweiterte Vermögensschutz nicht mehr zum Tragen; zuletzt veröffentl. Entscheidung: LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.6.2023, L 2 SO 2864/21 - Zur Frage, wann jeweils die sechs-Monats-Frist nach § 141 SGB XII zu berücksichtigen ist

 

 

 

 

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

 

Zurück