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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 43/2025

Rechtsprechungsübersicht – Grundsicherung, Sozialhilfe, AsylbLG, Kinderzuschlag und Bürgergeld

(Stand: 26. Oktober 2025)
Redaktion: Detlef Brock / Tacheles Rechtsprechungsticker


1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II – Bürgergeld

1.1 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.10.2025 – L 2 AS 2681/25 ER-B

Keine Gewährung von Bürgergeld im Eilverfahren, wenn die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers als offen angesehen wird

Anmerkung von Detlef Brock

  1. Bei unklaren Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Antragstellers ist seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht.

  2. Bestehen Verdachtsmomente auf weitere Geldmittel oder Zuwendungen sowie mehrere Darlehen, die nicht nachgewiesen werden können, bestehen erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


1.2 LSG Sachsen, Urteil vom 12.10.2023 – L 3 AS 91/17

Kosten für kieferorthopädische Behandlung von Kindern (Fehlstellung der Zähne) stellen keinen Härtefallmehrbedarf dar

Anmerkung von Detlef Brock

  1. Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung von Kindern begründen keinen Härtefallmehrbedarf.

Leitsätze

  1. Bei den Kosten einer nach einem Heil- und Kostenplan auf drei bis vier Jahre angelegten Behandlung handelt es sich nicht um einen laufenden Bedarf.

  2. Eine kieferorthopädische Behandlung von Kindern ist kein besonderer Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


1.3 LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.06.2024 – L 6 AS 1438/22

Bulgarischer Antragsteller hat Anspruch auf Bürgergeld trotz dreiwöchiger Inhaftierung – gewöhnlicher Aufenthalt am Ort der Haftanstalt

Anmerkung von Detlef Brock

  1. Eine vorübergehende Abwesenheit von drei Wochen (mit begrenzter Verlängerungsmöglichkeit) ist unschädlich. Eine geringfügige Verlängerung um zwei Tage führt nicht zum sofortigen Leistungswegfall.

  2. Der gewöhnliche Aufenthalt richtet sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, nicht nach dem Willen des Betroffenen.

  3. Befindet sich jemand in Strafhaft, liegt sein gewöhnlicher Aufenthalt am Ort der Haftanstalt (vgl. BSG, Urteil vom 29.05.1991 – 4 RA 38/90).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
BSG, Urteile vom 23.09.2025 – B 4 AS 8/24 R – und vom 11.09.2024 – B 4 AS 12/23 R –:
Für den gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II kommt es nicht auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts an, sondern auf eine Prognose der künftigen tatsächlichen Entwicklung.


1.4 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 08.10.2025 – L 13 AS 241/23 (Revision zugelassen)

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung – Bedarfsgemeinschaft – keine Verletzung eigener Mitwirkungspflichten

Leitsätze

  1. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ermächtigt nicht zur Versagung von Bürgergeld gegenüber Personen, die selbst keine Mitwirkungspflicht verletzt haben, auch wenn eine andere Person in der Bedarfsgemeinschaft dies tat (Anschluss an LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2016 – L 6 AS 121/13).

  2. Ein Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 SGB I ist ermessensfehlerhaft, wenn nur formelhafte Erwägungen angestellt werden oder bereits tatbestandliche Voraussetzungen wiederholt werden.

Quelle: voris.wolterskluwer-online.de


2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum SGB II / Bürgergeld

2.1 SG Karlsruhe, Beschluss vom 16.10.2025 – S 12 AS 2884/25 ER

Kostentragung bei Abhilfe im Eilverfahren

Leitsatz

Obwohl der Antragsgegner infolge der Abhilfe formal obsiegt, hat er gemäß § 193 SGG analog die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen, da er das Eilverfahren durch einen rechtswidrigen Entziehungsbescheid veranlasst hat.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


2.2 SG Halle, Beschluss vom 04.08.2025 – S 16 AS 463/25 ER

Keine Unterkunftskosten im Eilverfahren für nicht bewohnte Wohnung (geringe Verbrauchswerte)

Leitsatz

Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind nur anzunehmen, wenn die Wohnung tatsächlich bewohnt wird. Bei minimalen Verbrauchswerten für Wasser, Strom und Warmwasser ist dies nicht glaubhaft. Im Überprüfungsverfahren gelten zudem erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung.

Quelle: Sozialgericht Halle


3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 LSG Sachsen, Urteil vom 22.05.2025 – L 3 AL 81/21

Kein Anspruch auf Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes

Leitsätze

  1. Hypothetische Erwägungen sind unbeachtlich, wenn unklar ist, ob entsprechende Ereignisse überhaupt eintreten.

  2. Ein bloß abstraktes Interesse des Arbeitgebers begründet keine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 LSG Bayern, Beschluss vom 28.11.2024 – L 8 SO 199/24 B ER

Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit entfaltet sofortige Wirksamkeit (§ 7 Abs. 1 FreizügG/EU)

Leitsätze

  1. Die Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit wirkt bereits vor Bestandskraft und beendet das Aufenthaltsrecht.

  2. Eine Verlustfeststellung löst einen Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII aus.

  3. Widerspruchs- oder Eilverfahren ändern hieran nichts.

  4. Kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Leistungen für EU-Bürger, deren Freizügigkeitsrecht erloschen ist.

  5. § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 2 SGB XII begründet keinen Anspruch auf laufende Leistungen.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Praxistipp:
Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.08.2023 – L 8 SO 84/23 B ER –;
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.11.2024 – L 32 AS 105/24 –;
Revision anhängig beim BSG, Az.: B 4 AS 32/24 R.


4.2 LSG Bayern, Beschluss vom 08.10.2025 – L 8 SO 119/25 B ER

Kein vorbeugender Rechtsschutz bei Auskunftspflicht der Behörde

Anmerkung von Detlef Brock

  1. Bei Anhaltspunkten für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze darf das Sozialamt über § 21 Abs. 2 SGB X alle zulässigen Beweismittel heranziehen.

  2. Dazu zählen auch Auskunftsersuchen an Finanzbehörden (§ 117 Abs. 1 Satz 4 SGB XII i.V.m. § 21 Abs. 4 SGB X).

  3. Entsprechende Anhaltspunkte können sich aus den Umständen des Einzelfalls ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 27.11.2024 – B 8 SO 5/23 R).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


5. Entscheidungen zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

5.1 SG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2025 – S 11 AY 1/25

Keine Beiladung der Ausgangsbehörde nach Verfahrensbeendigung (§ 75 SGG)

Leitsatz

Bei einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG ist die Untätigkeit der Ausgangsbehörde der Widerspruchsbehörde zuzurechnen. Eine Beiladung nach Verfahrensbeendigung ist unzulässig.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


5.2 SG Nürnberg, Beschluss vom 04.04.2025 – S 11 AY 7/25 ER

Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG nur bei tatsächlicher Ausreisemöglichkeit

Leitsatz

Ein Leistungsausschluss liegt nicht vor, wenn dem Leistungsberechtigten die Ausreise in den zuständigen EU-Staat aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


5.3 SG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2025 – S 11 AY 3732/25 ER

Gewährung von Leistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1

Anmerkung von Detlef Brock

  1. Der Antragsteller hat unter Berücksichtigung des BVerfG-Beschlusses vom 19.10.2022 (1 BvL 3/21) Anspruch auf Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 1.

Quelle: anwaltskanzlei-adam.de


5.4 SG Halle, Beschluss vom 13.10.2025 – S 17 AY 37/25 ER

Keine Weiterversicherung in der freiwilligen Krankenversicherung nach Ende der Beschäftigung

Leitsätze

  1. Empfänger von Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG können keine Beitragsübernahme zur freiwilligen Kranken- oder Pflegeversicherung verlangen.

  2. §§ 4 und 6 AsylbLG sind keine Anspruchsgrundlagen.

  3. Nach Ende einer Beschäftigung besteht keine obligatorische Weiterversicherung (§ 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Die Krankenhilfe nach § 4 AsylbLG gilt als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall.

Quelle: SG Halle


6. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Kinderzuschlag

6.1 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.09.2025 – L 9 BK 2/25 B

Kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf durchgehenden Kinderzuschlag

Anmerkung von Detlef Brock

  1. Nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht der Anspruch auf Kinderzuschlag nicht sofort, sondern nach dem Durchschnittseinkommen der letzten sechs Monate (§ 6a Abs. 7 Satz 1, 2 BKGG).

  2. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


7. Verschiedenes

7.1 Newsletter 08/2025 von RA Volker Gerloff

Mit zahlreichen Hinweisen zur aktuellen Rechtsprechung im Asylrecht.
Weiter: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-08-2025.pdf


Hinweis zur Zitierweise

Nicht veröffentlichte Urteile, Anmerkungen oder Besprechungen dürfen nur mit Quellenangabe zitiert werden:

  • Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW XX/2025 – Autor: Detlef Brock

  • Für Newsletter: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 – Autor: Harald Thomé

  • Lizenz: Creative Commons CC BY-SA 3.0

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Verfasser:
Detlef Brock, Redakteur – Tacheles Rechtsprechungsticker

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