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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 40/2025
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung (SGB II) und zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
1.1 BSG, Urteil vom 01.10.2025 – B 7 AS 13/23 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss – EU-Ausländer – Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche – Daueraufenthalt – Rückausnahme – faktischer Inländer
Rechtsfrage:
Zu den Voraussetzungen für das Eingreifen der Rückausnahme vom Leistungsausschluss für Ausländer bei mindestens fünfjährigem gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II).
Zum Vorliegen eines inlandsbezogenen Ausreisehindernisses im Sinne des Art. 8 EMRK (sog. faktischer Inländerstatus) als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
Ergebnis:
Die Sache hat nach dem Tod des Klägers ihre Erledigung gefunden.
1.2 BSG, Urteil vom 01.10.2025 – B 7 AS 9/24 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Rechtsanwaltskosten – „Dieselbe Angelegenheit“ – Bedarfsgemeinschaft
Rechtsfrage:
Liegt dieselbe Angelegenheit i. S. v. § 15 Abs. 2 RVG vor, wenn ein Rechtsanwalt mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft gegen Mahngebühren vertreten hat?
BSG:
Keine abschließende Entscheidung zur Höhe der RA-Kosten; Zurückverweisung an das LSG, da Feststellungen zur Billigkeit der Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG fehlen.
Hinweis:
Nach Auffassung des BSG handelt es sich nicht um dieselbe Angelegenheit, da zwischen den einzelnen Widerspruchsverfahren gegen Mahnschreiben kein innerer Zusammenhang und kein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit bestehen.
Quelle: BSG – Verhandlung 01.10.2025, B 7 AS 9/24 R
1.3 BSG, Urteil vom 01.10.2025 – B 11 AL 9/23 R
Arbeitslosenversicherung – Berufsausbildungsbeihilfe – Freibetrag – Elternbegriff – Jugendhilfeeinrichtung
Rechtsfrage:
Ist ein Freibetrag nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III auch zu berücksichtigen, wenn die Ausbildungsstätte von einer Einrichtung, in der die leistungsberechtigte Person aufgewachsen ist, nicht in angemessener Zeit erreichbar ist?
Zum Begriff der „Eltern“ in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III.
Ergebnis:
Die Sache hat sich durch Vergleich erledigt.
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung (SGB II / Bürgergeld)
2.1 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.05.2019 – L 32 AS 823/19 B ER (unveröffentlicht)
Leistungslücke beim Zuständigkeitswechsel nach Umzug unzulässig
Anmerkung (Detlef Brock):
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Nach § 2 Abs. 3 SGB X darf bei einem Zuständigkeitswechsel keine Leistungslücke entstehen.
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Der bisher zuständige Träger bleibt leistungspflichtig, bis der neue Träger übernimmt.
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Unterschied zwischen Regelbedarf und Kosten der Unterkunft ist zu beachten.
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Unterkunftskosten für die alte Wohnung dürfen nach Umzug nicht weiter übernommen werden (vgl. LSG SH, Urt. v. 12.04.2011 – L 6 AS 45/10).
Praxistipp:
Beim BSG ist folgende Rechtsfrage anhängig:
BSG B 7 AS 11/25 R
Zur Fortwirkung des Leistungsantrags beim Jobcenter bei umzugsbedingtem Zuständigkeitswechsel im laufenden Bewilligungszeitraum.
Leitsatz (LSG BB, L 5 AS 952/23):
Die (Weiter-)Leistungspflicht nach § 2 Abs. 3 SGB X erstreckt sich nicht auf Kosten der Unterkunft und Heizung.
2.2 LSG Bayern, Beschluss vom 12.09.2025 – L 7 AS 325/25 B ER
Tatbestandsberichtigung – Rechtsschutzbedürfnis erforderlich
Leitsatz:
Ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung ist unzulässig, wenn keine Entscheidungserheblichkeit der Unrichtigkeit oder kein Rechtsmittel mehr möglich ist.
(Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de)
2.3 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.05.2025 – L 2 AS 1018/25
Garage / Stellplatz – Unterkunftskosten (§ 22 Abs. 1 SGB II)
Anmerkung:
Sind Wohnung und Garage nur gemeinsam anmietbar und die Gesamtkosten angemessen, sind die Garagenkosten als Teil der Unterkunftskosten anzuerkennen.
2.4 LSG Hessen, Beschluss vom 19.09.2025 – L 6 AS 399/25 B ER
Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit – geschwärzte Kontoauszüge
Leitsatz:
Bei weitgehender Schwärzung von Kontoauszügen ist die Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht.
Keine Leistungen im Eilverfahren bei unzureichender Mitwirkung trotz ersichtlicher Gutschriften.
(Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de)
2.5 LSG NRW, Beschluss vom 21.07.2025 – L 21 AS 700/25 B ER
Keine pauschale Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II
Anmerkung:
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Eine Zusicherung bezieht sich nur auf eine konkrete Unterkunft in bestimmter Höhe.
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Kein Anspruch auf eine pauschale Zusicherung für „irgendeine“ oder gar unangemessene Unterkunft.
Rechtstipp:
Vgl. LSG BW, Urteil vom 25.06.2025 – L 3 AS 828/25.
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)
3.1 SG Hildesheim, Urteil vom 16.09.2025 – S 3 AL 26/23 (Berufung zugelassen)
Erreichbarkeit nach Umzug – digitale Kommunikation – § 138 SGB III
Kernaussagen:
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Keine ausschließliche Orientierung an briefpostalischer Erreichbarkeit.
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Elektronische Kommunikation (E-Mail, eService, Nachsendeauftrag) genügt.
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Die Klägerin blieb verfügbar und vermittlungsfähig.
Anmerkung (Detlef Brock):
Erreichbarkeit kann auch durch moderne Kommunikationsmittel gewährleistet sein. § 7b SGB II kann als Orientierung dienen.
Quelle: RA Sven Adam, Göttingen
Rechtstipp:
Vgl. SG Berlin, Urt. v. 13.03.2024 – S 185 AL 1208/21 – Berufung L 14 AL 21/24 (LSG BB).
4. Entscheidungen zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 SG Koblenz, Urteil vom 16.12.2024 – S 10 SO 35/24
Privatunfallversicherung – Vermögenseinsatz – keine Härte
Leitsatz:
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Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung sind als Vermögen einzusetzen.
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Keine Härte i. S. v. § 90 Abs. 3 SGB XII; keine Vergleichbarkeit mit Schmerzensgeld.
Anmerkung:
Ein Vermögen von 416.250 Euro aus einer Unfallversicherung ist für den Lebensunterhalt einzusetzen.
5. Entscheidungen zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
5.1 SG Halle, Beschluss vom 08.09.2025 – S 17 AY 28/25 ER
Fortschreibung von Grundleistungen – Stromkostenabzug rechtswidrig
Leitsatz:
Kürzungen der Geldleistungen um Stromkostenanteile verstoßen gegen § 3a Abs. 2 AsylbLG.
§ 28a Abs. 5 SGB XII ist entsprechend anzuwenden.
Quelle: Anwaltskanzlei Adam, Halle
6. Entscheidungen zum Kinderzuschlag (BKGG)
6.1 SG Hamburg, Urteil vom 18.08.2025 – S 67 BK 5/22
Gemischte Bedarfsgemeinschaft – Studierende – Ausschluss vom Kinderzuschlag
Leitsatz:
Studierende, die nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Bürgergeld ausgeschlossen sind, haben auch keinen Anspruch auf Kinderzuschlag (§ 6a BKGG).
Rechtstipp:
Vgl. BSG, Urteil vom 13.07.2022 – B 7/14 KG 1/21 R;
LSG BW, Urt. v. 07.08.2023 – L 12 BK 775/22;
LSG BB, Urt. v. 24.06.2021 – L 14 BK 2/18.
7. Verschiedenes
7.1 Sozialrechtler Udo Geiger: Linnemanns Bürgergeld-Vorstoß rechtswidrig
Der frühere Richter am SG Berlin und Sozialrechtsexperte Udo Geiger hält den Vorschlag von CDU-Generalsekretär Linnemann, EU-Ausländern mit Minijob Bürgergeld zu streichen, für europarechtswidrig.
„Eine Regelung, die nur EU-Bürger betrifft, verstößt gegen die EU-Gründungsverträge. Dann müssten auch deutsche Minijobber ausgeschlossen werden.“
– Udo Geiger im Handelsblatt
Quelle: Oldenburger Onlinezeitung
Hinweis zur Zitierweise
Nicht veröffentlichte Urteile, Anmerkungen oder Besprechungen dürfen nur mit Quellenangabe zitiert werden:
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Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW XX/2025 – Autor: Detlef Brock
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Für Newsletter: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 – Autor: Harald Thomé
Lizenz: Creative Commons CC-BY-SA 3.0
Hinweis: Zitate ohne Quellenangabe sind urheberrechtswidrig.
Verfasser: Detlef Brock, Redakteur Tacheles Rechtsprechungsticker