Newsticker

Jahresarchiv

Jahresarchive

Tacheles Rechtsprechungsticker KW 44/2025

Tacheles Rechtsprechungsticker KW 44/2025

Rechtsprechungsübersicht – Grundsicherung, Sozialhilfe, AsylbLG und Bürgergeld

(Stand: 02. November 2025)
Redaktion: Detlef Brock / Tacheles Rechtsprechungsticker


1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe (SGB XII) und zur Grundsicherung nach dem SGB II


1.1 BSG, Urteil vom 30.10.2025 – B 8 SO 13/24 R

Sozialhilfe – Hilfe zur Pflege – Wohngemeinschaft – Betreuungsleistungen – ambulante Pflege – Tod der Leistungsberechtigten – Übergang – Leistungsanspruch – Betreuungsleistungserbringer

Rechtsfrage:
Zählen zu den nach § 19 Abs. 6 SGB XII auf den Leistungserbringer übergehenden Ansprüchen des Berechtigten auf „Leistungen für Einrichtungen“ auch Ansprüche auf Übernahme der Kosten für in einer anbieterverantworteten Wohngemeinschaft mit Betreuungsleistungen im Sinne des § 24 WTG NW erbrachte ambulante Betreuungsleistungen?

BSG:
Der Betreuungsleistungserbringer hat keinen Anspruch auf Zahlung der ungedeckten Betreuungskosten gegen das Sozialamt.

Anmerkung (Detlef Brock):

  1. Die Leistungserbringerin ist nicht Sonderrechtsnachfolgerin der verstorbenen Leistungsberechtigten, weil die erbrachten Betreuungsleistungen keine „Leistungen für Einrichtungen“ sind. Sie trug keine Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung der Leistungsberechtigten.

  2. Der Einrichtungsbegriff in § 19 Abs. 6 SGB XII ist nicht abweichend vom Leistungsrecht auszulegen.

  3. Der Gesetzgeber hat die Sonderrechtsnachfolge bewusst und zulässigerweise auf bestimmte Sachverhaltskonstellationen beschränkt und ambulante Dienste nicht begünstigt.

Quelle: BSG-Verhandlung vom 30.10.2025 – B 8 SO 13/24 R


1.2 BSG, Urteil vom 30.10.2025 – B 8 SO 1/25 R

Sozialhilfe – Hilfe zur Pflege – Wohngemeinschaft – Tod der Leistungsberechtigten – Übergang – Leistungsanspruch – Pflegeleistungserbringer

Rechtsfrage:
Zählen zu den nach § 19 Abs. 6 SGB XII auf den Leistungserbringer übergehenden Ansprüchen des Berechtigten auf „Leistungen für Einrichtungen“ auch Ansprüche auf Übernahme der Kosten für in einer anbieterverantworteten Wohngemeinschaft erbrachte ambulante Betreuungsleistungen?

BSG:
Der Pflegeleistungserbringer hat keinen Anspruch auf Zahlung der ungedeckten Pflegekosten.

Anmerkung (Detlef Brock):
Sie ist nicht Sonderrechtsnachfolgerin der verstorbenen Leistungsberechtigten, da die erbrachten Leistungen keine „Leistungen für Einrichtungen“ sind (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2025 – B 8 SO 13/24 R).

Quelle: BSG-Verhandlung vom 30.10.2025 – B 8 SO 1/25 R


1.3 BSG, Urteil vom 30.10.2025 – B 8 SO 12/24 R

Sozialhilfe – Hilfe zur Pflege – stationäre Einrichtung – Erstattungsanspruch – unzuständiger Sozialhilfeträger – zuständiger Sozialhilfeträger – Ausschlussfrist – Fristbeginn – wiederkehrende Leistungen

Rechtsfrage:
Handelt es sich bei Leistungen der Hilfe zur Pflege in stationären Einrichtungen im Hinblick auf den Beginn der Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X um wiederkehrende Leistungen oder um eine einheitliche Leistung?

BSG:
Bei Leistungen der Hilfe zur Pflege in stationären Einrichtungen handelt es sich um eine einheitliche Leistung.

Anmerkung (Detlef Brock):

  1. Wie bei der Eingliederungshilfe bilden auch bei der stationären Pflege die erforderlichen Einzelmaßnahmen eine einheitliche Leistung.

  2. Die Leistungen sollen den Pflegebedürftigen helfen, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen (§ 2 Abs. 1 SGB XI).

  3. Während des Aufenthalts in der Pflegeeinrichtung besteht ein dauerhafter Bedarf, ohne dass sich das Leistungsgeschehen verändert.

Quelle: BSG-Verhandlung vom 30.10.2025 – B 8 SO 12/24 R


1.4 BSG, Urteil vom 16.07.2025 – B 7 AS 19/24 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – vorläufige Bewilligung – prognostizierte Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit – Aufhebung – Einkommen aus Beschäftigung

BSG:
Vorläufige Bewilligungsentscheidungen können nicht rückwirkend zu Ungunsten des Leistungsberechtigten aufgehoben werden.

Anmerkung (Detlef Brock):

  1. Nach § 41a SGB II richtet sich die Rechtmäßigkeit der geänderten Bewilligung ausschließlich nach § 41a Abs. 3 und 5 SGB II.

  2. Eine Anwendung der §§ 45, 48 SGB X zu Ungunsten des Leistungsberechtigten ist nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts ausgeschlossen.

Quelle: Volltext verfügbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de


2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II (Bürgergeld)


2.1 LSG Hessen, Urteil vom 28.03.2025 – L 7 AS 88/22 NK

(Revision anhängig beim BSG unter Az. B 7 AS 15/25 R)

Leitsatz:
Die Unterkunftskosten-Satzung des Jobcenters ist materiell rechtswidrig und damit unwirksam. Die Festlegung der angemessenen Wohnungsgröße, der Nettokaltmiete sowie der kalten Betriebskosten ist im zugrunde liegenden Konzept nicht schlüssig dargelegt.

Anmerkung (Detlef Brock):
Zur Anforderung an ein schlüssiges Konzept nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II im Hinblick auf Wohnungsgröße, Nettokaltmiete und kalte Betriebskosten bei kommunalen Satzungen (§§ 22a ff SGB II).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung / Bürgergeld


3.1 SG Leipzig, Beschluss vom 21.08.2025 – S 24 AS 1280/24

Falsche Rechtsbehelfsbelehrung führt zur Jahresfrist bei Widerspruch

Anmerkung (RA Volker Gerloff):
Behauptet eine Rechtsbehelfsbelehrung, dass ein elektronischer Widerspruch per EGVP nur mit qualifizierter elektronischer Signatur wirksam ist, ist dies falsch. Es genügt eine einfache Signatur. Damit gilt die Jahresfrist.

Quelle: RA Volker Gerloff – Newsletter 08/2025


3.2 SG Chemnitz, Urteil vom 25.06.2019 – S 10 AS 1321/17

Anonyme Anzeige und jahrelange Verleumdungen – Jobcenter muss Akteneinsicht gewähren

Leitsätze:

  1. Ein Jobcenter kann durch ein rechtsbehelfsfähiges Zwischenurteil verpflichtet werden, wortgetreue Abschriften anonymer Anzeigen offenzulegen.

  2. Das Geheimhaltungsinteresse der Behörde tritt zurück, wenn die Anzeige wider besseren Wissens oder zur Rufschädigung erfolgt ist (vgl. BVerwG v. 04.09.2003, Az. 5 C 48/02).

  3. Zur Prüfung dieser Voraussetzungen muss der Partei der vollständige Inhalt der anonymen Anzeigen bekannt sein.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

Keine neuen Entscheidungen.


5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)


5.1 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.05.2023 – L 2 SO 3161/22

Sparsame Sozialhilfeempfänger – kein Anspruch bei fehlender Hilfebedürftigkeit

Leitsatz:
Nachzahlungen von Grundsicherungsleistungen gelten nicht als Einkommen, können aber Vermögen im Sinne des § 90 SGB XII darstellen. Die Herkunft des Vermögens ist grundsätzlich unerheblich (vgl. BSG v. 30.04.2020 – B 8 SO 12/18 R).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de


5.2 LSG München, Beschluss vom 14.06.2023 – L 8 SO 105/23 B ER

Anspruch auf Kinderbetreuung für alleinerziehende Mutter im Rahmen der Haushaltshilfe (§ 70 SGB XII)

Leitsätze:

  1. Leistungen zur Kinderbetreuung während der Abwesenheit eines Menschen mit Behinderung sind nicht Elternassistenz, können aber als Haushaltshilfe gewährt werden.

  2. Bei einer blinden, alleinerziehenden Mutter mit Dialysepflicht besteht ein mittelbarer Anspruch auf Kinderbetreuung über § 70 SGB XII.

  3. Leistungen können auch dauerhaft erbracht werden, wenn dadurch eine stationäre Unterbringung vermieden wird.

Quelle: www.landesrecht-gesetze-bayern.de


5.3 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.09.2025 – L 2 SO 2657/25 ER-B

Eingliederungshilfe – Sicherstellungsauftrag nicht erfüllt – Anspruch auf hohe Geldleistungen

Ein junger Mann mit Prader-Willi-Syndrom erhielt im Eilverfahren Eingliederungshilfe als Geldleistung in Höhe von 44.841,48 € monatlich, da der Träger seiner Sicherstellungspflicht nicht nachkam.

Kommentar (Roland Rosenow):
Wenn der Träger der Eingliederungshilfe seinen Sicherstellungsauftrag nicht erfüllt, muss er die erforderlichen Leistungen als Geldleistung bewilligen, auch wenn sie unwirtschaftlich sind.

Quelle: Sozialrecht Rosenow – Meldung vom 2025


6. Entscheidungen zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)


6.1 SG Würzburg, Beschluss vom 13.10.2025 – S 8 AY 151/25 ER

Anmerkung (RA Volker Gerloff):
Das SG Würzburg erkennt als erstes Gericht an, dass „Dublin-Fälle“ bis zur tatsächlichen Überstellung nach Art. 9 Asylverfahrensrichtlinie ein Aufenthaltsrecht haben.
Die Aufenthaltsgestattung besteht daher fort; § 1 Abs. 4 AsylbLG ist nicht anwendbar, da er nur für vollziehbar Ausreisepflichtige ohne Duldung gilt.

Quelle: RA Volker Gerloff – Anlage NL-08-2025_4.pdf


Hinweis zur Zitierweise

Nicht veröffentlichte Urteile, Anmerkungen oder Besprechungen dürfen nur mit Quellenangabe zitiert werden:

  • Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW XX/2025 – Autor: Detlef Brock

  • Für Newsletter: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 – Autor: Harald Thomé

  • Lizenz: Creative Commons CC BY-SA 3.0
    ⚠️ Zitate ohne Quellenangabe sind urheberrechtswidrig.


Verfasser:
Detlef Brock, Redakteur – Tacheles Rechtsprechungsticker

Zurück