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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 45/2021
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II ), zum Arbeitsförderungsrecht nach dem ( SGB III ), zur Sozialhilfe ( SGB XII ) und Entscheidung zum Asylrecht und AsylBL
1.1 BSG, Urteil vom 5. August 2021 (B 4 AS 83/20 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Wenn eine um Alg II (§§ 19 ff. SGB II) nachsuchende Person von ihrem Arbeitgeber als Sachbezug auch Verpflegung unentgeltlich zur Verfügung gestellt und zusammen mit dem Gehalt abgerechnet wird, dann darf vom Jobcenter diese in den Bezügeabrechnungen jeweils ausgewiesene Zuwendung als ein Einkommen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II aufgefasst werden.
Wenn auf diesen Sachbezug ebenfalls Steuern und Sozialversicherungsbeiträge erhoben worden sind, dann liegt hier dennoch ein Arbeitsentgelt, das durch diese gesetzlichen Abzüge vom Arbeitnehmer nicht „erkauft“ wurde, vor.
Bei einer Inanspruchnahme dieses Sachbezugs durch diesen Arbeitnehmer auf der Grundlage des Arbeitsvertrags als ein Bestandteil der Vergütung darf vom Jobcenter deshalb von einem Zufluss einer geldwerten Einnahme ausgegangen werden, der entsprechend § 2 Abs. 5 Alg II-V bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist.
1.2 BSG, Urteil vom 23. März 2021 (B 8 SO 16/19 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Die Formulierung „mindestens“ in § 27b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB XII spricht dafür, dass es sich bei dem von einer vollstationär untergebrachten, bedürftigen Person gemäß § 27b Abs. 2 SGB XII beanspruchbaren Barbetrag lediglich um einen Sockelbetrag handelt, der im Einzelfall sowohl erhöht werden kann, wenn die diesem Richtwert zuzuordnenden Bedarfe sonst nicht ausreichend gedeckt werden können, als auch der vom Sozialhilfeträger verringert werden darf, wenn und soweit die bestimmungsgemäße Verwendung dieser Geldleistung durch oder die die leistungsberechtigte Person nicht möglich sein sollte (§ 27b Abs. 3 Satz 3, 2. Halbsatz SGB XII).
Durch diesen Betrag soll über den durch die Einrichtung institutionell vorgegebenen Rahmen hinaus in dieser Umgebung untergebrachten Menschen ein persönlicher Freiraum zur Deckung zusätzlicher Aufwendungen in Berücksichtigung des aus § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII hervorgehenden Wunsch- und Wahlrechts eingeräumt werden.
Bei der Berechnung dieser Geldleistung ist nicht zusätzlich auch der Mehrbedarf entsprechend § 30 Abs. 1 SGB XII bei Zuerkennung des Merkzeichens G zu berücksichtigen. Dieser Sonderbedarf fließt in die Berechnung des (inkludierten) Lebensunterhalts nach § 27b Abs. 2 und 3 SGB XII in Verbindung mit § 42 Nr. 2 SGB XII ein.
Bei der Bemessung des Barbetrags ist vom Sozialamt jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche regelbedarfsrelevanten Leistungen von der aufnehmenden Einrichtung in welchem Maße zur Verfügung gestellt werden, und wo bedürftige Bewohnerinnen und Bewohner bei der Bedarfsdeckung vollkommen auf sich allein gestellt sind.
Hinsichtlich der Deckung des Bedarfs an notwendiger Oberbekleidung, der gemäß § 27b Abs. 2 und 4 SGB XII ebenfalls pauschaliert abzugelten ist, muss der bei Heimbewohner/innen bestehende einrichtungstypische Bedarf jeweils einzelfallbezogen ermittelt werden. Hier darf insbesondere keine Verrechnung mit dem nach § 27b Abs. 2 und 3 SGB XII gewährten Barbetrag erfolgen.
Entsprechend § 27b Abs. 2, 1. Halbsatz SGB XII sind vom Sozialhilfeträger erforderlichenfalls auch weitere Bedarfe des notwendigen Lebensunterhalts anzuerkennen. In diesem Zusammenhang hat der Grundsatz der individualisierenden Bedarfsdeckung (§ 9 Abs. 1 SGB XII) volle Gültigkeit.
Auf der Grundlage der aus § 27b Abs. 2 SGB XII hervorgehenden Formulierung („insbesondere“) ist eine entsprechend individuell bemessene Hilfeleistung (z. B. in Berücksichtigung der Kosten für Zahnfüllmaterial und Sehhilfen) möglich, wenn weder vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung „Leistungen bei Krankheit“ nach den §§ 27 ff. SGB V noch vom Sozialhilfeträger „Hilfen zur Gesundheit“ gemäß den §§ 47 ff. SGB XII bewilligt werden, sofern die jeweilige Leistung als medizinisch notwendig und wirtschaftlich aufzufassen ist, sowie der bedürftigen Person keine eigenen Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen.
Gleiches gilt bei von Heimbewohner/innen geltend gemachten Kosten für den Betrieb eines Elektrorollstuhls, sofern seitens der Einrichtung kein oder nur ein unzureichendes Mobilitätsangebot vorgehalten wird. Hier handelt es sich um eine notwendige Leistung zur Teilhabe als ein regelmäßig entstehender Bedarf.
1.3 BSG, Urt. v. 03.11.2021 - B 11 AL 8/20 R
Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeldanspruch - Versicherungspflichtverhältnis - Beschäftigung - Fortsetzungswille
Bundessozialgericht klärt anrechenbare Zeiten für Arbeitslosengeld I (www.evangelisch.de )
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld I in der Regel tatsächlich fortlaufend ein Arbeitsentgelt erzielt haben. Legt ein arbeitsgerichtlicher Vergleich das Ende eines Jobs fest, bei dem der letzte Monat nicht bezahlt wird, zählt der bei der erforderlichen zwölfmonatigen Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld I nicht mit.
Gesetzlich ist festgelegt, dass Arbeitslose für den Erhalt von Arbeitslosengeld I in den vergangenen 30 Monaten mindestens zwölf Monate in einem bezahlten Beschäftigungsverhältnis gestanden haben müssen. Wird die Beschäftigung bis zu einem Monat unterbrochen und anschließend fortgesetzt, kann diese Zeit ausnahmsweise bei der erforderlichen regulären zwölfmonatigen Anwartschaftszeit noch berücksichtigt werden.
1.4 BSG, Urt. v. 03.11.2021 - B 11 AL 2/21 R
Arbeitslosenversicherung - Weiterbildungsprämie - Kauffrau für Büromanagement - gestreckte Abschlussprüfung
Zweigeteilte Weiterbildungsprüfung bringt keine doppelte Prämie ( www.evangelisch.de )
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) muss die erfolgreiche zweiteilige Abschlussprüfung einer Weiterbildung nur einmal mit einer Prämie belohnen. Auch wenn die Prüfung in zwei zeitlich voneinander getrennten Teilen stattfindet, muss nicht jeder erfolgreich bestandene Teil separat honoriert werden.
Eine doppelte Prämie sei laut Gesetzes nur beim Bestehen einer Zwischen- und einer Abschlussprüfung vorgesehen.
1.5 BSG, Urteil vom 5. August 2021 (B 4 AS 82/20 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Verneinung der Heranziehbarkeit des Gebiets des gesamten Kreises als Vergleichsraum im Rahmen der Bestimmung der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Entsprechendes liegt gerade dann vor, wenn in Bezug auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in diesem Kreis ein Verkehrsmarktanteil von weniger als drei Prozent festgestellt werden kann, womit diese Kommune an letzter Stelle in diesem Flächenstaat steht. Diese Tatsache steht einer hinreichenden Erreichbarkeit sämtlicher Ortes dieses Kreises entgegen.
Die Verhältnisse von Großstädten sind hier nur bedingt auf den ländlichen Raum, in dem kein annähernd gut ausgebautes Netz des ÖPNV besteht, übertragbar.
Kreisgebiete mit einer sehr schlechten Infrastruktur können deshalb durchaus einen eigenen, recht kleinen Vergleichsraum bilden.
Ein Mangel des Konzepts, das der Bestimmung der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Sachen der Repräsentativität der dort vertretenen Daten und Fakten zugrunde liegt, führt nicht dazu, dass vom SGB II-Träger sofort und ohne Weiteres auf die Tabellenwerte nach dem WoGG ein Zuschlag von zehn Prozent ausgebracht zu werden hat. Hier muss das Jobcenter zunächst Gelegenheit zur Nachbesserung erhalten.
1.6 BSG, Urteil vom 24. Juni 2021 (B 7 AY 5/20 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Verneinung der Geltendmachung des Anspruchs auf Übernahme der für die Wahrnehmung des Anhörungstermins im Asylverfahren entstehenden Reise- und Übernachtungskosten durch die für die Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG zuständige öffentliche Stelle, weder nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 73 SGB XII („Hilfe in sonstigen Lebenslagen“) noch gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG („Sonstige Leistungen“) in Verbindung mit § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII („abweichende Regelsatzfestsetzung“).
Fahr- und Übernachtungskosten stellen keinen atypischen Bedarf im Sinne des § 73 SGB XII dar.
Mobilitätsbedarfe und Beherbergungsdienstleistungen sind als typischerweise anfallende Bedarfe bei der Bemessung des Regelbedarfs (§ 27a Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 28 SGB XII) anerkannt und berücksichtigt worden.
Mangels bestehender Regelunglücke scheidet hier eine „analoge Anwendung“ des § 73 Satz 1 SGB XII bei einmaligen oder fortlaufend entstehenden Bedarfslagen, die vom Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII erfasst sind, aus.
Hier kommt lediglich die Gewährung eines ergänzenden Darlehens gemäß § 37 Abs. 1 SGB XII in Betracht.
Über diese Darlehensleistung wird sichergestellt, dass die Wahrnehmung wichtiger behördlicher Termine, die an einem weit entfernten Termin wahrzunehmen sind, nicht wegen Mittellosigkeit scheitert.
Entsprechend § 2 Abs. 1 AsylbLG analogieleistungsberechtigte Personen können aus § 6 AsylbLG als einer Bestimmung mit besonderer Auffangfunktion keine Rechte herleiten, weil bei dieser Klientel die Vorschriften des SGB XII an die Stelle der Bestimmungen über die existenzsichernden Leistungen des AsylbLG treten.
Die Anwendung des § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII setzt einen fortlaufend fällig werdenden, höheren und gerade keinen nur einmaligen Bedarf voraus.
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )
2.1 LSG Thüringen, Urt. v. 24.06.2021 - L 9 AS 1547/18
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Mietkautionsdarlehen - Rückzahlung - Unzulässigkeit einer Durchsetzung im zivilrechtlichen Mahnverfahren - inhaltliche Prüfung des titulierten Anspruchs - Bindungswirkung des Vollstreckungsbescheides - Versäumung der Einspruchsfrist
Leitsatz
1. Die Rückzahlung einer Darlehensforderung nach § 22 Abs 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch darf vom Jobcenter nicht im zivilrechtlichen Mahnverfahren verfolgt werden. (Rn.19)
2. Das Sozialgericht, an das das Verfahren vom Mahngericht abgegeben worden ist, ist gleichwohl an der inhaltlichen Prüfung des mit dem Vollstreckungsbescheid titulierten Anspruchs gehindert, wenn der Vollstreckungsbescheid bindend geworden ist. (Rn.20)
Quelle: https://landesrecht.thueringen.de/bsth/document/JURE210016820
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )
3.1 Sozialgericht Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2021 (S 20 AS 243/21):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Ein Verwaltungsakt, z. B. ein über einen Überprüfungsantrag entscheidender Bescheid, wird erst dann wirksam, wenn diese behördliche Verfügung entweder der Antragstellerin bzw. dem Antragsteller oder der/dem eingesetzten Bevollmächtigten erwiesenermaßen bekannt gegeben worden ist (§ 37 Abs. 1 SGB X).
Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz SGB X). Dieser Anforderung wird nicht dadurch entsprochen, wenn das Jobcenter lediglich die Absendung des Bescheids, nicht aber die Zustellung unter Beweis stellen kann.
3.2 SG Magdeburg, Urt. v. 02.09.2021 - S 7 AS 940/17
Angelegenheiten nach dem SGB II (AS) - Übernahmefähigkeit der Kosten für die Einholung einer ärztlichen Bescheinigung als Nachweis für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II
Leitsatz
1. Das Ausstellen einer ärztlichen Bescheinigung durch den behandelnden Arzt des Antragsstellers als Nachweis für den Mehrbedarf einer kostenaufwendigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II stellt keine Untersuchungsmaßnahme nach § 62 SGB I dar.
2. Die durch die Einholung der ärztlichen Bescheinigung entstandenen Kosten sind im Rahmen der Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I des Antragsstellers nicht von dem Leistungsträger zu erstatten, soweit die Kosten nicht entgegen § 65 Abs. 1 SGB I in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommen Sozialleistung stehen.
3. Die Einholung der ärztlichen Bescheinigung als Nachweis eines Mehrbedarfs einer kostenaufwendigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II ist ein eigenes Geschäft des Antragsstellers nach §§ 677, 683 BGB im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 SGB I.
Quelle: https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/JURE210017665
Hinweis Redakteur von Tacheles e. V.: SG Braunschweig, 13.01.2016 - S 17 AS 3211/12 - Anspruch eines Hilfebedürftigem nach dem SGB II auf Übernahme weiterer Kosten für die Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung
Kurzkommentar von Harald Thomé: die ärztliche Bescheinigung zum, Nachweis der Krankenkost wird vom Amt gefordert und stellt somit ein Beweismittel im Sinne des § 21 SGB X da. Die Behörde hätte im Rahmen des Amtsermittlungsprinzips von sich aus einen Untersuchungsauftrag rausgeben (§§ 20 SGB X, § 103 SGG; BSG v. 24.02.2011 – B 14 AS 49/10 R, BSG v. 14.02.2013 – B 14 AS 48/12 R). Die vom Antragssteller beigebrachte Bescheinigung ist als nachträglich notwendig anzuerkennende Untersuchung im Sinne von § 65a Abs. 2 SGB I anzuerkennen.
Ansonsten sagt auch das SG Braunschweig (siehe oberer Kommentar), das diese Kosten entsprechend des Bestellerprinzips nach BGB zu übernehmen sind. Eine solche Entscheidung des SG Magdeburg ist nicht nachzuvollziehen und verstößt zumindest auch gegen § 2 Abs. 2 SGB I.
3.3 Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 04.11.2021 - S 114 AS 6315/21 ER
Zusicherung zum Umzug – Mietobergrenzen in Berlin - Anmerkung dazu vom RA Kay Füßlein, Berlin
Aktuell werden – wegen § 67 SGB II – keine Kostensenkungsmaßnahmen gegenüber Leistungsempfängern angekündigt oder durchgeführt (bis mindestens zum 31.12.2021).
Bei Umzügen oder bereits abgesenkten Mieten wird jedoch durch die Berliner JobCenter die sog. AV Wohnen angewandt. Zu Zeiträumen in der Vergangenheit hat das Bundessozialgericht zu den dort angegebenen Mietobergrenzen („angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung“ nach § 22 SGB II bzw. § 35 SGB XII) geurteilt, dass es nicht ausreicht, diese nur anhand des Mietspiegels zu berechnen, sondern auch zu prüfen, ob für diese Mietwerte Wohnungen verfügbar sind. Diese Verfügbarkeitsprüfung wird jedoch nicht durchgeführt (vgl. Punkt IV AV Wohnen).
Die konsequente Rechtsfolge ist, dass bei bereits abgesenkten Mieten oder Neuanmietungen sich die Mietobergrenzen aus dem Wohngeldgesetz zzgl. eines Sicherheitszuschlages von 10 % + den Heizkosten ergeben. Berlin ist hierbei in Mietstufe IV eingruppiert.
Neben Leistungsempfängern, denen bereits nur eine abgesenkten Miete übernommen wird, stellt sich bei Umzugswilligen dann auch die Frage nach der angemessenen Miete.
Vor dem Umzug muss nämlich nicht nur ein Umzugsgrund vorliegen, sondern die Miete für die Wohnung muss auch angemessen sein.
Im vorliegenden Fall wollte meine schwangere Mandantin aus der aktuellen Wohnung aus verschiedenen (sinnvollen) Gründen eine neue Wohnung anmieten. Nach Ansicht des zuständigen JobCenters war diese jedoch „zu teuer“. Faktisch existieren jedoch auf dem Berliner Wohnungsmarkt keine anmietbaren Wohnungen für um die 6,50 €/qm; was auffallen würde, käme man der Verpflichtung des Bundessozialgerichtes nach, die Verfügbarkeit für solche Wohnungen zu prüfen.
Insofern hat das Sozialgericht Berlin das JobCenter zu einer Zusicherung zu einer Wohnung verpflichtet, die zwar nicht angemessen nach der AV Wohnen ist, aber die Angemessenheitskriterien nach dem WoGG entspricht; auf die Frage, ob wegen § 67 SGB II ohnehin sozusagen jede Wohnung anmietbar ist (so zB.: LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 11.3.2021, L 9 AS 233/21 ER und Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Juli 2021 – L 16 AS 311/21 B ER ) kam es nicht mehr an.
Quelle mit Volltext: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=1097
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )
4.1 LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.7.2021, L 8 AL 3122/20
Leitsätze
1. Ein aufgrund mündlicher Verhandlung verkündetes Urteil, welches die beteiligten Berufsrichter im Rubrum anführt und von diesen qualifiziert elektronisch signiert wurde, ist nicht deswegen unwirksam bzw. als Nichturteil anzusehen, weil am Ende des elektronischen Dokuments entgegen § 65a Abs. 7 SGG die Namen der Berufsrichter nicht erneut aufgeführt sind.
2. Zum Fehlen eines Zurückverweisungsgrundes nach § 159 SGG beim Vorliegen eines Formfehlers nach Ziff. 1.
4.2 SG Dortmund, Urt. v. 10.05.2021 - S 102 AL 729/18
Teilhabe am Arbeitsleben - Mobilitätshilfe - Kraftfahrzeughilfe - Zuschuss zu den Beförderungskosten zur Arbeitsstelle - Berechnung der einkommensabhängigen Eigenbeteiligung - analoge Anwendung von § 155 SGB 3
Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
1. Analoge Anwendung von § 155 SGB 3, denn im Fall des Klägers kommt es zur Ansetzung eines Eigenanteils aus früherem Monatseinkommen, das das aktuelle Monatseinkommen übersteigt. Ein Eigenanteil hat sich an der aktuellen Leistungsfähigkeit der Versicherten zu orientieren. Die Kammer wendet § 155 SGB III analog an. Demnach ist der Eigenanteil des Klägers monatlich anhand des jeweils erzielten Einkommens zu berechnen.
2. Die Kammer wendet die Weisungen der Beklagten, an die sie ohnehin nicht gebunden ist, nicht an.
Quelle: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/sgs/sg_dortmund/j2021/Az_S_102_AL_729_18_Urteil_20210510.html
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.10.2021 – L 8 SO 157/21 B ER
LSG Nds.-Bremen: Zu den Voraussetzungen von existenzsichernden Leistungen für Unionsbürgerinnen
weiter bei den RA Beier und Beier aus Bremen: https://www.kanzleibeier.eu/lsg-nds-bremen-zu-den-voraussetzungen-von-existenzsichernden-leistungen-fuer-unionsbuergerinnen/
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
6.1 Bundessozialgericht erleichtert Therapie traumatisierter Flüchtlinge
Das Bundessozialgericht hat die psychotherapeutische Versorgung traumatisierter Asylbewerber erleichtert. Wie die Kasseler Richter am Donnerstag urteilten, können Therapeutinnen und Therapeuten verlangen, dass die kassenärztlichen Vereinigungen sie trotz fehlender Zulassung zur Behandlung traumatisierter Flüchtlinge ermächtigt und die Psychotherapien dann auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. (AZ: B 6 KA 16/20 R)
Asylbewerber haben bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag die ersten 18 Monate (früher 15 Monate) gegenüber dem jeweiligen Bundesland einen direkten Anspruch auf Kostenübernahme für eine medizinische Versorgung. Danach sind die gesetzlichen Krankenkassen zuständig. Eine Behandlung auf Krankenkassenkosten ist danach nur bei einem zugelassenen Arzt oder Psychotherapeuten möglich.
Im Zuge hoher Flüchtlingszahlen hatte der Gesetzgeber 2015 auf die besonderen psychischen Probleme der Menschen reagiert.
6.2 Arbeitslosengeld: Sperrung bei halbherziger Jobsuche
Wer arbeitslos ist, muss sich auf von der Arbeitsagentur vorgeschlagene Stellen bewerben. Gibt man sich erkennbar keine Mühe, kann das Folgen haben.
Wer arbeitslos ist, muss sich rechtzeitig bei der Agentur für Arbeit melden. Die Arbeitsagentur schlägt dann potenzielle Stellen vor, bei denen sich die Betroffenen bewerben sollen.
Diese Vermittlungsbemühungen müssen Arbeitssuchende auch unterstützen. Und zwar so als würde es sich um eine eigene Bewerbung handeln. Sonst droht im Zweifel eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld. Darauf macht die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein mit Verweis auf ein Urteil des Sozialgerichts Gießen aufmerksam (Az. S 14 AL 81/21).
Bewerber verweist auf geplante Selbstständigkeit
weiter: https://www.saechsische.de/arbeit/arbeitslosengeld-sperrung-bei-halbherziger-jobsuche-5541901.html
6.3 Geplante Regelbedarfserhöhung für das SGB II für 2022 unzureichend- Gutachten von Prof. Lenze vom 30.09.2021 - ein Beitrag von RA Lars Schulte-Bräucker
In einem aktuellen Gutachten von Prof. Lenze vom 30. September 2021 beschäftigt sich diese ausführlich mit der geplanten Regelsatzerhöhung für das Jahr 2022 auf dem Gebiet des SGB II, auch als Hartz IV umgangssprachlich bezeichnet.
Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die geplante Erhöhung zum 01. Januar 2022 unzureichend ist.
Weiter zu www.anwalt.de: https://www.anwalt.de/rechtstipps/geplante-regelbedarfserhoehung-fuer-das-sgb-ii-fuer-2022-unzureichend-gutachten-von-prof-lenze-vom-30-09-2021-194157.html
Kommentar von Harald Thomé zum Aufruf von RA Lars Schulte-Bräucker:
Die Aufforderung Widerspruch einzulegen ist nicht nachvollziehbar. Die Bescheide sind rechtmäßig und jedes Gericht wird dies so feststellen. Etwas anders wäre es, die Preissteigerung über einen Antrag nach § 21, 6 SGB II geltend zu machen, das hätte zumindest formal Aussicht auf Erfolg.
Und jetzt auf die Straße gehen, könnte auch mal nicht schaden...
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock