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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 42/2025
Rechtsprechungsübersicht – Grundsicherung, Sozialhilfe, AsylbLG und Bürgergeld
(Stand: 19. Oktober 2025)
Redaktion: Detlef Brock / Tacheles Rechtsprechungsticker
1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II – Bürgergeld
1.1 LSG Hamburg, Urteil vom 10.07.2025 – L 4 AS 300/22 D
Jobcenter übernehmen keine Tilgungsraten für selbst bewohntes Eigentum bei nur 24 % Tilgung der Hauskredite nach 10 Jahren
Anmerkung von Detlef Brock
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Leistungen nach dem SGB II sind auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt; sie sollen nicht der Vermögensbildung dienen.
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Dementsprechend sind Schuldzinsen auf einen Finanzierungskredit als Bedarf für die Unterkunft zu übernehmen. Tilgungsleistungen sind hingegen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, da sie der Vermögensbildung dienen.
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Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Finanzierung im Zeitpunkt des Leistungsbezugs bereits weitgehend abgeschlossen ist und der Erwerb der Immobilie außerhalb des Leistungsbezugs erfolgte.
Quelle: www.landesrecht-hamburg.de
1.2 LSG Hamburg, Urteil vom 10.07.2025 – L 4 AS 294/24
Einkommen aus der Vermietung eines Garagenstellplatzes ist anrechenbares Einkommen
Anmerkung von Detlef Brock
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Einnahmen aus der Vermietung eines im Eigentum stehenden Garagenstellplatzes einer Bürgergeldempfängerin sind anrechenbares Einkommen, auf das der Freibetrag von 100 € gem. § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht anzuwenden ist, da es sich nicht um Einkommen aus Erwerbstätigkeit handelt.
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Diese Einnahmen fallen unter keine der in § 11a SGB II genannten Ausnahmen. Das Urteil des BSG vom 06.08.2014 – B 4 AS 37/13 R –, wonach Einnahmen aus der Untervermietung eines als Teil der Unterkunft angemieteten Stellplatzes nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, steht dem nicht entgegen.
Quelle: www.landesrecht-hamburg.de
1.3 LSG Sachsen, Urteil vom 28.04.2022 – L 3 AS 258/17
Keine temporäre Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern, wenn minderjährige Kinder zeitweise im Internat wohnen
Anmerkung von Detlef Brock
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Minderjährige Kinder, die zeitweise in einem Internat wohnen, haben Anspruch auf ungekürztes Sozialgeld.
Leitsätze
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Das Rechtsinstitut der temporären Bedarfsgemeinschaft dient der Bedarfsdeckung und darf nicht leistungseinschränkend angewandt werden.
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Der Aufenthalt des Kindes bei einem Elternteil – als personeller Bezugspunkt – fehlt für Zeiten der Internatsunterbringung.
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Minderjährige Kinder, die zeitweise im Internat wohnen, sind aufgrund des Aufenthaltsbestimmungsrechts weiterhin dem Haushalt der Eltern zuzurechnen.
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Zur Prüfung eines besonderen behindertenspezifischen Bezugs bei Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII a.F.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Bereits zu Hartz-IV-Zeiten war diese Rechtsfrage umstritten:
– gleicher Auffassung: SG Chemnitz, Urt. v. 27.02.2013 – S 14 AS 112/12 –
– anderer Auffassung: SG Potsdam, Urt. v. 18.04.2012 – S 35 AS 3511/09 –
1.4 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.09.2025 – L 13 AS 245/24 (Revision zugelassen)
Fehlende Leistungsberechtigung von EU-Bürgern nach dem AsylbLG
Amtliche Leitsätze
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Nur ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine längerfristige Bleibeperspektive eröffnet, rechtfertigt eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach dem SGB II für EU-Bürger (Anschluss an BSG v. 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R).
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Ist nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft der weitere Aufenthalt eines Ausländers wegen Zeugeneigenschaft erforderlich, kommen Überbrückungsleistungen über einen Monat hinaus gem. § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII in Betracht.
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Das AsylbLG ist auf EU-Bürger nicht anwendbar; § 1 Abs. 1 AsylbLG ist insoweit teleologisch zu reduzieren (Anschluss u. a. an LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 25.11.2021 – L 8 SO 207/21 B ER).
Quelle: voris.wolterskluwer-online.de
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum SGB II / Bürgergeld
(keine neuen veröffentlichten Entscheidungen in dieser Ausgabe)
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
3.1 LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.02.2025 – L 8 AL 1869/24
Keine Gewährung von Saison-Kurzarbeitergeld bei verschuldeter nicht rechtzeitiger Antragstellung
Anmerkung von Detlef Brock
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Gegen die Antragsfrist des § 325 Abs. 3 SGB III bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 02.10.2025 – L 9 AR 15/25 SO ER
Vollstreckungsaussetzung bei Leistungen der Eingliederungshilfe
Leitsätze
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§ 154 Abs. 2 SGG bezieht sich nur auf Versicherungs- und Versorgungsträger, nicht auf Träger der Eingliederungshilfe.
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Die Wertungen des § 154 Abs. 2 SGG können als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens in die Interessenabwägung nach § 199 Abs. 2 SGG einfließen.
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Die Interessenabwägung kann zugunsten des Trägers ausfallen, wenn die Erfolgsaussichten offen sind und die leistungsberechtigte Person aktuell keiner finanziellen Belastung mehr ausgesetzt ist.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4.2 SG Mannheim, Urteil vom 05.11.2024 – S 8 SO 2182/23 (rechtskräftig, nicht veröffentlicht)
Sozialamt muss keine Klimaanlage bezahlen – kein sozialhilferechtlicher Bedarf
Anmerkung von Detlef Brock
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Eine schwerbehinderte, im Pflegeheim lebende Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Finanzierung einer Klimaanlage.
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Es handelt sich nicht um eine Erstausstattung.
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Auch als Heizkosten sind die Aufwendungen nicht berücksichtigungsfähig; sozialhilferechtlich besteht nur Anspruch auf Heizkosten – und im Mietverhältnis ist der Vermieter zur Ausstattung mit Heizung verpflichtet.
4.3 LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.05.2025 – L 9 SO 177/24
Kein Ausschluss familiärer Aktivitäten von der Eingliederungshilfe (Senat gibt alte Rechtsauffassung auf – Az. L 9 SO 303/13)
Der Sozialhilfeträger muss 11.530 € für ein selbst beschafftes Rollstuhlfahrrad mit E-Antrieb als Leistung der sozialen Teilhabe übernehmen.
Anmerkung von Detlef Brock
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Ein schwerstbehinderter Mensch mit Pflegegrad 5 hat Anspruch auf ein Rollstuhlfahrrad mit E-Antrieb zur Förderung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
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Ein solches Fahrrad ermöglicht gemeinsame Mobilität mit Angehörigen und stärkt soziale Teilhabe, Selbstständigkeit und Lebensqualität.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
5.1 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.09.2025 – L 8 AY 29/25 B
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis im Eilverfahren ohne vorherige Antragstellung bei der Behörde
Amtliche Leitsätze
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Bei einer Beschwerde nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ist für den Beschwerdewert auf das Interesse an der Rechtsdurchsetzung im gerichtlichen Verfahren abzustellen.
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In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist die Hauptsache i.S.d. § 172 Abs. 3 SGG nach dem mit dem Antrag geltend gemachten Anspruch zu bestimmen; bei laufenden Leistungen ist von einem Streitzeitraum von max. zwölf Monaten auszugehen (ständige Rspr.).
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Im Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG fehlt es grundsätzlich am Rechtsschutzbedürfnis, wenn sich der Antragsteller zuvor nicht an die Behörde gewandt hat.
6. Verschiedenes
6.1 Studie des Paritätischen Gesamtverbands: Bürgergeld sichert nur „das nackte Überleben“
Das Bürgergeld bietet nach Einschätzung des Paritätischen Gesamtverbands keinen hinreichenden Schutz vor Armut.
➡️ https://paritaet-bw.de/presse/pressemitteilungen/buergergeld-bietet-keinen-hinreichenden-schutz-vor-armut
6.2 Verstößt die neue Grundsicherung nach dem SGB II gegen die Menschenwürde?
Ein Beitrag von Prof. Dr. Gerhard Kilz
➡️ https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/reform-buergergeld-neue-grundsicherung-existenzminimum-sanktionen
6.3 Kein zweites Paar Schuhe, keine tägliche warme Mahlzeit – Studie zeigt dramatische Mangelsituation
Aktuelle Studie des Paritätischen Gesamtverbands:
➡️ https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/kein-zweites-paar-schuhe-keine-taegliche-warme-mahlzeit-studie-zeigt-dramatische-mangelsituation-von-menschen-im-buergergeld/
6.4 Bürgergeld-Bescheide auch 2025 nicht bestandskräftig wegen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrungen
Die Jobcenter verwenden weiterhin unzulängliche Rechtsbehelfsbelehrungen, was zur Ein-Jahres-Frist für Widersprüche führt (§ 66 SGG analog).
Fehlerhaft sind insbesondere Belehrungen mit bloßem Verweis auf eine Internetseite oder QR-Codes.
➡️ Beitrag von RA Lars Schulte-Bräucker:
https://www.anwalt.de/rechtstipps/neue-rechtsbehelfsbelehrung-der-jobcenter-im-jahr-2025-erneut-erhebliche-unzulaenglichkeiten-255637.html
6.5 Unterhaltsvorschuss bei mehr als 60 % Betreuungszeit
Urteilsbesprechung von RA Helge Hildebrandt, Kiel
Betreut ein Elternteil sein Kind zu mehr als 60 % der Zeit, gilt er als alleinerziehend und hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss.
Quelle: https://sozialberatung-kiel.de/2025/10/15/unterhaltsvorschuss-bei-mehr-als-60-der-betreuungszeit/
Hinweis zur Zitierweise
Nicht veröffentlichte Urteile, Anmerkungen oder Besprechungen dürfen nur mit Quellenangabe zitiert werden:
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Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW XX/2025 – Autor: Detlef Brock
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Für Newsletter: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 – Autor: Harald Thomé
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Verfasser:
Detlef Brock, Redakteur Tacheles Rechtsprechungsticker